anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Dienstag, 4. Juni 2019
Wettkampf
Dieser Text liegt seit Anfang 2018 in meinem Entwurfsordner, ich habe immer mal wieder ein Stückchen weiter daran rumgeschrieben und grade gestern ist mir ein weiterer Aspekt aufgefallen, den ich bisher noch gar nicht bedacht hatte, weshalb ich den Text wieder hervorkrame und versuche, ihn jetzt endlich mal fertigzustellen. (vielleicht auch nur vorläufig fertig, wir werden sehen.)

Seit letztem Jahr habe ich viel über den Begriff "Wettkampf" nachgedacht, was er für mich für eine Bedeutung hat, wie ich mit Wettkampfsituationen umgehe und warum meine Selbstwahrnehmung so deutlich von der Fremdwahrnehmung abweicht.

Ich bin auf das Thema an sich gestoßen, weil ich versuchte, meiner Schwester zu erläutern, wie blöd ich Wettkämpfe finde, wie sehr ich schon das Wort „Kampf“ nicht mag und alles, was damit in Zusammenhang steht, rigoros ablehne und wie wichtig ich es finde, ein Leben ohne Krieg und Kampf und Streit und Prügelei zu führen. Sie hat mich dann groß angesehen und gesagt, dass in ihrem Kopf der Begriff „Wettkampf“ fest mit meiner Person verknüpft ist, wenn sie also Assoziationsbegriffe nennen sollte, die ihr einfallen, wenn sie an mich denkt, dann ist „Wettkampf“ eines der ersten Wörter, was ihr in den Sinn kommt.

Mich hat das völlig sprachlos gemacht, denn ich finde Wettkämpfe wirklich, wirklich, wirklich!!! blöd, aber seitdem denke ich auch darüber nach, wie es zu dieser unterschiedlichen Beurteilung kommen kann und ob es verschiedene Arten von Wettkampf gibt.

Um das Nachdenken etwas zu strukturieren, habe ich zunächst mal Fragen formuliert:
1. Wofür gibt es eigentlich Wettkämpfe?
2. Was ist der Sinn von Wettkämpfen?
3. Wer braucht Wettkämpfe?
4. Wo ist der Unterschied zwischen Wettkampf und Herausforderung?

Nach längerem Nachdenken komme ich zu folgenden Ergebnissen:
1. Wettkämpfe braucht man, um eine Rangfolge des Könnens festzulegen.
2. Menschen sind grundsätzlich Rudeltiere. In Rudeln gibt es immer eine Hackordnung, die durch die Rangfolge des Könnens festgelegt wird.
3. Menschen mit einem normalen Sozialverhalten fühlen sich in Gruppen wohl, mit Wettkämpfen definieren Rudeltiere ihre Position in der Gruppe.
4. In einem Wettkampf geht es um die eigene Position in einer Gruppe, bei einer Herausforderung beweist ein Einzelner vor allem sich selber


Im nächsten Schritt habe ich dann versucht, mich selber zu beschreiben:
Ganz grundsätzlich würde ich von mir behaupten, ich finde Wettkämpfe blöd und lehne es ab, mich unter Wettkampfbedingungen irgendwo zu beteiligen.

Gleichzeitig nehme ich aber Herausforderungen durchaus an und gebe mir große Mühe, dabei nicht zu versagen.

CW hat sich über meine Verweigerungshaltung was Wettkämpfe angeht, gerne lustig gemacht und mir ein T-Shirt geschenkt, auf dem steht: "If I can't win, I'm not gonna play."

Dieser Spruch beschreibt meine Grundeinstellung ziemlich genau, denn wenn ich bei irgendetwas mitmachen soll, wo auch andere Leute mitmachen, die sichtbar besser sind als ich - ja, warum sollte ich mich dann überhaupt für irgendetwas anstrengen, wenn es doch Leute gibt, die das besser können als ich und es offensichtlich auch machen wollen.
Insbesondere wenn es um körperliche Anstrengung oder Arbeit geht, drängel ich mich niemals vor, ich bin aus Überzeugung grundfaul.

Außerdem habe ich eine dauerlatente Abneigung gegen fremde Menschen und gegen Gruppen und, und das ist vielleicht das allerwichtigste, daraus resultiert ein fast vollständiges Fehlen der passiven Komponente meiner Selbstachtung - ich brauche von anderen (fremden) Leuten keine Bewunderung, ich habe einfach keinen Wunsch nach Ansehen, Prestige, Wertschätzung, Achtung oder Wichtigkeit. Diese Beschreibung habe ich dem Wikipedia Artikel zur Maslowschen Bedürfnishierarchie entnommen, denn die erklärt meiner Meinung nach die verschiedenen Antriebsmomente der Menschen sehr gut.

Bei mir liegt der Schwerpunkt meiner Individualbedürfnisse eindeutig auf dem Wunsch nach (mentaler/körperlicher) Stärke, Erfolg, Unabhängigkeit und Freiheit, aber eben ohne Wettbewerbscharakter, sondern tatsächlich zum schlichten Durchsetzen meiner eigenen Individualbedürfnisse.

Zusammengefasst bedeutet das, dass ich deshalb kein Interesse an Wettkampf habe, weil ich meine Position innerhalb einer Gruppe gar nicht bestimmen muss, denn "ich kann alles alleine".
Ich habe einfach kein Bedürfnis auf Gruppe, ich brauche eine Gruppe weder als Unterstützung noch als Sicherheit oder als Selbstbestätigung. Wahrscheinlich ist das irgendeine üble psychische Störung, weil von der Natur nicht so vorgesehen, aber hey, es gibt auch Albinos oder Menschen mit sechs Fingern, ich bin eben auf meine Art anders und finde es nicht dringend behandlungsbedürftig.

Aber selbstverständlich bemühe ich mich grundsätzlich um Erfolg, denn Erfolg ist essentiell für Unabhängigkeit und Freiheit, und ich denke, genau hier setzt die unterschiedliche Wahrnehmung ein, d.h. dass mein grundsätzliches Erfolgsstreben von anderen Menschen automatisch als Wettkampfverhalten wahrgenommen wird, weil sie ihr eigenes Leben selber als Dauerwettkampf erleben und ständig um ihren Platz in der Gruppe kämpfen.

Ein anderer meiner Lieblingssätze lautet: "Wenn man etwas macht, kann man es auch gleich richtig machen, das braucht auch nicht mehr Energie."
Wenn ich mich also um Erfolg bemühe, dann sollte der Erfolg auch von Erfolg gekrönt sein, ansonsten empfinde ich es als vergeudete Energie.
Ich habe eine tiefe Abneigung dagegen, sinnlos Energie zu verschwenden (no sports für mich). Meine innere Kosten-Nutzen-Analyse fragt also immer danach, wie viel Energie ich in irgendetwas hinein stecken muss und was ich dafür bekomme. Wenn der Output einer Aktion kleiner ist als der Input, suche ich entweder nach Alternativmöglichkeiten oder ich lasse gleich komplett die Finger davon. If I can't win, I'm not gonna play - ich finde das entsetzlich logisch.
Dabei liegt der Schwerpunkt dieser Aussage nicht auf dem Gewinnen=Siegen, sondern darauf, dass ich "Gewinn machen" muss, wenn ich in irgendetwas Energie stecke.

Es mag sein, dass hierdurch für andere Menschen der Eindruck entsteht, ich betrachte "Dinge machen" als Wettbewerb, denn natürlich ist es mir wichtig, dass das Ergebnis aller Aktionen maximal produktiv ist und ich drängel auch immer weiter rum, wenn ich meine, dass sich Prozesse noch verbessern lassen.
Was mich aber gar nicht interessiert, ist der Gewinn als Sieg, sondern eben wirklich nur als Gewinn im Sinne von "da ist was bei rumgekommen, es hat sich gelohnt, sich dafür anzustrengen".
Also Gewinn im betriebswirtschaftlichen Sinn, ein Überschuss im Ergebnis, mehr Ertrag als Aufwand, das finde ich erstrebenswert, aber nicht um Erster zu sein, sondern nur, um ganz persönlich einen Profit aus der Anstrengung zu haben.
Ich sehe dagegen überhaupt keinen Nutzen darin, an einem Wettkampf teilzunehmen, der keinen anderen Sinn hat, als eine Rangfolge des Könnens zu dokumentieren. Weder möchte ich andere Leute deklassieren - noch möchte ich selber irgendjemandem untergeordnet sein, ich tauge einfach nicht als klassisches Herdentier, weil ich Rangfolgen grundsätzlich mit Hierarchien gleichsetze und die finde ich schwierig.
Was ich viel toller finde, ist, wenn in einer Gruppe alle nebeneinander, auf Augenhöhe und gleichwertig ihre Fähigkeiten in ein gemeinsames Projekt einbringen. Das verlangt aber, dass in so einer Gruppe alle Mitglieder mental gleich stark sind, und leider sind solche Gruppen selten.

Im Grunde bin ich also der geborene Teamplayer, wenn man mal davon absieht, dass ich klassische Gruppen blöd finde.

Der olympische Gedanke "dabei sein ist alles" ist mir verständlicherweise auch zutiefst fremd, denn einen Vorteil oder Nutzen am "dabei sein" haben nur Menschen, die gerne in Gruppen leben.
Wenn ich Dinge tue, dann, weil ich selber daran Spaß habe, und mit meiner latenten Soziophobie habe ich mit zunehmender Teilnehmerzahl zunehmend weniger Spaß. "Dabei sein" ist für mich also eher negativ besetzt. Ich will gar nicht dabei sein, ich fühle mich außerhalb einer großen Gruppe viel wohler.

Trotz meiner Abneigung gegen Gruppen bin ich aber nicht gerne alleine bzw. mache Dinge viel lieber gemeinsam statt alleine. Einen gewissen Widerspruch gebe ich zu, aber erstens ist man zu zweit noch keine Gruppe und meine Lieblingsdaseinsform ist eindeutig "zu zweit" und außerdem mag ich Gruppen nur dann nicht, wenn da Leute bei sind, die ich nicht mag* - und das ist bei "fremd gemischten" Gruppen eben sehr schnell der Fall.
Sind in einer Gruppe aber nur Leute, mit denen ich auch jeweils einzeln gut klarkomme, dann finde ich auch eine Gruppe toll - aber Wettkampf innerhalb der Gruppe brauche ich deshalb noch lange nicht.

*Das sind fast immer Menschen mit einem erhöhten Anspruch an Empathie. Also Menschen, die es zB selbstverständlich finden, dass es schlimm ist, wenn jemand stirbt oder überhaupt Mitgefühl für alles mögliche als normale Grundreaktion eines Menschen erwarten und es deshalb als Unverschämtheit bewerten, wenn sie mit der Realität konfrontiert werden.
Und Menschen, die "ach, wo ist denn das kleine Näschen?" zu Babys sagen.



Im allgemeinen Sprachgebrauch ist "Wettkampf" eher positiv konnotiert (weil Verbindung zu Spiel und Sport), wohingegen "Kampf" ja eher negative, martialische und kriegerische Assoziationen mitbringt.

Ich persönliche brauche grundsätzlich keine Sorte von Kampf, stelle aber fest, dass ich zwar jeden Wettkampf durch Nichtteilnahme absage, aber einen "echten Kampf" fast immer hartnäckig austrage, wenn ich das Gefühl habe, der Angreifer beschneidet meine Individualbedürfnisse, die vor allem in meiner selbst definierten Freiheit liegen.

Genau hier beginnt jetzt ein anderes Thema, nämlich wie viel Freiheit brauche ich und bis wohin bin ich bereit nachzugeben, wenn mir jemand auf die Füße tritt, bzw. "in meinen Bereich" eindringt. Darüber muss ich noch mal gesondert nachdenken, aber das Wettkampfthema kann ich zumindest in der Form zu Ende bringen, dass mein "Lebenskampf" daraus besteht, alle Dinge für mich alleine zu regeln und ich deshalb niemals auf den Gedanken komme, das Unterordnen in einer Gruppe zu akzeptieren, um damit auch von den (nicht von mir selbst erarbeiteten) Vorteilen der Gruppe zu profitieren.
Für mich fühlt sich mein Leben absolut nicht wie Kampf an, es mag aber sein, dass es für andere, die von außen drauf gucken, so wirkt
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