anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Montag, 31. Dezember 2018
Aufdringlich
Es gibt eine ganze Menge Vorwürfe, die lasse ich mir tatsächlich relativ widerspruchslos gefallen, weil sie leider berechtigt sind.
Manche Vorwürfe akzeptiere ich beschämt und mit gesenktem Kopf, manche achselzuckend und mit einem Na-und?-Blick als Antwort, aber es gibt halt Vieles, wo ich den Ansprüchen nicht genüge und es entweder nicht ändern kann, oft aber auch nicht ändern will.

So weiß ich zum Beispiel, dass ich nur eine mittelschlecht bis mangelhaft ausgeprägte Empathie habe und alleine das wirkt auf viele Menschen schon sehr verstörend, wenn ich ungerührt schwer dramatische Ereignisse mit einem "das ist dann wohl dumm gelaufen" kommentiere.
Emotionsausbrüchen anderer Menschen stehe ich auch meist recht rat- oder verständnislos gegenüber. Da hat der Lieblingsfußballverein verloren, Lady Di ist gestorben oder es werden unschuldige Tierbabys gequält - ich kann verstehen, dass man sich darüber ärgert oder es nicht gut findet, aber deshalb in lautes Geheul und tiefe Verzweiflung auszubrechen - ne, sorry, aber so etwas kann ich ganz absolut nicht nachvollziehen.
Überhaupt Tod - ich bin da leider wirklich enorm emotionslos, denn letztlich ist der Tod aus meiner Sicht immer nur ein Problem für die, die übrig bleiben und nicht für den, der stirbt, denn der ist dann ja tot.

Ein weiteres dickes Manko, was man mir wahrscheinlich sehr zu recht und darum auch häufig vorwirft, ist mein schlechtes Sozialverhalten.
Ich fürchte allerdings, das wird nix mehr mit mir und Gruppen. Ich bin so wenig an anderen Menschen interessiert, dass ich relativ ungerührt jeden beleidigten "Freund" aus meinen Kontakten streiche. Wenn mich jemand blöd findet, dann mag das in dem einen oder anderen Fall bedauerlich sein, für eine aufwändige Beziehungspflege fehlt mir aber einfach das Interesse an Beziehungen.

Außerdem weiß ich, dass ich arrogant, überheblich und extrem egoistisch bin, war ich schon immer und wird sich auch wohl nicht ändern lassen. Muss ich mit leben und muss ich mir vorwerfen lassen, ist halt so.
Den Egoismus-Vorwurf zB diskutiere ich schon lange nicht mehr, weil ich festgestellt habe, dass der vor allem von Leuten kommt, die erwarten, dass ich etwas für sie tue, weil es für sie bequemer ist, wenn ich es mache, statt dass sie es selber organisieren oder bezahlen müssten, in solchen Fällen bin ich also recht entspannt egoistisch.
Arroganz und Überheblichkeit dagegen sind immer eine Frage der Benchmark. Solche Vorwürfe werden mir meist von Akademikern gemacht, die meinen, ihr Diplom garantiere Ihnen eine automatische Mitgliedschaft im Club der Weisen. Was ich teilweise anders sehe.

Es gibt aber Vorwürfe, die wären mir so unangenehm, dass ich grundsätzlich siebenfache Vorsorge treffe und lieber in das komplette Gegenteil verfalle, nur um nie, niemals ever je Gefahr zu laufen, dass mir eben genau die Vorwürfe gemacht werden, die ich vermeiden möchte, weil ich genau dieses Verhalten bei anderen zutiefst missbillige.

Wenn man mich wirklich gründlich beleidigen (und bestürzen) will, dann muss man mir nur vorwerfen, ich wäre wie mein Vater. Mein Vater war mir in seiner selbstherrlichen und komplett unreflektierten Art schon früh ein besonders gutes schlechtes Vorbild. So wie er wollte ich nie sein. Mein Vater hat sich niemals auch nur einen Deut um die Interessen oder Persönlichkeiten von anderen Menschen gekümmert, er entschied, was gut und richtig ist und selbstverständlich war er der einzige, der überhaupt den Unterschied zwischen wichtig und unwichtig kannte. Alles, von dem er keine Ahnung hatte, war halt unwichtig, falls aber jemand etwas nicht wusste auf Gebieten, auf denen mein Vater Experte war, dann war dieser Mensch unweigerlich auf das gröbste ungebildet und dumm und er schaute spürbar auf ihn herab.
Ein Satz aus meiner Kindheit, der sich mir fest eingebrannt hat, lautete: "Man muss die Menschen zu ihrem Glück zwingen." - Und das tat er mit einem schier unermüdlichen, missionarischen Eifer, nicht nur bei mir, sondern bei allen Menschen, die ihm nicht schnell genug aus dem Weg gingen.
Seine unfassbare Egozentriertheit umfasste auch feste Überzeugungen über die Gottgegebenheit natürlicher Regeln. Beispielsweise gibt es selbstverständliche Unterschiede zwischen Mann und Frau und selbstverständlich ist der Mann das überlegene Geschlecht. Mein Vater lernte im Laufe der Zeit, dass es schlecht ankommt, wenn er das so offen sagt, aber es gab bestimmte Tätigkeiten, da verweigerte er komplett, sie selber zu erledigen, insbesondere gehörten dazu alle Haushaltsdinge. Frauen sind für den Haushalt zuständig und als er keine Frau mehr hatte, verkam sein Haushalt, aber das war er ja nicht schuld, sondern die fehlende Frau.
Von einer Frau erwartete er Respekt und Bewunderung, wenn sie ihm das nicht demütig genug bewies, dann wurde sie scharf gemaßregelt.
Was er ebenfalls ablehnte, war jede Art von handwerklicher Betätigung oder körperliche Arbeit. Er war immerhin Akademiker und als solcher einer höheren Kaste angehörig als einfache Arbeiter oder Handwerker.

All diese Vorbildeigenschaften führten dazu, dass ich mit 18 auszog, weil er es mir dann nicht mehr verbieten konnte, und mich seitdem darin übte, mir und dem Rest der Welt mein Dauermantra "ich kann alles alleine" immer und immer wieder zu beweisen. Deshalb kann ich nicht nur alles, was eine Frau (selbstverständlich) können muss, sondern auch alles, was man als Basic-Handwerker-Wissen braucht, um im Alltag einigermaßen selbstständig zu überleben. In meinem Job kann ich auch alle Tätigkeiten meiner Mitarbeiter und ich achte sehr darauf, dass ich jederzeit weiß, wie der Server funktioniert, wo ich welche Zugänge und Passwörter finde und welche Basics ansonsten notwendig sind, um in einem Büro zu überleben, wenn die Sekretärin und die Sachbearbeiter krank sind.

Außerdem halte ich fast panisch Abstand zu anderen Menschen, weil ich auch hier das Dauerschlechtevorbild meines Vaters nicht aus dem Kopf bekomme. Er lud sich zB ausgesprochen hemmungslos überall selber ein, in seiner Sicht der Dinge machte er dann dem anderen eine Freude, weil er ihm etwas von seiner Zeit schenkte. Überhaupt, dem anderen eine Freude machen, war ihm ganz wichtig, selbstverständlich bestimmte er aber selber, über was der andere sich zu freuen hatte. Grundsätzlich war es für jeden anderen immer eine Freude, wenn er sie an seiner Weisheit teilhaben ließ und ihnen die Welt erklärte, so redete er anderen Leuten über Stunden einen Knopf an die Backe und bemerkte nie, wie ätzend sie ihn fanden.
Auch sonst ließ er sich nicht lumpen, wenn es darum ging, anderen eine Freude zu machen, ich zB bekam regelmäßig eine Sahnetorte, wenn er sich bei mir zu Kaffee und Kuchen einlud. Dass ich schon als Kind Sahnetorte auf das entschiedenste verweigert habe, hat er nie mitbekommen, für ihn ist Sahnetorte das leckerste, was es gibt.

Dieses Nichtmitbekommen, was andere wirklich denken - das ist mein persönliches Horrorbild. Aus Sorge, dass ich jemals so sein könnte wie mein Vater, bin ich in diesem Punkt hypersensibel und beziehe jede kryptische Äußerung à la "es gibt Leute, die wissen einfach nicht, wann sie stören" sofort auf mich und ziehe mich zurück.

Blöderweise ist es oft gar nicht so leicht zu erkennen, wann man als aufdringlich empfunden wird, denn dafür gibt es keine feste Regel und was von dem einen als herzliche Nähe und Wärme geschätzt wird, führt bei einem anderen schon zu Stalkeralarm. (Hier nur nebenbei bemerkt, aber das Wort "Stalker" hat für mich eine richtig gruselige Konnotation, vergleichbar mit Kinderschänder, und ich finde es ganz entsetzlich, dass heutzutage schon ein einfaches Interesse an einem anderen sehr schnell als "stalking" bezeichnet wird. Ich zucke dann immer sofort derart erschrocken zurück, dass ich am liebsten mit dem anderen nie mehr reden möchte, bloß um demonstrativ weit genug Abstand zu halten.)

Meine Unsicherheit beim Erkennen von "heiklen Situationen" führt zu hochsensiblen Antennen, die natürlich in vielen Fällen auch Störungen melden, wenn der andere gar keine Störung gesendet hat, aber ich trete lieber zehnmal zu viel den sofortigen Rückzug an, als dass ich einmal aus Sorglosigkeit den Tanzabstand verletze oder mich auch nur der Gefahr aussetze, dass jemand leicht irritiert die Augenbraue hochzieht und hinter meinem Rücken fragt, wer mich denn bloß eingeladen hat.

Was es zusätzlich besonders kompliziert macht, zu erkennen, ob bzw. wann man jemanden nervt, ist die Höflichkeit der meisten Menschen. Denn statt eindeutige Signale, oder im Ernstfall auch wirklich mal eine klare Ansage zu senden, mit denen sie sich erkennbar abgrenzen (könnten), sind viele Menschen auch zu den übelsten Nervensägen noch zuvorkommend und freundlich, so dass grade besonders nervige Menschen, die ihrerseits meist nur eine schwach ausgeprägte eigene "Nervsensibilität" besitzen, gar nicht mitbekommen, als wie aufdringlich sie grade tatsächlich empfunden werden.

Über diese aus meiner Sicht falsche Höflichkeit habe ich mich schon oft mit Menschen, die mir nahestehen, gestritten, weil ich finde, es ist kein schöner Charakterzug, jemanden ungebremst ins offene Messer laufen zu lassen - denn natürlich ist die freundliche Höflichkeit nur eine nach außen aufgesetzte Maske. Knapp ist der andere weg, kotzt man sich ausführlich darüber aus, wie sehr der einem wieder auf die Nerven gegangen ist - und ich überlege mir dann immer, wie ich mich fühlen würde, wenn ich durch einen blöden Zufall erführe, dass jemand so über mich redet.
K zitiert dann sehr gerne "Man sollte dem anderen die Wahrheit wie einen Mantel zum Hineinschlüpfen anbieten und nicht wie einen nassen Waschlappen um die Ohren hauen", was ich grundsätzlich ja auch sehr richtig finde, was aber nur funktioniert, wenn der andere überhaupt bereit ist, einen Mantel anzuziehen. Wenn er den Mantel aber nicht als seinen Mantel erkennt oder schlicht keine Lust hat, überhaupt einen Mantel anzuziehen, oder aus welchen Gründen auch immer nicht darauf reagiert, dass ich ihm da einen Mantel hinhalte, dann würde ich ihm nach dem Versuch, des Mantelhinhaltens, das Teil aber auch bedenkenlos um die Ohren hauen. Immer noch besser als ihn nackicht ins Verderben laufen zu lassen, damit tue ich ihm doch erst recht keinen Gefallen. Um hier mal konsequent im Bild zu bleiben.

Ich versuche deshalb so weit es mir möglich ist, dem anderen so deutlich wie möglich zu zeigen, wenn er für meinen Geschmack zu weit gegangen ist, weiß aber auch, dass das oft ungemein kompliziert ist. Hier schließt sich dann der Kreis, denn hier findet sich natürlich auch eine Begründung für mein schlechtes Sozialverhalten: Es ist mir in vielen Fällen einfach zu kompliziert. Auf der einen Seite habe ich ständig Sorge, dass andere Menschen mich aufdringlich finden, auf der anderen Sorge, weiß ich nicht, wie ich ihnen im umgekehrten Fall mitteilen kann, dass mich da was stört, dann gibt es Empfindlichkeiten auf beiden Seiten - und zack, schon wieder eine Freundschaft perdu
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