anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Mittwoch, 5. Dezember 2018
Über Verantwortung und Zuständigkeiten
Im Büro läuft mal wieder die übliche Jahresendzeitstresstour, nächste Woche Aufsichtsrat und natürlich ist noch nichts vernünftig fertig.
Zusätzlich müssen natürlich noch alle anderen, Jahresfrist gebundenen Dinge erledigt werden, meine "muss bis zum 31.12. fertig sein"-Liste wird jeden Tag um mindestens zwei Punkte länger, die mir täglich mit viel Schreck und großer Panik auch noch einfallen. Das Gefühl, dass ich ganz bestimmt ein paar Dinge vergesse, verbreitet sich dabei genauso unbehaglich, wie die Verzweiflung, wann ich das denn alles schaffen soll.
Außer dem beruflichen Kram, habe ich noch reichlich "privat beruflichen" Kram, denn all die Abschlüsse und Steuererklärungen, die ich für CWS hinterlassene Firmen noch erstellen muss, sind im Grunde ja die gleiche Arbeit, nur irgendwie anders bezahlt.
Und zu all dem Kram kommt nun noch die Organisation für die Dinge des Vaters. Ich habe grundsätzlich von all den gesamten Verwaltungshintergründen für diesen Pflegekram überhaupt keinen Schimmer. Ich weiß nicht, was ich jetzt alles tun muss, an wen man sich wenden muss, was alles beantragt werden muss, wer wofür zuständig ist, wer was bezahlt, was man bei den Anträgen falsch machen kann, wo die Fallstricke sind, in welcher Reihenfolge was zu passieren hat, was passieren kann, wenn ich Dinge falsch mache oder vergesse - kurz: Ich stehe vor dem Thema wie der Ochs vorm Berge.
Weil mich das entsetzlich genervt hat, habe ich heute verschiedene offizielle Stellen angerufen, und mir einfach mal ganz pauschal erklären lassen, wie die Rechtslage ist, wer was bezahlt, was man dafür beantragen muss, welche Fristen es gibt und welche Tipps sie mir ganz persönlich noch geben könnten.
Ich habe mit dem Sozialdienst des Krankenhauses telefoniert, mit zwei Pflegeheimen, mit der Krankenkasse und der Beihilfestelle, ich weiß jetzt, welche Vollmachten ich noch brauche, damit ich den Postverkehr auf meine Adresse umleiten kann, und ich habe erfahren, dass die Antragsunterlagen für den Gutachter, der eine Pflegestufe feststellen muss, die wiederum dann die Höhe des Zuschusses von Krankenkasse und Beihilfe bestimmt, dass diese Unterlagen von der Krankenkasse schon nach Borkum geschickt wurden. Deshalb habe ich den Onkel losgeschickt, die Post aus dem Haus des Vaters zu holen und mir genau diesen Brief dann an meine Adresse in Greven weiterzuleiten. Das hat soweit erst mal funktioniert, jetzt warte ich, dass die Papiere hier ankommen und dann brauche ich nur noch die Unterschrift des Vaters, auch für die Vollmacht, dass ich dann künftig selber unterschreiben darf.
Das ist alles ein ungeheurer Verwaltungsakt, was da alles geregelt werden muss, wenn man in Ruhe darüber nachdenkt, wird einem ganz schwindelig, deshalb denke ich lieber nicht drüber nach.

Als ich heute morgen unter der Dusche stand, rief erst das Krankenhaus aus Leer an, dann rief der Hausarzt des Vaters aus Borkum an, als ich aus der Dusche kam, sah ich zwei verpasste Anrufe und rief als erstes den Arzt auf Borkum zurück. Weil der mich, genausowenig wie das Krankenhaus, erreichen konnte und weil aber das Krankenhaus, in dem der Vater liegt, "JETZT SOFORT" jemanden sprechen wollte, hat der Arzt dann den Sohn des Onkels auf der Insel angerufen. Er hat den Sohn des Onkels angerufen und nicht den Onkel selber, weil Doktor und Onkel neulich mal Streit hatten und da erschien ihm der Sohn als der angenehmere Gesprächspartner, wollte er ja nur erfahren, wer sich jetzt um den dringenden Rückrufwunsch des Krankenhauses kümmern könne.
Der Sohn des Onkels hat aber keine Ahnung, weil er zu dem "anderen Teil" der Familie gehört; das ist etwas kompliziert bei uns, da der eine Teil der Familie nicht mit dem anderen Teil der Familie spricht. Man mag sich auch gegenseitig nicht sehr und hält sich wechselseitig für seltsam und unsympathisch. Wie genau diese Abneigung angefangen hat und wodurch sie konkret ausgelöst wurde, weiß ich nicht, aber mein Onkel spricht nicht mehr mit seinem Sohn und dieser Bruch scheint dauerhaft.
Da ich aber mit meinem Onkel spreche, gehöre ich halt zu dem einen Teil der Familie - und der Sohn des Onkels zum anderen Teil.
Mein Bruder wiederum, der ist ganz dicke mit dem Sohn des Onkels, was im Ergebnis dazu führt, dass auch mein Bruder zum anderen Teil der Familie gehört und für mich zur Folge hat, dass ich auch nicht mit meinem Bruder rede, eben weil er sich halt für die andere Seite der Macht Familie entschieden hat.

Normalerweise ist mir das alles ganz herzlich egal. Mein Bruder hat sich sein Leben für seine Bedürfnisse passend zurechtgezimmert, da muss ich mich weder drum kümmern, noch einmischen oder auch nur irgendeine Meinung zu haben. Alles, was ich von seinem Leben mitbekomme, bestärkt mich im übrigen auch nur in der Erkenntnis, dass sein und mein Leben schon von der Grundeinstellung her nicht kompatibel sind. Ich bin weder strebsam, noch fleißig, noch ethisch, moralisch oder sonstwie religiös vorzeigbar, mein Verhalten ist derart political incorrect, dass man sich regelmäßig für mich schämen muss und vor allem mache ich mich viel zu unverschämt über echte Männer, die nicht bügeln können, lustig und habe auch ansonsten keinerlei Sinn für den Ernst des Lebens, insbesondere, und das ist das allerschlimmste, nehme ich Geld nicht wichtig genug.
Im Grunde geht es uns beiden also am allerbesten, wenn wir uns maximal ignorieren, nur dass wir dieselben Eltern haben, das macht es dann manchmal wieder etwas kompliziert.

Als mir der Hausarzt des Vaters, der von diesen komplizierten Familienverhältnissen nichts weiß, nun heute sagte, er habe den Sohn des Onkels angerufen, um eine Telefonnummer zu erfragen, wer sich um den Vater kümmere, und von dem dann die Telefonnummer des Bruders erhalten habe - da holte mich auf einen Schlag meine eigene, wunderbar verdrängt und vergraben geglaubte Familienkonstellation ein und ich war ganz ungemein versucht, die unerwartete Situation komplett zu meinem Vorteil auszunutzen. Denn wie perfekt ist das denn? - Ich schiebe einfach dem Bruder all den ätzenden Verwaltungs- und Kümmerkram um den Vater zu, wenn er jetzt schon als erste Referenz genannt wird, ist das meine Chance, mich stickum aus der Verantwortung zu schleichen. Außerdem ist der Bruder ja sowieso viel besser geeignet, sich um den Vater zu kümmern, er ist immerhin eine wirkliche moralische Instanz, so mit hehren, ethischen Grundsätzen, Kirchenbesuch und Tränen im Auge, wenn einer verstirbt. Der nimmt das Leben, das Sterben und seine Verantwortung darin noch ernst und nicht so schlurig laksch wie ich.

Und während mir all das so durch den Kopf schoss und mir der Hausarzt des Vaters noch sagte, er hätte die Nummer des Bruders schon ans Krankenhaus weitergegeben - da schellte es auf der zweiten Leitung und das Krankenhaus war dran und wollte von mir eine Zustimmung zu einer weiteren OP des Vaters, der sei nämlich so verwirrt, dass er sich weigere, selber zuzustimmen, aber die OP wäre wichtig (irgendwas mit Dauerkatheter in Niere oder so) und deshalb bräuchten sie jetzt dringend meine Zustimmung.

Und dann habe ich dem Krankenhaus meine Zustimmung gegeben, denn der Vater will sich ja noch weiter an seinen Atemzügen erfreuen, dafür erscheint diese OP sehr wichtig.
Dann habe ich mich einmal kurz geschüttelt und anschließend all die anderen Verwaltungstelefonate geführt, die ja sowieso geführt werden müssen, und nein, ich kann den Vater nicht einfach hängen lassen, dafür ist es jetzt auch zu spät.
Und es ist auch ganz egal, wen ich mag oder wen ich nicht mag, manche Dinge, die getan werden müssen, nehmen keine Rücksicht auf persönliche Befindlichkeiten, mit diesen Problemen kann ich mich später mal beschäftigen
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... ¿hierzu was sagen?

 
Wenn man keine Vorsorgevollmacht hat oder noch nicht hat, können einfache Dinge schwierig werden.

Dann kann man schon daran scheitern, an eine simple Auskunft über den Gesundheitszustand zu kommen, wenn das Krankenhaus bzw. die konkrete Station oder der konkrete Arzt sich nicht in die Nesseln setzen will.

Das wird nach meiner Erfahrung sogar von Station zu Station desselben Hauses anders gehandhabt (kaum zu glauben), vielleicht davon abhängig, was Chefarzt/Chefärztin als Marschroute vorgeben.
Und wie Sie schon sagten, wenn es um Anträge und Verträge geht, braucht man sowieso eine Vollmacht.

Eine sogenannte Vorsorgevollmacht kann und sollte dann alles abdecken, wenn unter allen Punkten das Häkchen für ja gesetzt ist.

Es gibt vorgefertigte Formulare, z.B. von der Krankenkasse, die erstaunlich schlampig wirken, wenn man das Formular ausgedruckt als Loseblattsammlung bekommt. Im Prinzip ist ja kein Notar nötig. Das heißt, es sind lose Blätter ohne notarmäßige Broschur, im Zweifelsfall nicht mal durchnummeriert, und ein Unterschriftsfeld gibt's nur auf der letzten Seite des letzten Blattes. Man muss also diese Mängel beheben.

Wenn man darüber nachliest, steht da meistens, dass diese Vollmachten für den Notfall gelten sollen. Die Worte "nur im Notfall" kommen auf den Formularen aber nicht vor, wie sollte man das auch nachweisen?
Der Vollmachtgeber muss sich da auf den Vollmachtnehmer verlassen können.

Bei Banken gibt es eigene Vollmachtformulare. Es lässt keine Schwierigkeiten erwarten, wenn der Vollmachtgeber selbst in der Bank unterschrieben hat. Bei einer allgemeinen Vorsorgevollmacht (also nicht das Bankformular) dürfte die Bank sich querstellen, wenn die Vollmacht nicht beglaubigt ist.

Ist der Vollmachtgeber bettlägerig und vielleicht auch tüdelig, schwant es einem langsam, dass man den Mist wohl lieber etwas eher hätte schriftlich regeln sollen. Wenn man keine Vorsorgevollmacht hat oder noch nicht hat, wird’s enge.

... ¿noch mehr sagen?  

 
Ja, das stimmt, eine Vorsorgevollmacht ist eine ganz kluge Sache und ich kann auch jedem Menschen nur raten, sich schon ganz früh damit auseinanderzusetzen, denn es muss ja gar nicht immer das Alter sein, was einen unerwartet mit Krankheiten bewirft, es gibt auch Unfälle und vor denen ist auch ein junger Mensch nicht gefeit.
Mit dem Onkel habe ich das auch alles ziemlich gut geregelt, aber der hat ja auch persönlichen Regelungsbedarf, weil er Sorge hat, dass sonst alle ganz natürlich zuerst zu dem Sohn gehen - und genau das will er auf alle Fälle und mit vielen Ausrufezeichen vermeiden.

Der Vater hat sich da gar keinen Kopp gemacht, weil er komplett damit zufrieden war, dass ich mich gekümmert habe, was ich ja auch all die Jahre vorher schon getan habe. Ich bin aber auch die einzige, die auf Borkum wohnt, die Geschwister haben überhaupt keinen Bezug zur Insel. Der Bruder macht hier ab und zu Urlaub und wohnt dann immer beim Sohn des Onkels, aber mehr Kontakt gibt es sonst nicht.
Ich wiederum hatte keinen konkreten Bedarf, den Vater in eine Vollmacht hinein zu drängen, denn damit wäre mein Zuständigkeitsschicksal ja offiziell besiegelt. So habe ich immer noch leise gehofft, es ja vielleicht doch an den Bruder abtreten zu können, weil, eine Vermögensvollmacht hat er sich schon geben lassen. Der Bruder kommt also problemlos ans Geld des Vaters, aber um mehr wollte er sich wahrscheinlich eh nicht kümmern - honi soit.....

 
Sie wissen das natürlich, aber zum Verständnis für eventuelle Leser muss man es vielleicht sagen: eine Vermögens- oder Bankvollmacht sagt nichts über das Erbe. Es gilt das Testament oder eben die Pflichtteilregeln.
Deswegen erleichtert es die Sache, wenn ein Testament ein paar Formkriterien einhält und einen Haupterben benennt. Über den Anteil am Erbe sagt das gar nichts, sondern der als Haupterbe Betitelte ist der Doofe, der angehalten ist, sich um die verfügungsgemäße Abwicklung zu kümmern.

 
ja, ich weiß das und der Bruder weiß das auch, er hat denselben Beruf wie ich, da kennt man sich mit solchen Dingen aus.
Aber genau deshalb verstehe ich nicht, weshalb er sich eine Bankvollmacht geben lässt und das komplett stickum für sich behält.
Okay, wir gehen uns normalerweise aus dem Weg, aber bei diesen Dingen hilft es doch nichts, seine persönliche Antipathie zu pflegen, da ist es doch tausendmal sinnvollerweise, man spricht sich ab und teilt dem anderen mit, was man schon organisiert hat.
Ich habe selbstverständlich gar nichts dagegen, dass er sich vom Vater eine Bankvollmacht geholt hat, eben weil es genau nichts mit dem Erbe zu tun hat, aber es sieht einfach kacke aus, wenn sich das eine Kind nur eine Vollmacht für die Guthabenbeträge geben lässt - und das andere Kind dann alles andere regeln lässt.
Und es passt halt genau in das Bild, dass der Bruder bisher von seinem Leben gezeichnet hat: Ich sichere mir erst mal alle Vorteile, weil ich sonst bestimmt wieder zu kurz komme.

Genau diese schrappige Geldeinstellung ist ein Merkmal, bei dem sich bei mir sofort alle Nackenhaare aufstellen, ich auf höchste Abwehrstufe schalte und zehn Schritte rückwärts gehe.

Aber so sind sie halt, die Familienmitglieder von der anderen Seite der Familie, deshalb hat der Onkel mit seinem Sohn gebrochen und deshalb ist mir der eigene Bruder einfach nur unangenehm. Sie sind aus tiefster Seele davon überzeugt, dass sie nur verlangen, was ihnen zusteht, und dass sie das auch nur deshalb machen, weil sie bisher in ihrem Leben einfach immer übervorteilt wurden und insgesamt bisher grundsätzlich zu kurz gekommen sind.

Wer und vor allem wie genau sie übervorteilt hat und wer ungerechterweise davon profitiert hat, dass sie zu kurz gekommen sind, das wird nie weiter thematisiert, weil es für sie ja auch egal ist. Sie haben nur das Gefühl, sich gründlich wehren zu müssen gegen alle, die ihnen nicht freiwillig das geben, was sie gerne hätten.

Das macht dann den Umgang untereinander ein wenig beschwerlich.