anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Montag, 26. Oktober 2020
Die zweite Welle
Knapp acht Monate ist es her, dass Corona angefangen hat.

Jeder hat den Lockdown ja irgendwie selber erlebt, ich zum Beispiel habe die Zeit mit meiner Freundin verbracht und gar nicht so wirklich realisiert, dass es einen echten Lockdown gab. Klar, es gab irgendwie Regeln mit Reisen und Abstand zum Wohnort, aber da hatte ich schon für mich entschieden, dass ich mich von sowas nicht aufhalten lassen würde, wenn ich denn was machen will.
Ich wollte allerdings nichts machen, weshalb der Lockdown für mich nicht wirklich existent war.

Jetzt sind wir ein über ein halbes Jahr später dran, können nicht nur als Regierung und Wissenschaft auf die Erfahrungen zurückblicken, sondern auch als Gesellschaft.
Wie gehen wir damit um, was wird kommen?

Sind wir schlauer?

Die Hamsterkäufe scheinen schon wieder einzusetzen, also Tendenz eher nein.
Allerdings ist die Börse nicht wieder in den Keller gerutscht, also vielleicht ja doch (auch wenn es mich da gar nicht so gestört hätte, wenn die Leute etwas panisch werden würden, ich hätte grade wieder Lust zu investieren).

Was mich fasziniert, ist dass Corona wie Geschichtsschreibung im Zeitraffer ist. Tiefgreifende Veränderungen, sowas wie der Fall des Eisernen Vorhangs oder die Gründung der EU, gingen gesamthistorisch betrachtet relativ schnell, aber doch zu langsam, als dass man sie als einen emotionalen Brocken erfassen könnte.
Jetzt allerdings kann man zurückschauen und hat einen Umfang von mehreren Jahren Historie, gepackt auf ein knappes Jahr. All die Erinnerungen und Gefühle sind noch frisch genug, dass man sich hinsetzen und neu kalkulieren könnte, wie man jetzt den zweiten Lockdown angehen wird.

Was ich auch einen spannenden Vergleich finde, ist die Flüchtlingskrise von 2015. Am Anfang noch vom größten Teil der Bevölkerung vollen Herzens unterstützt, kommen nach und nach immer mehr Hetzer, Verschwörungstheoretiker und (in der großen großen Mehrheit) einfach nur Idioten ans Sprachrohr und übernehmen die Debatte und die gesellschaftliche Stimmung. Erst die Willkommenskultur, dann die AfD; erst das Einhalten der Quarantäneregeln, jetzt die Hobbystatistiker und "Maulkorb!"schreier.

Es wird wirklich sehr spannend, wie es weitergeht. Man würde ja denken, dass zwanzigzwanzig irgendwann mal sein Pulver verschossen hat, aber US Wahl gibts ja auch noch, mit allem was da folgen kann.

Zum Glück kann ich alles von zuhause aus in Ruhe betrachten, Klopapier ist noch da.
(Abgelegt in anjeworben - Gastbeiträge mit Herz und bisher 716 x anjeklickt)

... ¿hierzu was sagen?

 
Sind wir schlauer?

Wenn ich mich ganz persönlich und eben auch nur mich beurteilen sollte, dann würde ich sagen, ich bin zwar insofern jetzt ein wenig schlauer, als dass ich natürlich inzwischen viel mehr über die (medizinischen/biologischen) Hintergründe dieses Viruses kenne, schließlich bin ich erklärter Drosten-Fan und habe nicht nur seinen Podcast komplett gehört, sondern auch viele passende weitere Informationen so gut es geht verfolgt und studiert, aber mein persönliches Verhalten, meine Einschätzung der Risiken und meine Beurteilung der Gesamtsituation in Hinblick auf Dauer, Ausbreitung und Auslaufen der Pandemie hat sich sozusagen gar nicht geändert.
Ich bin selber etwas erstaunt, wie passend ich das schon alles gleich im März "geraten" habe.

Da es mir aber nicht nur extrem leichtfällt, mein Verhalten andieaktuellesituation anzupassen, sondern weil es mir in vielen Fällen sogar sehr angenehm erscheint, plötzlich wunderbare Ausreden zur Vermeidung vieler, ungeliebter Aktivitäten zu haben, bin ich wohl eher nicht repräsentativ für die breite Masse der Bevölkerung.

Aber die Frage war ja: Sind wir schlauer geworden?
Und meine Antwort darauf ist: Wir sind nicht schlauer geworden, aber die Panik und Angst vor dieser Pandemie ist bei vielen Leuten einem Gewöhnungseffekt gewichen, so dass der Ernstnehmfaktor des Viruses enorm gesunken ist.
Und ganz ehrlich, das kann ich den Leuten auch nicht verübeln.
Unsere deutsche Bürokratie hat im letzten halben Jahr auf das Feinste bewiesen, wie schwachsinnig sie in weiten Teilen der Verwaltung gelebt und umgesetzt wird und da ist es nun wirklich kein Wunder, wenn die Menschen so nach und nach den Respekt vor irgendwelchen behördlichen Vorschriften oder Anweisungen verlieren.

Wenn also jemand hätte schlauer werden müssen, dann unsere Verwaltung - aber die ist einfach nur gnadenlos gescheitert, weil es plötzlich konkurrierende Ziele gab, die einfach technisch gesehen unmöglich alle erreicht werden konnten. Ich sag nur Datenschutz und Informationsweitergabe, das muss ja scheitern.

Solange die Digitalisierung bei uns unter den Kautelen weiterbetrieben wird, die bisher bestimmt haben, was alles verboten ist, so lange ist es müßig zu fragen, wie weit sind wir denn schon, oder anders ausgedrückt, es gleicht der Frage "wann sind wir da?" wenn man sich in einer Postkutsche von Berlin aus auf den Weg nach Amerika macht und beim ersten Pferdewechsel in Brandenburg* schon meint, man wäre doch nun schon so lange unterwegs und sicher doch auch schon sehr weit gekommen.

*der erste Pferdewechsel wird wahrscheinlich schon in Potsdam erfolgen, weil es natürlich öffentlich-rechtliche Pferde sind, die nicht über die tariflich zulässige Zeit hinaus eingesetzt werden dürfen

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