anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Samstag, 16. Mai 2020
Wenn alle immer lieb und nett zueinander sind
Wenn alle Menschen immer lieb und nett zu einander wären, wäre das nicht eine tolle Welt?

Meine Mutter ist ein Mensch, die grundsätzlich an das Gute im Menschen glaubt und fest davon überzeugt ist, dass die Welt eine viel bessere wäre, wenn alle Menschen einfach immer nur nett und freundlich zu allen anderen Menschen wären. Dann hätte man - schwupps - alle Bösartigkeiten, Gemeinheiten, Feindseligkeiten, Feindschaften, eben alles Schlechte in der Welt komplett aus dieser Welt entfernt, das ist doch eine tolle Sache und sie kann überhaupt nicht verstehen, warum das nicht funktioniert.

Ich kenne auch andere Menschen, die meinen, sie müssten nur genug Liebe verbreiten, dann wird alles gut.
Ich erinnere mich noch sehr gut an das Gespräch mit einer Kollegin, die völlig am Boden zerstört war, weil ihr Freund sie verlassen hatte, dabei liebte sie ihn doch immer noch.


"Aber wenn ich dich noch liebe, zählt das gar nichts?" Ist allerdings auch ein Satz, denn ich selber schon zu hören bekommen habe und ich habe mich gefragt, was der Mensch, der das fragt, eigentlich erwartet? Er liebt mich und das reicht für uns beide, ist egal, was ich möchte? Wenn das oberste Ziel des Lebens ist, dass ich als erstes und zuvörderst immer lieb und nett zu anderen sein soll, muss es sogar per Definition egal sein, was ich möchte, ich bin schließlich nur ein kleines, winziges Teilchen im Gesamtsystem und meine Hauptaufgabe besteht darin, keine Unruhe ins System zu bringen. Alles ist erlaubt, solange es keinen Streit gibt. Streit ist das eigentliche Übel, wer streitet ist schuld. Und schlecht und böse.
Wenn der andere mich also liebt, dann habe ich ihn gefälligst zurückzulieben, oder auf alle Fälle darf ich nichts tun, was diese Liebe in Frage stellt, denn Liebe geht über alles. Wer liebt ist ein guter Mensch, wer nicht liebt, ist schlecht. Der trägt die böse Saat der Ablehnung und Zurückweisung in sich und das ist grundsätzlich negativ und eben weit weg von "wir sind immer lieb und nett zueinander."

Jetzt gibt es tatsächlich Menschen, die sind immer lieb und freundlich. "Positiv zugewandt" ist so ein Ausdruck, der mir dazu spontan einfällt und unter Manipulationsgesichtspunkten akzeptiere ich sofort, dass das ein kluges Verhalten ist, denn natürlich reagiert darauf jeder ebenfalls positiv und freut sich, wenn er vom anderen gemocht, akzeptiert und wertgeschätzt wird. Und wenn man möchte, dass andere Leute etwas für einen tun, wenn man sich also ein funktionierendes Netzwerk aufbauen will, in dem man im extremsten Fall selber nur wie eine fette Spinne in der Mitte sitzt und darauf wartet, dass einen das Netz mit Futter versorgt, dann ist es ausgesprochen wichtig, dass es viele Menschen gibt, die einen selber eben auch akzeptieren, mögen und wertschätzen, denn sonst gingen sie meinem Netz wahrscheinlich weiträumig aus dem Weg.
CW war Weltmeister in dieser Disziplin. Er hat anderen Menschen so perfekt vorgegaukelt, dass er sie mag, dass er sie ganz besonders wertschätzt, dass er selber natürlich ein guter Freund ist und dass er sie selbstverständlich immer unterstützen würde, dass die Truppe an Individuen, die er sich da als "Freunde" zusammengesammelt hatte, schon ein sehr skurriler Haufen war und mich faszinierte regelmäßig, wie fest alle diese Freunde davon überzeugt waren, seine Freunde zu sein bzw. wie sicher jeder für sich glaubte, er selber habe eine ganz eigene, ganz besondere Beziehung zu CW. Solange er lebte, hat er seine "Freunde" virtuos wie ein Schlangenbeschwörer in Schach gehalten, denn selbstverständlich waren in seinem Netzwerk ebenfalls viele dicke, fette und teilweise auch sehr giftige Spinnen, die ebenfalls versuchten, das Maximale für sich aus ihrer Beziehung zu CW herauszuholen, aber CW war ihnen allen locker überlegen, das machte ja grade das Besondere an seiner Persönlichkeit aus.

Mit mir hat er über all diese Typen geredet und er hat sich oft sehr über einzelne Leute amüsiert. Was für eine falsche Meinung sie von ihm haben und wie wenig sie selber merken, dass sie doch auch nur Teil eines großen Spiels sind. So war er halt - und ich bin sehr sicher, von seiner Sorte gibt es noch sehr viele andere.

Meine Freundin Sara ist auch immer nett und freundlich zu allen Leuten. Aber nicht aus berechnender Manipulation, so wie CW, sondern weil sie einfach so ist. Sie findet, es gibt keinen Grund, nicht zu allen Leuten nett und freundlich zu sein. Ihr Problem ist aber, dass es immer wieder Leute gibt, die verwechseln eine neutrale, oberflächliche Freundlichkeit mit einer intimen Freundschaft und bilden sich deshalb ein, sie wären mit Sara besonders gut befreundet, was unweigerlich zu Konflikten führt, weil Sara für sich selber gar nicht findet, dass sie mit diesen Leuten auch nur mehr als bekannt ist. Sie kennt sie halt und sie ist nett zu ihnen, eben weil sie zu allen Leuten nett ist. Für sie ist die "Beziehung" damit auch ausreichend beschrieben, mehr steckt für sie nicht dahinter. Aber grade weil Sara so eine besonders nette Person ist, gibt es natürlich auch sehr viele Menschen, die sehr gerne mit Sara eng befreundet wäre. Dass das in Summe nicht funktionieren kann, liegt auf der Hand, so dass Sara per Saldo deutlich mehr Ärger mit Menschen hat als ich, die eigentlich zu niemandem nett und freundlich im Sinne von "positiv zugewandt" ist, sondern allen Menschen gegenüber sehr reserviert und mit sehr viel Abstand begegne, weil ich es schrecklich finde, bei Menschen falsche Erwartungen zu wecken.
Denn genau das passiert nach meiner Erfahrung, wenn man ausnahmslos zu allen Menschen nett und freundlich ist: Die Menschen fühlen sich positiv angesprochen und möchten gerne mehr davon. So ein netter Mensch, mit dem bin ich doch gerne befreundet.
Ganz unabhängig davon, dass niemand eine unbegrenzt große Zahl an Freunden in seinem Leben "behandeln" kann, finde ich es auch nicht richtig, bei Menschen das Gefühl zu erwecken, man fände sie nett, wenn man sie im Zweifel sogar ausdrücklich nicht leiden kann, was man aber natürlich nicht zeigt, weil man ja - ich wiederhole mich - immer nett und freundlich zu allen ist.

Ich kann akzeptieren, dass Sara ist, wie sie ist und wenn sie sagt, dass sie mich tatsächlich sehr mag und dass sie wirklich gerne mit mir befreundet ist, dann kann ich das auch akzeptieren - aber ein latente Wachsamkeit und gewisse Grundzweifel an dieser Freundschaft werden immer bleiben, weil ich schließlich weiß, dass Sara viel zu nett und freundlich ist, mir mitzuteilen, wenn sich für sie da etwas geändert hat oder wenn ich gar etwas grundsätzlich missverstanden habe und weil ich gleichzeitig weiß, dass da draußen Hunderte von Menschen Schlange stehen und sich um die Freundschaft mit Sara reißen würden. So ein netter Mensch, mit der wären wirklich viele gerne befreundet.

Ich persönlich halte nichts davon, Leuten eine Scheinwelt vorzugaukeln, meine Alternative zu "nett und freundlich" ist grundsätzlich "höflich und distanziert", wobei ich die Distanz je nach Abneigungsgrad auch noch sehr spürbar vergrößern kann. Ich finde, es gibt keinen Grund, zu Menschen beleidigend und unfreundlich zu sein, wenn sie einen nicht quasi direkt dazu zwingen. Ab und zu gibt es aber so Typen, die missachten jeden Höflichkeitsabstand und latschen einem bedenkenlos ständig auf die Füße. Die hören dann nicht auf ein vornehmes Hüsteln und ein gehauchtes "Entschuldigung, Sie haben mich getreten." - Die muss man dann wirklich anbrüllen und sehr laut und deutlich "Verpiss dich, Arschloch" sagen, weil sie eine andere Sprache nicht verstehen. Mit solchen Menschen hat meine Freundin Sara die allergrößten Probleme, weil sie es ablehnt, Wörter wie Arschloch zu benutzen, gleichzeitig hat sie aber auch eine ungeheure Anziehungskraft grade auf die größten Arschlöcher, die sammeln sich um sie wie die Motten ums Licht.

Nach meinen Beobachtungen macht es also weder einen selber noch die anderen Menschen glücklicher oder zufriedener, wenn man immer nur nett und freundlich zu allen ist, ganz im Gegenteil. Sara hat deutlich mehr Probleme im zwischenmenschlichen Bereich, was natürlich schon deshalb kein Wunder ist, weil sie auch deutlich mehr "Freunde" hat als ich. Aber auch - und das ist jetzt meine Interpretation - weil die meisten Freunde mehr in Sara sehen als sie tatsächlich ist. In echt ist sie nämlich nur ein ganz normaler Mensch, zugegeben, ein netter Mensch, aber eben auch ein normaler Mensch mit Ecken, Kanten und Fehlverhalten. So wie wir alle. Aber die wenigstens nehmen ihre Ecken und Kanten wahr, weil sie sie grundsätzlich unter netter Freundlichkeit versteckt, was aber dann wiederum dazu führt, dass Sara sich von den meisten Leuten nicht verstanden fühlt. Im Laufe der Jahre hat sie sich ein Leben angewöhnt, dass eigentlich gar nicht ihres ist, das sie vor allem deshalb gelebt hat, weil sie so gerne nett und freundlich ist, aus dem sie aber nun auch nicht mehr rauskommt, weil das ja unnett und unfreundlich wäre, und was deshalb dazu führt, dass Sara aktuell in einer ganz dicken Zwickmühle steckt.
Ich kann ihr an dieser Stelle gar nicht helfen, weil ich es ja schon aus grundsätzlichen Erwägungen und seit jeher abgelehnt habe, pauschal zu allen Leuten nett und freundlich zu sein. Ich fand halt schon immer, höflich distanziert ist viel besser, weil man damit auch keine falschen Erwartungen weckt und außerdem fand ich es schon immer wichtig, im Zweifel auch "Verpiss dich, Arschloch" sagen zu können, wenn es ein Einzelner zwischendurch doch mal gar nicht kapiert.

Ach, und um den Bogen zum allerersten Eingangsstatement zu schlagen: Eine Welt, in der alle Menschen immer nur
lieb und nett zu einander wären, fände ich unendlich anstrengend, weil nach meiner Erfahrung, die allerwenigsten Menschen von Natur aus lieb und nett sind, so dass sich in so einer Welt unendliche viele Menschen verbiegen müssten - und das kann auf Dauer sowieso nicht gut gehen
.

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