anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Montag, 11. Juli 2016
Die Kinder spielen wieder draußen
Ich habe ja bekanntlich kein besonderes Interesse an "Videospielen" (das Wort musste ich jetzt hinschreiben, weil es das einzige ist, was mir einfiel und so wunderbar deutlich zeigt, aus welchem Steinzeitalter ich stamme und wie wenig ich mich tatsächlich mit diesem Genre beschäftige. Nach etwas Gegoogel könnte ich jetzt auch "Computerspiele" als etwas moderneres Wort anbieten.)
Auf alle Fälle finde ich persönlich diese ganzen Bildschirm-Spiele sehr schnell langweilig, weshalb ich auch nur sehr eingeschränkt Ahnung davon habe und das, was ich davon weiß, weiß ich, weil ich Kinder habe, die quasi mit einem Gameboy aufgewachsen sind und immer verzweifelt versucht haben, ihrer Mutter wenigstens zu erklären, was sie da treiben.
Und da ich es auch immer überflüssig fand, den Kindern nur einen eingeschränkten Computer- und Spielekonsolenzugang zu gestatten, weil ich als Maßgröße immer nur "solange das mit der Schule funktioniert, sehe ich keinen Grund, Euch irgendwas zu verbieten" vorgegeben habe, haben sich die Kinder umgekehrt Mühe gegeben, ihre Mutter über ihre Computerspiele wenigstens soweit auf dem Laufenden zu halten, dass ich nicht als völlig verantwortungslose, weil uninteressierte Schlampe dastand, wenn ich zu dem Thema etwas sagen musste.
Jetzt, wo ich das so schreibe, fällt mir auf, wie lustig das war, denn die Kinder waren wirklich besorgt, das ich unter den anderen Müttern nicht zu sehr als Exot auffiel (was ich mit meiner eher unorthodoxen Haltung zur Kinderaufzucht und -erziehung ganz unbestritten war) und dachten, wenn sie mich mit dem ganzen Wissen füttern, was sie aus ihrer Welt als "Kinderwissen" kannten, zu dem ich aber mangels Interesse überhaupt keinen eigenen Zugang hatte, also wenn sie mich immer schön auf dem Laufenden halten, über das, was sie alles grade so machen, tun und planen und dafür sorgen, dass ich nicht nur alle Jugendwörter drauf habe, sondern eben auch alle Computerspiele wenigstens vom Namen und grob vom Inhalt her kenne, dann falle ich in der Mütterwelt nicht auf und alles ist gut. Das für mich extrem lustige daran war, dass ich grade wegen dieses Wissens aufgefallen bin, denn die anderen Mütter hatten alle mal schlicht gar keine Ahnung von Computern und Computerspielen und waren der Überzeugung, wenn sie dieses Teufelszeug ihren Kindern einfach pauschal verbieten, dann reicht das. Dass sich nur sehr wenige Kinder so etwas dann wirklich verbieten lassen, kam den wenigstens Müttern in den Sinn. Nach meinem Wissenstand hatten damals alle Kinder Gameboys, einige halt nur nicht zu Hause. Die lagen dann bei uns, weil es da ungefährlich war, sie zu haben. In Spitzenzeiten waren bei uns im Haus bestimmt bis zu 10 Gameboys stationiert.
Aber das will ich gar nicht erzählen, das fiel mir nur so nebenbei auf.
Was ich eigentlich erzählen will, handelt von dem neuen Spiel Pokémon GO, mit dem alle drei Kinder seit Tagen unterwegs sind.
Ich habe drei richtige "90er" Kinder, d.h. sie sind alle mit Pokémons aufgewachsen und verbinden Pokémons deshalb mit ganz vielen positiven Kindheitserinnerungen.
Erst hatten sie Unmengen an Pokémon Spielkartendecks, dann die vielfarbigen Gameboy-Spiele und immer wenn es was Neues von Pokémon gab, dann gab es das kurz danach auch bei uns.
Es gab auch Yu-Gi-Ohs, das waren die Folgefiguren, als jeder Pokémons hatte und sie deshalb nicht mehr modern waren, von denen hatten sie auch viele Kartendecks, aber als Kindheitsklassiker bei allen dreien haben sich Pokémons eindeutig stabiler gehalten als alle anderen Spielkarten, Spielfiguren oder Spielinhalte.
Mir erschienen diese Figuren immer ganz entsetzlich mysteriös und ich habe bis heute nicht begriffen, wie das Spiel genau funktioniert, um was es dabei überhaupt geht und vor allem, wie man sich all diese schrägen Namen und Verwandlungsstufen und sonstigen Spezialregeln merken kann, denn es sind viele. Sehr, sehr viele. Am meisten hat mich allerdings fasziniert, dass sie alle drei behaupteten, Lateinvokabeln könne sich doch kein Mensch merken, das wäre doch viel zu abstrakt, Pokémons dagegen seien mitten aus dem Leben. Ich erinnere mich an eine Szene als sich der damals achtjährige Sohn 1 sehr fachmännisch mit seinem Kumpel über komplexe Pokémon-Spielstrategien und -schachzüge unterhielt. Ich hörte den beiden beim Fachsimpeln zu und überlegte mir, dass ich sofort glauben würde, dass dieses Gespräch der Austausch von zwei Nobelpreisträgern der Teilchenphysik sein könnte - in dem Gespräch kam so gut wie kein Wort vor, das ich kannte.
Aber die dreien lieben Pokémons und das bis heute.
Am Donnerstag postete Tochter 1-17 in der Familiengruppe, dass sie mehr Online-Volumen braucht, weil Pokémon Go unter Edge nicht vernünftig lädt, dass sie in ihrer WG aber bereits ein Evoli und ein Taubsi gefangen habe. Es dauerte keine 2 Sekunden, da fragte Sohn1, wie sie denn an dieses Spiel käme, das gäbe es doch noch gar nicht in Deutschland, so dass sie ihren Geschwister lässig ihre australische iTunes-Addy angeboten hat und schwuppdiwupp hatten alle drei Kinder Pokémon Go.
Bis dahin hielt ich das Ganze noch für einen nostalgischen Spleen und habe mich nicht weiter drum gekümmert. Aber am Freitag kam C. dann nach Greven, weil J. auch grade hier ist und die zwei liefen den ganzen Tag durch den Ort und fingen Pokémons. Am Abend waren sie platt wie Hulle, aber unglaublich glücklich, denn sie hatten schon fast dreißig der 151 Pokémons gefangen, dafür waren sie mindestens 20km durch den Ort gelaufen und hatten jede Menge neue Gegenden in der Stadt entdeckt, in der sie immerhin einige Jahre zur Schule gegangen sind…
Dann wurde ich doch neugierig und ließ mir das alles mal genau erklären.
Und was soll ich sagen: Chapeau!
Großen Respekt für den Menschen, der sich dieses geniale Spiel ausgedacht hat, denn damit werden alle nerdigen, computerspielsüchtigen Stubenhockerkinder plötzlich zu echten Draußenfreaks, bewegen sich, laufen kreuz und quer durch ihre Heimatstädte und lernen so ihre Umgebung endlich mal aus eigenem Antrieb kennen.
Dabei funktioniert das Spiel so simpel: Die App funktioniert über GPS und stellt über die Kamera des Handys im Rahmen dieser "augmented reality" auf dem Display nicht nur die direkte Umgebung dar, sondern ab und zu tauchen eben auch einzelne Pokémons auf, die man dann mit Pokébällen abwerfen=fangen muss. Pokébälle muss man wiederum an speziellen Pokéstationen laden, die werden auf einer Karte dargestellt und befinden sich an erkennbaren "Wahrzeichen" oder Landmarken. Hier in Greven zB ist eine Pokéstation beim blauen Elefanten (das ist eine Skulptur vor einem Kinderhaus) und eine andere beim weißen Elefanten, was ebenfalls eine Skulptur ist, die aber 2km entfernt von der anderen steht, d.h. wenn man seine Pokébälle alle verschossen hat muss man entweder 2km laufen, oder eine halbe Stunde warten (eine Option, die für Spielsüchtige als noGo gilt) oder man kauft sich Pokébälle. Darüber scheint sich die App, die ansonsten umsonst geladen werden kann, wohl gut zu finanzieren.
Und das war's auch schon. Da meine Kinder den Ehrgeiz haben, für Computerspiele möglichst kein oder nur wenig Geld auszugeben, mussten sie laufen. Betrügen lässt sich die App wohl auch nicht, wenn man vom blauen zum weißen Elefanten mit dem Auto fährt, klappt da irgendwas nicht, mit dem Nachladen und neue Pokémons kann man im Auto auch nicht fangen, weil sie viel zu schnell wieder weg sind.
Die Idee des Spieles finde ich also ziemlich genial, schlägt der Spieleentwickler doch gleich ganz viele Fliegen mit einer Klappe: Eltern unterstützen die App, weil ihre Kinder sich plötzlich bewegen, dafür benutzen die Kinder die App natürlich nicht nur wenn sie unterwegs sind, wo nebenbei alle Wege der Kids perfekt aufgezeichnet werden, sondern auch im Haus, wo dann ganz en passant alle Häuser von innen gefilmt werden.
Bisher ist die App erst in USA, Japan, Australien und Neuseeland erschienen, wo aber der Ansturm der Nutzer gleich so gigantisch war, dass die Server in die Knie gingen und sich deshalb der Release in den europäischen App-Stores verzögert.

Ich kann nur hoffen, dass meine Kinder schon alle 151 Pokémons gefangen haben, bevor hier in Deutschland das Riesengerenne losgeht, andererseits denke ich aber auch, sie finden es nur grade deshalb so hip, weil die App nur mit Spezialbeziehungen geladen werden kann und man ganz weit vorne ist, wenn man so ein In-Game schon durchgespielt hat, bevor andere es überhaupt starten können. Aber niedlich fand ich es schon, wie sie das gesamte Wochenende höchst eifrig in der Gegend rumspaziert sind und wie die Wilden Pokémons abgeworfen haben. Die Fachgespräche dazu hörten sich an wie früher
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Ich lach mich grade scheckig, denn eben trudelt hier eine Nachricht in der Familiengruppe ein, dass es an einem Pokéstop an der Uni wohl zu einem Geek Treffen gekommen ist.
Es scheint ein Feature in diesem Spiel zu geben, dass man Rauch auf einen Pokéstop werfen kann (und jetzt bloß nicht fragen, wie man das macht und woher man den Rauch bekommt, keine Ahnung, ist wohl schwierig, aber es geht) und wenn man das macht, dann kommen alle Pokémons aus der näheren Umgebung zu diesem Pokéstop gerannt und man kann sie alle an einer Stelle einfangen. Da dieses Spiel in die echte Umgebung eingebunden ist, ist der eingeräucherte Pokéstop für alle eingeräuchert (also nicht nur für den, der den Rauch besorgt hat) und das heißt, dass alle Leute, die die App haben und grade in der Nähe sind, von dieser Sondersituation profitieren können.
Und genau das ist wohl gestern an der Uni in Bielefeld passiert, irgendjemand hat den Pokéstop in der Uni beräuchert, das haben sofort jede Menge Leute bemerkt und es kam zu einem spontan Flash-Treffen am Pokéstop, wo dann über 15 Leute rumstanden, alle auf ihr Handy starrten und Pokémons mit Bällen bewarfen, bis der Server "Fehler" meldete und sich die Gruppe wieder auflöste.
Außerdem scheinen mittlerweile Anleitungen im Netz zu kursieren, wie man sich die App aus einem ausländischen Store herunterladen kann, so dass die Menge der App-Besitzer auch in Deutschland schon rasant wächst.

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