anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Sonntag, 23. Juli 2017
Idylle zum Frühstück
Wir sitzen auf der Terrasse und frühstücken, vor dem Haus ist eine anthroposophische Familie (Mutter, Vater, drei Kinder im Alter zwischen eins und vier, außerdem dabei: Oma und junge Tante, die Familienverhältnisse sind geraten, aber so kann man sich die Altersstruktur in etwa vorstellen) auf dem Weg zum Strand.
Ein Kind im Bollerwagen, ein Kind auf dem Laufrad, ein Kind auf dem Fahrrad, alle tragen Sonnenhüte, die beiden Kinder auf dem Laufrad und dem Fahrrad tragen unter dem Sonnenhut auch noch einen Fahrradhelm.
Das Kind auf dem Laufrad fährt plötzlich mitten auf die Straße und fängt ein mörderisches Gebrüll an: "Will nicht Strand. Will nicht Strand."
Alle bleiben stehen, die Mutter beginnt eine Diskussion mit dem Schreihals.
Die Diskussion verläuft wie alle "ruhigen" Diskussion mit bockigen Zweijährigen verlaufen. Das Kind brüllt immer lauter, die vernünftigen Argumente der Mutter verhallen im Geschrei. Inzwischen brüllt das Kleinkind im Bollerwagen auch und versucht aus dem Wagen raus zu krabbeln. Der Vater redet gut aber ähnlich erfolglos auf das Kleinkind ein.
Die (deutlich jüngere) Tante hat sich auf unsere Mauer gesetzt und ihr Smartphone samt Kopfhörer rausgeholt. Die Großmutter steht sehr bewegungslos auf dem Bürgersteig und schaut ins Nichts, man sieht wie sie sehr bewusst atmet.
Das älteste Kind war auf seinem Fahrrad schon vorgefahren, inzwischen ist es umgedreht und wieder zur Truppe gestoßen. Es schmeißt sein Fahrrad in die Dünen und beginnt auf der Straße singend seinen Namen zu tanzen.
Die Tante murmelt leise, aber doch deutlich hörbar:"Ein Kondom hätte so viel verhindert." Die Großmutter antwortet zwischen zwei langen Atemzügen:"Der Ratschlag kommt exakt 32 Jahre zu spät."
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... ¿hierzu was sagen?

 
Haha, sehr hübsch.
Weiß nicht, wie ich drauf komme. Obwohl, doch, ich weiß wieso: In einer solchen Szenerie muss ich ans Lokalfernsehen denken. Dort tritt manchmal ein Tier-Einflüsterer auf, Dr.Dr.-Hundetrainer, oder wie der sich nennt, der dann zum Beispiel erklärt, wieso ein süßer, süßer Hund kläfft, wenn Besuch kommt, was Herrchen oder Frauchen dafür können, welche Anreize sie verkehrt setzen, wieso der Hund bekloppt tut, wie der Hund das Herrchen dressiert hat und wie einfach (wirklich einfach) man den Hund dazu bewegen könnte (von mir aus wiederum "dressieren könnte"), nicht sinnlos durchzudrehen. Was das mit Kindern zu tun hat?

... ¿noch mehr sagen?  

 
Ich habe mir ja ganz viel Mühe gegeben, so wenig Wertung wie geht durchschimmern zu lassen, denn in Punkto wertvolle Kindererziehung bin ich genau so ein Versager wie in Punkto Hundedressur. Ich stehe da viel zu sehr auf die alten "Gutsherrenwerte" als dass es klug wäre, dass ich bei Pädagogik mitrede.
Immerhin haben meine Kinder bis heute überlebt. Der Hund zwar nicht, da lassen sich aber keine Schlüsse draus ziehen, denn er ist sicher nicht deshalb verstorben, weil ich zu wenig auf die inneren Bedürfnisse des Tieres eingegangen bin.

Ich habe auf alle Fälle den Verhandlungen der Eltern mit ihren Kindern mit großer Faszination gelauscht und mich mal wieder (wie regelmäßig in solchen Situationen) gefragt, wo diese Menschen nicht nur die Geduld, sondern auch die Überzeugung hernehmen, dass es für Kinder und Eltern das Beste und Bekömmlichste ist, sie tragen ihre Dispute derart demokratisch aus.

Ich habe ähnliche Situationen durchaus auch erlebt, Kinder sind in den Grundanlagen nämlich erstaunlich ähnlich, egal aus welchem Elternhaus sie kommen. Ich habe halt nur nicht mit ihnen diskutiert, sondern nur entspannt die Schultern gezuckt und gesagt: "Dann gehste eben nicht mit an Strand. Auch gut - und tschüß."
Ich meine - was soll schon passieren? Wir sind auf einer Insel, so schnell kommt da kein Kind weg, Autos fahren wenige und langsam, dass ein auf der Straße liegendes, bockendes Kleinkind überfahren wird, ist also extrem unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher ist es, dass das Kind, weil es mit einer derart unsensiblen Mutter wie mir ja schon seit seiner Geburt leben muss, noch eine Runde schreit und tobt, um dann zuzusehen, dass es den Anschluss an die Gruppe nicht komplett verliert.

Da ich auch drei Kinder hatte, habe ich zur allergrößsten Not immer ein anderes geschickt, das jeweils grade quer im Stall stehende (meist jüngere) Geschwisterkind wieder auszurichten, funktionierte auch, war aber eigentlich auch nur beim jüngsten Kind notwendig, der hatte nämlich so eine hohe Opferschwelle, der wäre wirklich eher verstorben bevor er nachgegeben hätte.
Geblieben ist meinen Kindern als Trauma die Angst, dass ihnen die Mutter wegkommt, denn ein recht oft von mir wiederholter Satz lautete: Das ist mir hier zu blöd, ich ziehe aus.
Eine vergleichbare Angst hatte übrigens auch der Hund, weshalb ich mir nie Gedanklen machen musste, dass er eventuell abhaute oder nicht mehr kam, wenn man rief. Ich musste mich nur Richtung Auto bewegen, dann kam er aus den entlegendsten Stellen im gestreckten Galopp angefegt, aus Sorge, man würde ihn einfach zurücklassen.

Ich sach ja - ganz weit weg von kinderliebend antroposophisch, aber dafür extrem nervenschonend für die Eltern.
Nach meiner festen Überzeugung habe ich übrigens keine Kinder bekommen, weil ich starke masochistische Züge ausleben wollten, sondern weil ich denke, man kann einfach viel Spaß gemeinsam haben. Und mein Schwerpunkt liegt dabei auf "Spaß" und nicht auf "pädagogisch wertvoll" oder "wir arbeiten beständig an einem guten Karma" oder so was.