anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Mittwoch, 6. Januar 2016
Gesprächspartner
Wie kommt es eigentlich, dass es Leute gibt, mit denen kann ich mich stundenlang unterhalten, reden, lachen und erzählen und mir wird nie langweilig dabei, noch gehen uns (mir?) je die Themen aus für neue Gespräche. Und dann gibt es Leute, da verstumme ich fast komplett, weil ich einfach nicht weiß, was ich überhaupt so sagen könnte. Ich weiß nichts, was ich erzählen könnte, ich weiß auch nichts, was ich fragen könnte, es gibt auch nichts, was ich erzählt bekommen möchte - ich habe einfach das Gefühl, es gibt nichts zu reden. Da ich dann nichts sage, fragt meist der andere, das gesamte Gespräch ist trotzdem für gewöhnlich sehr mühsam und schleppend.

Bei Menschen, mit denen ich gerne rede, habe ich dagegen oft Sorge, dass ich ihnen ein Knopf an die Backe quatsche, weil ich gar nicht mehr aufhören kann, mit ihnen zu erzählen. Mit meiner Freundin Barbara z.B. geht mir das so. Wenn ich mit ihr telefoniere habe ich das Gefühl, dass es sich 90% der Zeit um Themen dreht, die von mir ausgehen, wo ich etwas erzähle, erkläre, sicherlich auch mal frage, aber dann ruckzuck selber wieder zurückantworte. Irgendwann mittendrin packt mich dann das schlechte Gewissen: "Wir reden hier die ganze Zeit nur über mich. Lass uns doch auch mal über dich reden. Wie findest du mein neues Kleid?" - Dies ist mein Lieblingswitz zu unserer Unterhaltungsmethode, aber irgendwann habe ich begriffen, dass es ihr vollkommen recht ist, wie es so abläuft zwischen uns. Sie langweilt sich nicht, wenn ich ihr was erzähle, sondern hört gerne zu und denkt gerne mit. Denn das ist ja meistens der Grund, für so ein Telefonat, ich habe mal wieder irgendetwas erlebt, was ich nicht so einfach ganz alleine verarbeiten kann und dann rufe ich Barbara an und frage: "Sag mal, was hältst du davon?" Das heißt, so explizit frage ich das gar nicht, sie weiß aber, dass es im Grunde immer so gemeint ist und deshalb lässt sie sich alles ganz genau erzählen und dann sagt sie mir auch ihre Meinung dazu. Da ich Barbaras Meinung grundsätzlich sehr schätze, weil ich sie für einen enorm lebensklugen Menschen halte, bin ich immer äußerst beruhigt, wenn ihre Beurteilung irgendeiner Situation letztlich gut zu meiner eigenen passt. Barbara ist so anders als ich, sie lebt ein komplett anderes Leben als ich, hat es auch schon immer gelebt und auch sonst gibt es oberflächlich eigentlich nicht sehr viele Gemeinsamkeiten. Außer, dass sie die Aussage: "Wie, nur ein Geisterfahrer? So'n Quatsch, hunderte!" wohl genauso passend findet wie ich.
Und genau deshalb rede ich so gerne mit ihr. Weil ich es enorm beruhigend finde, wenn jemand, der so ganz anders ist als ich, mir trotzdem bestätigt: "Nein, du bist nicht der Geisterfahrer. Dein Weg ist okay, ich weiß auch keinen besseren. Und nur weil alle anderen in die Gegenrichtung fahren, heißt das nicht, dass die Gegenrichtung auch für dich passen muss."
Außer über irgendwelche Problemthemen rede ich mit Barbara ansonsten supergerne über allgemeine Grundsatzthemen, bei denen wir auch meist die gleiche Meinung haben und uns dann wunderbar gegenseitig die Vorlagen liefern, um darüber zu witzeln.
Ich bin gerne witzig und mit Barbara zusammen fällt es mir ganz besonders leicht. Vielleicht auch, weil ich genau ihren Witz sehr bewundere und genauso auch sein möchte - und weil sie meine Witze immer sofort versteht.
Wobei, es gibt auch Themen, wo wir nicht die gleiche Meinung haben und trotzdem können wir darüber wunderbar witzeln, weil wir uns alle beide gegenseitig nicht so ernst nehmen. Hilft ja nix. Is eben so. Musste durch.

Menschen, mit denen ich nicht reden kann, bei denen ich verstumme und mir vorkomme wie eine taube Nuss, weil sich die Gespräche so mühsam ziehen und auch die Zeit nicht vergeht, so dass nach einer Stunde Gespräch immer erst nur fünf Minuten vergangen sind, diese Menschen haben meist eine komplett andere Art Humor als ich und sie interessieren sich für Themen, die ich so banal finde, dass ich gar nicht weiß, wie man darüber reden kann.
Diese Menschen haben komplett andere Ansprüche an ein Gespräch als ich. Sie stellen Fragen, die ich nicht beantworten kann, weil ich mir auch gar nicht vorstellen kann, was sie mit der Antwort anfangen wollen. Oder sie wollen über Dinge reden, von denen sie selber zwar keine Ahnung haben, dafür aber reichlich Meinung.

"Wie geht es denn deinen Kindern? Was machen die denn so?" - Ääh, ja nix, oder besser, genau das, was sie seit Jahren machen. Die studieren oder gehen zur Schule und mehr weiß ich auch nicht.
"Hast du denn nichts von denen gehört? Wie geht es denen denn?" - Was soll ich denn von denen gehört haben? Wir haben einen Familienchat bei Whatsapp, da postet jeder mal was, ich gehe also davon aus, sie leben noch alle drei, sonst hätte ich bestimmt was gehört. Deshalb denke ich auch, denen geht es gut.
"Und was machst du so?" - Ja, ich, äh, ich mach auch das, was ich immer so mache. Nichts Neues. Tagsüber arbeiten, abends schlafen.
"Ja, dann. Ich dachte, ich ruf mal an und frag, was es Neues gibt. Wir haben ja solange nichts voneinander gehört." - Ja, das ist ja nett von dir. Wie geht es dir denn so?
"Ach, uns geht es gut. Wir waren viel unterwegs und sind rumgereist." - Das ist ja interessant, ja, so hat denn jeder seine Beschäftigung.
"Letzten Monat waren wir auf Mallorca. Da ist es aber auch nicht mehr so wie es mal war." - Ja, so ist das Leben, nichts ist von Dauer.
"Wie meinst du das denn jetzt?" - Ach, nichts, du sagtest doch, auf Mallorca ist es nicht mehr so wie früher.
"Ach so, ja. Jaja, so ist das." - Ja.

längere Pause

"Du sag mal, der Schröder, der wohnt doch da bei dir auf der Straße. Hat der dich denn jetzt schon bekehrt, in die SPD einzutreten?" - Äh, der hat ein Ferienhaus am Ende der Straße, auf der ich auch wohne, aber erstens ist der nur ab und zu da und zweitens wüsste ich nicht, wie der dazu käme, überhaupt mit mir zu reden.
"War doch auch nur ein Witz. Du weißt doch, ich mache gerne mal Witze." - Oh sorry, den kannte ich noch nicht. Also noch mal neu: Nein, Herr Schröder hat mich noch immer nicht bekehrt in die SPD einzutreten, liegt vielleicht daran, dass er noch nie mit mir geredet hat. Aber ich könnte ihm ja demnächst mal schöne Grüße von dir bestellen, unter Genossen duzt ihr euch doch, oder?
"Ach, ich glaube nicht, dass er sich noch an mich erinnert. Ich bin ihm auf einem Parteitag nur mal kurz begegnet, weißt du damals, als ich sachkundiger Bürger im Rat war. Aber wenn du ihn siehst, kannst du ihn natürlich gerne von mir grüßen." - Äh, ja, wird erledigt.

längere Pause

"Na, war nett, mal wieder was von dir gehört zu haben. Und bestell K. schöne Grüße, wenn du zu Wort kommst." - Ich schreib's ihm per Whatsapp.
"Ja, dann Tschüß." - Ja, du auch Tschüß.

Ich glaube, ich bin komplett Smalltalk ungeeignet
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... ¿hierzu was sagen?

 
Ich glaube, ich bin komplett Smalltalk ungeeignet.

Weiß nicht, ob ich Ihnen das glaube. Bin mir da aber auch bei mir selber nicht ganz schlüssig, wie ich meine diesbezüglichen Fähigkeiten evaluieren soll. Denn grundsätzlich ist es mir schon gegeben, mich zwanglos und unverbindlich über dies und jenes zu unterhalten (meine rege Kommentartätigkeit mag davon einen kleinen Eindruck geben), aber oft genug ist es so, dass ich schlechterdings keine Lust darauf habe. Und die Gesprächssituation, wie Sie sie schildern, ist einer der klassischen Lustkiller bei mir. Wenn es zäh ist und ich überdies eh meist schon genau weiß, was zu welchem Stichwort zu erwarten ist. Dann ist es tatsächlich klüger, sich an das Motto zu halten, das früher* auf Schildern in Telefonzellen zu finden war: Fass Dich kurz!

* Die Älteren werden sich noch erinnern.

... ¿noch mehr sagen?  

 
Ach doch, ich glaube schon, dass ich Smalltalk ungeeignet bin.
Das heißt ja nicht, dass ich es nicht kann, aber weil mir mittlerweile so jedes Verständnis für die Notwendigkeit fehlt, fällt es mir von Jahr zu Jahr schwerer.

Ich denke auch, dass es einen großen Unterschied gibt, ob man sich zwanglos über dieses oder jenes unterhält - oder ob man sich zwanghaft darüber unterhält, nur weil man sich eben unterhalten will.

Früher hatte ich ja noch persönlichen Bedarf an Kontakten und Netzwerkerei. Da fand ich es wichtig, Menschen nicht nur kennenzulernen, sondern auch bestehende Bekanntschaften zu pflegen (oder zumindest zu erhalten), weil, man weiß ja nie, ob man diese Menschen nicht noch mal braucht.
"Beziehungen schaden nur dem, der keine hat" finde ich einen sehr richtigen Satz und je jünger man ist, umso weniger kann man vorhersehen, was das Leben noch so zu bieten hat, wie man sich selber entwickelt, was man selber mal machen möchte usw. Und dann kann es nur positiv sein, viele Menschen zu kennen und außerdem schadet es ja auch nicht, erstmal ein Smalltalk-Experte zu werden.

Ich habe aber mittlerweile ein Alter erreicht, wo ich beruflich ziemlich genau weiß, was ich noch so machen möchte und wen ich dazu brauche oder brauchen werde - und privat genauso.
D.h. ich muss keine Bekanntschaften mehr "auf Vorrat" pflegen, ich suche mir heute die Leute sehr bewusst aus, mit denen ich mich gerne unterhalten möchte, eben weil es mir Spaß macht.
Und weil mir deshalb die Einsicht in die Notwendigkeit fehlt, Menschen, mit denen mich persönlich sonst nichts weiter verbindet, einfach nur "weil man sich doch schon so lange kennt" weiter gemäß der Anforderungsnorm zu besmalltalken, verweigere ich die erwarteten Sätze, sage lieber das, was mir spontan so einfällt, grinse darüber, dass der andere mich erwartungsgemäß überhaupt nicht versteht und hoffe, dass er mich deshalb von sich aus nicht mehr anspricht, weil er mich seltsam findet.

Das einzige, was ich dabei noch immer nicht geklärt habe, ist die Frage, weshalb es soviele (ältere) Leute gibt, die sich gegenseitig derart langweilige Dinge erzählen und dabei sehr zufrieden wirken.
Ich kann das immer live beobachten, wenn ich auf der Fähre bin und den Gesprächen um mich herum zuhöre.
Das ist teilweise so absurd, wie diese Gespräche verlaufen, dass man allein darüber schon ein ganzes Dada-Buch schreiben könnte.