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Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Dienstag, 12. März 2024
Angst
Ich habe heute darüber nachgedacht, ob ich etwas wirklich Besonderes kann, ob ich also eine der neudeutschen Superpowers habe und mir ist nichts eingefallen.
Wahrscheinlich ist meine Superpower etwas, dass ich nicht habe, und das ist Angst.

Ich glaube, ich habe keine Angst. Zumindest nicht in der Form, dass mich meine Angst jemals in irgendeiner Weise behindern und aufhalten würde.

Natürlich gibt es eine Menge Dinge, die sind mir unangenehm, die finde ich grässlich, die mache ich nicht gerne oder vermeide sie komplett, ich glaube aber, dass ich all diese Dinge genau kenne und benennen kann und mir meine Abneigung dagegen einfach als persönliche Marotte halte, so wie mein Kuscheltuch.

Denn natürlich habe ich ein Kuscheltuch, wobei, ich habe nicht eines, ich habe viele, es kommt dabei auch nicht auf das konkrete Tuch an, sondern auf das Material, aus dem das Tuch gefertigt wurde. Es muss aus einem ganz besonderen Stoff sein, aber alles, was aus genau diesem Stoff ist, liebe ich heiß und innig und muss sofort anfangen, meine Finger und meine Lippen daran zu reiben, wenn ich es in die Hände bekomme.

Meine Großmutter hatte früher ein Nachthemd aus genau diesem Stoff, das hat meine Mutter in viele einzelne Stofffetzen geschnitten, jeden einzeln gesäumt und so eine große Anzahl Kuscheltücher für mich hergestellt.
Die meisten davon habe ich im Laufe der Jahre verloren oder verbraucht, zwei dieser Tücher besitze ich aber heute noch, doch leider sind sie kaum noch brauchbar, da einfach derart abgegriffen und totgeliebt in den letzten 60 Jahren, dass sie ihre wichtigste Eigenschaft, nämlich eine weiche und gleichzeitig rauhe Oberfläche zu bieten, an der die Finger und die Lippen mit klitzekleinen Haut- oder Nagelrissen so angenehm schmerzhaft hängen bleiben, verloren haben. Diese Funktion können die ganz alten Stofflappen nicht mehr erfüllen, weil sie dazu schlicht zu abgegrabbelt sind, aber zum Glück habe ich vor vielen Jahren noch mal ein ähnliches Nachthemd auf dem Flohmarkt gefunden, so dass ich meine Kuscheltuchvorräte auffüllen konnte und ein paar dieser Läppchen halten bis heute.

Seit über 35 Jahren versuche ich auf dem Flohmarkt sozusagen unablässig und jedesmal noch eines dieser Nachthemden aus eben diesem Stoff zu finden, bisher leider vergebens.Es wird aber langsam Zeit, dass ich ein frisches Stück Stoff finde, alle meine alten Kuscheltücher sind inzwischen schon sehr durchgenudelt. Mit Glück halten sie allerdings noch ca. 14 Jahre, das ist ja meine aktuelle Halbwertzeit, danach brauche ich im Zweifel auch keine Kuscheltücher mehr.

Eigentlich brauche ich ein Kuscheltuch in meinen Händen, um zufrieden einschlafen zu können, wenn ich aber keines habe, nun, dann schlafe ich halt trotzdem.

So ist das auch mit meiner Angst.
Wenn man K fragt, wovor ich alles Angst habe, wird er sofort eine lange Liste von Dingen beginnen aufzuzählen, angefangen von Maikäfern über Bauchnabel und gefährliche Szenen in Filmen aus dem Kinderprogramm, und er hat damit absolut recht, all das finde ich gräßlich und möchte es möglichst bitte nicht in meinem Leben haben.
Wenn es sich aber ungefragt in mein Leben drängelt und ich nicht schnell genug war darin, es rauszuhalten, nun, dann ist es halt da und ich lebe trotzdem weiter.

Selbstverständlich würde ich selber und persönlich keinen Maikäfern einfangen und aus dem Zimmer werfen, solange ich einen Westfalenmann im Haus habe. Wenn ich aber nur einen Maikäfer und keinen Westfalenmann im Haus habe, nun, dann hilft das ja alles nichts, dann muss ich mich halt selber damit beschäftigen, wie man diesen hochgefährlichen Maikäfer wieder loswird.

Und genau so geht es mir auch mit all den anderen Ängsten, die ich so gerne pflege: Wenn jemand da ist, der sich sicher kümmert, dann stelle ich mich sehr gerne sehr hilflos, aber wenn keiner da ist, nun denn dann, hilft ja nix.

Und weil ich das genau so schon mein gesamtes Leben lang mache, kann ich mir natürlich gar nicht vorstellen, wie sich eine Angst anfühlt, die man nicht einfach abstellen oder zur Seite schieben kann, wenn sie lästig wird.

Im Gesamtergebnis würde ich deshalb sagen, ich habe keine (echte) Angst. Ich weiß auch nicht, wie sich Angst anfühlt. Ich kann immer alles alleine und wenn man das so fest verinnerlicht hat wie ich, dann ist da kein Platz für Angst, denn schließlich ist es schon anstrengend genug, immer alles alleine zu erledigen, wenn man sich dabei auch noch mit unnötigen Ängsten herumschlagen müsste, ne, das wäre eindeutig zu viel.

Und vielleicht ist genau das meine Superpower: Dass ich Dinge einfach mache, weil sie nun mal gemacht werden müssen, nicht weil ich sie besonders gut kann, sondern weil ich es als alternativlos betrachte
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