anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Dienstag, 29. Oktober 2019
Gendersprache
Ich hatte heute Spaß mit genderneutraler Sprache.

Der Mutterkonzern hat sich bereits vor zwei Jahren eine Selbstverpflichtung zur Verwendung von einfacher Sprache auf allen öffentlich zugänglichen Veröffentlichungen auferlegt.
Das fand ich schon lustig.
Für die deutsche Sprache ist das zwar eine Katastrophe, aber wenn man den Inklusionsgedanken konsequent auslebt, gibt das schwächste Glied in der Kette das maximale Anforderungsprofil vor, was man der Gesamtgruppe abverlangen kann und dann kommt da eben auch einfache Sprache als offizielles Kommunikationsmittel bei rum.

Jetzt soll das Ganze aber auch noch genderneutral formuliert werden und jetzt wird es wirklich schräg.
In der Organisationslehre würde man von konkurrierenden Zielen sprechen, denn genderneutral und einfach Sprache schließen sich meiner Meinung nach gegenseitig aus, aber es wurde beschlossen, dass genderneutral jetzt das Oberziel schlechthin ist, und wenn nun irgendwelche Satzungen oder Verträge,die im Zweifel schon seit Ewigkeiten existieren und deshalb natürlich selbstverständlich weder in einfacher Sprache noch genderkorrekt formuliert sind, wenn also an solchen Texten irgendetwas inhaltlich geändert werden soll, dann soll in dem Zusammenhang auch gleich alles auf genderneutral ergänzt werden.
Vorgabe aus dem Mutterhaus.
Machste nix dran.

Ich habe ja vor ein paar Jahren schon rumgewitzelt, als zwingend überall reingeschrieben werden musste "Die Gesellschaft trägt bei ihrer Tätigkeit der Gleichstellung von Frauen und Männern Rechnung.", dass ich bei den Vermögensverwaltungsgesellschaften, für die ich zuständig bin, reinschreiben werde "Die Gesellschaft trägt dafür Sorge, dass männliche und weibliche Aktien gleich behandelt werden."
Wurde mir nicht gestattet, aber alle Gesellschaften, auch die reinen Beteiligungsgesellschaften, die überhaupt keine Mitarbeiter beschäftigten, sondern nur Aktien hielten, auch die mussten ihre Satzung um die Betonung der Gleichstellung von Mann und Frau ergänzen.
Ich finde, es muss sich keiner wundern, wenn es mir schwer fällt, so etwas ernst zu nehmen, aber gegen die Verherrlichung von Ideologien anzutreten ist eh meist ein Himmelfahrtskommando.

Nun, heute war ich dran mit genderneutral. Eine von mir betreute Gesellschaft (Vermögensverwaltung, keine Mitarbeiter) soll ein paar neue Regeln bekommen und in dem Zusammenhang jetzt auch genderneutral werden.
Ich habe brav die gesamte Satzung durchgegendert, bis ich zu der Stelle kam, die mich grammatikalisch schlicht überforderte. Wie macht man das mit der Deklination von Possessivpronomen, wenn mehrere Kombinationen möglich sind?
Hier zum Beispiel, wobei das hier noch die einfache Version ist:

Der Aufsichtsrat ist beschlussfähig, wenn sämtliche Mitglieder ordnungsgemäß zur Sitzung geladen und mehr als die Hälfte der Mitglieder, darunter die/der Vorsitzende oder ihre/seine Stellvertreterin/ Stellvertreter, anwesend sind. Ist der Aufsichtsrat nicht beschlussfähig, so soll binnen vier Wochen eine neue Sitzung mit gleicher Tagesordnung einberufen werden. Der Aufsichtsrat ist in dieser Sitzung beschlussfähig, wenn die/der Vorsitzende/Vorsitzender oder ihre/seine Stellvertreterin/Stellvertreter und mindestens zwei weitere Mitglieder des Aufsichtsrates anwesend sind.

Spannender wird es, wenn die Kombinationen multipler werden, wenn es also zum Beispiel zwei Geschäftsführer und zwei Geschäftsführervertreter gibt, weil es dann ja sein kann, dass ganz viele Kombinationen möglich sind:
Eine weibliche Geschäftsführerin und ein männlicher Geschäftsführer sowie eine weibliche stellvertretende Geschäftsführerin und ein männlicher stellvertretender Geschäftsführer.
Es kann aber auch zwei weibliche Geschäftsführerinnen geben und zwei männliche stellvertretende Geschäftsführer, oder
zwei männliche Geschäftsführer und zwei weibliche stellvertretende Geschäftsführerinnen.
Oder zwei weibliche Geschäftsführerinnen und zwei weibliche stellvertretende Geschäftsführerinnen, oder
zwei männliche Geschäftsführer und zwei männliche stellvertretende Geschäftsführer, oder
eine weibliche Geschäftsführerin und ein männlicher Geschäftsführer mit zwei weiblichen stellvertretenden Geschäftsführerinnen, oder
eine weibliche Geschäftsführerin und ein männlicher Geschäftsführer mit zwei männlichen stellvertretenden Geschäftsführern - und das sind nur die Möglichkeiten, wenn nicht ein einzelner Geschäftsführer oder eine einzelne Geschäftsführerin eine konkrete stellvertretende Geschäftsführerin oder einen konkreten stellvertretenden Geschäftsführer hat.
Dann gibt es noch mehr Möglichkeiten.
Bei Genderneutralität müssen alle Möglichkeiten durchdekliniert werden, weil einfach nur "Geschäftsführer" maskulin, Singular wie Plural ist nicht mehr und "Stellvertreter", maskulin, Singular wie Plural ebenfalls nicht.
Wenn möglich das Ganze am liebsten in einfacher Sprache.
Es ist völlig unmöglich dabei ernst zu bleiben.

Als ich die gesamte Satzung durchgegendert und verschickt hatte, kam eine Antwort vom Chef erster Ordnung, der meinte, ob wir nicht auch noch das diverse Geschlecht mit einbinden müssten.
Spätestens dann wird es bei Mitgliedern interessant. Das Mitglied, der Mitgliederich, die Mitgliederin -
oder so
.
(Abgelegt in anjesagt und bisher 564 x anjeklickt)

... ¿hierzu was sagen?

 
Die (stellvertretend) geschäftsführende Person.
Die Mitgliedschaft haltende Person. Die mitgliedende Person?

... ¿noch mehr sagen?  

 
Ojeeee
Das wird so furchtbar unlesbar.. und absurd. Warum müssen wir uns das antun? Verändern wir wirklich die Gesellschaft durch das Anpassen/Verkomplizieren eines Textes? Oder ist es nicht eher umgekehrt, die Sprache als Konsequenz der Gesellschaft?

... ¿noch mehr sagen?  

 
Oder ihr schreibt einfach an den Anfang der Satzung das nur die grammatikalisch männliche Form benutzt wird, ohne Absicht auf geschlechtlichen bezug

 
Ich glaube ja, die Sprache ist die Konsequenz der Gesellschaft.
Wir bewegen uns hier immer mehr in die Richtung, dass der Einzelne weder Eigenverantwortung übernehmen muss, noch sich zwingend damit arrangieren muss, dass individuelle Schicksale auch schon mal härter von Ungerechtigkeiten des Schicksals getroffen sein können (zumindest dann nicht, wenn man die Härte für den einen einfach durch Zusatzbelastung für den anderen ausgleichen kann), weil es quasi als Selbstverständlichkeit mit dem daraus resultierenden, entsprechenden Anspruchsdenken gesehen wird, dass sich "die Gesellschaft" , vulgo "der Staat", gefälligst um eine maximale Umverteilung zu bemühen hat.

Ich teile meine im Grunde sehr klare Meinung zu diesem Fall in der Regel nur sehr ungern mit, weil mir in den allermeisten Fällen fast schon reflexhaft vorgeworfen wird, dass ich ja wohl gut reden hätte, weil ich ja eh privilegiert bin.
Dass ich mir die meisten meiner Privilegien im Wesentlichen* alle selber dadurch erarbeitet habe, dass ich mich schon sehr früh (noch vor dem Abitur) damit beschäftigt habe, sie überhaupt erst mal zu identifizieren, mir also genau zu überlegen, was ich so vom Leben erwarte und was ich möchte, um diese Ziele anschließend strategisch überlegt nach und nach zu verwirklichen, das interessiert sehr häufig nicht, und das wiederum macht mich regelmäßig böse.
*dass ich in Deutschland geboren wurde und dass niemand in der Familie einen Migrationshintergrund hat, weil Kriegsflüchtlinghe aus dem heutigen Polen ja früher halt auch Deutsche waren, und dass ich aus einer Lehrerfamilie stamme, wo ganz selbstverständlich der Fokus auf Bildung liegt - das sind natürlich alles Vorteilspunkte, die mir ohne eigenes Zutun geschenkt wurden, aber aus dieser Ausgangsposition habe ich halt schon mehr gemacht als einfach nur Lehrerin resp. Hausfrau zu werden, wie das ansonsten in dieser Familie üblich gewesen wäre.

Ich persönlich finde diese immer weiter eskalierende Gleichstellungsmanie ziemlich überflüssig, weil ich selber das beste Beispiel dafür bin, dass Frauen längst in der Gleichstellung angekommen sind, wenn sie es denn wollen.
Aber da schließt sich der Kreis: Viele wollen gar nicht und weil man als Gleichstellungsbeauftragte die unwilligen Frauen nicht zwingen kann, kann man den anderen wenigstens das Leben ein wenig schwerer machen, insbesondere sprachlich.
Auch eine Art des Angleichens.

 
@kjfalf: Den gesamten Genderquatsch vor die Klammer zu ziehen und zu sagen, dass man erstens alle Geschlechter mitmeint und zweitens das nur wegen der Leserlichkeit täte, das ist einfach feige gekniffen.
Ich finde ja, dass man den Genderkram am allerbesten dadurch ad absurdum führt, dass man ihn formal ernst nimmt und eisern durchzieht. Sie haben es nicht anders gewollt.