anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Freitag, 11. Oktober 2019
Träume
Normalerweise träume ich nicht.
Ich meine, ich weiß, dass alle Menschen träumen, aber ich kriege normalerweise nicht mit, dass ich träume. Ich schlafe entweder und dann bin ich zu 100% mit Schlafen beschäftigt und habe keine Zeit für etwas anderes, oder ich bin wach. Falls ich also während des Schlafens träumen sollte, wovon ich zwar grundsätzlich ausgehe, weil alle Schlafforscher steif und fest behaupten, dass jeder Mensch beim Schlafen träumt, dann liegt es wohl an der fehlenden Überleitung von Schlaf zu wach, dass ich mir nicht merke, was ich träume.
Ich schlafe ja auch innerhalb von Sekunden ein. Hinlegen, Augen zu, weg.
Überhaupt ist Schlafen meine alltime Alternativbeschäftigung, wenn ich sonst nichts Besseres zu tun habe.
Vielleicht liegt es auch daran, dass ich mehr schlafe, als das Leben Platz für Träume bietet, ich weiß es nicht, ich weiß nur, dass ich mich üblicherweise nicht an irgendwelche Träume erinnern kann.
Was natürlich auch bedeutet, ich muss mich nicht mit Traumdeutung beschäftigen und ich habe keinen langen Grübelphasen, die mich vom Schlafen abhalten, grundsätzlich ja beides eher positiv, nicht wahr?
Neulich habe ich aber doch geträumt und dieser Traum verfolgt mich jetzt.
Ich habe nämlich von meinem Vater geträumt und von einer ganzen Gruppe von Kindern, die zum Teil auch meine Geschwister waren* - und die Kinder haben sich nach und nach alle umgebracht, einer nach dem anderen und alle hatten denselben Grund: Sie konnten die Forderungen meines Vaters nicht erfüllen.
*Man sollte dazu wissen, dass ich zwei Geschwister habe, die gestorben sind und dass mein Vater Grundschullehrer war und damit viel mit kleinen Kindern zu tun hatte.

Mein Vater predigte nämlich, wie man sein Leben richtig zu leben hat:
"Ich bin auf der Welt, um anderen Menschen eine Freude zu machen! Andrea, wiederhole den Satz!"
Und Andrea wiederholte den Satz, wobei sie beim Sprechen immer leise wurde: "Ich bin auf der Welt, um anderen....", das "machen" war schließlich kaum noch zu verstehen. Weil sie so leise war, forderte mein Vater sie auf, den Satz noch mal laut und deutlich zu wiederholen. Andrea murmelte aber nur noch "Machen, machen, machen" - und sprang dann von einer hohen Mauer ins Nichts.
So verschwand ein Kind nach dem anderen und ich stand daneben und staunte.
Mein Vater hatte auch versucht, mich den Satz wiederholen zu lassen, was ich tat: "Du bist auf der Welt, um anderen eine Freude zu machen." und diese Antwort rettete mich wohl vor weiteren Folgen, er beschäftigte sich einfach nicht weiter mit mir.
Ich aber fragte mich, wieso waren diese Kinder so dumm und taten, was er sagte? Wieso ist überhaupt irgendjemand so dumm und tut, was ihm irgendjemand anderes vorschreibt, ohne selber darüber nachzudenken, ob er das sinnvoll findet?
Dass unter den Kindern, die sich da ins Nichts stürzten auch Geschwister von mir waren, fand ich zunächst nicht weiter schlimm, denn ich kannte diese Geschwister nicht. Ich wusste zwar, dass sie meine Geschwister sind, aber gleichzeitig waren sie für mich auch so fremd, dass es keinen Unterschied machte.
Aber dann kam meine Schwester vorbei, meine kleine Schwester, die, die ich kenne und die, für die ich mich irgendwie immer schon verantwortlich gefühlt habe.
Auch sie wurde von meinem Vater angeherrscht, dass sie diesen Satz wiederholen solle, was sie auch zitternd und gehorsam tat, weil sie immer tat, was man ihr sagte, um sich anschließend Richtung Mauer zu begeben. Und dann bin ich losgelaufen und habe sie am Nachthemd festgehalten. Bisher war es mir egal gewesen, was mit den anderen Kindern passierte, aber dies hier war meine Schwester, die, die zu mir gehörte, die durfte mein Vater doch nicht einfach kaputt machen.
Sie wehrte sich, sie wollte nicht von mir festgehalten werden, sie wollte den Auftrag erfüllen, den ihr der Vater gegeben hatte und ich wusste, dass ich sie nicht loslassen durfte. Ich wusste aber auch, dass mein Vater sein Gift schon in sie reingespritzt hatte. Es war ein schrecklicher Kampf, aber ich konnte sie doch nicht auf die Mauer steigen lassen. Deshalb habe ich sie umgeschubst, so dass sie sich den Fuß brach und nicht mehr auf die Mauer klettern konnte. Als ich (ziemlich aufgelöst und sehr durcheinander) aufwachte, lag sie am Fuß der für sie inzwischen unerreichbaren Mauer und murmelte ständig "machen, machen, machen"

Seit ein paar Tagen, kriege ich diesen Satz nicht aus meinem Kopf. Es ist einer der Sätze, die mein Vater gerne sagte. Ein anderer Satz lautete: "Manchmal muss man einen Menschen auch zu seinem Glück zwingen."

Ich weiß nicht, welche glückliche Fügung mich immun gemacht hat gegen sein Gift, ich hatte zumindest in meinem Leben noch nie das Bedürfnis, mich selbstlos um das Glück eines anderen zu kümmern.
Ich kümmere mich zwar durchaus auch gerne um das Glück eines anderen - aber nur, wenn ich auch etwas davon habe. Wenn ich selber davon profitiere, dass der andere glücklich ist, weil geteiltes Glück ist doppeltes Glück, finde ich es sogar ausgesprochen sinnvoll, mich um das Glück eines anderen zu kümmern.
Aber das war nicht der Satz meines Vaters. Er predigte stets, dass die wahre Selbstlosigkeit die größte Aufgabe des Menschen sei. Nicht, dass er das auch nur näherungsweise selber gelebt hätte, aber da ging es ja auch nicht drum. Ihm ging es ja nicht um sein Leben, ihm ging es nur um das Leben der anderen. Er war auf der Welt, um anderen eine Freude zu machen und dazu gehörte auch, dass er sie zur Not zu ihrem Glück zwang. Er war schon ziemlich schizophren, aber er war gleichzeitig auch ein Mann und Lehrer, beidem widersprach man nicht als Mädchen und Kind.

Ich schätze, ich habe einfach nur gewaltiges Glück gehabt
.
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... ¿hierzu was sagen?

 
Ein schöner Traum. Auch bei mir dienen Träume oft dazu, Dinge, die man im echten Leben nicht vollständig geregelt kriegt, abzuarbeiten, aufzulösen. Das scheint mir bei Ihrem Traum in idealer Weise gelungen. Ich wünsche Ihnen, dass Sies auch tatsächlich hinter sich lassen können.

... ¿noch mehr sagen?  

 
Ach ja, es sind viele verschiedene Leben, Wünsche, Träume, Vorstellungen, Einbildungen und Dummheiten, die die Generation vor mir geprägt haben, ich habe mich schon oft gefragt, wie es passieren kann, dass Menschen so werden, wie sie werden, aber noch viel faszinierender finde ich es, wie viele Menschen es gibt, die das gar nicht bemerken, und im Gegenteil nur den glänzenden, äußeren Schein sehen.
Wenn ich mich früher beklagt habe, dass mein Vater ein unangenehmer Mensch ist, bekam ich von den allermeisten Menschen nur eine sehr ablehnende Gegenmeinung zu hören. Das könne gar nicht sein, grade mein Vater sei so ein toller Mensch, was der alles so mache und um was er sich alles kümmere. In meiner Jugend (als also auch mein Vater noch jünger war), war er sehr beliebt und angesehen - genau deshalb konnte er es sich ja leisten, sich so seltsam zu benehmen.

Ich denke, mit meinem Vater habe ich längst meinen Frieden geschlossen, er war halt wie er war, weil ihm der Rest der Welt das ermöglicht hat.
Ich habe aber (vielleicht auch deshalb?) bis heute ein Problem mit dem Rest der Welt.
Mit Menschen, die vor allem die äußere Form des formalen Scheins wahren und deshalb sehr auf Höflichkeit und Respekt achten. Und laut erklären (und fordern), dass Höflichkeit und Respekt die Grundpfeiler eines friedlichen Miteinanders sind. Genau das hat mein Vater auch immer gefordert und weil ihm so viele Menschen blind gefolgt sind, konnte er leben, wie er lebte. Man gab ihm keine Widerworte - schon gar nicht als Kind und erst recht nicht als Mädchen oder Frau. Das war eine Frage von Respekt und Höflichkeit.


Ich kaue ja immer noch an diesem Respekt/Höflichkeit/Rücksichtsnahme-Thema rum, vielleicht werden dadurch solche Träume ausgelöst.

 
ich habe
Deinen Vater ja nur flüchtig kennengelernt, aber aus den zwei Begegnungen und aus Deinen Erzählungen schließe ich, dass er vielleicht von Respekt und Höflichkeit redete, aber Unterwürfigkeit und Gehorsam meinte. Und die beiden Sachen sind nach meinem Verständnis von Respekt und Höflichkeit meilenweit entfernt!
Und ja, das ist wohl eine Generationen-Frage. Mein Vater, er wäre jetzt 106 Jahre alt, forderte blinden Gehorsam. Und natürlich hatte ich "Respekt" vor ihm, aber im unguten Wortsinn

 
Genau das ist mir vorgestern auch aufgefallen, als ich darüber nachgedacht habe, weshalb ich so allergisch auf die Forderung nach Respekt und Höflichkeit reagiere: Weil es einige Menschen gibt, die das hemmungslos als Synonyme für Unterwürfigkeit und Gehorsam benutzen und weil es gleichzeitig zu wenig Menschen gibt, die diesen Menschen hierbei klar Einhalt gebieten.

Ich glaube, ich nähere mich hier tatsächlich einer guten Einsortierung, Abgrenzung und Erklärung der Begriffe Respekt und Höflichkeit, die nur dann positiv und sinnvoll sind, wenn sie nicht mit Unterwürfigkeit und Gehorsam gleichgesetzt werden.