Samstag, 16. Dezember 2017
Man muss nicht alles verstehen
anje, 00:18h
Der Tag lässt mich etwas sprachlos oder vielleicht besser verständnislos? zurück.
Ich war gebeten worden, an Vorstellungsgesprächen teilzunehmen, in diesem Fall nicht für den fachlichen Part, sondern für den Verwaltungspart. Ausgeschrieben war eine Stelle in der Abteilung „Kultur und Soziales“ des Mutterhauses und ich denke, jedes größere Unternehmen hat so eine „Kuschelabteilung“, wo die Leistung nicht in Stück Fällen oder Euro messbar ist, sondern vornehmlich in „Gutes tun“ besteht und dann natürlich auch darüber reden.
Die Mitarbeiter in dieser Abteilung schreiben in E-Mails grundsätzlich „Liebe/r xy“, duzen sich alle untereinander und sind ansonsten Weltmeister im Bullshitbingo. Logisch, 90 % ihres Jobs besteht ja auch darin, möglichst hoch geschraubt darüber zu berichten, was sie den ganzen Tag für tolle Dinge tun.
Da es sich um ein sehr großes Unternehmen handelt, gibt es natürlich auch in dieser Abteilung eine Verwaltung, die eben dafür zuständig ist, all diese guten Taten zu verwalten. Und natürlich selber wiederum auch darüber zu berichten, wie positiv die Verwaltung dafür gesorgt hat, dass noch mehr gute Taten geschehen können.
Und in dieser Abteilung sollte jetzt eine halbe, befristete Teilzeit Stelle besetzt werden, weil eine fest angestellte Mitarbeiterin wegen ihrer kleinen Kinder ihre volle Stelle vorübergehend auf 50% reduziert hat.
Genau genommen gibt es schon jemanden, der sie im letzten Jahr während ihrer Elternzeit vertreten hat und dieser Jemand würde jetzt auch gerne für die freien 50% weitermachen, nur leider ist dieser Jemand derart unfähig, dass es selbst in dieser sonst wenig anspruchsvollen Kuschelmuschel-Abteilung aufgefallen ist.
Ich habe da gar kein Problem gesehen. Er hatte einen befristeten Vertrag, der lief jetzt aus und man hätte einfach für die neu anstehende Vertretung jemand neuen suchen können.
Grundsätzlich hat man das auch so gemacht, die Stelle wurde neu ausgeschrieben und man hat ihm gesagt, er müsse sich dann halt neu bewerben und entsprechend im Ranking bestehen.
Ich persönlich hätte ihn ja schon gar nicht erst zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, sondern ihm gleich beschieden, dass seine Papierform einfach nicht gut genug ist. Denn es haben sich wirklich sehr viele sehr hoch qualifizierte Menschen beworben. In diesen Kultur-/Kommunikations-/sonstige Künste - Fächern gibt es nach wie vor eine große Anzahl hoch studierter, oft promovierter Menschen, die sich etwas jämmerlich von Aushilfsjob zu Aushilfsjob hangeln, weil es eindeutig mehr Menschen gibt, die unbedingt diese edlen Künste studieren mussten als es tatsächlich nachher in unserer Gesellschaft echte Jobs für eine derartige Ausbildung gibt.
Dementsprechend hoch war die Bewerberanzahl, nicht nur mengenmäßig, sondern eben auch hoch qualifiziert und der bisherige Vertreter fiel schon alleine von der Papierform her gewaltig dagegen ab. Ich habe übrigens keine Ahnung, wie er es letztes Jahr geschafft hat, überhaupt an diesen Job zu kommen. Da war aber nicht ausgeschrieben worden, so dass ich davon ausgehe, hier ist irgendetwas über Beziehungen gemauschelt worden.
Nun denn, rein formal wäre es also eine Kleinigkeit gewesen, ihn nur aufgrund der Papierform schon abzulehnen. Aber, wir sind ja in der Abteilung „wir lieben uns alle“, deshalb wurde er zum Vorstellungsgespräch eingeladen.
Und das war dann heute.
Die anderen Bewerber waren soweit alle völlig normal, für meinen Geschmack benutzen die zwar alle viel zu viele Imponiervokabeln, aber sie haben ja sonst nichts, an dem sie sich hervortun können, es sei ihnen also gegönnt.
Nur dieser eine, der, von dem eigentlich alle wussten, dass ihn keiner mehr will, der fiel tatsächlich durch ungewöhnlich dämliches Rumgeschwafel auf, der Unterschied war frappierend. (Und das will was heißen, da ich dem Buzzwordgeschwafel der entsprechenden Akademikerelite ja sowieso sehr kritisch gegenüber stehe.)
Bis dahin fand ich aber noch alles ganz normal, ich habe innerlich ein wenig die Augen verdreht, weil ich die für ihn reservierte Zeit im Vorstellungsgespräch schlicht als verschwendete Zeit bewertet habe, aber mein Gott, was soll’s, ich habe heimlich unterm Tisch meine Mails gelesen und gleichzeitig den Fall für mich als erledigt betrachtet. Sein Auftritt im Vorstellungsgespräch war wirklich dermaßen unterirdisch, dass man es meiner Meinung nach einfach gar nicht mehr besprechen musste.
Aber genau das geschah.
Und genau das ist es, was ich dann überhaupt nicht mehr verstanden habe.
Statt dass man einfach klipp und klar sagte, der taugt nicht für diesen Job und wir nehmen lieber jemanden, der da besser rein passt, denn es ist doch weder für den Job noch für den Arbeitnehmer gut, wenn Job, Kollegen und einzelner Mitarbeiter nicht zusammenpassen, das ist doch besser für alle Beteiligten.
Genau das tat man nicht, sondern jeder formulierte lang und breit, dass er ihn ganz bestimmt auf Platz zwei sehen würde und eigentlich wäre er ja auch ganz toll, wenn da nicht dieser eine einzige Bewerber wäre, der eben vielleicht doch diesen leichten Tick besser sei und dass man deshalb auch im Interesse der Sache eben den nehmen solle, der halt diesen einen kleinen Minitick besser ist.
Mich macht so etwas immer komplett sprachlos. Warum darf man eine Realität, die nun mal ist wie sie ist, nicht einfach benennen, sondern muss mit unglaublich viel Getue und Geeiere drum herum fabulieren, um die negative Realität so positiv wie es nur geht darzustellen.
Aber vielleicht muss ich das auch gar nicht verstehen, denn ich arbeite ja nicht in dieser Abteilung, ich bin nur für die Vermögensverwaltung und Lohnabrechnung zuständig, und in meinem Bereich arbeiten die Menschen mit klaren und eindeutigen Zahlen, da geht alles viel straighter zu
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Ich war gebeten worden, an Vorstellungsgesprächen teilzunehmen, in diesem Fall nicht für den fachlichen Part, sondern für den Verwaltungspart. Ausgeschrieben war eine Stelle in der Abteilung „Kultur und Soziales“ des Mutterhauses und ich denke, jedes größere Unternehmen hat so eine „Kuschelabteilung“, wo die Leistung nicht in Stück Fällen oder Euro messbar ist, sondern vornehmlich in „Gutes tun“ besteht und dann natürlich auch darüber reden.
Die Mitarbeiter in dieser Abteilung schreiben in E-Mails grundsätzlich „Liebe/r xy“, duzen sich alle untereinander und sind ansonsten Weltmeister im Bullshitbingo. Logisch, 90 % ihres Jobs besteht ja auch darin, möglichst hoch geschraubt darüber zu berichten, was sie den ganzen Tag für tolle Dinge tun.
Da es sich um ein sehr großes Unternehmen handelt, gibt es natürlich auch in dieser Abteilung eine Verwaltung, die eben dafür zuständig ist, all diese guten Taten zu verwalten. Und natürlich selber wiederum auch darüber zu berichten, wie positiv die Verwaltung dafür gesorgt hat, dass noch mehr gute Taten geschehen können.
Und in dieser Abteilung sollte jetzt eine halbe, befristete Teilzeit Stelle besetzt werden, weil eine fest angestellte Mitarbeiterin wegen ihrer kleinen Kinder ihre volle Stelle vorübergehend auf 50% reduziert hat.
Genau genommen gibt es schon jemanden, der sie im letzten Jahr während ihrer Elternzeit vertreten hat und dieser Jemand würde jetzt auch gerne für die freien 50% weitermachen, nur leider ist dieser Jemand derart unfähig, dass es selbst in dieser sonst wenig anspruchsvollen Kuschelmuschel-Abteilung aufgefallen ist.
Ich habe da gar kein Problem gesehen. Er hatte einen befristeten Vertrag, der lief jetzt aus und man hätte einfach für die neu anstehende Vertretung jemand neuen suchen können.
Grundsätzlich hat man das auch so gemacht, die Stelle wurde neu ausgeschrieben und man hat ihm gesagt, er müsse sich dann halt neu bewerben und entsprechend im Ranking bestehen.
Ich persönlich hätte ihn ja schon gar nicht erst zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, sondern ihm gleich beschieden, dass seine Papierform einfach nicht gut genug ist. Denn es haben sich wirklich sehr viele sehr hoch qualifizierte Menschen beworben. In diesen Kultur-/Kommunikations-/sonstige Künste - Fächern gibt es nach wie vor eine große Anzahl hoch studierter, oft promovierter Menschen, die sich etwas jämmerlich von Aushilfsjob zu Aushilfsjob hangeln, weil es eindeutig mehr Menschen gibt, die unbedingt diese edlen Künste studieren mussten als es tatsächlich nachher in unserer Gesellschaft echte Jobs für eine derartige Ausbildung gibt.
Dementsprechend hoch war die Bewerberanzahl, nicht nur mengenmäßig, sondern eben auch hoch qualifiziert und der bisherige Vertreter fiel schon alleine von der Papierform her gewaltig dagegen ab. Ich habe übrigens keine Ahnung, wie er es letztes Jahr geschafft hat, überhaupt an diesen Job zu kommen. Da war aber nicht ausgeschrieben worden, so dass ich davon ausgehe, hier ist irgendetwas über Beziehungen gemauschelt worden.
Nun denn, rein formal wäre es also eine Kleinigkeit gewesen, ihn nur aufgrund der Papierform schon abzulehnen. Aber, wir sind ja in der Abteilung „wir lieben uns alle“, deshalb wurde er zum Vorstellungsgespräch eingeladen.
Und das war dann heute.
Die anderen Bewerber waren soweit alle völlig normal, für meinen Geschmack benutzen die zwar alle viel zu viele Imponiervokabeln, aber sie haben ja sonst nichts, an dem sie sich hervortun können, es sei ihnen also gegönnt.
Nur dieser eine, der, von dem eigentlich alle wussten, dass ihn keiner mehr will, der fiel tatsächlich durch ungewöhnlich dämliches Rumgeschwafel auf, der Unterschied war frappierend. (Und das will was heißen, da ich dem Buzzwordgeschwafel der entsprechenden Akademikerelite ja sowieso sehr kritisch gegenüber stehe.)
Bis dahin fand ich aber noch alles ganz normal, ich habe innerlich ein wenig die Augen verdreht, weil ich die für ihn reservierte Zeit im Vorstellungsgespräch schlicht als verschwendete Zeit bewertet habe, aber mein Gott, was soll’s, ich habe heimlich unterm Tisch meine Mails gelesen und gleichzeitig den Fall für mich als erledigt betrachtet. Sein Auftritt im Vorstellungsgespräch war wirklich dermaßen unterirdisch, dass man es meiner Meinung nach einfach gar nicht mehr besprechen musste.
Aber genau das geschah.
Und genau das ist es, was ich dann überhaupt nicht mehr verstanden habe.
Statt dass man einfach klipp und klar sagte, der taugt nicht für diesen Job und wir nehmen lieber jemanden, der da besser rein passt, denn es ist doch weder für den Job noch für den Arbeitnehmer gut, wenn Job, Kollegen und einzelner Mitarbeiter nicht zusammenpassen, das ist doch besser für alle Beteiligten.
Genau das tat man nicht, sondern jeder formulierte lang und breit, dass er ihn ganz bestimmt auf Platz zwei sehen würde und eigentlich wäre er ja auch ganz toll, wenn da nicht dieser eine einzige Bewerber wäre, der eben vielleicht doch diesen leichten Tick besser sei und dass man deshalb auch im Interesse der Sache eben den nehmen solle, der halt diesen einen kleinen Minitick besser ist.
Mich macht so etwas immer komplett sprachlos. Warum darf man eine Realität, die nun mal ist wie sie ist, nicht einfach benennen, sondern muss mit unglaublich viel Getue und Geeiere drum herum fabulieren, um die negative Realität so positiv wie es nur geht darzustellen.
Aber vielleicht muss ich das auch gar nicht verstehen, denn ich arbeite ja nicht in dieser Abteilung, ich bin nur für die Vermögensverwaltung und Lohnabrechnung zuständig, und in meinem Bereich arbeiten die Menschen mit klaren und eindeutigen Zahlen, da geht alles viel straighter zu
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