anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Donnerstag, 26. November 2015
Ältere Leute sind jünger als alte Leute
Meine Tochter sagte neulich zu mir: "Du hast 'junck' gesagt. Daran merkt man, dass du alt bist. Nur alte Leute sagen 'junck'."

Hätte sie einfach nur 'älter'gesagt, wäre ja noch alles okay gewesen, aber 'alt' ist eindeutig älter als 'älter'. Alte Leute sind eine andere Gruppe, eine, die für sich steht, die abgegrenzt wird, und die zu den jungen Leute keine Verbindung mehr aufzeigt.
'Älter' versucht als Komparativ ja noch beide Seiten im Vergleich zu verbinden. 'Alt' dagegen ist absolut, nicht relativ. Alt ist eben alt und damit eindeutig anders als jung.
Die Kinder unterscheiden genau zwischen 'alt' und 'jung', genauso wie ich das auch tue. Einziger Unterschied dabei ist, dass wir da andere Altersklassen zusammenfassen.
Ich weiß nicht genau, ab wann bei meinen Kindern alt anfängt, ich weiß aber noch, dass ich in der 12. Klasse mit meiner damaligen Deutschlehrerin darüber diskutiert habe. Sie wird damals so Ende 20 gewesen sein, hielt sich ganz sicherlich nicht für alt, sondern für jung, modern und fortschrittlich und fand es cool, sich von den Schülern duzen zu lassen. Und ich hatte in einem Beitrag die 'Alten' und die 'Jungen' voneinander abgegrenzt, woraufhin sie neugierig fragte, ab wann nach meiner Definition denn jemand 'alt' sei.
Ich habe sehr spontan und sehr ehrlich mit "Na spätestens ab 30" geantwortet, denn damals war zwischen 30 und 40 und 50 für mich überhaupt kein Unterschied. Ab 60 begann irgendwie Rentner/Oma, aber alles davor war entweder alt und Erwachsener oder jung und Jugendlicher.
Sie fiel vor Schreck fast vom Pult, auf dem sie sich immer lässig rumlümmelte, was sie aber eben auch nicht jünger machte. Zumindest nicht in meinen Augen.
In ihren Augen gehörten wir wahrscheinlich in dieselbe Generation, sie war einfach nur ein bisschen älter, in meinen Augen gehörte sie zu 'den anderen'.

Insgesamt bilde ich mir ein, mich noch an ganz viele Dinge aus meiner Jugend zu erinnern, vor allem an meine Meinung zu vielen Dingen und wie oft mir damals gesagt wurde: "Ach, komm du erst mal in mein Alter, dann siehst du das auch anders."
Heute bin ich in dem Alter oder sogar schon darüber hinaus - und sehe es immer noch nicht anders. Meine Einstellung in den allermeisten Dingen hat sich tatsächlich nicht geändert und vielleicht ist genau das mein Problem, dass ich immer noch darauf warte 'alt' zu werden und meine, das daran festmachen zu können, dass sich mein 'point of view' ändert.
In vielen Dingen bin ich heute noch der Meinung, dass Pippi Langstrumpf eine extrem gesunde Lebenseinstellung hatte und stand dann ab Mitte zwanzig staunend vor meinen gleichaltrigen Freunden, die sich immer mehr davon abkehrten. Sie bekamen eigene Kinder und wiederholten als Eltern genau die Verhaltensmuster, die sie bei ihren eigenen Eltern so ätzend fanden - zumindest im Alter von 14-18. Plötzlich gab es Regeln und "Mantut-Sätze". Man tut dieses, das tut man so - und noch viel häufiger, "das tut man nicht".
Das Mantuttutmannicht aus dem Buch "Der kleine Mensch bei den fünf Mächtigen" von Max Kruse war immer schon eine Figur, die mich sehr beeindruckt hat.
Die Gleichaltrigen um mich herum starteten die Aktion 'Nestbau', nahmen die Sache ernst und damit als erstes ein Mantuttutmannicht in ihren Haushalt auf.
Vielleicht war das der Zeitpunkt wo ich begann, mich in meiner Altersgruppe nicht mehr altersgerecht zu fühlen. Die anderen zogen davon und ich habe den Anschluss verpasst.
Schon in meiner ersten Schwangerschaft schwante mir, dass da was verkehrt läuft. Die anderen Schwangeren waren so - schwanger. Ich dagegen bekam einfach nur ein Kind und habe die Geburt genauso wegprokrastiniert wie jede Hausarbeit/Diplomarbeit vorher oder was es sonst noch so für Deadlines gab. Ich war der festen Überzeugung, das wird schon irgendwie und stand ziemlich staunend vor dem Tamtam, den die anderen Schwangeren, die man zwangsläufig trift, wenn man in so einer Situation ist, so veranstalteten, und dachte immer, da kommt gleich jemand und sagt "Angeschmiert, ätschibätsch. Versteckte Kamera."
Aber die meinten das ernst, tatsächlich. Und fühlten sich auch sehr seriös und wichtig, in ihren Rollen als werdende Eltern. (Ich war die einzige Alleingebärende in dem ersten und einzigen Schwangerschaftsgymnastikkurs, den ich je besucht habe. Beim ersten Kind dachte ich noch, das muss man machen, sonst bleibt's Kind bei der Geburt stecken und es gibt ein Riesentheater, nur weil man vorher nicht genug gedehnt und geturnt hat.)
Als das Kind dann da war, passierte bei mir immer noch nichts. Keine Hormonausschüttung, kein Reifen und gesetztes Älterwerden, um in die Rolle einer guten Mutter zu schlüpfen. Nix veränderte sich wirklich. Ich hatte halt plötzlich ein Baby - und fand es nicht sehr viel anders als einen jungen Hund zu haben. Der Hauptunterschied war wohl, dass ich einen jungen Hund nach kurzer Zeit dem Züchter zurückgebracht hätte, weil ich dann feststellte, dass das wohl doch eher nichts für mich ist. So mit Verantwortung und regelmäßig und ohne Auszeit...... Das Baby musste ich behalten und da brauchte es dann eine gewisse Zeit, bis wir uns arrangiert hatten. Aber so nach einem dreiviertel Jahr hatten wir uns gemeinsam zurechtgeruckelt. Das Baby entwickelte sich zu einem ungemein quirligen Blödsinnsvogel, war ständig damit beschäftigt, irgendeinen Unsinn zu machen - und dann fand ich es auch wieder lustig und habe den Quatsch natürlich begeistert unterstützt. Das mit der Erziehung habe ich kurzerhand delegiert - an Menschen, die vernünftig und erwachsen genug waren, solche Sachen ernst zu nehmen. Mit 8 Monaten hatte ich einen Hortplatz für das erste Kind - und fühlte mich fortan nur noch für die lustigen Seiten des Mutterlebens zuständig. So langweilige Dinge wie ordentlich mit Messer und Gabel essen, aufräumen und gutes Benehmen haben die Kinder alles im Hort gelernt. Da haben sie auch etwas vernünftiges zu essen bekommen und Zähne wurden dort tagsüber gleich dreimal geputzt. Ich habe dafür zu Hause eine Haushälterin beschäftigt, die uns allen den A..sch nachräumte und all die Sachen erledigte, die mir viel zu öde waren. Was die Haushälterin nicht machte, arbeitete dann meine Mutter nach, die regelmäßig kam und sich darüber entsetzte, wie der Vorgarten aussah, dass die Balkonkästen nicht vernünftig bepflanzt waren oder dass die Fenster keine Gardinen hatten. Später hat sie mit den Kindern Lateinvokabeln geübt oder Mathe gepaukt. Was ich gemacht hätte, wenn meine Mutter sich da nicht drum gekümmert hätte? Na, wahrscheinlich einen Nachhilfelehrer engagiert und den Garten entspannt verwildern lassen, schließlich kann man alle Arbeiten, zu denen man selber keine Lust hat, von jemand anderem erledigen lassen oder man lässt es tatsächlich bleiben, weil davon die Welt nicht untergeht. Wenn man jemand anderen engagiert, muss man dafür bezahlen, das sehe ich aber nicht als Problem. Denn in derselben Zeit kann ich ja etwas anderes arbeiten, was mir viel mehr Spaß macht, dafür bekomme ich dann Geld, das ich wiederum eintausche gegen die Arbeit des anderen. So habe ich auch die Haushälterin finanziert. Statt fünf Stunden das Haus zu putzen habe ich einfach fünf Stunden eine andere Arbeit gemacht - und hatte nachher wesentlich bessere Laune als wenn ich das Haus geputzt hätte (und das Haus war zudem noch sauberer als wenn ich es wirklich selber geputzt hätte....)

In Summe gab es also immer genug Erwachsene um mich herum, die all diese wichtigen Erwachsenendinge für mich erledigt haben, weil ich bis heute ein Problem damit habe, die zwingende Notwendigkeit von "jetzt müssen die Fenster aber wirklich mal geputzt werden" zu erkennen.
Neulich hat mich eine Nachbarin gefragt, ob ihr Sohn das Laub vor unserem Haus wegfegen solle - er wäre immer auf der Suche nach einem kleinen Zusatzverdienst und vor unserem Haus wäre ja nun schon sehr viel Laub..... Fand ich eine prima Idee, von alleine wäre mir nicht eingefallen, dass Laub wegzufegen, aber wenn der Junge daran Spaß hat, sehr gern.

So sind die Jahre ins Land gegangen und natürlich wurde ich jedes Jahr älter. Dass ich aber tatsächlich alt bin, ist mir erst aufgefallen, als meine Tochter es neulich gesagt hat. Ich habe mich vielleicht immer dagegen gewehrt so ein spießiges Erwachsenenleben mit Mantuttutmannicht zu leben und habe meine Einstellung und meine Interessen aus meiner Jugend erfolgreich bis heute hochgehalten, was aber eben nicht heißt, dass die deshalb jung wären, denn auch alle meine Interessen sind mittlerweile über 50 Jahre alt, genau wie alles andere an mir auch. Und was meine Kinder heute interessiert ist mir tatsächlich genauso fremd, wie das, was meine Eltern heute noch interessiert. Nur weil ich denke, dass meine Eltern alt sind, heißt das nicht, dass ich es deshalb nicht bin.

Andererseits finde ich das gleichzeitig auch ein richtig großes Kompliment: Ja, ich bin alt, denn für meine Kinder bin ich tatsächlich die Mutter und werde in der Rolle von meinen Kindern auch komplett akzeptiert.
Ich bin diejenige, die in letzter Instanz tatsächlich alles wieder hinbiegt, die im Falle des persönlichen Supergaus die Scherben wieder einsammelt und alles kittet, die verarztet, verpflastert und tröstet, wenn was gewaltig schief gegangen ist. Ich bin ihr Netz mit doppeltem Boden, das ihnen die Sicherheit gibt, sich selber auszuprobieren, denn bevor sie wirklich abstürzen bin ich ja noch da.
Ich bin halt alt - aber ich kann auch alles und dafür muss man alt sein. Ich kann Kartoffeln aus der Hand in Scheiben schneiden (können nur Mütter hat mir meine Tochter neulich gesagt, aber sie übt grade und kann es auch schon fast.) und ich lasse mich nicht aus der Ruhe bringen - zumindest nicht so schnell und nicht wenn es darum geht, meine Kinder zu schützen.
Meine Schutzinstinkte mögen andere sein als bei den meisten anderen Müttern, aber sie sind auf ihre Art mindestens so stark ausgeprägt.
Hinfallen durften meine Kinder schon immer alleine, sie durften auch immer alleine entscheiden, ob sie mit oder ohne Mütze vor die Tür gehen, ich werde dafür zum Tiger wenn irgendwelche abgezockten MLP-Fritzen versuchen, meinen zutraulichen Studentenkindern schwachsinnige Finanzprodukte anzudrehen.

Meine Kinder nehmen mich als Mutter tatsächlich ernst und gleichzeitig nicht übel, dass ich mich die letzten 25 Jahre (und davor natürlich auch schon) sehr erfolgreich um die lästigen Dinge im Leben gedrückt habe. Und ich bin mir ganz sicher, wirklich jung geblieben wäre ich auch nicht dadurch, dass ich mich täglich mit einer Horde von Mantuttutmannichts auseinandergesetzt hätte. Ich hätte nur deutlich weniger Spaß gehabt
Punkt
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... ¿hierzu was sagen?

 
Als meine Oma mit über 80 einmal ernsthaft krank wurde, bin ich - damals 30 Jahre alt, zu ihr, um sie zu betüddeln. Eines Morgens, als ich ihr beim Waschen half, sah sie kopfschütteln auf ihre welken Brüste herab. Was ist, Omi, hab ich gefragt.
Und sie hat geantwortet: Och. Ich wundere mich, wo das alles hin ist...dabei fühle ich mich innen noch genauso wie mit Zwanzig.
Heute kann ich nachempfinden, was sie wohl damals meinte: Man bleibt sich innerlich bekannt, während das Äußere ständigem Wandel unterworfen ist und uns manchmal fremd vorkommt.
Im Gegensatz zu ihr erkenne ich mich auch im inneren
Wandel oft nicht wieder - zum Beispiel, wenn ich alte Tagebücher lese, alte Freunde treffe, Ex-Ehemänner...
Ich bin längst nicht mehr die, die einmal war. Innerlich nicht und äußerlich erst recht nicht. Ich definiere mich über diesen Wandel - nicht über die Jahresringe an meinem Hals. Mit zunehmendem Alter wird es mir gleichgültig, was sich äußerlich verändert -Hauptsache, innerlich häute ich mich wie die Schalen einer Zwiebel und ich werde wahrhaftiger, selbständiger, unabhängiger: Ich selbst.

... ¿noch mehr sagen?  

 
Das ist spannend
denn mir geht es wohl eher wie Ihrer Oma, da ich mir von innen durchaus vertraut bin, da sich dort in den letzten 35 Jahren nur sehr wenig verändert hat.
Das ist ja genau das, was ich so bemerkenswert finde, weil mir gleichzeitig auch auffällt, dass meine Altersgenossen schon mit Mitte/Ende Zwanzig begannen, sich innen massiv zu verändern.
Man kann diesen Wandel natürlich sehr positiv sehen - so wie Brecht es Herrn K. sagen lässt.
Herr K. traf nach vielen Jahren einen alten Bekannten wieder, der sich freute ihn zu treffen und sagte: "Sie haben sich gar nicht verändert." - Herr K. erbleichte. (Das ist jetzt auswendig aus dem Gedächtnis wiedergegeben) und ich fand es auch immer erstrebenswert "besser" zu werden, was sich natürlich unter anderem auch durch inneren Wandel erreichen lässt.
Stelle aber für mich fest, dass es mir zumindest in dieser Form nicht geglückt ist. Ich habe mich innen tatsächlich kaum verändert. Ich würde heute noch die Thesen verkünden, die ich 1980 schon vertreten habe, weil ich das Meiste halt immer noch richtig finde.
Das geht los bei der Grundeinstellung (ich finde, jeder ist für sich selber verantwortlich und sollte sich auch um sich selber kümmern und nicht darauf spekulieren, dass jemand anderes für einen die Verantwortung übernimmt.) und zieht sich von hier über das weite Feld Kindererziehung, Familienleben und Freundschaften. Ich fand Verbote und Vorschriften (in Familien) schon immer dov und finde sie auch heute noch dov, denn ich denke, sie stehen in direktem Widerspruch zu der Idee, dass jeder für sich selbst verantwortlich ist.
Unverändert geblieben ist auch mein Musikgeschmack, meine Vorlieben und Abneigungen im Hobby-/Freizeitbereich, meine Art von Humor, meine Ansprüche an mich selber und meine Ansprüche an andere.
Verändert hat sich hauptsächlich meine Erfahrung.
Natürlich habe ich in den letzten 35 Jahren enorm viel gelernt und daraus Erfahrungen geschöpft, die mich einzelne Situationen heute oft anders beurteilen lassen als vor 35 Jahren, aber nur, weil ich heute z.B. durch drastische Erlebnisse gelernt habe, dass sich die Physik in echt nicht so einfach abwählen lässt wie das Schulfach und ich deshalb heute in Kurven grundsätzlikch langsamer und aufmerksamer unterwegs bin als früher, habe ich nicht das Gefühl, dass ich mich innen verändert habe. Ich gehe immer noch aus lauter Gaudi ans Limit beim Kurvenfahren, ich habe heute nur akzeptiert, dass mein Limit eben etwas langsamer ist als ich das früher annahm. Aber als langsamen Autofahrer würde ich mich deshalb nicht bezeichnen.

 
Mit dem Wandel verhält es sich merkwürdig: Was wirklich zu einem gehört, die Essenz, bleibt immer erhalten - der Rest unterliegt ständiger Veränderung. Selbst Biologisch sind wir bei ständiger Zellteilung längst nicht mehr jene, die wir noch vor ein paar Wochen waren.
Ihre Geschichte vom Herrn Keuner ist meine Lieblingsgeschichte, vielen Dank dafür.
Vor einigen Monaten lud mich (wie schon öfter) meine alte Schulklasse zu einem Klassentreffen ein - ich bin nie hingegangen. Weil ich nach meiner Schulzeit weggezogen bin und glaubte, dermaßen viel Neues, Anderes erlebt, gelebt, erfahren zu haben, dass mich nichts mehr verbindet mit jenen, die am Ort geblieben sind und sich kaum verändert haben - außer, dass sie älter geworden sind. Bis vor einigen Jahren mochte ich keinen Stillstand, ich definierte mein Leben durch Erfahrung, Wandlung und Veränderung.
Jetzt bin ich an den Ort meiner Kindheit zurückgekehrt, wandle auf alten Pfaden, reflektiere in der Stille, meditiere, schaue zurück, schliesse ab...und stehe endlich einmal still. Und stelle dasselbe fest wie Sie: In der Essenz, im Wesentlichen, bin ich immer noch die, die ich einmal war - wegen oder trotz aller Wandlungen und Veränderungen...

 
Veränderung und Fortentwicklung sind für mich zwei Begriffe, die nicht unbedingt etwas miteinander zu tun haben müssen, höchstens im sophistischen Sinne. Wenn sich etwas oder jemand fortentwickelt, (was ich nebenbei bemerkt ganz ungemein wichtig finde, dass Menschen sich fortentwicklen, leider tun das viele nicht), dann verändern sie sich natürlich so wie auch jeder Fluss, in dem man nicht zweimal baden kann - aber das sehe ich halt eher als sophistische Wortklauberei.
Eine wirklich bemerkenswerte Veränderung, ein echter Wandel entsteht nach meiner Definition immer von innen. Ein Fluss, der versandet oder durch Uferbefestigungen an Fahrt gewinnt - der hat sich wirklich verändert, aber nicht dadurch, dass es immer andere Wassertropfen sind, die da lang fließen, sondern eben dadurch, dass er sein Wesen verändert.
Essenz trifft es da schon sehr gut.
Und ich habe festgestellt, dass viele Menschen ihre Essenz verändern. Sie beginnen schon sehr früh damit, meistens, wenn sie plötzlich selber Verantwortung übernehmen und bisher nicht daran gewöhnt waren. Plötzlich sieht dann alles ganz anders aus und die Leichtigkeit ihrer Kindertage ist weggespült. Oder versandet - auf alle Fälle nicht mehr da. Ihr Fokus verändert sich und Dinge, die sie früher gar nicht wahrgenommen haben, werden plötzlich wichtig.
Das ist aber grundsätzlich keine Voraussetzung für Fortentwicklung. Fortentwicklung entsteht durch andauerndes Lernen und Umsetzen von Fehlern (=Erfahrungen machen). Dafür muss man nicht nur sich selber, sondern auch seine Umgebung ständig beobachten, aktiv wahrnehmen und reflektieren. Alle Kinder tun das ganz instinktiv - nur viele Menschen hören irgendwann damit auf. Und anstatt dann ihre eigenen Lernprozesse und offenen Fragen weiterzuverfolgen und umzusetzen, übernehmen sie gesellschaftlich akzeptierte und verbreitete Allgemeinplätze als Ergebnis und hören auf zu fragen.
Das war schon immer so und das haben wir auch schon immer so gemacht...........Warum interessiert nicht, warum fragen nur Kinder.

Für mich war das deshalb schon immer mit "Erwachsensein" verknüpft. Erwachsene fragen nicht mehr, Erwachsene wissen alles oder haben zumindest auf alles eine Antwort und sei es auch nur, dass die lautet: "Das war schon immer so."
Und ich habe schon sehr früh festgestellt, schon mit Mitte/Ende Zwanzig, dass viele meiner Alterskameraden ganz still und heimlich auf die Seite der Erwachsenen wechselten. Ihre Fragen versandeten, sie wurden vernünftig und akzeptierten ein "Weil das schon immer so war." als ausreichende Antwort. Sie putzten regelmäßig ihre Fenster und fegten das Laub im Vorgarten zusammen.
Das war ganz sicherlich Veränderung und Wandel, es war auch Fortschritt, aus meiner Sicht sind sie aber aus ihrer Jugend auf direktem Weg zack mittenmang ins Alter fortgeschritten.

Ich hatte nie den Bedarf, dass ich mich verändern müsste, vielleicht weil mir nie jemand das Warum erklären konnte.
Warum soll ich mich verändern, wenn ich mich so, wie ich jetzt bin, doch durchaus wohl fühle?
Warum soll ich mich an Regeln halten, wenn ich sie auch umgehen kann? Warum soll ich einmal am Tag was Warmes essen, wenn ich doch keinen Appetit darauf habe? Warum soll ich eine Jacke anziehen, wenn mir doch gar nicht kalt ist? Warum soll ich höflich "Guten Tag Frau Müller" sagen, wenn ich Frau Müller einfach nicht leiden kann?
Mein Leben war und ist noch immer voller Warums.
Vielleicht fühle ich mich deshalb innen drin immer noch so wenig alt - weil ich immer noch so wenige Antworten auf meine Warums gefunden habe.