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Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Montag, 23. November 2015
Liebe als Einbahnstraße?
Was macht man eigentlich, wenn man jemanden liebt, der einen nicht (mehr) zurückliebt?

Eine Kollegin war jetzt eine Woche krankgeschrieben, weil ihr ihr "Leben weggebrochen war". Durch verschiedene Umstände hatten wir heute ein längeres Gespräch und sie hat mir die Hintergründe etwas näher erläutert. Ihr Freund hat sie nach vielen Jahren Beziehung verlassen und zwar im Grunde "einfach so". Es gab also keinen konkreten Grund, sie haben sich nicht gestritten, es war keiner fremd gegangen oder hatte jemand Neuen, er hat ihr sogar gesagt, dass sie gar nichts falsch gemacht hat, aber er hätte eben nur einfach keine Lust mehr und wollte lieber alleine sein. Oder mit anderen Leuten etwas unternehmen, egal, auf alle Fälle nicht mehr mit ihr.
Für sie brach eine Welt zusammen, denn sie hatte sich sehr auf diese Beziehung fokussiert. Eigentlich hatte sie schon alles bis zur Rente durchgeplant: Heiraten, Kinder kriegen, Haus bauen und es sich nett machen. Sie hatte das Gefühl, dass sie in ihrem Leben angekommen war, sie wollte nicht mehr suchen, sie war vollkommen zufrieden mit dem, was sie so hatte.
Und dann, zack, zieht er ihr einfach den Teppich unter den Füßen weg und will noch nicht mal mehr vernünftig darüber reden. Und sie steht da jetzt und weiß nicht mehr weiter. Sie hat doch nichts falsch gemacht. Und was soll sie denn jetzt tun? Und irgendwie hat er ihr auch die Zukunft zerstört, denn sie ist schon 35 und jetzt nochmal ganz von vorne anfangen, Mann suchen, Familie planen.
Ihre Uhr tickt, sie hat da nicht mehr ewig Zeit - und sowas dauert ja auch. Schließlich musss man erst mal einen finden und dann muss man sich kennenlernen und ausprobieren und ob dann sofort der nächste der Vater ihrer Kinder sein wird, kann man auch nicht garantieren.
Und alles nur weil dieser Typ sagt, er hätte keine Lust mehr. Einfach so.
Eigentllich müsste man dem das verbieten. Von außen betrachtet ist das doch vollkommen egoistisch und rücksichtslos. Sie hat sich schließlich darauf verlassen und ihr Leben entsprechend eingerichtet. Sie ist extra für ihn nach Münster gezogen. Da hätte sie auch in Emsdetten bleiben können, wenn er sich das mal eher überlegt hätte. So vor 10 Jahren z.B. - da hätte sie auch noch alles anders machen können.
Und überhaupt, das ist doch wirklich unfair, was er da mit ihr macht und vernünftig begründen kann er es auch nicht. Im Gegenteil, jeden Grund, den er ihr genannt hat, den hat sie ihm sofort entkräften können. Aber er ist einfach nicht zur Vernunft zu bringen. Und jetzt will er gar nicht mehr mit ihr reden - nur weil sie recht hat.
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Und ich frage mich jetzt: Was macht man eigentlich, wenn der eine sagt, ich will mit dir zusammen sein, weil ich dich liebe und der andere sagt, ich habe aber keine Lust dazu.
Kann man Liebe erzwingen? Oder erwarten?
Oder mit vernünftigen Argumenten herbeireden?
Hat man einen Anspruch darauf, dass man geliebt wird, wenn man alles richtig macht?
Gibt es Liebe aus Gewohnheitsrecht oder weil sich jemand darauf verlässt?
Wie entsteht Liebe, warum liebt man überhaupt jemanden und woran merkt man selber, dass man jemanden liebt?
Warum liebt man den A und nicht den B? Und wenn man 10 Jahre mit dem A zusammengelebt hat, wie kann es sein, dass man den A plötzlich nicht mehr liebt, dafür aber den B?
Kann es etwa sein, dass Liebe nicht unbedingt rationalen Vorgaben folgt?
Was ist der Unterschied zwischen Liebe und "nicht allein sein wollen"?
Gibt es sowas wie angeborene Liebe? Muss eine Mutter ihre Kinder automatisch lieben? Oder ein Vater? (hier stellt sich dann die Frage, ab wann dieser Automatismus eintritt, ja wohl frühestens ab dem Zeitpunkt, wo er weiß, dass er der Vater ist. Bei Müttern wäre ich deshalb eher bereit, über so etwas wie "angeboren" nachzudenken.) Und umgekehrt, müssen Kinder ihre Eltern lieben? Überhaupt Familie: Müssen sich Familienmitglieder untereinander lieben?

Ich lese mir die letzten Sätze durch und frage mich, ob "müssen" und "Liebe" in einem Satz überhaupt möglich ist.
Und bin wieder bei meiner Ausgangsfrage: Was ist Liebe? Woran erkenne ich, dass oder ob ich jemanden liebe?

Meine These dazu ist, dass es sehr viel Größe braucht, jemanden zu lieben, der einen nicht genauso zurückliebt, der einem unter Umständen sogar sagt, dass er einen nicht liebt und dazu auch noch schlecht behandelt, aber ich bin fest davon überzeugt, dass das möglich ist.
Man darf allerdings niemals "Liebe" und "Anspruch" verwechseln.
Weil ich dich liebe, lasse ich dich frei. Wirkliche Liebe verzichtet ohne Anspruch.
Mit einer Träne im Herzen, aber sie engt den anderen niemals ein. Sie macht ihm keine Vorschriften und legt ihm keine Fesseln an. Weder durch offensichtliches herumschleudern von Tränen, noch durch das Verschleudern von klugen oder giftigen, klebrigen oder bestechenden Wortpfeilen.
Wirkliche Liebe ist auch immer Vertrauen. Vertrauen darein, dass der andere ein guter, kluger, toller, besonderer Mensch ist.
Wirkliche Liebe ist selbstlos und immer darauf bedacht, dass es dem anderen so gut wie möglich geht.
Deshalb ist es für Eltern viel leichter ihre Kinder zu lieben als umgekehrt.
Kinder lieben ihre Eltern nur solange sie auf sie angewiesen sind. Je erwachsener die Kinder werden, umso erwachsener wird auch ihre Liebe. Und wird nur Bestand haben, wenn die Eltern auch liebenswert sind.

Geliebt werden zu wollen ist das Gegenstück.
Natürlich will ich auch zurückgeliebt werden, aber wer ist denn dafür zuständig, dass das auch klappt? Der andere, der, von dem ich geliebt werden will?
Ist der dafür zuständig, dass er mich gefälligst zu lieben hat?
Ja wohl eher nicht.
Er wird mich lieben, wenn ich ein guter, kluger, toller, besonderer Mensch bin - aus seiner Sicht.
Er wird mich nicht lieben, wenn ich ein Klotz am Bein bin, ihn hindere sein Leben zu leben, ihm ständig einen Knopf an die Backe quatsche zu Dingen, die ihn nicht interessieren. Er wird mich auch nicht lieben, nur weil ich recht habe und ihm rhethorisch einwandfrei bewiesen habe, dass meine Argumente die besseren sind.
Er wird mich auch nicht lieben, wenn er sich mit mir langweilt, wenn er unzufrieden ist und andere Interessen hat als ich.
Er wird mich nicht lieben, weil ich es so dringend nötig habe, denn Liebe aus Mitleid ist Mitleid und keine Liebe. Und er wird mich auch nicht lieben, wenn ich es immer wieder einfordere oder weil er es früher mal getan hat oder weil er keine Lust hat, sich zu streiten.
Es gibt entsetzlich viele Gründe, warum mich jemand NICHT lieben wird und nur sehr wenige, wenn es doch jemand tut.

Unbestritten ist es das schönste, was es gibt auf dieser Welt: Einen Menschen zu haben, den man nicht nur selber liebt, sondern der einen auch genauso zurückliebt.
Aber wenn der andere seine Freiheit will, muss ich sie ihm nicht geben, wenn ich ihn wirklich liebe?
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