anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Montag, 9. November 2015
Jeder für sich als Grundidee
Subsidiarität ist so ein Begriff, der sogar mit ausführlicher Definition immer noch sperrig bleibt.
Wikipedia schreibt dazu:
Subsidiarität hat damit einen weiteren Funktionswandel durchgemacht. Es entwickelte sich zu einer „Programmformel avancierter Gesellschaftstheorie, die das Verhältnis autonomer, selbstreferentieller Subsysteme“ in einer modernen, ausdifferenzierten Gesellschaft beschreibt.

Wenn ich das mal in meine eher pragmatische, ergebnisorientierte Sprache übersetze, bedeutet das für mich: Jeder versucht erstmal, sicher selber zu kümmern, erst wenn das nicht klappt, dann ist die Gemeinschaft zuständig.
Die Gemeinschaft kann dabei durch den Staat repräsentiert werden, aber im kleinen auch durch die Familie. Im Grunde egal, denn die Kernformel bleibt dieselbe: Jeder macht erst mal selber.

Und das führt mich wieder zu der Aussage: Wenn sich jeder um sich selbst kümmert, ist für jeden gesorgt. Nur diejenigen, die hier versagen, die also nicht in der Lage sind, sich ausreichend um sich selber zu kümmern, für die ist die Gemeinschaft zuständig.

Wir finden diese Idee zB bei allen Sozialsystemen wieder. Hartz IV gibt es für diejenigen, die nicht mehr in der Lage sind, sich selber ausreichend zu versorgen.
Deutlich wird diese Idee auch bei den sogenannten "Aufstockern" - die also durchaus einen Grundbeitrag zu ihrer Versorgung selber leisten, der aber nicht ausreicht, so dass sie zusätzliche Unterstützung vom Staat bekommen.

Jetzt gibt es Leute, die beschweren sich, dass ihnen die sozialen Leistungen "um das eigene Einkommen gekürzt werden".
Auf der einen Seite kann ich das zwar verstehen, denn natürlich ist es frustrierend, wenn man selber Geld verdient, aber unterm Strich nachher nicht mehr hat, eben weil es angerechnet wird - aber auf der anderen Seite macht mich diese Haltung auch böse, denn anstatt es als selbstverständlich zu betrachten, dass sie in erster Linie für sich selber zuständig sind, sehen diese Leute die gesamte Unterstützung "als ihr gutes Recht" an. Und wenn sie nicht mehr 100% Unterstützung bekommen, weil sie jetzt selber 10% Einkommen haben, dann sind sie der Meinung, man nimmt ihnen 10% weg, statt zu sehen, dass sie 90% bekommen.

Ich habe grundsätzlich ein Problem mit jeder Sorte Anspruchsdenken. Dies oder jenes steht mir zu,
- weil ich hier geboren bin,
- weil ich Deutscher bin
- weil ich Sohn oder Tochter bin
- weil ich es schon immer bekommen habe
- weil ich so alt bin
- weil ich ein Kind bin
- weil ich Ehefrau/Ehemann bin
- weil............ es gibt noch viel mehr solcher und ähnlicher Begründungen und sie gleichen sich alle darin, das ich als Gegenfrage stellen könnte: Und der XY, der dummerweise nicht hier geboren ist, kein Deutscher ist, seine Eltern nicht kennt, die meisten Dinge im Leben noch nie bekommen hat, weder besonders alt noch besonders jung ist, keinen Ehepartner hat - dieser XY hat also diese Ansprüche nicht, weil......?
- Weil sie ihm nicht zustehen?
- Weil er minderwertig ist?
oder vielleicht einfach nur, weil er Pech hat?

Wenn mir das jemand so zufriedenstellend beantworten kann, dass ich seinen Anspruch auf einer objektiven Basis nachvollziehen kann, dann bin ich auch gerne bereit, diesen Anspruch mit zu unterstützen. Allen anderen kann ich nur sagen: Freu dich doch, dass du bisher schon so viel bekommen hast, dass es bisher so gut geklappt hat, das ist eben nicht für jeden selbstverständlich - es ist aber gleichzeitig auch keine Garantie, dass es immer so weiter geht.

Das Leben ist ein Tauschgeschäft: Ich tausche eine Leistung von mir gegen eine andere Leistung von jemand anderem. Und jedem ist die Leistung, die er bekommt, mehr wert als die Leistung die er hergibt.
Das funktioniert sogar mit dem Bettler auf der Straße: Er gibt den Leuten, die etwas in seinen Hut werfen, das angenehme Gefühl, gute Menschen zu sein. Für dieses Gefühl bezahlen die Leute, denn jeder möchte gerne ein guter Mensch sein.
Keiner ist freiwillig ein Arschloch.
Mit dieser Währung, dem anderen das angenehme Gefühl zu vermitteln, ein guter Mensch zu sein, bezahlen unheimlich viele Leute - und es ist völlig okay, solange sie Tauschpartner finden, die sich darauf einlassen. Es funktioniert aber nur auf freiwilliger Basis. Die alte Oma über die Straße zu zerren, nur weil man eine gute Tat vollbringen möchte, ist der uralt Witz dazu - hat aber eine Menge Weisheit in sich: Ich habe keinen Anspruch darauf, dass der andere meine gute Tat wirklich haben will. Und wenn er sie nicht (mehr) will, wenn er keine Tauschgeschäfte mehr mit mir machen möchte - dann habe ich ein Problem, aber keinen Anspruch.

In meiner Welt gibt jeder freiwillig, was er geben möchte, weil er hofft, dafür von dem anderen irgendetwas zurückzubekommen. Und auch oder grade "das gute Gefühle" ist eine ganz starke Währung. Das Schlüsselwort ist aber "weil er hofft", denn es gibt keinen Zwangsumtausch und damit auch keinen Anspruch auf Gegenleistung.

Meine Kindheit bestand aus ganz vielen Zwängen. Ein Lieblingssatz meines Vaters war: "Man muss die Menschen zu ihrem Glück zwingen." Er war übrigens Lehrer.
Meine Mutter hat nicht viel gesagt, sie steckte in der Zwangsjacke der schlecht behandelten Ehefrau und hatte somit auch nichts zu sagen.
Darum habe ich schon früh gelernt, mich nicht zwingen zu lassen.
Lever dood as Slav.
Und deshalb kommt in meiner Welt auch kein Zwangsumtausch vor. Ihr könnt mich mit guten Taten totschütten, aber ihr könnt mich nicht zwingen, daraus einen Anspruch abzuleiten.
Niemals.
Punkt
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