Sonntag, 24. März 2024
Boomerquatsch
anje, 17:51h
In meiner persönlichen Wahrnehmung ploppt grade das Thema "Boomer und die Hintergründe" in allen möglichen Informationskanälen, die ich so benutze, auf und als ich heute mal etwas ausführlicher hinterherrecherchiert habe, wer und was da zu dem Thema so eifrig referiert, habe ich bemerkt, dass wohl das meiste auf Heinz Bude zurückgeht, emeritierter Soziologieprofessor aus Kassel (Geburtsort Wuppertal und das hört man seiner Aussprache immer noch an ;-)* , der da grade ein Buch drüber geschrieben hat und das muss natürlich promotet werden. Bei manchen Sauen, die durchs Dorf laufen, ist es beruhigend zu wissen, aus welchem Stall sie rausgeschubst wurden.
*fällt so eine Bemerkung schon unter body shaming und ist pfui?
Das Thema ist also nicht plötzlich neu und es gibt auch keine neuen Erkenntnisse, sondern nur ein 70jähriger Ex-Professor, der sich noch mal profilieren will und deshalb meint, nur weil er mal Soziologieprofessor war, sind seine Boomererkenntnisse automatisch wissenschaftlich.
Das mag auch durchaus so sein, ich bin kein Wissenschaftler und hatte auch nie vor, einer sein zu wollen, was der gute Herr Bude da allerdings so von sich gibt, hört sich in meinen Ohren viel mehr nach einer subjektiven Darstellung aus der Akademikerperspektive eines Soziologen an als nach der Auswertung empirisch korrekt erfasster Daten.
Was er so erzählt, wer und was die Boomer geprägt hat, unterscheidet sich deutlich von meiner persönlichen Einschätzung. Meiner Meinung nach hat mich von all dem, was er da so als prägende Einflüsse anführt, nur sehr wenig geprägt. Herr Bude zählt eine Reihe historische Ereignisse aus den 70er und 80er Jahren auf, die nach seiner These das typische Wesen der Boomer entscheidend beeinflusst haben, an denen ich aber entweder nicht teilgenommen habe, weil ich noch zu jung war oder die mich nicht interessierten, weil sie zu weit weg waren, wir auf dem Land lebten und auch meine Eltern diese Themen nicht so beschäftigten, dass ich auch nur in Ansätzen das Gefühl hätte haben können, da wäre irgendetwas dabei, was mich und meine Zukunft betrifft oder betreffen könnte.
Vor drei Wochen war er im Vorabendprogramm des NDR bei DAS! und hier im TAZ-Talk
Bei der FAZ war er natürlich auch und bei Uni-Vorträgen wurde ebenfalls mitgeschnitten, das Kerlchen ist rührig und seine Thesen werden überall geteilt.
Grundsätzlich beginnen die (wissenschaftlichen) Probleme ja schon damit, dass es unterschiedliche Zeitabschnitte gibt, die als "Boomer-Generation" gelten. Wahlweise von 1958-1968, aber auch von 1954-1964, im Zweifel kann also jeder zwischen 1954-1968 geborene Mensch als Boomer bezeichnet werden.
Dass ich persönlich dazu gehöre, steht außer Frage, 62er Jahrgänge sind in jeder Definition dabei.
Herr Bude (Jahrgang 1954) hält sich selber auch für einen Boomer und das ist wahrscheinlich der Grund, weshalb ich mit seiner persönlichen Wahrnehmungs- und Erinnerungsperspektive so wenig anfangen kann. Für mich hört sich vieles vielmehr an wie die Erinnerungen eines späten 68ers, denn die Wahl von Willi Brandt zum Bundeskanzler, die er als prägendes Ereignis für die Boomerjahrgänge erwähnt, geschah 1969, und sorry, aber mit 7 habe ich die radikalen politischen Umwürfe in unserem Land noch nicht als wirklich prägend empfunden.
Auch die autofreien Sonntage und die Anti-AKW-Bewegung sowie die RAF samt Deutschem Herbst im Jahr 1977 - alles Geschehnisse aus den 70ern, die ich zwar wahrgenommen, aber genauso schulterzuckend akzeptiert habe, wie das Problem Aids ab Mitte bis Ende der 80er.
Meine Güte, ich war ein Teenager mitten in der Pubertät, ich hatte wichtigere Themen als die Weltpolitik oder die möglichen Gefahren durch Atomkraft- oder -bombe.
Ich war damit beschäftigt, wie ich an das nötige Kleingeld für eine echte Wrangler oder Levy's komme, um den untragbaren Jinglerjeans zu entgehen, deren Peinlichkeit mein Leben viel mehr bedrohte als alles andere. Bedroht gefühlt habe ich mich von keinem dieser "Politik"-Themen, und dass von Aids auch langweilige Durchschnittsmenschen betroffen sein könnten, wurde frühestens ab den 90ern thematisiert, da war ich aber längst Mutter und führte, auch sexuell, ein geregeltes Familienleben. Dass ich vor Corona also schon mal eine Pandemie erlebt hätte, die mich zu einer Verhaltensveränderung gezwungen hätte, kann ich für mich nicht bestätigen, wird von Herrn Bude aber als prägendes Ereignis genannt.
Ich habe übrigens auch den Reaktorunfall in Tschernobyl im Jahr 1986, als ich erwachsen genug war, um zu begreifen, was da passiert war, mehr oder minder fatalistisch hingenommen, denn wenn da wirklich was nach Deutschland rüberweht, tja nu, dann ist das eben so, davon sind dann aber alle betroffen und ich sah keinen Mehrwert darin, mich selber damit mehr als nur als reine Kenntnisnahme zu diesem Thema zu beschäftigen. Es wird sich schon jemand an geeigneter Stelle darum kümmern. Genau diese Einstellung teilten übrigens alle meine Freunde in meiner näheren und weiteren Umgebung. Eine Kommilitonin gab es, die drehte total durch und wollte nach Italien auswandern und so Zeug, die benahm sich aber grundsätzlich wie ein aufgescheuchtes Huhn, die konnte man bei nix ernst nehmen, sondern grundsätzlich nur belächeln.
In Erinnerungen geblieben ist mir vor allem, dass genau zu der Zeit die Leipziger Tante (als Rentnerin mit Reiseerlaubnis) meines damaligen Freundes bei ihrer jüngeren Schwester zu Besuch im Westen war und sich höchst erstaunt darüber zeigte, dass bei uns im Westen grade kaum Gemüse in den Läden verkauft wurde. Sie sagte, in Leipzig gäbe es grade mehr als je zuvor, vor allem Pilze, die sonst immer so schlecht zu kriegen gewesen seien.
Nun sind meine Interpretationen der Auswirkungen der historischen Rahmenbedingungen und Geschehnisse auf meine eigene Persönlichkeit genauso individuell wie die von Herrn Professor Bude, ich versuche nur gar nicht erst den Eindruck zu erwecken, dass meine Einschätzungen in irgendeinem Kontext zu wissenschaftlichen Nachweisen stehen könnten.
Was mich an den Ausführungen von Herrn Bude außerdem noch stört, ist die Intellektualisierungsvermutung, die er der gesamten Boomergeneration zukommen lässt. Die Boomer-Generation aus der DDR erlebte den Mauerfall quasi zum Abitur - sagt Herr Bude (im NDR) und ich wundere mich nicht nur darüber, dass gleich eine gesamte Generation Abitur gemacht hat, sondern auch in welchem Alter.
Dass es auch Boomer mit einem Schulabschluss nach der 9. oder 10. Klasse gibt und dass die eventuell eine komplett andere Grundeinstellung zum Leben haben könnten als die studierten Akademiker, dazu fehlt mir in seinen Ausführungen jede Anmerkung.
Insgesamt finde ich es sowieso ziemlichen Unsinn, Menschen in irgendeiner Form nach Jahrgangs-Kohorten zusammengefasst charakterisieren oder beschreiben zu wollen, das einzige, was die Boomer-Generation eindeutig von der Gen Z unterscheidet ist die Tatsache, dass sie alle älter sind und DAS wiederum ist ein wichtiger Unterschied, denn 60jährige benehmen sich im Durchschnitt auch empirisch nachweisbar anders als 20jährige.
Der (auch heute noch aktive) Soziologieprofessor Martin Schröder hat das schon 2018 wissenschaftlich korrekt nachgewiesen, aber vielleicht war der gute Herr Bude da schon aus dem Dienst ausgeschieden und widmet sich seitdem lieber populär-wissenschaftlichen Privatforschungen
.
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*fällt so eine Bemerkung schon unter body shaming und ist pfui?
Das Thema ist also nicht plötzlich neu und es gibt auch keine neuen Erkenntnisse, sondern nur ein 70jähriger Ex-Professor, der sich noch mal profilieren will und deshalb meint, nur weil er mal Soziologieprofessor war, sind seine Boomererkenntnisse automatisch wissenschaftlich.
Das mag auch durchaus so sein, ich bin kein Wissenschaftler und hatte auch nie vor, einer sein zu wollen, was der gute Herr Bude da allerdings so von sich gibt, hört sich in meinen Ohren viel mehr nach einer subjektiven Darstellung aus der Akademikerperspektive eines Soziologen an als nach der Auswertung empirisch korrekt erfasster Daten.
Was er so erzählt, wer und was die Boomer geprägt hat, unterscheidet sich deutlich von meiner persönlichen Einschätzung. Meiner Meinung nach hat mich von all dem, was er da so als prägende Einflüsse anführt, nur sehr wenig geprägt. Herr Bude zählt eine Reihe historische Ereignisse aus den 70er und 80er Jahren auf, die nach seiner These das typische Wesen der Boomer entscheidend beeinflusst haben, an denen ich aber entweder nicht teilgenommen habe, weil ich noch zu jung war oder die mich nicht interessierten, weil sie zu weit weg waren, wir auf dem Land lebten und auch meine Eltern diese Themen nicht so beschäftigten, dass ich auch nur in Ansätzen das Gefühl hätte haben können, da wäre irgendetwas dabei, was mich und meine Zukunft betrifft oder betreffen könnte.
Vor drei Wochen war er im Vorabendprogramm des NDR bei DAS! und hier im TAZ-Talk
Bei der FAZ war er natürlich auch und bei Uni-Vorträgen wurde ebenfalls mitgeschnitten, das Kerlchen ist rührig und seine Thesen werden überall geteilt.
Grundsätzlich beginnen die (wissenschaftlichen) Probleme ja schon damit, dass es unterschiedliche Zeitabschnitte gibt, die als "Boomer-Generation" gelten. Wahlweise von 1958-1968, aber auch von 1954-1964, im Zweifel kann also jeder zwischen 1954-1968 geborene Mensch als Boomer bezeichnet werden.
Dass ich persönlich dazu gehöre, steht außer Frage, 62er Jahrgänge sind in jeder Definition dabei.
Herr Bude (Jahrgang 1954) hält sich selber auch für einen Boomer und das ist wahrscheinlich der Grund, weshalb ich mit seiner persönlichen Wahrnehmungs- und Erinnerungsperspektive so wenig anfangen kann. Für mich hört sich vieles vielmehr an wie die Erinnerungen eines späten 68ers, denn die Wahl von Willi Brandt zum Bundeskanzler, die er als prägendes Ereignis für die Boomerjahrgänge erwähnt, geschah 1969, und sorry, aber mit 7 habe ich die radikalen politischen Umwürfe in unserem Land noch nicht als wirklich prägend empfunden.
Auch die autofreien Sonntage und die Anti-AKW-Bewegung sowie die RAF samt Deutschem Herbst im Jahr 1977 - alles Geschehnisse aus den 70ern, die ich zwar wahrgenommen, aber genauso schulterzuckend akzeptiert habe, wie das Problem Aids ab Mitte bis Ende der 80er.
Meine Güte, ich war ein Teenager mitten in der Pubertät, ich hatte wichtigere Themen als die Weltpolitik oder die möglichen Gefahren durch Atomkraft- oder -bombe.
Ich war damit beschäftigt, wie ich an das nötige Kleingeld für eine echte Wrangler oder Levy's komme, um den untragbaren Jinglerjeans zu entgehen, deren Peinlichkeit mein Leben viel mehr bedrohte als alles andere. Bedroht gefühlt habe ich mich von keinem dieser "Politik"-Themen, und dass von Aids auch langweilige Durchschnittsmenschen betroffen sein könnten, wurde frühestens ab den 90ern thematisiert, da war ich aber längst Mutter und führte, auch sexuell, ein geregeltes Familienleben. Dass ich vor Corona also schon mal eine Pandemie erlebt hätte, die mich zu einer Verhaltensveränderung gezwungen hätte, kann ich für mich nicht bestätigen, wird von Herrn Bude aber als prägendes Ereignis genannt.
Ich habe übrigens auch den Reaktorunfall in Tschernobyl im Jahr 1986, als ich erwachsen genug war, um zu begreifen, was da passiert war, mehr oder minder fatalistisch hingenommen, denn wenn da wirklich was nach Deutschland rüberweht, tja nu, dann ist das eben so, davon sind dann aber alle betroffen und ich sah keinen Mehrwert darin, mich selber damit mehr als nur als reine Kenntnisnahme zu diesem Thema zu beschäftigen. Es wird sich schon jemand an geeigneter Stelle darum kümmern. Genau diese Einstellung teilten übrigens alle meine Freunde in meiner näheren und weiteren Umgebung. Eine Kommilitonin gab es, die drehte total durch und wollte nach Italien auswandern und so Zeug, die benahm sich aber grundsätzlich wie ein aufgescheuchtes Huhn, die konnte man bei nix ernst nehmen, sondern grundsätzlich nur belächeln.
In Erinnerungen geblieben ist mir vor allem, dass genau zu der Zeit die Leipziger Tante (als Rentnerin mit Reiseerlaubnis) meines damaligen Freundes bei ihrer jüngeren Schwester zu Besuch im Westen war und sich höchst erstaunt darüber zeigte, dass bei uns im Westen grade kaum Gemüse in den Läden verkauft wurde. Sie sagte, in Leipzig gäbe es grade mehr als je zuvor, vor allem Pilze, die sonst immer so schlecht zu kriegen gewesen seien.
Nun sind meine Interpretationen der Auswirkungen der historischen Rahmenbedingungen und Geschehnisse auf meine eigene Persönlichkeit genauso individuell wie die von Herrn Professor Bude, ich versuche nur gar nicht erst den Eindruck zu erwecken, dass meine Einschätzungen in irgendeinem Kontext zu wissenschaftlichen Nachweisen stehen könnten.
Was mich an den Ausführungen von Herrn Bude außerdem noch stört, ist die Intellektualisierungsvermutung, die er der gesamten Boomergeneration zukommen lässt. Die Boomer-Generation aus der DDR erlebte den Mauerfall quasi zum Abitur - sagt Herr Bude (im NDR) und ich wundere mich nicht nur darüber, dass gleich eine gesamte Generation Abitur gemacht hat, sondern auch in welchem Alter.
Dass es auch Boomer mit einem Schulabschluss nach der 9. oder 10. Klasse gibt und dass die eventuell eine komplett andere Grundeinstellung zum Leben haben könnten als die studierten Akademiker, dazu fehlt mir in seinen Ausführungen jede Anmerkung.
Insgesamt finde ich es sowieso ziemlichen Unsinn, Menschen in irgendeiner Form nach Jahrgangs-Kohorten zusammengefasst charakterisieren oder beschreiben zu wollen, das einzige, was die Boomer-Generation eindeutig von der Gen Z unterscheidet ist die Tatsache, dass sie alle älter sind und DAS wiederum ist ein wichtiger Unterschied, denn 60jährige benehmen sich im Durchschnitt auch empirisch nachweisbar anders als 20jährige.
Der (auch heute noch aktive) Soziologieprofessor Martin Schröder hat das schon 2018 wissenschaftlich korrekt nachgewiesen, aber vielleicht war der gute Herr Bude da schon aus dem Dienst ausgeschieden und widmet sich seitdem lieber populär-wissenschaftlichen Privatforschungen
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kjfalf,
Sonntag, 24. März 2024, 21:56
Ist das ein Verriss…
…oder schon Journalismus?
Vielleicht bei Krautreporter als Autor anfangen, dann darfst du bestimmt auch umsonst lesen.
Vielleicht bei Krautreporter als Autor anfangen, dann darfst du bestimmt auch umsonst lesen.
anje,
Sonntag, 24. März 2024, 22:25
ne, ne
kein Journalismus, nur privates Augenrollen über einen ehemaligen Wissenschaftler, der Unsinn erzählt