anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Montag, 29. Januar 2018
Mietersuche
Der Eintrag über das Aufräumen des Bücherregals galt ja eigentlich für gestern.
Heute habe ich mich zwar noch ausführlich darüber gefreut, dass diese Arbeit endlich erledigt ist und ich jetzt stolz auf dieses wunderbar sortierte Regal schauen kann, das im übrigen auch plötzlich ganz anders aussieht als vorher, aber dann war das Thema auch abgehakt.
Ansonsten habe ich mich heute mit diversen Mieteranfragen für die zu vermietende Wohnung beschäftigt und bin dabei mit einer Welt in Kontakt genommen, die sonst keinerlei Schnittmenge zu meiner hat.
In der Anzeige habe ich mich bemüht, die Wohnung so ausführlich wie möglich zu beschreiben, habe viele Fotos und einen Grundriss beigefügt - und bin eigentlich davon ausgegangen, dass damit alle Infos vorgegeben sind und sich nur Interessenten melden, die mit einer solchen Wohnung auch etwas anfangen können.
Die Realität war eine komplett andere.

Es handelt sich um eine 3-Zimmer Wohnung, die zwar 100m² hat, aber eben neben einem sehr großen, schönen hellen Wohnzimmer nur zwei andere, deutlich kleinere Schlafräume besitzt, außerdem eine Küche, ein großes Bad und ein Gästeklo.
Zielgruppe also ganz klar ein älteres Paar mit gesichertem Einkommen oder eine Familie mit maximal einem Kind. Warum sich auf diese Wohnung reihenweise Familien mit drei und mehr Kindern bewerben, ist mir ein komplettes Rätsel. Mag sein, dass sie jetzt noch viel beengter wohnen und dass diese Wohnung schon eine klare Verbesserung für sie wäre - aber in eine ziemlich teure (weil große), dafür offensichtlich aber auch nicht geeignete Wohnung als Zwischenlösung zu ziehen, das kann doch nicht wirklich sinnvoll sein.
Als Vermieter suche ich natürlich nach einem Mieter, zu dem die Wohnung auch wirklich passt, damit er maximal zufrieden ist und möglichst lange wohnen bleibt. Deshalb habe ich also allen Großfamilien gleich von Anfang an mitgeteilt, dass die Wohnung für sie nicht geeignet ist, was aber zu meinem großen Erstaunen jedesmal lange Diskussionen auslöste. Jeder gab sich sehr große Mühe, mir ausführlich zu erläutern, wie perfekt die Wohnung für sie passen würde und mit welchen "Tricks" und Umbaumaßnahmen sie es sich dort sehr gemütlich machen werden.

Was mich so verwirrt, aber gleichzeitig auch sehr aufmerksam werden lässt, ist die komplette Verneinung der Realität von Leuten, die wahrscheinlich in der tatsächlichen Realität ansonsten wirklich kaum eine Chance haben.
Denn, ehrlich gesagt wüsste ich auch nicht, wo so eine fünf- oder mehrköpfige Familie mal eben eine bezahlbare, passende Mietwohnung mit fünf oder mehr Zimmern auf einer Insel finden soll, weil, die gibt es da einfach nicht. Und wenn es sie gibt, sind es derart miese Dreckslöcher, dass man im Grunde wieder niemandem zumuten kann, dort zu wohnen.

Ich weiß nicht, wie man dieses Problem löst, denn wie man es auch dreht und wendet, wird es am Ende immer auf dasselbe hinauslaufen: Wer viele Kinder hat, muss sich das auch leisten können und im Zweifel eben im Eigentum wohnen und nicht zur Miete - oder er wird mitsamt seinen Kindern einfach an den Rand der Gesellschaft abgedrängt oder, wenn man es lokal betrachtet, dann muss er eben die Insel verlassen.

An der Stelle höre ich persönlich einfach auf zu denken, da ich genau hier meine eigene Welt verlasse. Meine Familie hat es mir immer möglich gemacht, auf der Insel zu sein, wann immer ich das wollte (und als ich kleiner war, sogar zu Zeiten als ich es nicht wollte), und als ich sagte, ich möchte gerne meinen eigenen Hausstand dort haben, haben mich ebenfalls alle unterstützt, mir geholfen und mich bezuschusst. Ohne meine Familie, ihre Unterstützung und ihre Beziehungen wäre mir das wahrscheinlich auch nicht möglich gewesen. Aber ich kenne es eben auch nicht anders. Und was auch immer meine Kinder je wollen, so werde ich sie im Zweifel genauso unterstützen und mich darum kümmern, dass sie ihre Wünsche umsetzen können.
In meiner Welt ist ein komplettes Scheitern einfach noch nie passiert. Im Gegenteil, meine Eltern haben es per Saldo weitergebracht als ihre Eltern und ich wiederum habe es schon jetzt weitergebracht als meine Eltern - zumindest, was die finanziellen Spielräume angeht und das bringt natürlich Freiheiten mit sich, die für mich selbstverständlich sind, die aber wahrscheinlich für viele andere Menschen komplett außerhalb ihrer Möglichkeiten oder Reichweite sind. Und ich glaube, genau hier beginnt das Problem, des immer größer werdenden Auseinanderklaffens von Arm und Reich.
Wenn man in einer Welt von jeder Menge Selbstverständlichkeiten lebt, kann man sich gar nicht vorstellen, welche Dinge für andere Leute zu einem Problem werden können.

Um aber zurück zu dieser Wohnung zu kommen, so ist meine favorisierte Bewerberfamilie eine "Mischlingsfamilie" aus Albanien und Tschechien, bei der der Mann selbstständiger "Allround-Handwerker" ist und die Frau Altenpflegerin, derzeit in Elternzeit. Sie haben tatsächlich zwei Kinder, aber es ist technisch möglich, dass Riesenwohnzimmer zu teilen und dann müsste die Wohnung für sie optimal sein. Was mir bei dieser Familie so gut gefällt, ist die Kombination der Berufe. Mein Vater wohnt direkt nebenan - und wenn es mir gelingt, dass im Nachbarhaus eine Altenpflegerin einzieht, die dann auch noch bereit wäre, ab und zu nach meinem Vater zu schauen - na, besser könnte das ja wohl kaum passen. Und der Mann ist einer dieser typischen "Alleskönnerhandwerker" - ich finde solche Menschen ausgesprochen bewundernswert und habe immer versucht, derartige Bekanntschaften gut zu pflegen.
Wenn die also wirklich die Wohnung haben wollen, hätte ich das Gefühl, ich habe wirklich tolle Mieter gefunden und würde mit einer durchaus selbstgerechten Zufriedenheit all den anderen Bewerbern absagen, die äußerlich so viel besser zu dieser Wohnung passen, insgesamt aber alle miteinander auch bei der nächsten freien Wohnung auf der Insel gute Chancen haben, dort genommen zu werden
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