anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Mittwoch, 9. März 2022
Rücksichtslos und undankbar
Es gibt einen Typ Mensch, den finde ich von Grund auf unangenehm, und zwar sind das die Menschen, die sich selbst gern als Opfer stilisieren, ihr Leiden aber mit zusammengebissenen Zähnen tapfer ertragen, weil sich das ja nicht ändern lässt, wenn das Leben sie zwingt, mit so egoistischen, rücksichtslosen Menschen wie z.B. mir umgehen zu müssen.

Die Leute stecken üblicherweise bis unter die Halskrause voll mit stummen Schuldvorwürfen, die sie aber selbstverständlich nie direkt äußern, sondern nur durch Andeutungen und Seufzen oder in dem sie sich bei anderen über ihr schweres Leben ausjammern.

So Sätze wie: "Schön, dass du auch mal wieder was von dir hören lässt, ich dachte schon, du bist tot." gehören in ihr Alltagsrepertoire, aber auch so Sprüche wie "dass du nach so vielen Jahren plötzlich mit solchen Wünschen ankommst" oder auch "wieso willst du das denn plötzlich nicht mehr machen, das hast du doch immer gemacht."

Ich reagiere auf solche Menschen grundsätzlich enorm aggressiv, weil ich sie als mindestens so egoistisch und rücksichtslos empfinde, wie sie das anderen unterstellen.

Denn üblicherweise sind das Menschen, die enorm davon profitieren, dass die wenigstens Menschen einen Dissens offen ansprechen und lieber nachgeben, bevor jemand anderes offen leidet.
Gleichzeitig kriegen diese Menschen selber eigentlich kaum was geregelt, was aber nicht offen auffällt, weil sie immer jemanden finden, der entweder ihr Versagen deckt oder für sie die Kartoffeln aus dem Feuer holt.

So ein Typ Mensch ist die zweite Sekretärin bei uns im Büro.
Ursprünglich als Chefsekretärin gestartet, musste sie ja schon akzeptieren, dass sie nach der dreijährigen Babypause ihren alten Job nicht wiederbekommen konnte, da der Chef nunmal den Einsatz einer Vollzeitkraft verlangt, weil er keinen Bock hat, seine Arbeit am Nachmittag ohne Sekretariatsunterstützung zu erledigen.

So wurde sie Sekretärin "für die Technik", hier war auch ein Halbtagsjob möglich.
In der Technik war früher immer eine Sekretärin beschäftigt, die die Bänder abgetippt hat, auf denen die Architekten und Ingenieure die Protokolle der Baubesprechungen diktierten und wo regelmäßig Unterstützung gebraucht wurde, wenn es einen der großen Submissionstermine gab.

Submissionen erfolgten früher nämlich noch vollständig analog. Zu einem festgelegten Termin gaben alle Bewerber einer Bauausschreibung ihre Bewerbungsunterlagen gleichzeitig ab, die Umschläge wurden in einem öffentlichen Termin alle gleichzeitig geöffnet, gestempelt und gestanzt, damit sichergestellt war, dass keiner der Bewerber einen Wissensvorsprung hat und etwa schon vorher weiß, zu welchem Preis ein Konkurrent anbietet, denn dann wäre es ja leicht gewesen, ihn zu unterbieten.

Diese Submissionen waren früher eine sehr aufwändige Veranstaltung mit viel Verantwortung.
Heute passiert das alles digital und online und das kann auch eine Person alleine an ihrem Schreibtisch mal eben innerhalb einer Stunde erledigen. Schiefgehen kann kaum noch was, das macht inzwischen alles die Software.

Genau genommen gibt es für eine Sekretärin in der Technik überhaupt keine Arbeit mehr, das aber traute sich niemand, offen zu sagen, denn das hätte diese Zweitsekretärin enorm gekränkt. Schließlich ist sie wichtig und erwartet auch offen, dass die viele Arbeit, die sie in mittlerweile nur noch 25 Wochenstunden so wuppt, ausreichend gewürdigt wird.

Blöd nur, dass niemand so genau weiß, was sie eigentlich noch für Arbeit macht, denn die alte Aufgabe, die Bänder mit den Protokollen abtippen, die ist wirklich schon sehr lange hinfällig, wird aber immer noch von jedem als erstes erwähnt, sofort gefolgt von "und dann macht sie ja alle Submissionen.", wenn man mal nachfragt, was diese Zweitsekretärin eigentlich so grundsätzlich zu tun hat.

Tatsächlich macht sie also eigentlich nichts mehr, was in irgendeiner Weise von Bedeutung wäre, achtet aber sehr auf ihre Position und als ich sie mal bat, für einen Termin, zu dem ich Besuch erwartete, doch bitte Kaffee zu kochen, erklärte sie mir, dass sie fürs Kaffeekochen nicht zuständig wäre, dafür ließe sie sich auch nicht verheizen. Es war schließlich kein Termin für einen ihrer Jungs aus der Technik?

Gestern hat die Geschäftsführung nun offiziell verkündet, dass das Sekretariat insgesamt umstrukturiert wird, dass es künftig nur noch ein Sekretariat für die gesamte Firma gibt und damit einzelne Sekretärinnen nicht mehr einzelnen Abteilungen zusortiert sind. Außerdem wurde verkündet, dass die jetzige "Chefsekretärin" nun offiziell Büroleiterin ist und damit die Chefin aller anderen Sekretärinnen und dass sie entscheidet, wer welche Arbeiten erledigt.

Das schlug ein wie eine Bombe, denn die bisherige Zweitsekretärin ist jetzt nicht nur ihrer ungestörten Freizeit während der Arbeitszeiten beraubt, sondern sie muss auch raus aus ihrem geschützten Einzelbüro und wird künftig offen am Empfang sitzen, was so Ausweichaktivitäten wie stundenlanges Rumtrödeln im Kopierraum effektiv verhindert.

Heute war deshalb akute Krisenstimmung unter den zarter besaiteten Kollegen, denen die Gute erfolgreich vorgejammert hatte, dass sie das niemals erwartet hätte, dass sie nach 17 Jahren, in denen sie sich für die Firma aufgeopfert hat, jetzt so behandelt wird.

Und ich dachte mir, dass das genau das Verhalten ist, was ich so tief verachte: Sich selber immer überall die Rosinen rauspicken und dann beleidigt zu sein, wenn es auffällt und abgestellt wird.

Grundsätzlich habe ich gar nichts dagegen, wenn sich jemand die Rosinen rauspickt, solange er selber genau weiß, dass er eben aktiv Rosinenpickerei betreibt und sich über jede einzelne Rosine, die er erfolgreich ergaunert hat, auch einzeln freut.
Seine eigene Rosinenpickerei aber als selbstverständlich zu betrachten und als "steht mir zu", womöglich noch als Honorierung für die gute Leistung, die man sich irrtümlich einbildet, das ist ein Verhalten, mit dem komme ich grundsätzlich gar nie klar und habe exakt Null Mitleid, mit der Dame, mit der da nun so rücksichtslos und undankbar umgesprungen wird, nach 17 Jahren…
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