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Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Freitag, 6. Juli 2018
Sind alte Freunde bessere Freunde?
"Jetzt können wir uns nur wünschen, dass die Kinder ihre bestehenden Freundschaften auch weiter pflegen. Es ist so wichtig, dass man seine Schulfreundschaften nicht einschlafen lässt." sagte eine Mutter bei J.s Abiball und ich habe spontan widersprochen, denn ich habe eine ausgeprägte Abneigung gegen das Pflegen von alten Freundschaften, die ohne künstliche Pflege den ganz natürlichen Tod des Nichtmehrgebrauchtwerdens sterben würden.

Sicher, in dem Moment, wo ein Lebensabschnitt zu Ende geht und man sich schon rein wegen der anstehenden Ortsveränderung von den Weggefährten der letzten Jahre trennen muss, fühlt sich das für fast jeden sehr schwer und traurig an und fast alle guten Freunde nehmen sich vor, auf alle Fälle in Kontakt zu bleiben und regelmäßige Treffen zu organisieren.
Die Erfahrung zeigt allerdings, dass das nur den allerwenigsten gelingt und ich denke, das ist auch gut so.

Wahrscheinlich habe ich eine komplett andere Vorstellung und Erwartungshaltung bei der Frage, wie viele Freunde man braucht und ob alte Freunde bessere Freunde sind als Menschen, die man neu kennenlernt, als viele andere Leute, aber zum einen habe ich gar keine Kapazitäten, um mich um eine ständig wachsende Zahl von Freunden zu kümmern und zum anderen ist meine Sicht auf das Leben ausschließlich vorwärts gerichtet und ich finde Zukunft wichtiger als Vergangenheit.

Ich habe mein Leben bisher immer in "Lebensabschnitten" gelebt, wie ein Buch mit vielen Kapiteln. Wenn ein Kapitel ist zu Ende ist, folgt ein neues und in jedem Kapitel kommen neue Menschen vor und eben auch komplett geänderte Lebensumstände. Manche Menschen begleiten mich auch durch mehrere Kapitel, das klappt aber nur, wenn ihr Leben in dieser Zeit parallel zu meinem verläuft oder es wenigstens regelmäßige oder zumindest sporadische Themen gibt, die wir gemeinsam erleben.
Andere Menschen dagegen tauchen nach einigen Kapiteln, in denen sie nicht vorkamen, plötzlich wieder auf, sie sind dann sozusagen eine "bekannte Figur" und haben damit gegenüber allen fremden Menschen schon mal den großen Vorteil, dass man sich nicht als erstes umständlich kennenlernen muss, für einen fortgesetzten, regelmäßigen Kontakt muss es auf Dauer aber eine Ebene geben, auf der das gemeinsame Leben auch wieder parallel geführt wird, sonst verschwinden diese Menschen aus meinem Leben genauso schnell wieder, wie sie zwischendurch nur mal kurz auftauchen. Das reicht dann vielleicht für ein schnelles "Hallo, wie geht es dir und was hast du die letzten Jahre so getrieben?", aber dann ist das gemeinsame Zeitfenster auch schon wieder geschlossen.

Als ich so darüber nachgedacht habe, wie viele Menschen ich in meinem Leben schon gekannt habe, die mich in einzelnen Lebensabschnitten durchaus intensiv begleitet haben, wann ich viele Gefährten hatte und wann nur ganz wenige, ist mir aufgefallen, dass zumindest bei mir die Menge/Anzahl der Freunde abhängig ist vom Grad der Intensität der Freundschaft mit "der besten Freundin" bzw. "dem besten Freund".

Während meiner Schulzeit, oder genauer ab der 6. Klasse, war Claudia meine einzige, echte, richtige Freundin. Wir beide haben nicht nur alles geteilt (ja, auch Jungs, wir waren da sehr fair, schließlich gab es bei uns im Reitstall mehr Mädchen als Jungs, weshalb es uns lieber war, uns zu zweit einen Jungen zu teilen und dafür alle andere Mädchen gemeinsam zu bekämpfen als jede für sich in den Kampf zu ziehen), und selbstverständlich haben wir über alles geredet und haben im Wesentlichen versucht, jede freie Minute gemeinsam zu verbringen, weil wir natürlich sehr gleichgerichtete Interessen hatten. (Ich sag nur "Pferdemädchen", da bleibt wenig Zeit für anderes).
Natürlich hatten wir auch noch verschiedene andere Freundinnen (die meisten gemeinsam), aber das waren eher so lockere unverbindliche Freundschaften - man kannte sich halt, weil man gemeinsam zur Schule ging, nebeneinander wohnte, im selben Reitstall seine Nachmittage verbrachte, seine Sommerferien gemeinsam verbracht hatte, sich regelmäßig auf Feten traf oder was es ansonsten für andere Gemeinsamkeiten geben kann.
Nach dem Abitur änderte sich unser Leben und damit auch unsere Freundschaft. Wir studierten an weit voneinander entfernt liegenden Orten unterschiedliche Fachrichtungen, es gab plötzlich genug Männer für jede von uns und jede von uns lernte unabhängig von der anderen auch andere Menschen kennen und so schlief unsere Freundschaft einfach ein. Wir hatten beide nicht genug Zeit, sich um etwas zu kümmern, was uns auch beiden nicht wirklich fehlte, nämlich diese enge Beziehung zu einem anderen Menschen, mit dem man alles teilt, weil halt neue Menschen in unser Leben traten und damit fand jede von uns eine neue beste Freundin.

Meine neue Freundin hieß Ute, wir studierten gemeinsam Betriebswirtschaft und waren auch beide im Fachschaftsrat und der Studentenvertretung. Außerdem hatten wir beide einen Freund (da die Zeiten der Jungsknappheit vorbei waren, jede ihren eigenen) und wir wohnten auch jeweils mit unserem Freund zusammen. Außerdem teilten wir auch beide die Überzeugung, dass man sich nicht zu früh auf den Mann fürs Leben festlegen sollte, sondern sich auch ruhig noch etwas umsehen darf, was jede von uns vor die Herausforderung stellte, das möglichst so unauffällig hinzukriegen, dass der zu Hause wartende Freund es nicht mitbekam, denn auch hier wieder eine Ähnlichkeit: Beide Männer waren ausgesprochen lästig eifersüchtig. In solchen Fällen ist eine beste Freundin unersetzlich. Eine beste Freundin unterscheidet sich von anderen "nur Freundinnen" vor allem dadurch, dass man sich blind und ohne sich abzustimmen jederzeit aufeinander verlassen kann. Bei einer besten Freundin muss man sich keine Sorgen machen, zu wem sie hält, wenn es haarig wird.
Aber auch dieser Lebensabschnitt ging irgendwann zu Ende, mit dem ersten Job ändert sich auch der gesamte bisherige Tagesablauf, es kommt zu einer deutlichen Interessensverschiebung, man hat insgesamt immer weniger Zeit und außerdem lernt man schon wieder neue Leute kennen.
Wenn es dann noch zu einer jobbedingten, großen räumlichen Trennung kommt, dauert es nicht mehr lange, bis auch so eine Studentenfreundschaft einschläft, wieder aus den gleichen Gründen: Wir brauchten uns nicht mehr. In der ersten Zeit nach dem Studium brauchte ich eigentlich gar keine Freundschaft, denn ich hatte keine Zeit, ich habe einfach nur gearbeitet. Ute ging es genauso. Wenn wir noch, was immer seltener vorkam, telefonierten, erzählten wir uns gegenseitig, wie viel wir arbeiteten, denn mehr passierte in unserem Leben gar nicht, so dass es schlicht nicht mehr zu erzählen gab.
Während des Studiums und auch danach kannte ich natürlich auch noch jede Menge andere Menschen, aber im Grunde waren das vergleichbar lockere Freundschaften wie die "Zweitfreundinnen" während der Schulzeit. Man kannte sich vor allem deshalb, weil man sowieso viel Zeit miteinander verbrachte, erst Kommilitonen, dann Arbeitskollegen, aber wenn sich die Lebensumstände änderten, verlor man sich von ganz alleine aus den Augen.

Und dann traf ich irgendwann CW. CW wurde sehr schnell zu meiner besten Freundin. Mit CW hatte ich plötzlich wieder jemanden gefunden, mit dem ich über alles reden konnte, mit dem es enorm viel Spaß machte, über alles zu reden, mit dem ich wunderbar Blödsinn machen konnte und mit dem ich rein jobbedingt auch noch ganz von alleine sehr viel Zeit verbrachte.
Neben CW brauchte ich keine Freundin, ich hätte auch gar keine Zeit gehabt, mich noch um eine Freundin zu kümmern. Ich war vollauf mit meinem Alltag und CW beschäftigt.
Ich bekam Kinder, ich hatte einen Haushalt und einen Job zu organisieren und jede weitere Freundschaft (ob alt oder neu) hätte mir freie Zeit mit CW geklaut und was hätte eine weitere "beste" Freundin mir zusätzlich bieten können? Einen Menschen, dem ich blind vertraute, auf denen ich mich in jeder Situation bedenkenlos verlassen konnte, so einen Menschen hatte ich ja. Ich hatte aber gleichzeitig auch einen Menschen mit dem ich stundenlang reden konnte, mit dem ich sehr viele gemeinsame Interessen teilte, der ohne Ende bekloppte Ideen hatte und jedem Unsinn gegenüber aufgeschlossen war, jemanden mit dem mir nie langweilig war und der mein Leben einfach unglaublich bereicherte.

Natürlich hatte ich in dieser Zeit verschiedene Bekannte, mit denen ich jeweils einzelne, kleine Interessengebiete teilte. Ich verstand mich sehr gut mit einer Kollegin aus dem Büro, dann lernte ich irgendwann eine andere Mutter kennen, die eine angenehm ähnlich legere Grundeinstellung zu Kindern hatte und außerdem selber drei Kinder, die im Alter genau zwischen meine passten, das war perfekt, weil einmal sechs Kinder hüten definitiv weniger Arbeit ist als zweimal drei Kinder bespaßen und im Mandantenkreis gab es auch ein paar Leute, die ich auch privat ganz nett fand und mit denen ich/wir dann auch mal privat etwas unternahmen, aber mit allen diesen Menschen war ich maximal "freundschaftlich verbunden" und wenn sich die Lebensumstände änderten, dann lösten sich auch diese Verbindungen mit auf.
Im Laufe der Jahre wurde die Beziehung zu CW aber komplizierter. Wir mussten schließlich außer unserer Beziehung als beste Freunde auch noch unsere Mann-Frau-Beziehung wuppen und als Eltern hatten wir auch noch so etwas wie eine Vater-und-Mutter-Beziehung, die auch nicht immer reibungslos lief, es begann also zu kriseln und ich begann, mich einsam zu fühlen.
In dieser Zeit entdeckte ich das Internet und mit dem Internet fand ich auch neue Freunde. Plötzlich hatte ich sogar ganz viele Freunde, so viele, wie noch nie zuvor in meinem Leben, weil die Freundschaftspflege übers Internet ungleich einfacher möglich war als wenn ich mit allen Menschen, die sich so kennenlernte, mich regelmäßig in echt getroffen hätte. Internetfreunde fand ich toll, die waren pflegeleicht, einfach zu kontaktieren und überhaupt viel besser als so meckerige Freunde aus dem echten Leben, weil ich mit diesen Freunden ja nur das teilte, was ich auch nach außen zeigen wollte. Das erste Mal in meinem Leben war ich Teil einer größeren Clique, also aktives Mitglied in E-Mail-Gruppen oder Foren, offiziell ging es um Stempeln, aber tatsächlich fand ich den "offtopic-Part" in diesen Gruppen viel spannender.
CW interessierte sich für diesen neuen Teil meines Lebens gar nicht, ich brauchte also dringend eine neue beste Freundin.
Die fand ich dann auch, aus dem Kontakt aus so einer Internet-Gruppe ergab sich ein persönliches Treffen. Weil wir nur 50km entfernt voneinander wohnten, lud sie mich ein, sie zu besuchen, um mir irgendeine Stempeltechnik zu zeigen, ich fuhr zu ihr und war das erste Mal seit langem wieder von einem Menschen fasziniert. Wir haben spontan ca. fünf Stunden gequatscht - über alles mögliche, nur nicht über Stempeln, weshalb ich sie ja eigentlich besuchte.
Das haben wir dann auf das nächste Treffen vertagt - und waren quasi von dem Tag an "in einer festen Beziehung".
Mit Heidi habe ich dann meine Stempelleidenschaft intensiviert, Heidi war schon Hardcore-Stemplerin als ich sie kennenlernte, ich war damals noch blutiger Anfänger.
Die ersten Jahre haben wir unsere Freundschaft sehr intensiv gelebt, in der großen Gruppe der Stempelmenschen waren natürlich noch viele andere, mit denen wir auch befreundet waren, aber unsere Freundschaft war deutlich intensiver als eine Bekanntschaft unter Menschen, die dasselbe Hobby teilen.
Doch das Leben entwickelt sich weiter und wir entwickelten uns nicht parallel. Aus unserer reinen Zweierfreundschaft wurde irgendwann eine "Pärchenfreundschaft", damit war Heidi samt Mann nicht mehr "meine Freundin", sondern wir waren zu viert befreundet - und als ich CW verließ habe ich mir große Mühe gegeben, ihm nichts wegzunehmen, was ihm wichtig war und das galt auch für alle Freunde, die genauso seine wie meine waren.
Denn als ich CW verließ hatte ich ja grade meinen neuen allerbesten Freund gefunden. Seitdem ist mein Westfalenmann der beste, wichtigste und zentralste Freund in meinem Leben und weil sich die Muster in meinem Leben durchaus wiederholen, habe ich auch heute noch einfach keinen Bedarf für eine zweite "beste Freundin".
Die einzige Freundschaft, die sich tatsächlich in den letzten 20 Jahren stabil und unerschütterlich immer als verlässliche "Zweitbeziehung" gehalten hat, ist meine Freundschaft zu Barbara. Vielleicht, weil sie einfach nie sauer auf mich war, wenn ich mich nicht gemeldet habe? Ich weiß es nicht, ich weiß nur, dass ich sehr froh bin, sie zu kennen und das Gefühl zu haben, dass ich jederzeit bei ihr anrufen kann, wenn es mir in den Sinn kommt, ohne dass sie erstaunt ist und Sätze sagt wie "Mit einem Anruf von dir habe ich jetzt nicht mehr gerechnet." - Denn das ist meine persönliche Freundschaftserfahrung: Wenn ich mich mal eine längere Zeit (einige Monate oder Jahre) nicht mehr melde, dann ist so eine Freundschaft eben vorbei.
Einige der früheren Freunde haben mich auf Facebook wiedergefunden und kontaktiert, dann freut man sich kurz, sagt "Hallo, wie geht es dir und was hast du die letzten Jahre so getrieben?" und anschließend ist man halt auf Facebook befreundet und fertig. Mehr passiert nicht, denn die gemeinsame Zeit ist Vergangenheit und zum Weiterleben schauen wir alle nach vorne.

Ich finde deshalb nicht, dass alte Freunde die besseren Freunde sind, ich finde, die besten Freunde sind die, die man grade jetzt und in diesem Lebensabschnitt hat - und wenn man sich einsam fühlt, dann muss man sich halt aktiv nach neuen Freunden umsehen, aber prophylaktisch Beziehungen aus der Vergangenheit zu konservieren, bloß um jederzeit einen Freund zu haben, wenn man einen braucht, das finde ich eine entschieden zu niedrige Erwartung an eine Freundschaft
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