anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Montag, 12. September 2022
Das E-Rezept
Auch wenn ich ja regelmäßig über das Neueinrichten von Computern und Handys und anderen Geräten sehr stöhne, so bin ich neuer Technik gegenüber grundsätzlich immer noch sehr aufgeschlossen und begrüße manche Entwicklungen bzw. neue Anwendungen aus dem IT/Softwarebereich sehr, wenn sie offensichtlich zur Lebenserleichterung gedacht sind.

Jede Entwicklung, die Papier spart, finde ich toll.
Bargeld zum Beispiel finde ich komplett überflüssig. Bezahlen über online-Funktionen ist einfach soooo viel bequemer, dass ich immer wieder erstaunt bin, wie langsam sich diese Methode hier in Deutschland durchsetzt.
Lustig finde ich auch die beiden am häufigsten angeführten Gegenargument, nämlich dass es unsicher sei und dass man nicht überall seine Daten hinterlassen will. Beides ist völliger Blödsinn und nur ein Beweis, dass sich die Menschen, die das als Grund anführen, nur sehr oberflächlich mit dem Thema "online banking" befasst haben.
Sicherheit ist längst überhaupt kein Thema mehr, wer einem online Geld klauen kann, der kann es auch in echt aus der Brieftasche klauen, online banking ist mindestens so sicher wie Bargeld, es hängt immer nur davon ab, wie der jeweilige Nutzer damit umgeht.
Datenschutz ist grundsätzlich auch kein Thema, hier sollte man sich nämlich immer fragen, vor wem man seine Daten schützen will und warum. Es gibt für jede Art von Datenschutz geeignete Möglichkeiten seine eigenen Bedürfnisse umzusetzen und grade bargeldloses Bezahlen kann heute sehr gut anonymisiert werden.

Die Langsamkeit, mit der sich bargeldloses Bezahlen in Deutschland durchsetzt, ist in meinen Augen jedoch ein weiterer Hinweis auf die Zurückgebliebenheit der Deutschen insgesamt. Dass wir mal eine führende Industrienation waren und es hier Wohlstand für alle gab, ist ja nun keine Garantie dafür, dass das so bleibt oder dass wir da gar einen Anspruch drauf hätten, ich meine, auf den Wohlstand.
CW hat ja schon vor 20 Jahren beständig über Deutschland und seine fortschrittsverhindernde Bürokratie gewettert, damals fand ich das nervig und übertrieben, damals hatte ich noch ein deutlich besseres Bild von Deutschland und den Deutschen als ich es heute leider als offensichtliche Realität nicht mehr nicht wahrnehmen kann. Seufz.

Ich für meinen Teil brauche im Grunde kein Bargeld mehr.
Da ich ja eine ordnungsgemäße Buchführung auch für die Ausgaben in meinem Privatleben führe, kann ich den Bargeldumsatz, den ich noch tätige, sehr genau beziffern. Dieses Jahr habe ich, Stand heute, exakt 439,25 € in bar bezahlt, das meiste davon auf dem Flohmarkt und an die Friseurin, die keine Karte nimmt. Sehr erfreut habe ich festgestellt, dass es immer häufiger Flohmarktstände gibt, die mit einem großen Schild verkünden, dass man auch per PayPal bezahlen könne, ein bisschen Hoffnung habe ich also doch noch.
98% meiner regelmäßigen Ausgaben (und 100% meiner Einnahmen) laufen also unbar, oder, anders ausgedrückt, irgendwie übers Internet.
Online-Banking ist für mich die einzige Form, in der ich Bankgeschäfte erledige, ich finde das eine ganz großartige Sache und war schon seit Jahren nicht mehr persönlich in einer Bank.

Meine Kommunikation mit allen Banken, mein kompletter Zahlungsverkehr, alles, was Geldanlage, Geldausgabe und Geldverwaltung angeht, läuft über online Banking und ansonsten im Wesentlichen telefonisch. Ab und zu kommen einzelne Bänker zu Besuch, aber nur, weil die immer noch meinen, dass das persönliche Treffen wichtig sei, um ihre Produkte erfolgreicher vermarkten zu können. Ich sehe das nicht so, aber wenn es denn dem Erhalt der Stimmungslage dient, so sei's drum.

Positiv zu bemerken ist auch die mittlerweile akzeptabel funktionierende, elektronische Kommunikation mit dem Finanzamt.
Echtes Papier wird nicht mehr benötigt, 95% meiner Kommunikation läuft elektronisch über Elster, der Rest über Telefon. Das geht ganz hervorragend, weil inzwischen auch sämtliche sonstige Post an das Finanzamt über Elster übermittelt werden kann und wenn es darüber hinaus komplexere Themen gibt, dann besprechen wir das am Telefon.

Was ich ebenfalls schon seit langem nutze, sind die Apps der diversen Krankenkassen, mit denen ich zu tun habe, auch hier finde ich das System ganz enorm komfortabel und bin sehr froh, dass ich schon seit langem keine Belege mehr per Post einreichen muss. Was bei den Mengen an Rechnungen, die ich für den Vater verwalte, richtig viel Arbeit spart.

Arzttermine kann ich auch schon länger online über verschiedene Apps buchen - und jetzt demnächst kommt endlich das E-Rezept.

Ich finde ja, grade das Gesundheitssystem eignet sich ganz hervorragend zur Digitalisierung, dass hier immer noch sehr viel über echtes Papier läuft, ist mal wieder richtig typisch deutsch.
Sicherheitsbedenken und Datenschutz galore.

Jetzt geht es aber auf diesem Sektor voran, das Pilotprojekt E-Rezept läuft an, allerdings zunächst mal nur in Westfalen-Lippe und in Schleswig-Holstein, der Rest Deutschlands hat sich noch erfolgreich dagegen gewehrt.

Für die beteiligten Ärzte und Apotheken ist das E-Rezept auf den ersten Blick ja auch nur zusätzliche Arbeit für die sie kein zusätzliches Geld bekommen.
Warum etwas ändert, wenn es doch bisher auch schon läuft.

Selbstverständlich muss ich solche technischen Neuigkeiten sofort mitmachen, hier kann ich mir nämlich auch sofort selber vorstellen, welchen Bequemlichkeitsgewinn es für mich bedeutet, wenn das Papier endlich abgeschafft wird.
Kein Papierrezept mehr, was in irgendeiner Handtasche verloren geht oder dass ich genau dann nicht dabei habe, wenn ich vor einer Apotheke stehe, kein lästiges zum Arzt gehen, nur weil man ein Verlängerungsrezept braucht und kein hektisches Rezeptfax in die Urlaubsapotheke, weil man seine Medikamente vergessen hat.
Für ein Papierrezept spricht noch weniger als für Bargeld.

Die Freischaltung der App für das E-Rezept war aber genauso umständlich, wie man es von einer in Punkto Neuland offensichtlich rückständigen Bürokratie mit all ihren absurden Sicherheitsvorgaben nicht anders erwarten konnte.

Ich brauchte für die Freischaltung nämlich nicht nur eine NFC-fähige Krankenkassenkarte*, sondern auch eine dazugehörige PIN und die bekommt man nur, wenn man höchstpersönlich und selber in einer Niederlassung der Krankenkasse vor Ort erscheint und um Zusendung der PIN bittet. Ja, richtig gelesen, ich bekomme die PIN nicht vor Ort ausgehändigt, sondern ich muss persönlich mit meinem Personalausweis erscheinen, damit eine PIN per Post an eine Adresse geschickt wird, die nicht auf dem Personalausweis steht. Für meine Krankenkasse wohne ich offiziell in Greven, laut meinem Personalausweis auf Borkum, diese Diskrepanz hat aber niemanden gestört.
*eine neue Krankenkassenkarte konnte ich einfach telefonisch bestellen, da gibt es keine Sicherheitsüberprüfung

Mein Personalausweis ist auch NFC-fähig und ich habe dafür eine PIN, so dass ich mich auch über die Ausweis-App digital im Netz legitimieren kann, um zB mein Rentenkonto abzufragen, diese Art der Freischaltung ist aber für den Antrag auf postalischen Versand der Krankenkassenpin nicht vorgesehen.

Genauso wenig wie das Post-Ident-Verfahren oder das Video-Ident-Verfahren, beides Möglichkeiten mit denen ich mich deutlich einfacher legitimieren könnte, als ausgerechnet über einen persönlichen Besuch in einer Niederlassung meiner Krankenkasse. Ich bin bei der DAK versichert und die sitzt in Münster zB sehr schickimicki in der zentralen Innenstadt und hat natürlich nur arbeitnehmerfreundliche Öffnungszeiten. Also für die Arbeitnehmer bei der DAK freundlich.
Menschen, die nicht selber in der zentralen Innenstadt arbeiten, müssen sich für einen Besuch in ihrer DAK Filiale einen halben Tag Urlaub nehmen, denn Besuche in der Innenstadt von Münster sind nur zu Fuß möglich und wenn man außerhalb arbeitet, reicht eine normale Mittagspause dafür nicht.

Es verwundert also nicht, dass ich letzte Woche, als ich endlich begriffen hatte, dass ich wirklich persönlich in einer Filiale der DAK erscheinen muss*, der erste Mensch war, der dort das Verlangen nach einer PIN für seine Krankenkassenkarte vortrug. Die Mitarbeiterin, die mich freundlich bediente, war zumindest von meinem Anliegen etwas überfordert und holte sich Hilfe von zwei weiteren Kollegen, die zwar auch nicht genau wussten, was zu tun war, die sich aber in der Gruppe sicherer fühlten als alleine.
*ich habe ja bis zum Schluss darauf gehofft, dass der Versand einer neue Krankenkassenkarte auch einen Brief mit der dazugehörigen PIN auslöst, war aber nicht so

Sie scheinen aber alles richtig eingegeben zu haben, denn am Wochenende war der Brief mit der PIN in der Post und ich konnte mich endlich in der der App für das E-Rezept. freischalten.

Eine Freischaltung für die elektronische Gesundheitsakte kurz ePA habe ich bei meinem Besuch bei der DAK auch gleich beantragt. Hierfür gibt es keine zentrale App vom Bundesgesundheitsministerium, sondern hier muss man sich die jeweils passende App von seiner Krankenkasse suchen und die DAK verlangt für die Freischaltung natürlich auch wieder ein persönliches Vorsprechen, kann man aber in einem Termin erledigen.
Ich sehe jetzt also, welche Ärzte alles etwas für irgendwelche Behandlungen an mir oder für mich bei meiner Krankenkasse abgerechnet haben, leider sehe ich immer noch nicht, wie viel sie dafür abgerechnet haben, das fände ich nämlich wirklich interessant, so weiß ich jetzt nur, dass die Laborärztin, die regelmäßig meine Schilddrüsenhormone bestimmt, Dolores mit Vornamen heißt und jetzt weiß ich auch nicht . . .

Um es zusammenzufassen: Ich könnte jetzt ein E-Rezept bekommen, die technischen Voraussetzungen dafür sind auf meiner Seite alle gegeben, jetzt muss ich nur noch einen Arzt finden, der auch elektronische Rezepte ausstellt, aber vielleicht finden sich davon in der näheren Zukunft ja auch ein paar mehr als nur die fünf oder sechs in meinem Umfeld, die die Technik jetzt schon eingeführt haben
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... ¿hierzu was sagen?

 
Ein Argument für Bargeld ist noch, dass ich online viel leichter den Überblick verliere, wo das Geld hinfließt und ob ich noch genug habe.

... ¿noch mehr sagen?  

 
Das Argument höre ich öfter, aber ist es nicht genau andersrum? Im Online Banking habe ich eine stets zugängliche, perfekt präzise und nachvollziehbare Liste.
Wenn ich bar bezahle muss ich zwingend den Bon aufbewahren oder mir eine Notiz machen.

Da ich genau das seit knapp 3 Jahren tue: es ist wirklich sehr anstrengend, ich versuche nach Möglichkeit grade wegen der nachvollziehbarkeit alles aufzuschreiben.

 
Ich meinte damit ja nicht die Bons, sondern was ich im Kopf behalte. Wenn ich Geld in der Hand habe und weggebe, das schmerzt, wenn es oft oder viel ist, und ich merke mir das. Was in Listen steht, vergesse ich sofort - und lese es nur äußerst ungern nach: Wenn ich online Geld verschleudere, kann ich dies viel leichter verdrängen.

 
Ich kenne das Argument auch und habe es lange als richtigen Einwand akzeptiert, bis mir irgendwann auffiel, dass es in den allermeisten Fällen auf Selbstbetrug basiert.
Denn was genau soll denn die (positive) Folge von diesem Überblick sein, den man meint, bei Kartenzahlungen zu verlieren?
Dass man tatsächlich weniger Geld ausgibt, das ist es wohl in den seltensten Fällen.

Mag sein, dass man das hofft, aber wenn man wirklich ehrlich zu sich selber ist, wird man feststellen, dass man immer dann, wenn man gerne etwas kaufen möchte, aber nicht genug Bargeld bei sich hat, dass man in diesen Fällen dann ja doch die Karte benutzt. Denn natürlich besitzt heute jeder mindestens eine EC-Karte und grundsätzlich ist jeder auch in der Lage, damit zu bezahlen - und tut es immer dann, wenn das Bargeld grade alle ist und man nicht stand by um die Ecke einen Geldautomaten findet, um neues zu ziehen.

Und dass man sich im Supermarkt beherrscht, weil man nicht genug Geld im Portemonnaie hat, das gilt für Leute, die genau wissen, dass sie auch auf dem Konto nicht genug Geld haben und dass sie deshalb sowieso und grundsätzlich sehr genau aufpassen müssen beim Geldausgeben.

Aber die Leute, die ich kenne, die immer noch hartnäckig mit Bargeld bezahlen, weil sie meinen, sonst den Überblick verlieren, die haben alle in aller Regel immer ausreichend Bargeld bei sich. Und deshalb bin ich der festen Überzeugung, die betrügen sich einfach selber.

Dass man den Überblick, wie viel Geld man überhaupt so durch allgemeine Einkäufe ausgibt, dadurch behält, dass einem jeder Gang zu einem Geldautomaten deutlich bewusst macht, dass man schon wieder neues Geld braucht - dieses Argument kann ich nachvollziehen, habe aber genau dieses Problem dadurch gelöst, dass ich ein eigenes Konto nur für allgemeine Einkäufe habe, von dem ich meine Alltagsausgaben ausschließlich per Karte bezahle. Und wenn auf diesem Konto das Geld ausgegeben ist, dann muss ich von meinem Gehaltskonto frisches Geld auf das Einkaufskonto überweisen, sozusagen die online Alternative zum Geldautomaten, so dass ich hier exakt den gleichen Überblick und das gleiche Gefühl des "wie, schon wieder alle?" habe, wie ich es auch bei Bargeld hätte.

Und gleichzeitig habe ich noch den von J beschriebenen Effekt, dass ich problemlos auf meinem Einkaufskonto rückwärts scrollen kann und jederzeit sehe, wo ich wie viel ausgegeben habe. Früher, als es nur Bargeld gab, war ich regelmäßig erstaunt, wie schnell es alle war, wenn ich nicht ständig sehr gut aufpasste, hatte aber oft kein Gefühl dafür, wo ich denn das ganze Geld gelassen habe.

 
Ihr System ist sinnvoll, funktioniert aber nur, wenn man sich gelegentlich durch Listen scrollt - und in Ihrem Fall sogar ein extra Konto anlegt. Für einen Menschen mit Ihrem beruflichen Hintergrund mag das selbstverständlich sein. Mir graust vor der Vorstellung, auch noch im Einzelnen nachzulesen, für welchen Blödsinn ich im letzten Monat wie viel Geld ausgegeben habe. Und da ich die Kontoauszüge doch manchmal lesen muss (öfter übernimmt das dankenswerterweise meine Frau), reicht es mir völlig aus, dort die wirklich notwendigen Transaktionen zu lesen. Und ja, bei mir funktioniert das, dass ich deutlich weniger Geld für Schnickschnack oder einen überteuerten Kaffee in Ottensen ausgebe, weil ich sonst schon wieder zum Geldautomaten müsste. Und der Griff zur Karte ist (anders als der Griff ins Portemonnaie) komischerweise immer mit dem Gedanken verbunden: Will ich das jetzt wirklich? So tickt halt jeder anders.