anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Freitag, 25. August 2017
Misanthrop
Auf der Fahrt ins Büro heute Morgen habe ich darüber nachgedacht, warum ich so wenige Menschen wirklich gerne mag und woran es liegt, dass ich fast an allen Leuten, die ich so kenne oder kennenlerne, sehr schnell irgendetwas seltsam oder langweilig oder oft sogar auch abstoßend nervig finde. Tatsächlich gehen mir sehr viele Leute sehr schnell auf die Nerven und die meisten anderen finde ich überwiegend langweilig.
Jetzt kann es daran liegen, dass ich einfach so ein nöckeliger Widerling bin, dass mit mir sowieso keiner auskommen kann. Dann würden aber doch die Leute mir aus dem Weg gehen und ehrlich gesagt habe ich das Gefühl, dass es in den allermeisten Fällen umgekehrt ist, nämlich dass ich den Leuten aus dem Weg gehe, eben weil ich keine Lust habe, mich mit ihnen länger zu beschäftigen.
Es ist auch keine Sozialphobie, die ich habe, denn ich habe weder Angst vor anderen Menschen noch fühle ich mich unwohl oder unsicher in der Gesellschaft anderer Menschen, ich habe nur einfach überhaupt keine Lust, mich mit Leuten zu beschäftigen, mit denen ich nichts anfangen kann.
Klar kann ich höfliche Smalltalk Floskeln austauschen, ich kann das sogar ziemlich gut, ich frage mich dann nur immer, warum man das tut. Insbesondere frage ich mich, warum ich das tue, denn ich habe dabei eigentlich immer das Gefühl, das ist komplett verschwendete Lebenszeit.
Und je älter ich werde, umso rigoroser werde ich bei der Auswahl der Freizeitbeschäftigungen. Private Einladungen zu Geburtstagen, Hochzeiten, Taufen oder ähnlichen Veranstaltungen lehne ich schon seit Jahren fast durchgängig konsequent ab. Ich habe längst gelernt, dass ich für "fröhliche Feiern" schlicht der falsche Mensch bin. Ich langweile mich üblicherweise ruckzuck, davon bekomme ich dann schlechte Laune, die mich wiederum dazu treibt, andere zu provozieren, die das dann meistens nicht wechseln können. Ein Teufelskreis, den ich am einfachsten dadurch vermeiden kann, dass ich gar nicht erst hingehe.

Und trotzdem frage ich mich, wie es kommt, dass die Masse der Leute so fröhliche Feiern ganz toll findet und sich nach eigenem Bekunden auch wirklich gut amüsiert.
Was bitte ist daran witzig, sich Onkel Egons alberne Witze zum 37. mal anzuhören? Und Tante Erna, die lang und breit von ihrer Hüfte OP und den Bekanntschaften aus der anschließenden Reha erzählt. Ich meine, wer will das wirklich wissen?
Dann ist da noch der wilde Willi, der ständig anzügliche Bemerkungen gemacht und alle Mädchen in Hintern kneift. Willi ist über 70, war aber in seiner Jugend ein ganz wilder.
Cousin Robert hat seinen Nachwuchs mitgebracht, die Tochter macht irgendetwas mit Medien und sieht dementsprechend dümmlich hipstermäßig aus, der Sohn macht gerade ein Praktikum bei einer Investmentbank in London und hat nur durch Zufall mal 24 Stunden frei bekommen weil er vorher 60 Stunden durchgearbeitet hat.
Alle amüsieren sich prächtig und unterhalten sich gut. Nur ich, ich habe das Gefühl, meiner eigenen Lebenszeit beim Verrinnen zuzuschauen und entwickle ein großes Verständnis für jeden Amokläufer. Überhaupt, Amokläufer, mich wundert regelmäßig, dass es davon nicht viel viel viel mehr gibt.

Aber vielleicht bin ich auch nur ein äußerst seltener Einzelfall eines miesepetrigen Misanthropen, mit fehlendem Verständnis für die wahren Werte im Leben
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Ich kann jedes Wort nachfühlen wie am eigenen Leib und (ich komplettiere den Satz mit dem hässlichsten aller Wörter:) nachvollziehen.

Zum Beispiel um von den Freaks beim Klassentreffen keinen zu ermorden, habe ich vorher einen buddhistischen Tempel besucht und sicherheitshalber auch auf die Bibel geschworen.

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angeborene menschliche Verhaltensweise
Das ist eine angeborene menschliche Verhaltensweise. Es betrifft einen kleinen Teil der Menschen, die Psychologen ordenen diese Menschen in bestimmte Gruppen und bennenen das mit einem Namen, den ich nicht kenne ;)

Ich habe da eine Theorie (mir selber ausgedacht), mit der ich derartiges Verhalten begründe. Das ist ein Relikt aus der Steinzeit. Der Steinzeit-Mensch hatte seine Familie und Sippe ständig um sich. Wenn da jemand Fremder aufgetaucht ist, hat das nichts Gutes bedeutet. Daher kommt die Ablehnung von Personen, die nicht unmittelbar der eigenen Kleingruppe angehören.

 
Das Wort, das Ihnen nicht einfällt, heißt Küchenpsychologie.

 
>>Zum Beispiel um von den Freaks beim Klassentreffen keinen zu ermorden, habe ich vorher einen buddhistischen Tempel besucht und sicherheitshalber auch auf die Bibel geschworen.<<

Hat ja jeder so seine Tricks, wenigstens nach außen die Form zu wahren, soweit es geht (und ich wundere mich regelmäßig über mich selber, zu welch grandiosen schauspielerischen Leistungen ich fähig bin, wenn ich nur will), aber Ihre Beruhigungsmethode mit Buddha und Bibel, die würde bei mir komplett ins Gegenteil umschlagen und alles nur noch schlimmer machen. Auf Religionsvorschriften jeder Art, also egal ob christlich, hinduistisch oder vegan reagiere ich derart zwanghaft aggressiv, dass Herr Pawlow noch nicht mal läuten müsste.

 
Um sich selbst dem Ommm zu nähern, darf man alle Register ziehen. Immerhin rettet es Menschenleben. :-)
Funktioniert wie Essbesteck, manchmal isst man nicht mit den Fingern, manchmal sind Messer, Gabel, Löffel hilfreich, ohne dass diese Werkzeuge einem Vorschriften machen.

 
Bei solchen Gelegenheiten
fällt mir spontan ein Gedicht von Goethe ein. Nicht, dass ich ein stille Gelehrter bin, bewahre - aber es ist trotzdem ungemein treffend:

Aus einer großen Gesellschaft heraus
ging einst ein stiller Gelehrter nach Haus.
Man fragte: Wie seid Ihr zufrieden gewesen?
"Wären's Bücher", sagt' er, "ich würd' sie nicht lesen."

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Goethe? Da holen mich meine Bildungslücken mal wieder grandios ein. Aber ein enorm treffendes Gedicht, das ich ansonsten bedenkenlos Herrn Ringelnatz untergeschoben hätte. Vielen Dank.
Es zeigt aber auch, dass meine nörgelige Misanthropie kein allzu neues und vor allem kein komplett unbekanntes Leiden ist, das tröstet dann ja schon wieder.

Offen bleibt die Frage, was die Mehrzahl der Menschen immer wieder auf solche Feiern zieht.