anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Donnerstag, 3. Dezember 2020
Die Sache mit der Rosinenpickerei
Ich muss da noch was ergänzen zu dem, was mir da gestern spontan rausgerutscht ist.

Ich weiß, dass ich von Menschen, die sich für Feminismus einsetzen, entweder als Nestbeschmutzer" (die aggressive Variante) oder als Profiteur (die abwertende Variante) bezeichnet werde, weshalb ich eigentlich nur sehr ungern meine Meinung zum modernen Feminismus äußere. Im Grunde kann ich vorher schon sicher sein, dass die Menschen, die mir persönlich wichtig sind, meine Meinung ablehnen und mich innerlich mit vielen Minuspunkten belegen, eben weil es so ungemein political incorrect ist, sich negativ zu Frauenthemen und Gendervielfalt in allen Variationen zu äußern. Das gehört sich nicht, schon gar nicht für eine Frau. Einen Mann kann man ja wenigstens noch in die Ecke "alter, weißer Mann" stecken und dort einsam und verachtet sterben lassen, aber was macht man mit einer Frau?
Unsolidarisch ist da ja wohl noch die harmloseste Beschimpfung.

Ich bevorzuge wenn, dann aber lieber den Begriff "Profiteur", denn der stimmt wenigstens.
Ich habe mein ganzes Leben massiv davon profitiert, dass ich eine Frau bin und dass die Gesellschaft meint, Frauen müssen besonders unterstützt werden.
Ich habe die Gesetze nicht gemacht, ich habe aber gelernt, sie für mich positiv zu nutzen.

Weil ich als Frau fest davon überzeugt war, dass ich mich nur verschlechtern könnte, wenn ich heirate, war ich formal immer eine alleinerziehende Mutter von drei Kindern und wenn irgendwelche Randgruppen hier in Deutschland vom Gesetzgeber bevorzugt behandelt werden, dann sind es alleinerziehende Mütter (oder waren? ich habe keine Ahnung, wie das heute ist, aber in den 90ern war es auf alle Fälle ein großer Vorteil). Meine Kinder bekamen problemlos einen Kitaplatz bevor sie ein Jahr alt waren, als Bemessungsgrundlage für die Kitagebühren galt nur mein Einkommen.
Als sie in die Schule kamen, bekamen sie sofort einen Platz in der Hortgruppe bzw. in der Ganztagsbetreuung. Bei der Bewerbung um einen der begehrten Plätze in der Montessorischule wurden Kinder von alleinerziehenden Müttern ebenfalls bevorzugt und wenn es was zu unterschreiben gab, empfand ich es grundsätzlich als großen Vorteil, dass ich das alleine konnte und nicht umständlich die Unterschrift des Vaters auch erst noch einsammeln musste.

Umgekehrt war es für mich an keiner Stelle hinderlich, dass es keinen Trauschein gab, denn es gab ja den Vater der Kinder, wir lebten ein ganz normales Familienleben und ich glaube, dass die allerwenigstens Leute überhaupt wussten, dass wir nicht verheiratet waren. Im Alltag war das auch an keiner Stelle ein Problem und im Behördenumgang war es eindeutig ein Vorteil.

Steuerlich hatten wir den Sachverhalt auch optimiert - ich war beim Vater der Kinder angestellt und verdiente dort grade genau so viel, um das System optimal auszupendeln.
Dass sich eine Ehe schon aus steuerlichen Gründen lohnt, ist auch so ein modernes Stadtmärchen. Wenn man seine Abgaben wirklich optimieren will, geht es ohne Trauschein definitiv besser. (Und ich kann das so sagen, denn genau das ist mein Beruf)

Beruflich habe ich ebenfalls sehr davon profitiert, eine Frau zu sein, denn erstens gibt es in meinem Beruf viel zu wenig Frauen, so dass ich es sehr angenehm fand, ohne große Anstrengung überall sofort und spontan als willkommene Quotenfrau angenommen zu werden und mit meinem Gewissen bzw. meinem moralischem Anspruch konnte ich das auch stets vereinbaren, weil ich zum Glück über ein gesundes Selbstbewusstsein verfüge und nie Sorge hatte, ich hätte mir da eine Position erschlichen, die zu groß für mich ist. Ich empfand es einfach nur als bequemen Vorteil, dass ich dafür nicht boxen musste.
Den größten Vorteil hatte ich aber stets, wenn ich beruflich mit echten, typischen Machos zu tun hatte, die sich selber als die Krone der Schöpfung betrachteten und eine Frau eben nur als eine Frau. Ich meine, das ist doch genial, wenn man derart unterschätzt wird, mehr Vorteil kann man sich kaum denken.
Und selbstverständlich fand ich es ganz prima, eine heikle Betriebsprüfung dadurch erfolgreich für den Mandanten zu retten, dass ich in einem superkurzen Rock erschien und dem Betriebsprüfer erfolgreich einredete, dass ein gemeinsames Mittagessen wichtiger ist, als noch die letzten drei Akten penibel durchzusehen.

Ich habe auch mal eine Wette mit einem Freund gewonnen, wer von uns beiden schneller einen Autoreifen wechseln kann. Ich hielt kurzerhand den nächsten Brummifahrer an, der sich sehr kooperativ zeigte und mir gerne half, meine Wette zu gewinnen...

Insgesamt kann ich von mir und meinem Leben nur sagen, dass ich mich an keine Situation erinnere, wo ich mich benachteiligt gefühlt hätte, nur weil ich eine Frau war. Oder doch, einmal Silvester, als die Jungs alle gemeinsam grölend versuchten, die Marseillaise in Schnee zu pinkeln und ich nicht mitmachen konnte. Aber ich glaube, hier wäre ich auch mit modernen Gendertechniken nicht weitergekommen.
Umgekehrt hatte ich aber sehr oft das Gefühl, dass es schon eine arge Rosinenpickerei ist, wie ich mir mein Leben gestaltet habe - aber dann sagte ich mir stets, dass ich weder die Regeln der Gesellschaft noch die Gesetze und Bürokratievorgaben so gemacht hatte wie sie sich entwickelt haben, ich habe einfach nur davon profitiert, dass es vor mir schon einige Generationen von Frauen gegeben hatte, die sich sehr hartnäckig ihre Gleichberechtigung erkämpft hatten - und diesen Frauenrechtlern bin ich auch wirklich dankbar dafür.

Ich denke aber auch, dass dieser Kampf längst erfolgreich erledigt ist. Was geblieben ist, sind ein paar seltsame alte, weiße Männer, die im Wesentlich aber auf einer schmelzenden Eisscholle in den nahen Tod treiben und jede Menge Pflichten und Vorgaben, was die formale Gleichberechtigung in einer Beziehung angeht. Das ist schon heute alles nicht mehr so bequem wie noch vor 30 Jahren, als das Rosinenpicken für eine Frau wirklich extrem einfach war, alles in allem bin ich sehr froh, dass ich meine Schäfchen heute im Wesentlichen im Trockenen habe.

Das einzige, was es meiner Meinung nach dafür brauchte, war eine realistische Selbsteinschätzung kombiniert mit einem gelassenen Selbstbewusstsein und eine große Portion "common sense".

Natürlich ist mir in meinem Leben nicht immer alles gelungen, natürlich bin ich an einigen Stellen gescheitert, ausgebremst worden oder auf die Schnauze gefallen, aber der einzige Grund, der mir nie als Ausrede für mein eigenes Versagen eingefallen wäre, wäre ein Hinweis auf mein Geschlecht. "Die haben mich nicht genommen, weil ich eine Frau bin."
ist so ziemlich der letzte Satz, der mir je als Begründung eingefallen wäre. Ich fand es dagegen ganz normal festzustellen "Die haben mich nicht genommen, weil ich nicht in ihr System passe."
Denn das kann ja nun wirklich sein, dass es außer der rein fachlichen Qualifikation, die man meint, aus Zeugnisnoten ablesen zu können, darüber hinaus auch noch eine menschliche Qualifikation gibt und wenn ich da nicht genüge, dann liegt es daran, dass ich bin wie ich bin und wenn mein Typ nicht zu dem gewünschten Profil passt, ja nun, dann ist das eben so.
Ich finde es völlig legitim, dass sich nicht immer und überall alle Menschen gleichmäßig sympathisch sind.

Zusammenfassung:
Ich finde, der Feminismus hat in den letzten 100 Jahren ganz wichtige Dinge erreicht und verändert, ich bin aber auch der Meinung, nu ist gut. Es gibt nichts mehr zu verbessern, jede Frau, die gerne möchte, kann tun und lassen, was sie will, das ist für mich das, was wirklich zählt.
Mir ist gleichzeitig bewusst, dass längst nicht jede Frau "will", d.h. der heutige Feminismus kämpft nicht mehr für die Rechte der Frau, sondern für die Unbequemlichkeiten der Frau, denn Dinge zu wollen bedeutet leider gleichzeitig auch, aktiv zu sein, Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen.
Es mag sein, dass es viele Menschen gibt, die das wichtig finden und spaßigerweise gibt es auch zunehmend Männer, die das unterstützen, was ich wiederum sehr gut verstehen kann. Wenn ich Mann wär, wäre ich auch Feminist, ist doch sonst blöd, wenn es kaum Frauen gibt, die mit anpacken.

Ich bin aber kein Mann und ich kann es nicht leiden, anderen vorzuschreiben, was sie zu denken, zu meinen oder zu tun haben. Ich finde den modernen Feminismus deshalb ungemein übergriffig - aber ich bin zum Glück auch alt genug, dass es mir eigentlich auch wieder komplett egal sein kann.
Macht doch, was ihr wollt und von mir aus vergendert eure Sprache, wenn's schee macht, ich bin dabei einfach nur raus
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