anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Dienstag, 10. März 2020
Dann habe ich halt auch geheult, das fiel am wenigsten auf.
Neue Woche, neues Spiel, neues Glück.
Irgendwie habe ich das Gefühl, dass diese Woche gut werden wird, wobei ich nicht sagen kann, woran ich das festmache, ist eben einfach nur so ein Gefühl.

Die Fakten sprechen allerdings erst mal dagegen: Der gesamte Coronakram wird immer schlimmer statt das nun mal langsam gut ist. Ich merke, wie ich mich selber auch immer mehr von der allgemeinen Hysterie anstecken lasse, in gewisser Weise lässt sich das gar nicht vermeiden. Alle sind bekloppt, da macht man halt mit, damit man nicht so auffällt.

Erinnert mich ein bisschen an Cs Verhalten als sie in der dritten Klasse war und einer ihrer Klassenkameraden einen tödlichen Unfall hatte. Schule und Eltern machten einen dicken Wirbel darum, in welcher Form diese entsetzliche Nachricht an die Kinder weitergegeben werden könne. Es gab eine Telefonkette (das war alles in den Zeiten vor Whatsapp-Gruppen), d.h. ich wurde von einer Mutter vor mir angerufen und umfassend informiert und musste dann die Familie nach mir auf der Liste meinerseits entsprechend informieren.
Die Lehrerin, die die Telefonkette angestoßen hatte, hatte dabei schon an alle Eventualitäten gedacht, d.h. ich erhielt nicht nur die nackten Infos, dass das Kind eben verunglückt ist, sondern auch eine detaillierte Schilderung wie und warum und wie jetzt damit umzugehen sei, welche Möglichkeiten es gäbe, diese Information an mein eigenes Kind weiterzugeben und dass die Eltern morgen auch gerne mit in die Klasse kommen können, wenn sie ihre Kindern in so einer Situation nicht allein gehen lassen wollten.

Ich habe die Dramatik der Situation zunächst gar nicht begriffen, denn ich fand das natürlich für die Eltern des verunfallten Kindes ganz schrecklich*, aber wo sollte das Problem für mein Kind sein? Die zwei kannten sich doch wirklich nur deshalb, weil sie gemeinsam in eine Klasse gingen.

*Für die Eltern war das sogar ganz besonders schrecklich, weil noch eine spezielle Geschichte dahinter stand: Die Eltern hatten nämlich viele, viele Jahre vergeblich versucht, ein Kind zu bekommen und schließlich, als die Frau schon über 40 war, glückte es dann doch mit der xten in vitro fertilisation und sie bekamen auf den letzten Drücker doch noch ihr Wunschkind. Die langen Jahre des verzweifelten Kindermachens hatten aber wohl die Ehe sehr belastet, auf alle Fälle ließen sie sich scheiden als das Kind sechs war und begannen dann einen Rosenkrieg um das Kind. Die Frau versuchte verzweifelt, dem Vater den Umgang mit seinem Sohn zu verbieten, weil er ihrer Meinung nach nicht gut genug auf das Kind aufpasste. Es gelang ihr aber nicht, der Vater erkämpfte sich ein zweiwöchiges Umgangsrecht und war an einem dieser Wochenenden mit dem Sohn in die Eifel zum Ski- und Schlittenfahren gefahren. Und dort passierte dann der Unfall, das Kind wurde von einer Schneeraupe überfahren. - Ich habe gar keine Worte dafür, wie gruselig ich diese Geschichte für die betroffenen Eltern finde, aber meine Tochter wusste von dem alles nichts und hatte auch nichts damit zu tun.

Ich habe also erst meinen Telefonkettenjob erledigt und die nächste Familie informiert und bin dann zu meiner Tochter gegangen, wo sich folgender Dialog ergab:
A: Sag mal C, du kennst doch den Johannes, nicht wahr?
C: Ne, ich kenne keinen Johannes.
A: Doch, den Johannes Müller, der ist doch bei dir in der Klasse.
C: Ja? Wenn du das sagst. - Nachdenken, dann: Ach, du meinst den Jojo, ja, den kenne ich.
A: Also, das ist so, der Jojo hatte einen Unfall und wird jetzt nicht mehr in deine Klasse kommen.
C: Okay.
A: Genau genommen wird er nirgendwohin mehr gehen, der ist bei dem Unfall nämlich gestorben.
C: Du meinst, der ist tot?
A: Ja, der Jojo ist tot.
C: Cool, dann kenne ich ja jetzt eine Leiche. - Nachdenken, dann: Das ist bestimmt ganz schrecklich für seine Mutter, die macht immer ein fürchterliches Theater um den Jojo, deshalb mag den auch keiner, weil der nix mitmachen kann. Aber vielleicht ist das für ihn jetzt auch besser so.
A: Die machen morgen in der Schule eine Trauerfeier für den Jojo und wenn Du willst, gehe ich da mit dir hin, dann musst du da nicht alleine sein.
C: Was willst du denn da? Du kanntest den doch nun wirklich nicht. Ne, da musst du nicht mitkommen.

Also habe ich sie am nächsten Tag alleine in die Schule geschickt.

Als ich sie am Nachmittag abholte und fragte, wie es denn nun gewesen sei, sagte sie, dass schon ganz viele Leute da waren, als sie in die Klasse kam, vor allem waren fast alle Eltern dabei und alle hätten geheult.
Ich wollte natürlich wissen, was sie dann gemacht hat, und ihre Antwort war: Na, da habe ich auch geheult, das fällt doch am wenigsten auf.

Mich hat das Kind damals enorm beeindruckt, weil sie völlig entspannt und trotzdem ausreichend empathisch damit umging, denn dass das für Mutter des Kindes ganz bestimmt eine schreckliche Sache ist, das hat sie sofort erkannt. Dass sie selber betroffen sein könnte fiel ihr allerdings nicht ein, weil: weshalb? Sie kannte diesen Jojo eben wirklich nur, weil er in ihre Klasse ging und sie schien ihn nicht sehr geschätzt zu haben. Weshalb sollte es deshalb ein Problem für sie sein, dass er nun tot ist? Dabei hatten wir uns in der Familie noch nie über Tod und Sterben unterhalten, es war noch niemand gestorben in unserem Umfeld, so dass das Thema einfach noch nicht vorgekommen war.
Als sie aber begriff, dass plötzlich alle ein dickes Drama darum machten und heulten wie die Schlosshunde, nun, da hat sie eben auch geheult. Perfekt sozialisiert.

So ein bisschen geht mir das jetzt so mit Corona. Wenn sich alle aufregen, nun, dann rege ich mich halt auch auf, das muss jetzt so, scheint's.

Und trotzdem habe ich das Gefühl, die Woche wird gut. Vielleicht weil ich davon ausgehe, dass es am Ende der Woche nicht mehr so schlimm ist wie grade im Moment noch?
Ich weiß es nicht, aber irgendetwas in mir ist positiv gestimmt.
Dabei sind die Börsen heute derart radikal eingebrochen, wie seit der Finanzkrise nicht mehr, mittlerweile sind alle Positionen derart böse im Minus, dass ich schon gar nicht mehr hinschauen mag, weil mich die riesengroßen roten Zahlen nur verschrecken, aber vielleicht denke ich mir auch hier: Es kann doch eigentlich nur noch besser werden, denn für noch schlimmer ist kaum noch Platz.

Nun, wir werden sehen, aber irgendwie finde ich diesen Börseneinbruch schon fast wieder positiv, denn es hing natürlich in der Luft, dass es nicht auf ewig so weitergehen konnte mit den steigenden Börsenkursen. Jetzt ist es passiert, alles wieder auf Anfang, irgendwann (hoffentlich jetzt ziemlich bald) sind wir damit durch, dann starten wir wieder bei den Tiefstwerten in der Finanzkrise und ab dann geht es stress- und sorgenfrei und sicherlich langsam, dafür aber entspannt bergauf. Wenn so ein dräuendes Unheil endlich passiert ist, ist danach wenigstens die Luft gereinigt
.

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