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Dienstag, 15. März 2016
Schönheit kann man lernen
anje, 20:59h
Als Kind war ich immer die Größte in der Klasse und meist auch die Dünnste. Nur Dani war dünner, aber die zählte nicht, die war magersüchtig und deshalb nicht ernstzunehmen.
Außerdem hatte ich Sommersprossen, struppige Haare, schiefe Zähne, X-Beine und selbst genähte oder sogar selbst gestrickte Hosen und Röcke. Insgesamt fühlte ich mich damit immer ziemlich weit weg von chic oder sexy und so blieb mir als Stilrichtung nur „cool“ oder „lässig“.
Meine Kleidung war fast komplett selbstgemacht – und meine Mutter behauptete, ich müsse nur sagen, das wäre jetzt hochmodern und dann würden morgen alle so rumlaufen.
Leider klappte das nicht so gut wie gewünscht. Vielleicht nur deshalb nicht, weil die anderen nicht wussten, wie sie an selbstgenähte Jeanshosen mit einer gerüschten Hosenbeinverlängerung aus rotweißkariertem Stoff kommen sollten, denn mit solch kreativen Modeteilen versuchte ich verzweifelt meine Lässigkeit zu demonstrieren. Vielleicht klappte es aber auch nur deshalb nicht, weil ich mich selber weder cool noch lässig fand, sondern eher ungelenk und trampelig.
Ich weiß noch, dass ich damals mit einer Mischung aus Hoffnung, Trotz und Fatalismus sehr standhaft behauptete, ich fände diese Hosen toll, was blieb mir schließlich anderes übrig.
Geld war knapp, denn von dem Grundschullehrergehalt meines Vaters musste nicht nur seine fünfköpfige Familie ernährt, sondern auch das neugebaute Einfamilienhaus auf seiner Heimatinsel Borkum abbezahlt werden. Auf Borkum waren wir aber nur in den Ferien, denn da es auf der Insel (bis heute) kein Gymnasium gab, hatte mein Vater eine Lehrerstelle in Meerbusch angenommen, um seine Kinder nicht aufs Internat schicken zu müssen. (Dass wir alle Abitur machen werden, stand natürlich schon vor unserer Geburt fest, schließlich waren beide ElternLehrer Akademiker, da sind die Kinder angeboren klug.)
Meine Mutter mühte sich redlich, mich nicht nur irgendwie zu kleiden, sondern vor allem auch dafür zu sorgen, dass sich kein rheinischer Akzent in meine Aussprache schlich. Wenn ich se ärjern will, dann mussisch heute nur janz kurz so tun, als würd isch jetzt immer so reden, dann brichtse zusammen.
Am preiswertesten kleidete man die Kinder in Selbstgemachtes, also strickte, nähte und häkelte sie meine Garderobe, dabei tatkräftig von ihrer Mutter und ihrer Schwester unterstützt. Doch trotz selbstgefertigter Maßkleidung, hatten meine Hosen eigentlich immer Hochwasser, denn knapp war die Hose fertig, war ich auch schon wieder gewachsen.
In meiner Erinnerung war ich immer hässlich. Aus meiner Sicht und im Vergleich zu meinen Klassenkameradinnen. Die hatten nicht nur eine viel angemessenere Größe, sondern auch beneidenswerte Rundungen und dazu noch richtige Kleidung, aus einem Laden, gekauft. Teufel, was war ich darauf neidisch.
Ich dagegen hatte einen gehäkelten Bikini (okay, ein gekaufter hätte eh nicht gepasst, weil es keine Oberteile ohne Abnäher zu kaufen gab, ich aber nichts hatte, was die Abnäher hätte füllen können), eine Zahnspange, X-Beine und Sommersprossen. Schön geht anders, das war mal klar!
Auch auf „gesellschaftlicher“ Ebene war es für mich schwierig dazuzugehören, da schon alle meine Herkunftszeichen auf „anders“ ausgelegt waren. Meinen evangelischen Eltern, als Lehrer ins tiefkatholische Rheinland versetzt, gelang es nicht, ihre Tochter in dem einzigen Kindergarten des Dorfes anzumelden, denn das war ein katholischer und die nahmen keine Ketzer. Später, auf dem Gymnasium, war zwar die Religion egal, dafür zählten plötzlich andere „Werte“. So kamen die allermeisten Kinder aus einem „wohlsituierten“ Elternhaus, in Meerbusch war schon damals das Durchschnittseinkommen der Bevölkerung eher höher. Das meiner Eltern leider nicht.
Als ich in die Schule kam war das einzige Mädchen, das ich kannte, die Tochter des Pastors. Hannelore. Ich glaube, Hannelore hatte es absolut noch schwerer als ich, denn sie hatte noch nicht mal meine rebellischen Gene, sie duckte sich einfach und versuchte, soweit es ging, es allen recht zu machen. Ich dagegen war eigentlich von jeher auf Widerstand gebürstet und ständig damit beschäftigt, mir meine gefühlte Außenseiterrolle schön zu reden.
So habe ich mich früh darauf verlegt, wenn nicht schön, dann wenigstens klug und vor allem schlagfertig und witzig und anders zu sein. „Sprache“ stand in meinem Elternhaus ja sowieso ganz weit oben, da war es ein Leichtes, diesen Schwerpunkt intensiv auszubauen und generell „anders“ zu sein, fällt nicht schwer, wenn die Trauben eh so sauer sind.
Deshalb war das mit den Jungs natürlich auch kompliziert. 16jährige Jungs finden es nicht sehr anziehend, wenn ein Mädchen nicht nur 10cm größer ist als sie, sondern auch verbal so kratzbürstig, dass sie kaum etwas sagen konnten, ohne sich eine schnippische Bemerkung dazu einzufangen.
Einigermaßen beliebt war ich allerdings bei den älteren Jungs bzw. Männern. (Für eine 16jährige sind 25jährige Männer.) Die fanden es wahrscheinlich ganz angenehm, dass ich nicht das klassische Mädchengegiggel drauf hatte und auch durchaus kräftige Zoten selber erzählen konnte.
Im Ergebnis ist mir dabei entgangen, dass mein Körper irgendwann begonnen hatte, sich von einer klapprigen Bohnenstange zu einer durchaus akzeptablen Figur zu entwickeln, dass Zahnspange und Schuheinlagen das Schlimmste zurechtgebogen hatten und dass Sommersprossen in Mode kamen.
Mit 19 traf ich dann Bene.
Benedikt, der Schwarm aller Mädels aus meinem Umfeld, supercool, superreich und supererfolgreich. Wenn Bene eine wollte, dann bekam er sie. Da ich aber längst auf „grundsätzlich anders“ abonniert war, war ich gegen Bene immun, schon deshalb, weil ich überhaupt keine Erfahrung im Flirten hatte und schlicht nicht wusste, was das ist oder wie das geht und deshalb natürlich auch auf keines der klassischen Flirtmerkmale reagierte oder selber welche aussendete.
Überhaupt war Bene unerreichbar für mich. Wenn schon die obercoole, traumschöne und ebenfalls superreiche Miriam ihn nicht kriegen konnte (und die wollte ihn wirklich, sie hat sich gewaltig Mühe gegeben), da brauchte ich gar nicht erst darüber nachzudenken, was wäre wenn. Ich mache mich doch nicht lächerlich.
Aber Bene fand mich gut, denn Bene war Fotograf und suchte „Models mit Eigenleben“ wie er es formulierte.
Was Bene wirklich an mir fand, weiß ich bis heute nicht. Vielleicht reizte ihn tatsächlich das „andere“. Ich denke, ich war für ihn eine ganz neue Herausforderung, auf alle Fälle hat er sich richtig Mühe gegeben. Wir führten stundenlange Gespräche und Bene erklärte mir die Welt der Schönen und Reichen. Und bestätigte mir immer wieder, dass ich absolut Chancen hätte, genau in dieser Welt mitzuspielen. Um mir das zu beweisen, finanzierte er mir eine komplette Mannequinausbildung, in der ich nicht nur lernte, auf hohen Schuhen über den Catwalk zustöckeln schweben, sondern auch eine umfassende Schminkausbildung mit allen Tricks der Maskenbildner bekam. Die Kosten dieser Ausbildung konnte ich aus den Gagen der ersten Engagements zurückzahlen.
Gelernt habe ich in diesem Kurs vor allem, dass jeder schön sein kann. Dass wahre Schönheit tatsächlich von innen kommt, „Ausstrahlung“ heißt und aus Haltung besteht - und dass man mit MakeUp und Camouflagecreme fast alle optischen Mängel einfach überdecken kann.
Nie vergessen werde ich dann meine erste Nacht mit Bene: Ich kam vom Kurs, wo wir an diesem Tag das große Bühnenmakeup geübt und aufgetragen hatten, wir trafen uns in einer Bar auf der Kö und als ich dort ankam, drehten sich tatsächlich alle Männer nach mir um und ich merkte, wie sekundenlang die Gespräche stockten, als ich vorbeilief. Bene begrüßte mich mit einer Umarmung und einem Küsschen und war sichtlich zufrieden, mit mir angeben zu können. Als er mich fragte, ob ich bei ihm übernachten wollte, sagte ich ja und dachte mir gleichzeitig: „So ist das also. So lebt es sich, wenn man plötzlich schön ist.“
Der Rest der Nacht verlief wie solche Nächte eben verlaufen – wirklich eingeprägt hat sich mir aber die Szene, wo Bene mich am nächsten Morgen (abgeschminkt!) plötzlich auf Armeslänge von sich hielt, mir langsam die Haare nach hinten strich und sagte: „Wie schön du bist.“
Von da an habe ich es geglaubt, zumindest habe ich von da an gewusst, dass ich mein Äußeres akzeptieren kann, dass ich es sogar nutzbringend einsetzen kann und dass es keinen Grund für mich gibt, mich optisch irgendwie minderbemittelt zu fühlen.
Ich habe dann immer mal wieder einen Ausflug in die Welt der Schönen und Reichen gemacht, es machte ja auch gewaltig Spaß, meine neu entdeckte Schönheit spazieren zu führen. Aber je sicherer ich mich auf diesem Parkett bewegte, umso langweiliger wurde es auch mit der Zeit. Es ist ganz hübsch, schön zu sein, es ist aber auch entsetzlich langweilig, wenn man darauf reduziert wird. Und in diesem Zusammenhang machte ich dann eine ungewöhnliche Entdeckung: Als einigermaßen gutaussehende Frau habe ich viel mehr Freiheiten und Möglichkeiten als jeder Mann, denn natürlich habe ich meine über Jahre trainierte Frechheit samt Kodderschnauze nicht mehr abgelegt, im Gegenteil, jetzt war sie plötzlich ein wirklich wertvoller USP.
Heute bin ich in einem Alter, wo sich die Äußerlichkeiten von ganz alleine relativieren, aber Haltung und Ausstrahlung wirken mit 52 genauso wie mit 25, insofern ertrage ich die sichtbaren Zeichen des Alterns noch mit einiger Fassung, verliere aber auch zunehmend das Interesse an aufwendigen "Herrichtereien".
Insgesamt nimmt mein Stylingengagement mit jedem Jahr mehr ab. Morgens fürs Büro vielleicht noch ein bisschen, je nach Terminlage auch mal ein bisschen mehr (was bedeutet, ich benutze dann auch Mascara und Foundation, was mir für normale Bürotage schon zu lästig ist), aber an reinen Privattagen habe ich mittlerweile fast gar keine Lust mehr dazu.
Wenn wir früher unseren Kleiderschrank sortierten, dann wurden viele Teile mit dem Kommentar: „Ach, für Borkum ist das noch gut genug.“ zur Seite gelegt und auf die Insel exportiert. Vielleicht gefällt es mir deshalb so gut, dort die wesentliche Zeit meiner Freizeit zu verbringen, denn dort gelten grundsätzlich andere Regeln und Anforderungen an Aussehen und Schönheit.
Heute bin ich mit meinem Aussehen soweit zufrieden, dass ich denke, für Borkum ist es gut genug - und auf dem Festland entziehe ich mich dem Stress immer öfter durch Fernbleiben von offiziellen Veranstaltungen
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Außerdem hatte ich Sommersprossen, struppige Haare, schiefe Zähne, X-Beine und selbst genähte oder sogar selbst gestrickte Hosen und Röcke. Insgesamt fühlte ich mich damit immer ziemlich weit weg von chic oder sexy und so blieb mir als Stilrichtung nur „cool“ oder „lässig“.
Meine Kleidung war fast komplett selbstgemacht – und meine Mutter behauptete, ich müsse nur sagen, das wäre jetzt hochmodern und dann würden morgen alle so rumlaufen.
Leider klappte das nicht so gut wie gewünscht. Vielleicht nur deshalb nicht, weil die anderen nicht wussten, wie sie an selbstgenähte Jeanshosen mit einer gerüschten Hosenbeinverlängerung aus rotweißkariertem Stoff kommen sollten, denn mit solch kreativen Modeteilen versuchte ich verzweifelt meine Lässigkeit zu demonstrieren. Vielleicht klappte es aber auch nur deshalb nicht, weil ich mich selber weder cool noch lässig fand, sondern eher ungelenk und trampelig.
Ich weiß noch, dass ich damals mit einer Mischung aus Hoffnung, Trotz und Fatalismus sehr standhaft behauptete, ich fände diese Hosen toll, was blieb mir schließlich anderes übrig.
Geld war knapp, denn von dem Grundschullehrergehalt meines Vaters musste nicht nur seine fünfköpfige Familie ernährt, sondern auch das neugebaute Einfamilienhaus auf seiner Heimatinsel Borkum abbezahlt werden. Auf Borkum waren wir aber nur in den Ferien, denn da es auf der Insel (bis heute) kein Gymnasium gab, hatte mein Vater eine Lehrerstelle in Meerbusch angenommen, um seine Kinder nicht aufs Internat schicken zu müssen. (Dass wir alle Abitur machen werden, stand natürlich schon vor unserer Geburt fest, schließlich waren beide Eltern
Meine Mutter mühte sich redlich, mich nicht nur irgendwie zu kleiden, sondern vor allem auch dafür zu sorgen, dass sich kein rheinischer Akzent in meine Aussprache schlich. Wenn ich se ärjern will, dann mussisch heute nur janz kurz so tun, als würd isch jetzt immer so reden, dann brichtse zusammen.
Am preiswertesten kleidete man die Kinder in Selbstgemachtes, also strickte, nähte und häkelte sie meine Garderobe, dabei tatkräftig von ihrer Mutter und ihrer Schwester unterstützt. Doch trotz selbstgefertigter Maßkleidung, hatten meine Hosen eigentlich immer Hochwasser, denn knapp war die Hose fertig, war ich auch schon wieder gewachsen.
In meiner Erinnerung war ich immer hässlich. Aus meiner Sicht und im Vergleich zu meinen Klassenkameradinnen. Die hatten nicht nur eine viel angemessenere Größe, sondern auch beneidenswerte Rundungen und dazu noch richtige Kleidung, aus einem Laden, gekauft. Teufel, was war ich darauf neidisch.
Ich dagegen hatte einen gehäkelten Bikini (okay, ein gekaufter hätte eh nicht gepasst, weil es keine Oberteile ohne Abnäher zu kaufen gab, ich aber nichts hatte, was die Abnäher hätte füllen können), eine Zahnspange, X-Beine und Sommersprossen. Schön geht anders, das war mal klar!
Auch auf „gesellschaftlicher“ Ebene war es für mich schwierig dazuzugehören, da schon alle meine Herkunftszeichen auf „anders“ ausgelegt waren. Meinen evangelischen Eltern, als Lehrer ins tiefkatholische Rheinland versetzt, gelang es nicht, ihre Tochter in dem einzigen Kindergarten des Dorfes anzumelden, denn das war ein katholischer und die nahmen keine Ketzer. Später, auf dem Gymnasium, war zwar die Religion egal, dafür zählten plötzlich andere „Werte“. So kamen die allermeisten Kinder aus einem „wohlsituierten“ Elternhaus, in Meerbusch war schon damals das Durchschnittseinkommen der Bevölkerung eher höher. Das meiner Eltern leider nicht.
Als ich in die Schule kam war das einzige Mädchen, das ich kannte, die Tochter des Pastors. Hannelore. Ich glaube, Hannelore hatte es absolut noch schwerer als ich, denn sie hatte noch nicht mal meine rebellischen Gene, sie duckte sich einfach und versuchte, soweit es ging, es allen recht zu machen. Ich dagegen war eigentlich von jeher auf Widerstand gebürstet und ständig damit beschäftigt, mir meine gefühlte Außenseiterrolle schön zu reden.
So habe ich mich früh darauf verlegt, wenn nicht schön, dann wenigstens klug und vor allem schlagfertig und witzig und anders zu sein. „Sprache“ stand in meinem Elternhaus ja sowieso ganz weit oben, da war es ein Leichtes, diesen Schwerpunkt intensiv auszubauen und generell „anders“ zu sein, fällt nicht schwer, wenn die Trauben eh so sauer sind.
Deshalb war das mit den Jungs natürlich auch kompliziert. 16jährige Jungs finden es nicht sehr anziehend, wenn ein Mädchen nicht nur 10cm größer ist als sie, sondern auch verbal so kratzbürstig, dass sie kaum etwas sagen konnten, ohne sich eine schnippische Bemerkung dazu einzufangen.
Einigermaßen beliebt war ich allerdings bei den älteren Jungs bzw. Männern. (Für eine 16jährige sind 25jährige Männer.) Die fanden es wahrscheinlich ganz angenehm, dass ich nicht das klassische Mädchengegiggel drauf hatte und auch durchaus kräftige Zoten selber erzählen konnte.
Im Ergebnis ist mir dabei entgangen, dass mein Körper irgendwann begonnen hatte, sich von einer klapprigen Bohnenstange zu einer durchaus akzeptablen Figur zu entwickeln, dass Zahnspange und Schuheinlagen das Schlimmste zurechtgebogen hatten und dass Sommersprossen in Mode kamen.
Mit 19 traf ich dann Bene.
Benedikt, der Schwarm aller Mädels aus meinem Umfeld, supercool, superreich und supererfolgreich. Wenn Bene eine wollte, dann bekam er sie. Da ich aber längst auf „grundsätzlich anders“ abonniert war, war ich gegen Bene immun, schon deshalb, weil ich überhaupt keine Erfahrung im Flirten hatte und schlicht nicht wusste, was das ist oder wie das geht und deshalb natürlich auch auf keines der klassischen Flirtmerkmale reagierte oder selber welche aussendete.
Überhaupt war Bene unerreichbar für mich. Wenn schon die obercoole, traumschöne und ebenfalls superreiche Miriam ihn nicht kriegen konnte (und die wollte ihn wirklich, sie hat sich gewaltig Mühe gegeben), da brauchte ich gar nicht erst darüber nachzudenken, was wäre wenn. Ich mache mich doch nicht lächerlich.
Aber Bene fand mich gut, denn Bene war Fotograf und suchte „Models mit Eigenleben“ wie er es formulierte.
Was Bene wirklich an mir fand, weiß ich bis heute nicht. Vielleicht reizte ihn tatsächlich das „andere“. Ich denke, ich war für ihn eine ganz neue Herausforderung, auf alle Fälle hat er sich richtig Mühe gegeben. Wir führten stundenlange Gespräche und Bene erklärte mir die Welt der Schönen und Reichen. Und bestätigte mir immer wieder, dass ich absolut Chancen hätte, genau in dieser Welt mitzuspielen. Um mir das zu beweisen, finanzierte er mir eine komplette Mannequinausbildung, in der ich nicht nur lernte, auf hohen Schuhen über den Catwalk zu
Gelernt habe ich in diesem Kurs vor allem, dass jeder schön sein kann. Dass wahre Schönheit tatsächlich von innen kommt, „Ausstrahlung“ heißt und aus Haltung besteht - und dass man mit MakeUp und Camouflagecreme fast alle optischen Mängel einfach überdecken kann.
Nie vergessen werde ich dann meine erste Nacht mit Bene: Ich kam vom Kurs, wo wir an diesem Tag das große Bühnenmakeup geübt und aufgetragen hatten, wir trafen uns in einer Bar auf der Kö und als ich dort ankam, drehten sich tatsächlich alle Männer nach mir um und ich merkte, wie sekundenlang die Gespräche stockten, als ich vorbeilief. Bene begrüßte mich mit einer Umarmung und einem Küsschen und war sichtlich zufrieden, mit mir angeben zu können. Als er mich fragte, ob ich bei ihm übernachten wollte, sagte ich ja und dachte mir gleichzeitig: „So ist das also. So lebt es sich, wenn man plötzlich schön ist.“
Der Rest der Nacht verlief wie solche Nächte eben verlaufen – wirklich eingeprägt hat sich mir aber die Szene, wo Bene mich am nächsten Morgen (abgeschminkt!) plötzlich auf Armeslänge von sich hielt, mir langsam die Haare nach hinten strich und sagte: „Wie schön du bist.“
Von da an habe ich es geglaubt, zumindest habe ich von da an gewusst, dass ich mein Äußeres akzeptieren kann, dass ich es sogar nutzbringend einsetzen kann und dass es keinen Grund für mich gibt, mich optisch irgendwie minderbemittelt zu fühlen.
Ich habe dann immer mal wieder einen Ausflug in die Welt der Schönen und Reichen gemacht, es machte ja auch gewaltig Spaß, meine neu entdeckte Schönheit spazieren zu führen. Aber je sicherer ich mich auf diesem Parkett bewegte, umso langweiliger wurde es auch mit der Zeit. Es ist ganz hübsch, schön zu sein, es ist aber auch entsetzlich langweilig, wenn man darauf reduziert wird. Und in diesem Zusammenhang machte ich dann eine ungewöhnliche Entdeckung: Als einigermaßen gutaussehende Frau habe ich viel mehr Freiheiten und Möglichkeiten als jeder Mann, denn natürlich habe ich meine über Jahre trainierte Frechheit samt Kodderschnauze nicht mehr abgelegt, im Gegenteil, jetzt war sie plötzlich ein wirklich wertvoller USP.
Heute bin ich in einem Alter, wo sich die Äußerlichkeiten von ganz alleine relativieren, aber Haltung und Ausstrahlung wirken mit 52 genauso wie mit 25, insofern ertrage ich die sichtbaren Zeichen des Alterns noch mit einiger Fassung, verliere aber auch zunehmend das Interesse an aufwendigen "Herrichtereien".
Insgesamt nimmt mein Stylingengagement mit jedem Jahr mehr ab. Morgens fürs Büro vielleicht noch ein bisschen, je nach Terminlage auch mal ein bisschen mehr (was bedeutet, ich benutze dann auch Mascara und Foundation, was mir für normale Bürotage schon zu lästig ist), aber an reinen Privattagen habe ich mittlerweile fast gar keine Lust mehr dazu.
Wenn wir früher unseren Kleiderschrank sortierten, dann wurden viele Teile mit dem Kommentar: „Ach, für Borkum ist das noch gut genug.“ zur Seite gelegt und auf die Insel exportiert. Vielleicht gefällt es mir deshalb so gut, dort die wesentliche Zeit meiner Freizeit zu verbringen, denn dort gelten grundsätzlich andere Regeln und Anforderungen an Aussehen und Schönheit.
Heute bin ich mit meinem Aussehen soweit zufrieden, dass ich denke, für Borkum ist es gut genug - und auf dem Festland entziehe ich mich dem Stress immer öfter durch Fernbleiben von offiziellen Veranstaltungen
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