Samstag, 28. Dezember 2019
Warum ich arbeite
anje, 00:57h
Im Moment kursiert im Internet die Frage: Was würdest du tun, wenn du das Gehalt, das du im Moment bekommst, weiterbekämst, ohne dass du dafür arbeiten müsstest?
Für mich ist die Antwort schwierig, weil ich einerseits natürlich hauptsächlich arbeiten gehe, weil ich damit Geld verdiene (zumindest habe ich es deshalb mal begonnen zu tun), andererseits gehe ich aber auch arbeiten, weil ich nicht wüsste, was ich besseres tun könnte.
So habe ich sicher keine Lust, meine Zeit überwiegend damit zu verbringen, dass ich zuhause rumsitze und darauf warte, dass K heimkommt und gleichzeitig hätte ich noch viel weniger Lust darauf, dann im Wesentlichen auch allein für die anfallende Hausarbeit verantwortlich zu sein, was gefühlt automatisch eine unausgesprochene Erwartungshaltung wäre, weil, wenn man keiner bezahlten Lohnarbeit nachgeht, muss man ja irgendwas mit seiner Zeit anfangen.
So wenig, wie ich tatsächlich überwiegend keine Lust habe, ins Büro zu gehen, so wenig fällt mir aber auch ein, was ich alternativ tun könnte, denn die einzige Alternative, die mir wirklich Spaß machen würde, nämlich irgendwas gemeinsam mit K zu machen, fällt aus, weil K ja keine Zeit hat, wenn er selber noch arbeiten geht.
Deshalb lautet meine Antwort, dass ich natürlich sofort aufhören würde zu arbeiten, wenn ich mein Gehalt auch ohne Arbeit bekäme, aber nur dann, wenn für K dasselbe Angebot gilt und wir dann beide gemeinsam nicht mehr arbeiten müssten. Wenn K dagegen unverändert weiterarbeiten muss, dann würde ich einfach auch weiterarbeiten und dann halt das doppelte Geld verdienen, aber alternativ zu Hause bleiben und den Haushalt machen, finde ich keine erstrebenswerte Alternative.
Wenn ich Single wäre und K gäbe es nicht, wäre meine Antwort sicherlich auch noch mal eine andere, aber es sind halt immer jede Menge "wenns" zu bedenken und in der aktuellen Konstellation, in der die Realität halt ist wie sie ist, ist für mich die Bezahlung in meinem Job sicherlich wichtig, aber nicht mehr der einzige Grund, weshalb ich den Job mache.
In meinem Job erledige ich Dinge, die getan werden müssen, wenn ein Unternehmen erfolgreich funktionieren soll, ich bin zuständig für die Organisation der Verwaltung, das Rechnungswesen und das Controlling.
Diese Sorte Jobs sind üblicherweise ziemlich gut bezahlt.
Und genau deshalb habe ich mich auch für diesen Beruf ausbilden lassen, weil die Frage, in welchem Beruf ich mit dem geringsten Aufwand und gleichzeitig der höchsten Sicherheit das meiste Geld verdienen kann, das entscheidende Hauptkriterium war, als ich mir vor knapp 40 Jahren überlegt habe, was ich denn künftig für einen Job machen könnte.
Ich gebe es ganz offen zu: Mir ist Geld wichtig.
Mir ist es allerdings überhaupt nicht wichtig als Statussymbol oder als Vergleichsmaßstab beim Schwanzvergleich, mir ist es einfach nur wichtig als persönliche Absicherung meiner Freiheit und als Grundlage dessen, was ich mir unter einem "guten Leben" vorstelle.
Selbstverständlich gibt es unendliche viele Definitionen, was sich einzelne Menschen unter einem "guten Leben" vorstellen, meine Definition als Kind/Jugendliche lautete: Ich möchte mir jederzeit eine Portion Pommes Frites mit Sauce kaufen können und immer noch genug Geld übrig haben, um mir ein Busticket in die nächste Stadt leisten zu können - und ich möchte dabei nicht von dem Wohlwollen eines anderen abhängig sein.
In der Familie meiner Kindheit war Geld ständig knapp. Überall musste gespart werden, gekauft wurden nur Dinge, die man nicht selber machen oder selber anbauen konnte.
Mit 15 bekam ich 5 DM Taschengeld in der Woche, eine Portion Pommes Frites mit Schaschliksauce kostete 1,20 DM, eine Busfahrkarte in die nächste größere Stadt 2,50 DM, wirklich weit kam ich mit meinen 5 DM also nicht.
Mein Wunsch damals: Ich möchte so viel Geld haben, dass ich - wenn ich will - jeden Tag Pommes Frites essen kann und ich will jederzeit die Möglichkeit haben, genau dorthin zu fahren, wo ich hin möchte UND ICH MÖCHTE DAS MIT NIEMANDEM DISKUTIEREN!
Im Wesentlichen würde ich diese Wünsche heute immer noch als die zentralen Vorstellungen für ein "gutes Leben" nennen, wobei mir die Unabhängigkeit dabei immer am allerwichtigsten war. Als Kind musste ich mich bei meinem Vater rechtfertigen, wofür ich mein Taschengeld ausgab, womit der Grundstein für meine extreme Abneigung gegen finanzielle Abhängigkeit und Kontrolle sehr früh gelegt war. Das Mutter-und-Hausfrau-Modell war damit für mich schon mit 15 absolut keine Option mehr. NIEMALS hätte ich meine Freiheit dafür aufgegeben, weshalb ich auch mit 15 sehr sicher war, dass ich keine Kinder haben will.
Als erstes sorgte ich also sehr früh dafür, dass ich selber Geld verdiente, erst mit Nachhilfe und dann mit Blockflöten- und Klavierunterricht, ich war aber auch Türsteher in einer Disco (wo ich dann sogar Karriere machte und mich bis zur Chefbedienung hochgearbeitet habe), ich hatte eine Putzstelle (weil die für eine Stunde Putzen mehr bezahlten als andere für eine Stunde Klavierunterricht) und ich habe eine Zeitlang als Mannequin und Messehostess gearbeitet (groß und dünn genug war ich ja).
Gleichzeitig nahm ich natürlich zusätzlich das Taschengeld und anschließend den Unterhalt während des Studiums ohne Bedenken an, weil ich mir durch mein selbstverdientes Geld eine Unabhängigkeit erarbeitet hatte, die mir Taschengeld und Unterhalt als angenehmes add-on erscheinen ließ, auf das ich im worst case aber jederzeit hätte verzichten können. MIT Taschengeld und Unterhalt konnte ich mir aber auch sehr früh dieses angestrebte Luxusleben leisten - ich aß damals enorm viel Pommes Frites und fuhr nicht mehr Bus, sondern hatte ein eigenes Auto.
Aber sehr viel größer wurden meine Luxusbestrebungen nie und ich würde bis heute behaupten, dass ich nicht sehr viel mehr als Pommes Frites, eine individuelle Mobilität und eine maximale finanzielle Unabhängigkeit brauche, um zufrieden zu sein.
Ich glaube, diese finanzielle Unabhängigkeit ist das Trauma meines Lebens. Meine allerallergrößte Sorge war stets, dass ich aus welchen Gründen auch immer jemand anderen um Geld bitten muss. Deshalb wollte ich stets einen Job haben, bei dem es absolut selbstverständlich ist, dass er gut bezahlt ist und bei dem der Arbeitgeber hinter dem Arbeitnehmer herläuft, denn auch Gehaltsverhandlungen gehören zu den Dingen, die ich im Wesentlichen verweigere.
Mein Glück war, dass BWL und Steuerrecht zufällig zu den Dingen gehören, für die ich eine gewisse Grundbegabung mitbringe. Hätte ich nur unter Jobs wie Kunsthistoriker, Kindergärtner oder Maurer wählen können, um meine berufliche Erwartungshaltung (hohes Gehalt und sicherer Arbeitsplatz) umsetzen zu können, hätte ich sicher noch mal neu überlegt, aber unter den gegebenen Bedingungen war die Entscheidung einfach und schnell getroffen.
Eine Überlegung, die bei der Berufswahl für mich übrigens nur eine sehr untergeordnete Rolle spielte, war die Frage, ob mir der Job Spaß macht. Es reichte, wenn ich es nicht allzu gruselig fand, was ich da gegen Bezahlung so arbeitete.
Im Rahmen meiner Jobberei als Mannequin und Messehostess bekam ich dann auch einmal das Angebot für eine "persönliche Begleitung" eines älteren Herren* und ich fand das völlig cool. 500 DM sollte ich für einen Abend bekommen - und noch ein schickes Abendessen. Ich habe da gründlich drüber nachgedacht und mich schließlich sehr klar und rational für diesen Job entschieden, denn hey, wo ist das Problem? Ist doch nur im Kopf, also abstellbar.
Dachte ich.
Klappte nicht ganz.
Ich lernte an dem Abend, dass mein Unabhängigkeitsanspruch ein absoluter war und ich es weder leiden konnte, jemandem finanziell ausgeliefert zu sein, noch körperlich. Deshalb bin ich an dem Abend noch rechtzeitig in dem Restaurant durchs Klofenster in den Hinterhof geklettert und von dort aus getürmt - unangenehmen Diskussionen entziehe ich mich übrigens sehr gerne durch Weglaufen.
*rückwirkend betrachtet war der Mann damals wahrscheinlich höchstens Mitte vierzig, ich muss grade ein wenig grinsen, wie sich da im Laufe des eigenen Älterwerdens die Beurteilung verschoben hat, aber in meiner Erinnerung war er damals definitiv ein alter Mann
Das fällt mir jetzt alles so ein, wenn ich darüber nachdenke, weshalb ich den Job mache, den ich mache und wie sich für mich die Bedeutung von Geld im Laufe der Zeit verändert hat. Denn eigentlich hat sich hier kaum etwas verändert, mir ist Geld immer noch wichtig als Absicherung der finanziellen Freiheit, da ich aber genau dieses Ziel mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit dauerhaft bis an mein Lebensende jetzt schon erreicht habe, ist für mich auch ein starker Antriebsfaktor weggefallen, überhaupt noch zu arbeiten.
Da ich aber gleichzeitig auch finde, dass es sich nicht lohnt, das eigene Leben nur für einen begrenzten Zeitraum komplett anders zu organisieren und umzukrempeln, arbeite ich eben einfach weiter, werde weiter dafür bezahlt - und kokettiere mit dem Bewusstsein, dass ich dadurch mehr Geld habe als ich brauche.
Denn genau das ist ja auch so ein Thema: Geld einfach deshalb auszugeben, weil es da ist, widerstrebt mir mindestens so sehr wie Gehaltsverhandlungen. Mein Ausgabeverhalten hat sich in den letzten Jahren also nur sehr wenig verändert und ich fürchte auch, um Geld wirklich mit vollen Händen zu verplempern, fehlt mir jede Begabung.
Ich leiste mir zB den Luxus von inzwischen acht verschiedenen Gleitsichtbrillen (plus drei Sonnenbrillen) - und ich werde mir wieder neue kaufen, wenn ich Gestelle sehe, die mir gefallen. Einfach weil es mir Spaß macht. Ich finde aber, es reicht, wenn ich mir die als Set im Sonderangebot bei eyes&more kaufe. Auf Vergleichspreise bei einem normalen Optiker umgerechnet habe ich also wahrscheinlich höchstens eine bis anderthalb Brillen - aber ich bezweifle, dass ich durch die etwas anderes sehen würde.
Es gibt eine Menge Luxus, die ich mir sehr bewusst und überlegt leiste, bspw. auch die Verweigerung, mein Haus auf Borkum an Gäste zu vermieten, denn entgangene Einnahmen sind betriebswirtschaftlich das gleiche wie Ausgaben, aber auf diese Einnahmen verzichten zu können, das ist ein Luxus, den ich mir mit Wonne leiste. Und da das Haus auch komplett abbezahlt ist, kostet es nur noch die laufenden Nebenkosten, die so ein Haus eben verursacht, insgesamt also sehr überschaubare Beträge.
Umgekehrt verzichte ich dafür auf viele Dinge, die für andere ein Luxus sind, die mir aber wenig oder gar nichts bedeuten, weshalb der Verzicht kein Verzicht ist, weil ich ja auch keinen Mehrwert dadurch hätte.
Ich brauche zB normalerweise keine "neuen Dinge" im Sinne von "Erstbesitzer" oder so.
Ich habe in meinem Leben zweimal einen fabrikneuen Neuwagen besessen, einen habe ich geschenkt bekommen (und hätte genauso gerne auch einen gebrauchten genommen) und den zweiten habe ich mir selber gekauft, einfach weil es das Modell mit der Ausstattung nicht gebraucht gab und gleichzeitig der Neupreis durch irgendwelche seltsamen Rabattkonstellationen des Händlers so sehr gesenkt wurde, dass es nur noch unwesentlich teurer war als ein gebrauchtes Auto mit anderer/schlechterer Ausstattung. Aus genau diesem Grund habe ich genau dieses Auto auch einfach mal so auf dem Rückweg vom Kindergarten gekauft. Ich besuchte damals öfter mal Autohäuser auf der Rückfahrt vom Kindergarten, N hatte nämlich damals eine starke Zuneigung zu Autoprospekten und so klapperte ich mit ihm systematisch alle Autohäuser im Umkreis ab, eigentlich um das Kind zu bespaßen, aber in einem habe ich dann auch tatsächlich ein Auto gekauft. - Und es über 16 Jahre gefahren.
Genauso wenig wie neue Autos brauche ich sonstige Dinge in neu. Meine Garderobe stammt zu 95% vom Flohmarkt oder aus dem Secondhandshop, das gleiche gilt für meine Inneneinrichtung oder andere "Investitionsgüter".
Urlaub im Sinne von Verreisen ist mir mittlerweile nicht nur unwichtig, sondern sogar schon eher anstrengend geworden, K würde gerne mehr Verreisen, zum Glück haben wir dafür nicht genug Zeit :-)
Und meine Alltagseinkäufe erledige ich schon aus reiner Bequemlichkeit am allerliebsten beim Discounter und mit einer ziemlich unspektakulären Einkaufsliste, die nur sehr selten mal Dinge enthält, die auf dem Bon nachher zweistellig ausgewiesen werden.
Ich habe einen ausgesprochen undifferenzierten Geschmack, Feinkostartikel finde ich in den allermeisten Fällen langweilig, das gleiche gilt übrigens für teure Restaurants. Im Zweifel träume ich immer noch von einer Portion Pommes Frites mit Schaschliksauce als Lieblingsessen aller Zeiten, italienische Gourmetlokalitäten haben mich dagegen fast noch nie überzeugt.
Das alles zusammengenommen führt dazu, dass ich tatsächlich nur ein relativ geringes Monatsbudget für laufende Ausgaben benötige und deshalb so entspannt davon ausgehe, dass ich alles, was ich mindestens im Monat brauche, auch bestimmt zur Verfügung haben werde.
Aktuell arbeite ich also nicht mehr, weil ich Geld verdienen muss, sondern nur, weil ich noch kein besseres Konzept für die nächsten fünf Jahre gefunden habe. Aber wenn ich mich für meine Arbeit bezahlen lasse, dann habe ich auch den Anspruch an mich selber, sie ordentlich zu machen - und genau deshalb jammere ich so oft darüber, weil anstrengend ist es dann halt schon
.
(Abgelegt in anjemerkt und bisher 658 x anjeklickt)
Für mich ist die Antwort schwierig, weil ich einerseits natürlich hauptsächlich arbeiten gehe, weil ich damit Geld verdiene (zumindest habe ich es deshalb mal begonnen zu tun), andererseits gehe ich aber auch arbeiten, weil ich nicht wüsste, was ich besseres tun könnte.
So habe ich sicher keine Lust, meine Zeit überwiegend damit zu verbringen, dass ich zuhause rumsitze und darauf warte, dass K heimkommt und gleichzeitig hätte ich noch viel weniger Lust darauf, dann im Wesentlichen auch allein für die anfallende Hausarbeit verantwortlich zu sein, was gefühlt automatisch eine unausgesprochene Erwartungshaltung wäre, weil, wenn man keiner bezahlten Lohnarbeit nachgeht, muss man ja irgendwas mit seiner Zeit anfangen.
So wenig, wie ich tatsächlich überwiegend keine Lust habe, ins Büro zu gehen, so wenig fällt mir aber auch ein, was ich alternativ tun könnte, denn die einzige Alternative, die mir wirklich Spaß machen würde, nämlich irgendwas gemeinsam mit K zu machen, fällt aus, weil K ja keine Zeit hat, wenn er selber noch arbeiten geht.
Deshalb lautet meine Antwort, dass ich natürlich sofort aufhören würde zu arbeiten, wenn ich mein Gehalt auch ohne Arbeit bekäme, aber nur dann, wenn für K dasselbe Angebot gilt und wir dann beide gemeinsam nicht mehr arbeiten müssten. Wenn K dagegen unverändert weiterarbeiten muss, dann würde ich einfach auch weiterarbeiten und dann halt das doppelte Geld verdienen, aber alternativ zu Hause bleiben und den Haushalt machen, finde ich keine erstrebenswerte Alternative.
Wenn ich Single wäre und K gäbe es nicht, wäre meine Antwort sicherlich auch noch mal eine andere, aber es sind halt immer jede Menge "wenns" zu bedenken und in der aktuellen Konstellation, in der die Realität halt ist wie sie ist, ist für mich die Bezahlung in meinem Job sicherlich wichtig, aber nicht mehr der einzige Grund, weshalb ich den Job mache.
In meinem Job erledige ich Dinge, die getan werden müssen, wenn ein Unternehmen erfolgreich funktionieren soll, ich bin zuständig für die Organisation der Verwaltung, das Rechnungswesen und das Controlling.
Diese Sorte Jobs sind üblicherweise ziemlich gut bezahlt.
Und genau deshalb habe ich mich auch für diesen Beruf ausbilden lassen, weil die Frage, in welchem Beruf ich mit dem geringsten Aufwand und gleichzeitig der höchsten Sicherheit das meiste Geld verdienen kann, das entscheidende Hauptkriterium war, als ich mir vor knapp 40 Jahren überlegt habe, was ich denn künftig für einen Job machen könnte.
Ich gebe es ganz offen zu: Mir ist Geld wichtig.
Mir ist es allerdings überhaupt nicht wichtig als Statussymbol oder als Vergleichsmaßstab beim Schwanzvergleich, mir ist es einfach nur wichtig als persönliche Absicherung meiner Freiheit und als Grundlage dessen, was ich mir unter einem "guten Leben" vorstelle.
Selbstverständlich gibt es unendliche viele Definitionen, was sich einzelne Menschen unter einem "guten Leben" vorstellen, meine Definition als Kind/Jugendliche lautete: Ich möchte mir jederzeit eine Portion Pommes Frites mit Sauce kaufen können und immer noch genug Geld übrig haben, um mir ein Busticket in die nächste Stadt leisten zu können - und ich möchte dabei nicht von dem Wohlwollen eines anderen abhängig sein.
In der Familie meiner Kindheit war Geld ständig knapp. Überall musste gespart werden, gekauft wurden nur Dinge, die man nicht selber machen oder selber anbauen konnte.
Mit 15 bekam ich 5 DM Taschengeld in der Woche, eine Portion Pommes Frites mit Schaschliksauce kostete 1,20 DM, eine Busfahrkarte in die nächste größere Stadt 2,50 DM, wirklich weit kam ich mit meinen 5 DM also nicht.
Mein Wunsch damals: Ich möchte so viel Geld haben, dass ich - wenn ich will - jeden Tag Pommes Frites essen kann und ich will jederzeit die Möglichkeit haben, genau dorthin zu fahren, wo ich hin möchte UND ICH MÖCHTE DAS MIT NIEMANDEM DISKUTIEREN!
Im Wesentlichen würde ich diese Wünsche heute immer noch als die zentralen Vorstellungen für ein "gutes Leben" nennen, wobei mir die Unabhängigkeit dabei immer am allerwichtigsten war. Als Kind musste ich mich bei meinem Vater rechtfertigen, wofür ich mein Taschengeld ausgab, womit der Grundstein für meine extreme Abneigung gegen finanzielle Abhängigkeit und Kontrolle sehr früh gelegt war. Das Mutter-und-Hausfrau-Modell war damit für mich schon mit 15 absolut keine Option mehr. NIEMALS hätte ich meine Freiheit dafür aufgegeben, weshalb ich auch mit 15 sehr sicher war, dass ich keine Kinder haben will.
Als erstes sorgte ich also sehr früh dafür, dass ich selber Geld verdiente, erst mit Nachhilfe und dann mit Blockflöten- und Klavierunterricht, ich war aber auch Türsteher in einer Disco (wo ich dann sogar Karriere machte und mich bis zur Chefbedienung hochgearbeitet habe), ich hatte eine Putzstelle (weil die für eine Stunde Putzen mehr bezahlten als andere für eine Stunde Klavierunterricht) und ich habe eine Zeitlang als Mannequin und Messehostess gearbeitet (groß und dünn genug war ich ja).
Gleichzeitig nahm ich natürlich zusätzlich das Taschengeld und anschließend den Unterhalt während des Studiums ohne Bedenken an, weil ich mir durch mein selbstverdientes Geld eine Unabhängigkeit erarbeitet hatte, die mir Taschengeld und Unterhalt als angenehmes add-on erscheinen ließ, auf das ich im worst case aber jederzeit hätte verzichten können. MIT Taschengeld und Unterhalt konnte ich mir aber auch sehr früh dieses angestrebte Luxusleben leisten - ich aß damals enorm viel Pommes Frites und fuhr nicht mehr Bus, sondern hatte ein eigenes Auto.
Aber sehr viel größer wurden meine Luxusbestrebungen nie und ich würde bis heute behaupten, dass ich nicht sehr viel mehr als Pommes Frites, eine individuelle Mobilität und eine maximale finanzielle Unabhängigkeit brauche, um zufrieden zu sein.
Ich glaube, diese finanzielle Unabhängigkeit ist das Trauma meines Lebens. Meine allerallergrößte Sorge war stets, dass ich aus welchen Gründen auch immer jemand anderen um Geld bitten muss. Deshalb wollte ich stets einen Job haben, bei dem es absolut selbstverständlich ist, dass er gut bezahlt ist und bei dem der Arbeitgeber hinter dem Arbeitnehmer herläuft, denn auch Gehaltsverhandlungen gehören zu den Dingen, die ich im Wesentlichen verweigere.
Mein Glück war, dass BWL und Steuerrecht zufällig zu den Dingen gehören, für die ich eine gewisse Grundbegabung mitbringe. Hätte ich nur unter Jobs wie Kunsthistoriker, Kindergärtner oder Maurer wählen können, um meine berufliche Erwartungshaltung (hohes Gehalt und sicherer Arbeitsplatz) umsetzen zu können, hätte ich sicher noch mal neu überlegt, aber unter den gegebenen Bedingungen war die Entscheidung einfach und schnell getroffen.
Eine Überlegung, die bei der Berufswahl für mich übrigens nur eine sehr untergeordnete Rolle spielte, war die Frage, ob mir der Job Spaß macht. Es reichte, wenn ich es nicht allzu gruselig fand, was ich da gegen Bezahlung so arbeitete.
Im Rahmen meiner Jobberei als Mannequin und Messehostess bekam ich dann auch einmal das Angebot für eine "persönliche Begleitung" eines älteren Herren* und ich fand das völlig cool. 500 DM sollte ich für einen Abend bekommen - und noch ein schickes Abendessen. Ich habe da gründlich drüber nachgedacht und mich schließlich sehr klar und rational für diesen Job entschieden, denn hey, wo ist das Problem? Ist doch nur im Kopf, also abstellbar.
Dachte ich.
Klappte nicht ganz.
Ich lernte an dem Abend, dass mein Unabhängigkeitsanspruch ein absoluter war und ich es weder leiden konnte, jemandem finanziell ausgeliefert zu sein, noch körperlich. Deshalb bin ich an dem Abend noch rechtzeitig in dem Restaurant durchs Klofenster in den Hinterhof geklettert und von dort aus getürmt - unangenehmen Diskussionen entziehe ich mich übrigens sehr gerne durch Weglaufen.
*rückwirkend betrachtet war der Mann damals wahrscheinlich höchstens Mitte vierzig, ich muss grade ein wenig grinsen, wie sich da im Laufe des eigenen Älterwerdens die Beurteilung verschoben hat, aber in meiner Erinnerung war er damals definitiv ein alter Mann
Das fällt mir jetzt alles so ein, wenn ich darüber nachdenke, weshalb ich den Job mache, den ich mache und wie sich für mich die Bedeutung von Geld im Laufe der Zeit verändert hat. Denn eigentlich hat sich hier kaum etwas verändert, mir ist Geld immer noch wichtig als Absicherung der finanziellen Freiheit, da ich aber genau dieses Ziel mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit dauerhaft bis an mein Lebensende jetzt schon erreicht habe, ist für mich auch ein starker Antriebsfaktor weggefallen, überhaupt noch zu arbeiten.
Da ich aber gleichzeitig auch finde, dass es sich nicht lohnt, das eigene Leben nur für einen begrenzten Zeitraum komplett anders zu organisieren und umzukrempeln, arbeite ich eben einfach weiter, werde weiter dafür bezahlt - und kokettiere mit dem Bewusstsein, dass ich dadurch mehr Geld habe als ich brauche.
Denn genau das ist ja auch so ein Thema: Geld einfach deshalb auszugeben, weil es da ist, widerstrebt mir mindestens so sehr wie Gehaltsverhandlungen. Mein Ausgabeverhalten hat sich in den letzten Jahren also nur sehr wenig verändert und ich fürchte auch, um Geld wirklich mit vollen Händen zu verplempern, fehlt mir jede Begabung.
Ich leiste mir zB den Luxus von inzwischen acht verschiedenen Gleitsichtbrillen (plus drei Sonnenbrillen) - und ich werde mir wieder neue kaufen, wenn ich Gestelle sehe, die mir gefallen. Einfach weil es mir Spaß macht. Ich finde aber, es reicht, wenn ich mir die als Set im Sonderangebot bei eyes&more kaufe. Auf Vergleichspreise bei einem normalen Optiker umgerechnet habe ich also wahrscheinlich höchstens eine bis anderthalb Brillen - aber ich bezweifle, dass ich durch die etwas anderes sehen würde.
Es gibt eine Menge Luxus, die ich mir sehr bewusst und überlegt leiste, bspw. auch die Verweigerung, mein Haus auf Borkum an Gäste zu vermieten, denn entgangene Einnahmen sind betriebswirtschaftlich das gleiche wie Ausgaben, aber auf diese Einnahmen verzichten zu können, das ist ein Luxus, den ich mir mit Wonne leiste. Und da das Haus auch komplett abbezahlt ist, kostet es nur noch die laufenden Nebenkosten, die so ein Haus eben verursacht, insgesamt also sehr überschaubare Beträge.
Umgekehrt verzichte ich dafür auf viele Dinge, die für andere ein Luxus sind, die mir aber wenig oder gar nichts bedeuten, weshalb der Verzicht kein Verzicht ist, weil ich ja auch keinen Mehrwert dadurch hätte.
Ich brauche zB normalerweise keine "neuen Dinge" im Sinne von "Erstbesitzer" oder so.
Ich habe in meinem Leben zweimal einen fabrikneuen Neuwagen besessen, einen habe ich geschenkt bekommen (und hätte genauso gerne auch einen gebrauchten genommen) und den zweiten habe ich mir selber gekauft, einfach weil es das Modell mit der Ausstattung nicht gebraucht gab und gleichzeitig der Neupreis durch irgendwelche seltsamen Rabattkonstellationen des Händlers so sehr gesenkt wurde, dass es nur noch unwesentlich teurer war als ein gebrauchtes Auto mit anderer/schlechterer Ausstattung. Aus genau diesem Grund habe ich genau dieses Auto auch einfach mal so auf dem Rückweg vom Kindergarten gekauft. Ich besuchte damals öfter mal Autohäuser auf der Rückfahrt vom Kindergarten, N hatte nämlich damals eine starke Zuneigung zu Autoprospekten und so klapperte ich mit ihm systematisch alle Autohäuser im Umkreis ab, eigentlich um das Kind zu bespaßen, aber in einem habe ich dann auch tatsächlich ein Auto gekauft. - Und es über 16 Jahre gefahren.
Genauso wenig wie neue Autos brauche ich sonstige Dinge in neu. Meine Garderobe stammt zu 95% vom Flohmarkt oder aus dem Secondhandshop, das gleiche gilt für meine Inneneinrichtung oder andere "Investitionsgüter".
Urlaub im Sinne von Verreisen ist mir mittlerweile nicht nur unwichtig, sondern sogar schon eher anstrengend geworden, K würde gerne mehr Verreisen, zum Glück haben wir dafür nicht genug Zeit :-)
Und meine Alltagseinkäufe erledige ich schon aus reiner Bequemlichkeit am allerliebsten beim Discounter und mit einer ziemlich unspektakulären Einkaufsliste, die nur sehr selten mal Dinge enthält, die auf dem Bon nachher zweistellig ausgewiesen werden.
Ich habe einen ausgesprochen undifferenzierten Geschmack, Feinkostartikel finde ich in den allermeisten Fällen langweilig, das gleiche gilt übrigens für teure Restaurants. Im Zweifel träume ich immer noch von einer Portion Pommes Frites mit Schaschliksauce als Lieblingsessen aller Zeiten, italienische Gourmetlokalitäten haben mich dagegen fast noch nie überzeugt.
Das alles zusammengenommen führt dazu, dass ich tatsächlich nur ein relativ geringes Monatsbudget für laufende Ausgaben benötige und deshalb so entspannt davon ausgehe, dass ich alles, was ich mindestens im Monat brauche, auch bestimmt zur Verfügung haben werde.
Aktuell arbeite ich also nicht mehr, weil ich Geld verdienen muss, sondern nur, weil ich noch kein besseres Konzept für die nächsten fünf Jahre gefunden habe. Aber wenn ich mich für meine Arbeit bezahlen lasse, dann habe ich auch den Anspruch an mich selber, sie ordentlich zu machen - und genau deshalb jammere ich so oft darüber, weil anstrengend ist es dann halt schon
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