anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Montag, 28. Mai 2018
Das Konzert
"Wie war das Konzert?" wurde ich heute natürlich gefragt, und unabhängig davon, ob das nur eine reine Standard-Höflichkeits-Floskel-Frage war oder echtes Interesse, wie ausgerechnet ich das Konzert fand, habe ich sorgfältig darüber nachgedacht und fasse meine Eindrücke mal wie folgt zusammen:Es war durchaus eine interessante Erfahrung, die ich auch nicht missen möchte - aber nun ist auch gut, wiederholen muss ich es nicht.

Da ich weder ein enthusiastischer Musikfan bin noch sehr viel Wert auf Massenveranstaltungen lege, war das auch kaum anders zu erwarten, aber immerhin bin ich jetzt einmal in der Elbphilharmonie gewesen und außerdem habe ich auch noch ein Konzert einer Gruppe gehört, das ich unter Umständen auch ohne das Extraschmankerl "Elbphi" vielleicht tatsächlich mal besucht hätte, dass ich jetzt mit einem Aufwand gleich zwei Fliegen erschlagen konnte, finde ich sehr praktisch.

Es gab gestern vieles, was ich sehr interessant fand und mit großer Faszination genau beobachtet habe, allen voran natürlich die Menschen, dabei vor allem die anderen Konzertbesucher, aber auch die sonstigen Besucher auf der Plaza der Elbphi waren spannend zu beobachten.

Denn, das habe ich auch gestern erst gelernt, es gibt im 6. Stock eine rund um das Gebäude verlaufende Besucherterrasse, die auch Nichtkonzertbesucher unabhängig von jedem Konzert besichtigen können und davon rege Gebrauch machen. Da wir mit ausreichend zeitlichem Vorlauf in der Elbphi angekommen waren, konnten wir natürlich vor dem Konzert auch auf der Plaza flanieren. Die 6. Etage mit der Aussichtsplattform heißt tatsächlich "Plaza", bei mir kam allerdings bei dem Blick auf den Hamburger Hafen eher nur ein spärliches italienisches Flair auf, obwohl das Wetter gestern in Hamburg durchaus südländisch war.
Ich meine, klar, die Hamburger nennen ihren Hafen gerne das Tor zur Welt - aber bei allem Respekt, es ist auch nichts anderes als ein gewaltig ausgebauter Containerhafen an einem Fluss mitten auf dem platten Land - und romantisches Fernweh stellt sich bei mir da eher nicht ein, schließlich ist das Meer noch ziemlich weit weg. Wer auf Industriekultur steht, mag den Anblick eines Containerhafens schön finden, ich fand das alles eher hässlich.
Die schönste Stelle war noch das Panorama mit dem Blick auf die Stadt, vielleicht auch, weil vor dem Speicher auf der Seite ein Schiff mit einem sehr heimatlich klingenden Namen lag.  😎 


An den Besuchern, die sich da gestern stapelweise auf der Terrasse drängelten (Sonntag und Traumwetter, wann, wenn nicht gestern, soll es da voll sein) hat mich vor allem die bunte Mischung der Persönlichkeiten beeindruckt. Vom Punk über den geschniegelten Banker im Businessoutfit war alles dabei, so eine bunte Mischung an Menschen/Touristen/Besuchern hätte ich Hamburg gar nicht zugetraut und hatte kurz das Gefühl, ich hätte mich in der Gegend vertan und wäre doch irgendwo mitten in Berlin gelandet.
Eine Stunde vor Konzertbeginn wurde dann der Aufgang zum großen Saal geöffnet, dort wurden einmal die Karten gescannt, fertig, mehr Einlasskontrolle war nicht. Zwar passen 2.200 Leute in den Saal und natürlich war das Konzert ausverkauft (es war schon 10 Minuten, nach dem der online Verkauf im September 2017 begonnen hatte, ausverkauft gewesen), aber weil sich die Plätze über mehrere Etagen mit vielen verschiedenen Eingängen verteilen, verläuft sich das alles sehr gut und ich hatte keinmal das Gefühl, dass es mir alles zu voll oder zu bedrückend ist, höchstens draußen auf der Besucherterrasse, da war es mir irgendwann zu voll und ich wollte dort wieder weg.
Da ich ja ein grundsätzliches Problem mit Menschenmengen habe und schnell beginne, mich ausgesprochen unwohl zu fühlen, wenn zu viele Menschen um mich herum sind, gehe ich auch ungern auf Konzerte, aber in Essen in der Philharmonie zB ist alles viel enger und in der Größenordnung komme ich auch grade noch damit klar.

Da ich keine Lust mehr hatte, noch mehr von den siebenundzwanzigtausend Stufen, die in diesem Gebäude verbaut sind, zu erklimmen, um auch den Rest des Bauwerks zu besichtigen, habe ich mich vor der Einlasstür zu unserem Abschnitt hingesetzt und Leute geguckt.
Ich selber hatte ja am Morgen schon mit mittelprächtig viel Getue und Rumprobiererei fast eine Stunde gebraucht, bis ich das für meinen Geschmack passende Outfit für so ein Konzert zusammengestellt hatte, ich war also ausreichend neugierig, was die anderen Besucher so als Kleidung wählen und ob ich einigermaßen richtig liege, mit meinen Styling-Überlegungen.
Was ich schon nach kürzester Zeit feststellte: ich hätte gar nicht falsch liegen können, mit meiner Stylingwahl, weil von Jogginghose mit Schlafanzugoberteil und Badelatschen über Jeans mit T-Shirt und Hotpants mit Plateaustiefeln bis zu festlicher Abendgarderobe wirklich alles dabei war. Wenn man eines über das Styling der Besucher bei diesem Konzert sagen kann, dann, dass wohl keiner wusste, welches Styling für diesen Abend wohl mehrheitstauglich sein wird.

Okay, es war ein Konzert der Gruppe Element of Crime und die Gruppe selber gibt weder einen typischen Stylingstil vor, noch pflegt sie selber einen. Der Leadsänger trug einen dunkelgrauen Anzug mit dunkelbuntem Hemd, die anderen Bandmitglieder waren total unauffällig gekleidet. (So unauffällig, dass ich es schon wieder vergessen habe, wahrscheinlich also Jeans mit T-Shirt.) Echte "Freaks" unter den Fans dieser Gruppe sind auch eher Mangelware, das Publikum bewegte sich überwiegend in meiner Altersklasse +/- 15 Jahre, also irgendwas so zwischen 40 und 70, mit Tendenz zum älteren Studienrat, ich muss wohl damit leben, dass ich selber dann auch zu dieser Gruppe gehöre. Ein Vorteil dieser "zivilisierten" Fangruppe ist ihre ausgesprochene "Stimmungsfriedlichkeit" (wo die Randgruppe mit den Badelatschen und den Jogginghosen herkam, ist mir ein Rätsel, aber davon gab es tatsächlich mehrere, wobei, es kann auch sein, dass ich den aktuellen Modechic nicht erkannt habe und Birkenstocks samt Bequemhose jetzt wirklich ausgehtauglich sind).
Zwei Sitze weiter saß eine Dame, die bei irgendeinem besonders schmissigen Lied mal versuchte mitzuklatschen, erntete damit aber so viele vernichtende Blicke aus allen Sitzen um sich herum, dass sie sehr schnell wieder brav stillsaß.
Erstens passt so etwas nicht zu Element of Crime, die vor allem wegen ihrer intellektuellen Texte gerühmt werden und zweitens und schon mal gar nicht nicht in die Elbphilharmonie.
Schunkeln oder mitklatschen - hallo, wir sind hier schließlich nicht bei Helene Fischer, Jogginghose und Birkenstocks hin oder her.

Als das Konzert begann und ich Herrn Regener so beim Singen seiner Lieder zusah, fiel mir ein, dass ein Konzert, bei denen man die Sänger sieht, genauso enttäuschend sein kann, wie die Verfilmung eines Buches. Man hat sich halt so seine eigenen Vorstellungen davon gemacht, wie der Sänger dieser Lieder, die man sonst nur von einer CD kennt, sich beim Singen wohl bewegt - und eines kann ich sehr deutlich sagen: Dass er beim Singen gebremst-spastisch mit den Armen rudert und dabei ein wenig aussieht wie ein Joe Cocker Imitat (den ich auch mal live gesehen habe und mich dabei weggeschmissen habe vor Lachen, weil er beim Singen die ganze Zeit so seltsam mit den Unterarmen wackelt), also mit solchen eher desillusionierenden Bewegungen habe ich ganz bestimmt nicht gerechnet.

Ob jetzt die vielgepriesene Akkustik der Elbphi wirklich so gigantisch genial ist oder nicht, kann ich nicht beurteilen.
Hätte einfach nur ein Klavier auf der Bühne gestanden, auf dem ein Mensch ohne weiteren elektronischen Firlefanz gespielt hätte, dann hätte ich natürlich auch die Akkustik bewerten können, aber bei diesem Konzert gab es natürlich Lautsprecher und Mikrofone für die Musiker, außerdem jede Menge Techniker, die die Elektronik steuerten und ich wage mal zu behaupten, dass die Akkustik der Location für solch ein Konzert ziemlich schnurzepiepegal ist. Ich fand es ziemlich laut (aber okay, ich finde die meiste Musik zu laut), insgesamt war es aber grade noch zu ertragen. (Ich war mal auf einem Udo Lindenberg Konzert, da wurden Ohrstöpsel am Eingang verteilt und ich musste trotz tiefeingedrückter Ohrstöpsel nach 2/3 des Konzerts den Saal verlassen und habe die restliche Zeit auf der Toilette abgewartet, dass das Klingeln in meinen Ohren sich wieder legt.) Diesmal habe ich die gesamte Zeit durchgehalten, aber hätte ich einen Lautstärkeknopf gehabt, dann hätte ich es noch etwas weiter runtergedreht. Ich werde nie verstehen, warum Musik für die meisten Menschen erst durch viel Lautstärke an Qualität gewinnt. Ich werde übrigens auch nicht verstehen, warum so viele Sänger so schrecklich schreien müssen beim Singen. Adele zB schreit mir eindeutig viel zu laut. Oder auch Bernd Begemann, den die Element of Crime Band für einen Gastauftritt eingeladen hatte und der (zum Glück nur ein) Lied alleine vortrug. Der schreit auch wie irre - und wackelt dabei mit seinem dicken Bauch und den Armen gleichzeitig so sehr, dass man Sorge hat, dass er grade von einem akuten Parkinsonanfall geschüttelt wird und nicht heil wieder von der Bühne kommt.
Einen weiteren Gastauftritt hatte so eine Berliner Boyband (Isolation Berlin), die hauptsächlich fürsorgliche Muttergefühle in mir weckte, weil ich dem splitterdürren Kerlchen, der den Sänger machte und passend zu seiner Figur und seinem hospitalistischen Dauerschleifenschaukelgesangsgejammer auch in einem 40er Jahre (Nach)kriegsoutfit (zu kurze Hosen, graues Schlabberhemd und Schiebermütze) auftrat, weil ich dem armen Jungelchen also immerzu sagen wollte: "Es wird doch alles gut. Musst nicht so weinen und jammern. Du bist nicht schuld und du bist auch nicht böse. Wir gehen nachher zum Arzt, der gibt dir eine Spritze und dann geht es dir sofort viel besser."

Die Gäste waren also eher nicht so der Bringer, aber vielleicht wurden sie auch grade deswegen ausgewählt: Damit die Musik von Element of Crime besonders positiv hervorsticht, so, wie hübsche Mädchen ja auch oft eine Freundin haben, die auffallend hässlich ist - der optische Abstand macht die Schöne dann einfach noch schöner.
Während der Gastbeiträge habe ich mich also ausgiebig gelangweilt und dabei das getan, was unter Twitterusern sonst sehr beliebt ist, wenn sie beim Arzt im Wartezimmer sitzen, ich habe den Fußboden fotografiert.
Hier also eine offizielle Wazibo Kosabo-Aufnahme:


Wir saßen ja ganz weit vorne, Reihe 5 und ich hatte auch noch den Platz am Gang, so dass mir niemand die Sicht versperren konnte, weshalb ich natürlich auch sehr hübsche Aufnahmen von dem Geschehen auf der Bühne machen konnte, die traue ich mich aber nicht hier hochzuladen, grade Sven Regener ist ja bekannt für seine individuelle Copyrightauslegung, da habe ich keinerlei Neigung, mich irgendwie in die Nesseln zu setzen
Aber die Elbphi allgemein darf man knipsen, deshalb hier:


Oben mein Blick auf die Bühne (als Saal und Bühne noch leer waren) und darunter der Blick über die Bühne - in der Elbphilharmonie sitzt das Publikum auch zu einem großen Teil oben hinter der Bühne - die dort saßen hatten immerhin den Vorteil, dass sie die optisch teilweise nicht sehr ansprechende Performance auch nicht so genau sehen mussten.

Gegen 22.20h war Schluss, wir hatten uns den Luxus geleistet und im Elbphiparkhaus geparkt (für 5€/Stunde ist das Luxus, finde ich), dafür haben wir dann nix vor Ort verzehrt, per Saldo haben wir also wahrscheinlich gleich viel Geld ausgegeben, wie die sparsamen Parker, die sich Getränke vor der Show leisten, um alles gründlich zu genießen.
Wir waren vor dem Konzert mit N. beim all you can eat Japaner, weshalb wir mehr als kugelrund satt waren und unser Vermögen viel lieber fürs Parken verschleuderten, damit wir mit dem dicken Bauch nicht so weit laufen mussten
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"Am Fenster fliecht eine Kuh vorbei, da kommt jede Hilfe zu spät. Ein Glas auf die Kuh und eins auf die See." Er hat über die Jahrzehnte durchaus ein paar nette Sachen zusammengestoppelt, der Regener. Ein prägendes Erlebnis war vor 15 oder 20 Jahren in einer ungelüfteten Lokation in einem weitläufigen Keller, in dem der Schweiß verdampfte und wieder von der Decke tropfte, überall wurde geraucht, der Regener war bestimmt nicht völlig sober und er hat sie alle verachtet, die Claqueure, die Banausen und bestimmt auch die Welt. :-) Wie ein echter Schnösel, großartig.

Ich kann gut verstehen, was Sie über sinnlos laute Musik sagen, als auch, was Sie über Schrei-/Kreisch-/Brüllsänger sagen. Über Sänger habe ich gelesen, dass sauberes leises Singen höhere Ansprüche ans Organ stellt als Schreien. Das Schreien ist von höchster Hässlichkeit; auf die Spitze getrieben, wenn die Kopfstimme dafür herhalten muss. Ein wenig wie das Kreischen, das die meisten beim Singen unter der Dusche auspacken.

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Mit „An Land“ zitieren Sie ja nun ausgerechnet mein absolutes Lieblingslied, was die Gruppe zu meinem großen Bedauern gestern aber nicht gespielt hat.
Ich mag die Texte und ich mag die Musik von Element of Crime und sie in einer verrauchten Kneipe live erlebt zu haben, ist sicher ein echtes Erlebnis.
Ihr Auftritt in der Elbphilharmonie war dagegen eher steril: auftreten, Musik machen, abtreten, im Grunde hätte man auch eine CD laufen lassen können, sehr viel Unterschied wär da nicht gewesen. Aber nun ja, die Zeit in der ich in verrauchten Kneipen rumgehangen habe ist genauso vorbei wie die verrauchten Kneipen selber.
Tempus fugit, und der Bassist der Gruppe kann auch schon nicht mehr Stehen beim Spielen,
https://youtu.be/sXv8XJOZT4U

 
Habe den Eintrag schon
am Montag gelesen und zögere seitdem, ob ich als Kommentar einfach nur "Schöne Schuhe!" drunterschreiben darf. Das Zögern hat nun ein Ende.

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