anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Sonntag, 9. Februar 2020
Ich möchte dieses Haus nicht kaufen
Das Haus, in dem ich hier in Greven wohne, ist eines von acht Häusern einer Reihenhauskette, die ein Bauunternehmer vor 25 Jahren gebaut hat und zunächst nur als Mietshäuser angeboten hat. Vor zwei Jahren hat er sich dann entschlossen, alles zu verkaufen, neuer Eigentümer wurde eine Gesellschaft, die sich aber nur als "Zwischenhändler" sieht und seitdem stehen die Häuser hier einzeln zum Verkauf.

Als ich vor 12 Jahren nach Greven zog, war ich sehr froh, dieses Haus gefunden zu haben, es ist groß genug, dass wir auch zu fünft noch gut hier wohnen konnten, es liegt verkehrsgünstig dicht an Münster, aber eben nicht IN Münster, so dass die Miete noch durchaus bezahlbar ist.
Mittlerweile haben wir uns auch zu zweit sehr gut breitgemacht in diesem Haus, ich mag es ja, Platz zu haben, allerdings sind die vielen Treppen (das Haus hat immerhin vier Ebenen) nicht unbedingt das, was man unter "altersgerecht" versteht.
Deshalb war mir schon immer klar, dass ich hier nur so lange wohne, wie ich in Münster arbeite. Wenn das mit dem Job erledigt ist, gibt es keinen Grund mehr, noch weiter in genau dieser Gegend wohnen zu bleiben und in genau diesem Haus schon mal erst recht nicht.

Grundsätzlich habe ich mein Zuhause ja sowieso auf Borkum, ich finde es allerdings auch sehr praktisch, gleichzeitig noch irgendwo auf dem Festland ein Standbein zu haben, weshalb wir beschlossen haben, die Nummer mit den zwei Haushalten einfach beizubehalten, ohne feste Berufsverpflichtungen ist dann später eine wöchentliche Pendelei nicht mehr notwendig, so dass die Haushaltwechselei insgesamt deutlich weniger stressig wird.

K besitzt ein Grundstück im Ostwestfälischen, auf dem er schon immer vorhatte, sich irgendwann dort ein Haus zu bauen, das werden wir in den nächsten fünf Jahren also umsetzen und darauf freue ich mich auch schon sehr. Sich im Alter noch mal ein neues Haus zu bauen, das man dann genauso entwirft, wie es zu den eigenen, gealterten gereiften Ansprüchen passt, finde ich eine glänzende Idee.

Weil diese Pläne alle nicht neu sind, haben wir uns entschlossen, das Haus hier in Greven nicht zu kaufen, sondern lieber noch ein paar Jahre weiter Miete zu zahlen, dafür können wir dann völlig problemlos irgendwann ausziehen und müssen uns um nichts mehr kümmern.
Die Häuser hier sind okay für Leute, die selber darin wohnen wollen, aber als Kapitalanlageobjekte finde ich sie viel zu teuer.
Ich kann allerdings auch verstehen, dass der Verkäufer so viel Geld dafür verlangt, nämlich einfach deshalb, weil es genug Leute gibt, die tatsächlich bereit sind, so viel Geld dafür zu bezahlen.
Gleichzeitig fasziniert mich aber auch, wie viele Leute es mittlerweile gibt, die große Mengen an Geld haben und die diese Art der Kapitalanlage als sinnvoll bewerten. Die Reichen von heute sind aber oft nicht mehr die Reichen von früher. Früher hatte man sein Geld entweder selber verdient und wusste deshalb, wie anstrengend es war, es zu verdienen oder es waren Leute, die schon von klein auf gelernt haben, wie man mit Geld umgeht, weil sie aus einer traditionell wohlhabenden Familie stammen.
Heutzutage gibt es dafür immer mehr "einfache Erben", also Leute, die selber niemals in der Lage wären, so viel Geld zu verdienen und auch nicht dafür ausgebildet wurden, es zu verwalten, die aber Eltern oder Großeltern haben, die es nach dem Krieg durch harte Arbeit und Sparen zu etwas gebracht haben - und genau das hinterlassen sie jetzt ihrer in finanziellen Dingen komplett unbedarft Nachkommenschaft. (Andererseits: Wenn die es jetzt blödsinnig anlegen, ist das auch eine Art Umverteilungsmechanismus.)

Der Wert einer Immobilie ist immer eine Mischung aus Substanzwert und Ertragswert, zumindest wenn man es als Kapitalanlage betrachtet. Für Selbstnutzer gilt das nur eingeschränkt, denn wenn ich selber darin wohnen möchte, spielen auch Faktoren wie Marktangebot, emotionale Bewertung, Image und Dringlichkeit des eigenen Bedürfnisses eine Rolle. Eigentümer wohnen durchschnittlich deutlich länger in ihren Häusern als Mieter, weil das "Wechseln" eben deutlich aufwändiger ist und Eigentümer ermitteln den Wert ihres Wohnens meist nicht als "Miete", einerseits weil es häufig gar keine Vergleichsobjekte gibt andererseits aber auch, und das beobachte ich in letzter Zeit immer häufiger, weil sie vorsichtshalber gar nicht wissen wollen, welchen "Mietwert" ihre Immobilie hat, weil der nicht zu ihrem Selbstbild passen würde.
Eine Besonderheit in unserer aktuellen Gesellschaft ist nämlich auch, dass sich 95% der oberen 10% der Einkommens- und Vermögensverteilung nicht zu den oberen 10% zählen, sondern fest davon überzeugt sind, dass sie zur ganz normalen Mittelschicht gehören. Herr Friedrich Merz zB rechnet sich ja auch nicht zur Geldelite.
Jeder gibt sich immer sehr viel Mühe, sich selber so durchschnittlich wie möglich einzuschätzen, darüber habe ich mich schon oft amüsiert.

Aber zurück zur Immobilie als Kapitalanlage.
Wenn ich eine Immobilie kaufe, um sie als Kapitalanlage zu nutzen, dann wird so eine Immobilie nach ganz normalen Rentabilitätskennziffern beurteilt und das bedeutet, ich bewerte den Substanz- und den Ertragswert.
Zum Substanzwert gehört zum einen das Grundstück, hier kann ich davon ausgehen, dass das Grundstück im Laufe der Zeit üblicherweise nichts an Wert verliert, sondern eher dazugewinnt, zum Substanzwert gehört aber auch das Gebäude und hier sollte man sehr wohl davon ausgehen, dass das Gebäude im Laufe der Zeit an Wert verlieren wird, denn ein ganz normales Gebäude wird heutzutage selten älter als 50 Jahre. Ausnahmen sind denkmalgeschützte Immobilien oder irgendwelche uralt Gebäude, die alle aber irgendwann kernsaniert werden - und so eine Kernsanierung kommt wirtschaftlich meist einem Abriss mit Neubau gleich.

Je jünger ein Gebäude ist, umso jünger wird es wahrscheinlich auch sterben, sprich, aktuell werden sogar viele Häuser aus den 80er schon abgerissen und neu gebaut, weil es wirtschaftlicher ist als die alten Dinger noch mal umfänglich aufzuhübschen.

Die Technik ist in den letzten Jahren in einem derart rasanten Tempo vorangeschritten, dass Häuser, die vor 10 Jahren gebaut wurden, heute teilweise schon technisch komplett veraltet sind. Zum Wohnen gehört halt immer mehr Technik und nicht nur Mauern, Fenster, Dach und Heizung. Da davon auszugehen ist, dass sich die Technikentwicklung in den kommenden zehn Jahren noch mal doppelt so schnell voran entwickeln wird wie in den letzten 10 Jahren, kann sich jeder selber ausmalen, was das für das Lebensalter einer "modernen" Immobilie bedeutet.

Das bedeutet aber auch, dass das Alter einer Immobilie bei der Bewertung eine ganz wichtige Rolle spielt und dass Immobilien, die heute schon 25 Jahre alt sind, mit hoher Wahrscheinlichkeit die Hälfte ihres Lebens schon hinter sich haben. Was also in 25 Jahren von dieser Immobilie noch Wert hat ist allein das Grundstück, der Rest wird einfach abgerissen. (Und gemeinerweise kostet auch der Abriss noch Geld, Sterben ist nirgendwo kostenlos.)

Der Ertragswert einer Immobilie ist die Miete, die ich dafür bekommen kann, meist als Jahreswert ausgedrückt und gerne auch auf einen Quadratmeter runtergerechnet, so werden die Zahlen handlicher und lassen sich leichter im Kopf überschlagen.

Nehmen wir als Beispiel das Haus hier in Greven.
Je größer die Immobilie desto kleiner der Quadratmeterpreis und weil diese Häuser relativ groß sind, ist der Mietpreis pro Quadratmeter relativ günstig. Setzen wir eine glatte Zahl an - 6 € Miete pro Quadratmeter pro Monat, macht also 72€ Miete pro Quadratmeter pro Jahr. Hier in Greven ist irgendwas mit Mieterhöhungsstopp und was weiß ich, sehr viel mehr wird das in den nächsten Jahren deshalb auch nicht werden, im Moment prügeln ja eh alle auf die Vermieter ein - und ansonsten muss man dann auch erst mal Mieter finden, die bereit sind, so eine hohe Miete zu zahlen, ich kann mir vorstellen, dass das schwierig würde.

Den Kaufpreis der Immobilie kann ich ja auch auf die Quadratmeter verteilen, nehmen wir mal an, der Käufer zahlt 2000€ pro Quadratmeter. Dann bekommt er dafür 72€ Miete, das entspricht einer Rendite von 3,6%.
Hört sich super an, denn schließlich sind die Zinsen so niedrig, dass man die Finanzierung schon für 1% bekommt, bleiben also 2,6% übrig und die kann man in die Tilgung stecken - dann ist ein 100% Kredit nach 38,5 Jahren abbezahlt, das Haus ist schuldenfrei und ich habe keinen Cent Eigenkapital reingesteckt. Perfekt - so geht Kapitalismus.

Blöd nur, dass das Haus nur noch 25 Jahre lebt (siehe oben).

Blöd auch, dass ich als Eigentümer neben der Finanzierung auch noch weitere Kosten zu tragen haben, die der Mieter nicht übernimmt. Laufende Instandhaltungen zum Beispiel (denn natürlich geht bei dem Haus grade mit zunehmendem Alter auch zunehmend was kaputt, ist wie bei Menschen, und bevor es stirbt muss es vorher noch eine ganz Zeitlang gepflegt und beatmet werden. Das kostet.)

Blöd auch, dass es darüber hinaus noch andere Kosten gibt, die ich im Auge haben sollte - was ist zum Beispiel, wenn der Mieter mal seine Miete nicht zahlt bzw. ich keinen Mieter finde und das Haus steht leer?
Und überhaupt - die Verwaltung. Muss auch jemand bezahlen.
Und dann überlegt die Politik im Moment, die Grundsteuer neu zu gestalten und ausschließlich dem Eigentümer aufzubrummen (im Moment kann der Eigentümer die Grundsteuer noch an den Mieter weiterbelasten).

Ich habe für diese Rechnung extra die "kleinen" Zahlen aus Greven genommen - hier kostet ein Quadratmeter tatsächlich noch "nur" 2000 € für ein gebrauchtes Haus, dafür bekommt man auch nur 6€ Miete. Aber im Grunde ist es völlig egal, welche Zahlen man einsetzt, je höher der Kaufpreis pro Quadratmeter, umso höher muss auch die Miete pro Quadratmeter werden und dann kann ja jeder selber rechnen.

Wenn man also so eine Immobilie als Kapitalanlage kauft, dann kann das nur funktionieren, wenn man sie rechtzeitig genug wieder verkauft, also so früh rechtzeitig, dass man noch einen Käufer findet, der bereit ist, dafür mehr zu bezahlen als man selber bezahlt hat - und das geht nur, wenn die Immobilie noch einigermaßen in Schuss ist. Je älter sie wird, umso eher sieht auch der nächste Käufer, was da auf ihn zukommt (bzw. was da grade wegstirbt).

Nun gibt es aber beim Handel mit Immobilien noch ein kleines weiteres Problem - der An- und Verkauf ist nämlich üblicherweise mit hohen Nebenkosten belastet. Bei jedem Kauf/Verkauf wird Grunderwerbsteuer fällig, die Höhe ist je nach Bundesland unterschiedlich, hier in NRW sind es 6,5%, dazu kommen noch Notar- und Gerichtskosten, wenn man Pech hat auch noch Maklerkosten, da belaufen sich die Kaufnebenkosten schon mal schnell auf mehr als 10% - und die müssen dann auch erst noch durch Wertsteigerung verdient werden.

Weil die Kalkulation einer Immobilie mein Alltagsgeschäft ist, habe ich also sehr schnell beschlossen, dass ich dieses Haus hier nicht kaufen möchte, weil ich hier nicht auf Dauer wohnen bleiben möchte und weil ich sehr viel Sorge habe, dass es sich auf lange Sicht als ein wenig profitables Anlagegeschäft erweist.

Aber es gibt ja genug Interessenten, ich gehe davon aus, dass der Neffe der Nachbarn, die drei Häuser weiter nach rechts wohnen, das Haus kaufen wird, der hat nämlich grade geerbt und hat jetzt Anlagenotstand
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