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Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Montag, 14. Juni 2021
Luxus
In der Welt stand ein Artikel mit dem Titel "Der neue Luxus" (hinter der Paywall), in dem in allerlei Statistiken gezeigt wurde, was die Deutschen sich aktuell so gönnen und was für sie Luxus ist.
Mich hat die Frage auch interessiert und ich habe erst selber darüber nachgedacht, was für mich Luxus ist und wofür ich mehr Geld ausgebe als sein müsste und dann habe ich auch J noch danach gefragt.
Leider hatten wir nicht genug Zeit, das Thema ausführlich zu besprechen, weil ich am Nachmittag erst noch dringend einen Text fürs Büro schreiben musste und dann musste ich unbedingt noch die Spargelsuppe fertig kochen, für die ich ja gestern schon das Kochwasser vom Spargel und von den Spargelschalen extra beiseite gestellt hatte und dann musste J zum Zug und die Gesprächschance war vertan, aber seine erste Antwort fand ich schon spannend, denn sie lautete: "Nicht denken müssen."

Aber ich schlage noch mal einen Bogen zurück, ich hatte ja als erstes den Artikel mit den Statistiken gelesen und in der ersten Statistik wurde danach gefragt, für welche Luxusartikel die Leute in der letzten Zeit Geld ausgegeben hätten und hier stehen Smartphone, Schuhe und Kleidung auf den obersten drei Plätzen. Jeweils etwas mehr als ein Drittel aller Befragten hat also für Smartphone, Schuhe und Kleidung mehr Geld als notwendig ausgegeben, denn das ist ja wohl die einfachste Definition von Luxus, die man hier ansetzen kann.
Auf Platz 4 folgt mit 26% "TV und Hi-Fi", dann "Taschen & Accessoires" sowie "Kosmetik & Körperpflege" mit jeweils 20% auf den Plätzen 5 und 6.
Für "Essen & Getränke" wird nur von 16% aller Befragten so viel Geld ausgegeben, dass sie es als Luxus bezeichnen.
Da die Befragung in der Zeit von Februar 2020 bis März 2021 stattfand, war auswärts essen ja die meiste Zeit nicht möglich, Urlaub und Reisen kam deshalb gar nicht erst vor.
Auf Platz 8 findet sich "Möbel & Haushalt" mit 11% und schließlich "Schreibwaren & Hobby" sowie "Spielzeuge und Babyprodukte" auf den Plätzen 9 und 10 mit 7 bzw. 6%.

Dass Schuhe und Kleidung soweit oben stehen, hat mich erstaunt, denn gefühlt hätte ich gedacht, dass die Leute solche Dinge deutlich weniger kaufen, weil sie ja schließlich nirgendwo mehr hingehen können, um den Kram vor- und auszuführen, aber auch Handtaschen und Kosmetik waren nach wie vor sehr beliebt, es sieht also nicht so aus als ob die oder der Durchschnittsdeutsche gerne zu Hause auf dem Sofa verlottert, auch nicht in der Pandemie.

Dass Smartphones ganz oben auf der Liste stehen, kann ich sofort verstehen und dass Leute grade in der Pandemie, wo das Smartphone für viele zum Hauptkommunikationstool zum Rest der Welt geworden ist, hier auch auf hohe Qualität und Funktionalität achten, ist nachvollziehbar, schließlich hat man ja sonst nichts.

Ich selber hätte mal wieder Probleme gehabt, die Frage überhaupt sinnvoll zu beantworten, weil es mir aus grundsätzlichen Überlegungen widerstrebt, für Dinge mehr Geld als notwendig auszugeben und ich deshalb bei fast nichts, was ich so kaufe, das Gefühl habe, das sei Luxus. Es mag zwar sein, dass ich mir letzte Woche tatsächlich das vierte Paar dieser Merino Sneakers gekauft habe, weil ich schließlich noch keines in weiß hatte, aber erstens war es gründlich reduziert und zweites ist ein weiteres Paar Schuhe nie Luxus, sondern immer echte Notwendigkeit. Wo käme ich da hin, wenn ich so etwas anders definierte.

Weil ich also diese Frage für mich selber gar nicht gut beantworten konnte, habe ich mich lieber mit der Frage zur zweiten Statistik beschäftigt: "Was verstehen Sie unter Luxus?"
J findet hier, dass "nicht denken müssen" Luxus ist und je mehr ich darüber nachdenke (anders geht es nicht), umso mehr stimme ich ihm zu.
Es geht nämlich nicht um das Denken als solches, sondern um das "müssen". Es gibt mittlerweile so viele Situationen im Leben, die man nur mit viel Konzentration und intensivem Denken lösen kann, dass es einfach nur nervig ist.
Es geht schon mit den einfachsten Alltagssituationen los: J wollte sich vorhin ein Zugticket online buchen, einen Vorgang, den er schon x-mal auf dem Handy gemacht hat, wo er seit Jahren trainiert und geübt ist, der aber immer wieder neue Überraschungen parat hält, weil es natürlich nie sicher ist, ob alles auch so funktioniert, wie es sollte. Das heutige Zugticket war besonders widerspenstig, nachdem er es gebucht und gekauft hatte, wurde es in der App nicht angezeigt, dafür war das Geld aber schon abgebucht. Nach dem Neustart der App wurde das Ticket zwar angezeigt, es hatte aber noch den Status "weiter zur Zahlung", der sich auch nur durch eine zweite Bezahlung desselben Ticket lösen ließ. Im Endergebnis hatte J mit viel hin und her zwar sein Ticket, aber auch eine doppelte Belastung auf der Kreditkarte und im nächsten Schritt muss er jetzt darüber nachdenken, wie er das am besten wieder grade biegt.
Dass er also denken muss, wenn er nicht unnötig viel Geld ausgeben will, ist ärgerlich - oder anders ausgedrückt: Nicht denken zu müssen ist Luxus.
Wer hat sich noch nicht einen persönlichen Butler gewünscht, der einem all die kleinen Lästigkeiten des Alltags abnimmt? Tausenderlei Kleinigkeiten, die einen zwingen zu denken, weil man es sich schlicht nicht leisten kann, sich davon übern Tisch ziehen zu lassen, aber Lust hat man doch eigentlich nie dazu, oder?

Ich stimme J also komplett zu, "nicht denken zu müssen", das ist echter Luxus.

Dieser Luxus kam allerdings auf der Liste der Umfrageergebnisse gar nicht vor. Ich glaube, das liegt daran, dass es wahrscheinlich eine vorgegebene Liste zum Ankreuzen war und die Umfrageersteller diese Antwort gar nicht auf dem Plan hatten, deshalb bin ich bei den Ergebnissen solcher Umfragen ja eh immer sehr skeptisch. Dass aber ausgerechnet "Gesundheit" mit 82% an oberster Stelle steht, finde ich dann gleichzeitig doch auch sehr trivial. - Und nein, das liegt nicht an der Pandemie, denn diese Umfrage ist bereits 2018 gemacht worden, allein an der Tatsache, dass die Welt hier völlig veraltete Statistiken als "neue Erkenntnisse" verkaufen will, zeigt sich mal wieder die Qualität der Springerpresse - aber ich schweife ab.

Natürlich ist Gesundheit ein Luxus, weil ohne Gesundheit ist alles nichts, aber welche Zusatzerkenntnis bringt es mir, wenn das 82% aller Befragten auch so sehen?
Gleich auf Platz 2 und 3 mit jeweils 80% folgt dann aber auch schon "Zeit für Freunde und Familie" und "Zeit für mich", danach wird "Selbstoptimierung" von 75% und "Well-Being" von 67% aller Befragten als Luxus bezeichnet.
Auf Platz 1-5 also keine käuflich erwerbbaren Güter, sondern eher so allgemeine Oberbegriffe aus irgendeinem Weltverbessererratgeberhandbuch, wobei ich zugebe, dass ich keine Ahnung habe, was man sich unter "Well-Being" vorstellen soll und weshalb Selbstoptimierung ein Luxus sein soll, entzieht sich erst recht meiner Vorstellung. Ich zumindest habe ganz ausdrücklich keinerlei Bedarf daran, mich selber zu optimieren, was soll denn der Quatsch? Wozu und für wen? Ich finde es viel sinnvoller, wenn man lernt sich selber mit all seinen Fehlern zu mögen, dann ist man nämlich mit sich zufrieden und Zufriedenheit wäre für mich ein ähnlich wichtiges Luxusgut wie "nicht denken müssen", kam aber wahrscheinlich wieder nicht vor in der Abfrageliste.

Ab Platz 6 kamen dann aber auch auf dieser Liste endlich die käuflichen Luxusgüter, angeführt von "Hochwertige Technik" (66%), gefolgt von den ganz allgemein gehaltenen "Luxusgütern" (64%) und spätestens da wird die Laienhaftigkeit dieser Umfrage endgültig deutlich.
Frage: Was ist für Sie Luxus?
Antwort: Luxusgüter.
Ach was, fällt mir da nur ein.

Bevor es auf den weiteren Plätzen dann mit den bekannten Klassikern wie "große, eigene Immobilie" , "ausgefallene Reisen" und "exklusiver Konsum" (alle drei jeweils 62%) weitergeht, wird mit 63% noch einmal ein allgemeiner Oberbegriff genannt, nämlich die mittlerweile begrifflich schon etwas abgenudelte "Work-Life-Balance".

Platz 12 = Gourmetrestaurants (59%), dann "5-Sterne-Hotels" und "Exklusiver Zugang" mit jeweils 58%.
Ein "sportliches, dynamisches Leben" betrachten 57% als Luxus, noch vor "Spa und Wellness" mit 56%.

Ein Auto wird überhaupt erst auf den letzten beiden veröffentlichten Rängen genannt, und zwar rangiert ein "fortschrittliches Auto" mit 50% sogar noch einen Prozentpunkt vor dem "schnellen, großen Auto". (49%)

Als interessante Feststellung kann man also mitnehmen, dass hochwertige Technik heute von immer mehr Leuten als Luxus und damit wahrscheinlich als erstrebenswert angesehen wird, wohingegen das Auto deutlich an Bedeutung verliert. Ist ja auch keine zu schlechte Entwicklung.

In einer dritten Statistik wurden dann noch die Gründe für den Kauf von Luxusprodukten genannt, aber das fand ich dann endgültig eine überflüssige Statistik, weil sich die Menschen üblicherweise hier selber was in die Tasche lügen. Natürlich steht als oberster Grund "Qualität und Langlebigkeit", tatsächlich ist das bei vielen Luxusartikeln aber nur ein Wunschdenken, wirtschaftlich lässt sich das sehr häufig absolut nicht rechtfertigen. Aber für die Hersteller von Luxusartikeln ist das natürlich sehr wichtig, sie müssen ganz dringend so tun, als hätten ihre Produkte eine besonders hohe Qualität mit besonderer Langlebigkeit. In der Volkswirtschaft nennt man das "Abschöpfen der Konsumentenrente" und ist ein sehr gewinnbringender Zweig der Preisfindung.

Wenn ich abschließend zusammenfasse, was für mich Luxus ist, dann würde ich es definieren als: "Keine Dinge tun zu müssen, die ich nicht tun will."
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