anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Dienstag, 14. August 2018
Erster Montag seit vier Wochen
Heute war ja nicht nur Montag, heute war mein erster Bürotag seit vier Wochen. Interessanterweise war es längst nicht so schlimm, wie ich erwartet hatte. Im Gegenteil, es war eigentlich sogar ganz nett. K sagt zwar immer „ganz nett“ ist die kleine Schwester von „Scheiße“, aber in Summe war es wirklich völlig o. k., oder anders ausgedrückt, eben längst nicht so schlimm wie erwartet.
Das lag vor allem natürlich auch daran, dass kaum Menschen da waren, allein in meiner Abteilung, in der normalerweise heute neun Leute hätten anwesend sein sollen, waren nur drei da (mich eingeschlossen) alle anderen waren entweder krank oder haben Urlaub.
Wenn man so ganz in Ruhe gelassen, langsam und friedlich wieder reinkommen kann und nicht im fünf Minutentakt jemand auf der Matte steht und irgendetwas von einem will, sich über irgendetwas beschwert, irgendetwas nicht verstanden hat, für irgendetwas eine Einweisung braucht, dann ist arbeiten gar nicht so schlimm.
Und gefühlt habe ich sogar eine Menge geschafft, zumindest alle dringenden Sachen, die unbedingt heute fristgebunden erledigt werden mussten, sind auch tatsächlich rausgegangen.
Ich habe ein sehr konstruktives Telefongespräch mit dem Finanzamt geführt (manchmal trifft man da echt auf nette Leute) und ein anderes, sehr nettes Telefongespräch mit einem neuen Kollegen in unserer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, es ist toll, wenn man neue Kollegen kennen lernt, mit denen man sofort einen Draht hat.
Heute Abend habe ich im Fernsehen dann einen Film in der ARD gesehen, Monsieur Claude und seine Töchter, und war ganz fasziniert von der Leichtigkeit, mit der dieser Film die Absurdität des verallgemeinernden Integrationsanspruchs aufgezeigt hat.
Mittlerweile macht mich diese immer wieder wiederholte Forderung nach Integration bzw. die umgekehrte Beschwerde, über existenten Rassismus=Ausgrenzung von anderen nur noch böse.
Wenn ich mir diese Mengen an #metwo Beiträgen ansehe, möchte ich nur noch auswandern. Dorthin, wo es keine Menschen gibt, wo deshalb niemand sich darüber beklagen kann, dass er ausgegrenzt wird.
Denn nur wer ganz alleine lebt ist wirklich frei und muss sich keine Sorgen machen, dass er von irgendjemandem angefeindet wird, weil er anders ist.

Mich macht das deshalb so böse, weil ich mein Leben lang schon immer anders war und weil ich oft genug ausgegrenzt wurde und regelmäßig das Gefühl hatte, nicht dazuzugehören, aber weil ich natürlich ein weißes Mädchen bin, nennt sich das nicht Rassismus der anderen, sondern ich habe Probleme, mich sozial anzupassen.
Merkste selber, nich?
Hätte ich irgendwie einen ausländischen Hintergrund, könnte ich vollständig problemlos permanent die große #metwo Integrationskeule schwingen, habe ich aber nicht und deswegen bin ich selber schuld. Beziehungsweise ich jammere vor allem deshalb nicht, weil ich ja auch denke, es ist mein Problem.
Und weil ich denke, dass man einfach damit leben muss, dass man nicht überall sofort mit offenen Armen aufgenommen wird, wenn man neu in eine Gruppe kommt. Das ist einfach ein ganz normales menschliches Verhalten.
Der Film, den ich heute Abend gesehen habe, der hat mir deshalb so gut gefallen, weil er so deutlich machte, dass jeder Mensch "rassistische" Grundveranlagungen hat, denn jeder hat ja ein Menschenbild, das von ihm und seiner eigenen Person als "positivem Normalzustand" ausgeht.
Außerdem ist niemand pauschal daran interessiert, Fremde in seine eigene Gruppe zu lassen. Vor allem keine Fremden, die sich aufdrängen, die anstrengend sind oder gar Besserwisser. Das war jetzt kein Thema des Films, aber das halte ich für eine ganz normale Erkenntnis über den menschlichen Charakter. Denn im Grunde sind doch die allermeisten Menschen zunächst mal an ihrem eigenen Wohlergehen interessiert, und in meinem minikleinen subjektiven Mikrokosmos habe ich bisher ja sehr gut gelebt, jetzt kommt ein Fremder von außen - na, ist doch klar, dass der eine potentielle Gefahr darstellt, weil er mir etwas wegnehmen könnte. Freunde, Bequemlichkeit, Ansehen, was man halt so braucht, um zufrieden durchs Leben zu kommen.

Als Kind konnte ich nicht in den katholischen Kindergarten gehen, da ich evangelisch war, die wollten keine Ketzer, heute hieße das Rassismus und würde mit bösen #Hashtags angeprangert.

Auf Borkum dagegen bin ich weitestgehend akzeptiert, weil meine Vorfahren von der Insel stammen. Dort mag man allerdings erst recht keine Fremden, und schon Leute, die aus Emden kommen, sind ja keine echten Insulaner, und werden deshalb ausgegrenzt. Das ist dort schon immer so gewesen, und ist auch heute noch so, ich habe schon immer ein bisschen darüber gegrinst, wenn man zB über Familie XY redete und dann hieß es: Ja, aber die Erna, die ist ja nicht von hier, die kommt irgendwo vom Festland. Zu dem Zeitpunkt war Erna dann 85 Jahre alt, mit 20 Jahren auf die Insel gekommen und hatte dort geheiratet. Würde Erna einen Twitteraccount haben, könnte sie sich schrecklich darüber beschweren, dass sie auch nach 65 Jahren noch nicht dazugehört. Oder gilt das nicht?
Darf man zwar Deutsche vom Festland problemlos ausgrenzen, aber ausländische Flüchtlinge müssen zwingend integriert werden, weil sich das so gehört?
Und ja kein falsches Wort sagen, sonst hat schon wieder eine arme, unschuldige Seele ein Trauma fürs Leben, weshalb ja dieser #metwo-Hashtag so wichtig ist, weil man endlich mal drüber reden kann?

Und was ist mit all den anderen Leuten, die nicht wegen ihrer Hautfarbe oder ihrer Herkunft oder ihres Geschlechtes oder ihrer sexuellen Vorlieben oder ihrer Behinderung (ich glaube, jetzt habe ich die meisten, die sich bisher mit Hashtag beschwert haben, oder?) ausgegrenzt werden? Was ist mit den Rothaarigen oder den Krussellockigen oder den zu Dicken oder zu Dünnen oder denen, die nicht hübsch genug sind oder seltsame Eltern hatten oder einfach nur zu wenig Geld haben? Es gibt ganz bestimmt 82,5 Millionen Gründe Menschen in Deutschland auszugrenzen - nämlich für jeden Bewohner mindestens einen und natürlich ist das nicht nett und für den jeweils Betroffenen mal gleich gar nicht, aber wenn die öffentliche Beschwerderitis in diesem Tempo weitergeht, dann muss man sich nicht wundern, wenn sich ganz normale 08/15 Durchschnittsmenschen intellektuelle Alternativen suchen. Denn grade diejenigen, die andere ausgrenzen, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit selber auch ausgegrenzt, von nix kommt nix.

Der Film im Ersten hat mir heute so gut gefallen, weil er so deutlich zeigte, dass natürlich auch all die Gruppen von Menschen, die man klischeemäßig besonders gut ausgrenzen kann, ihrerseits wiederum die Masse der "anderen" Bevölkerung ausgrenzt.

Und ich frage mich dann immer, warum darf man das nicht? Was ist so schrecklich verkehrt daran, manche Menschen einfach nicht zu mögen und zu sagen: nein, mit dir möchte ich einfach nichts zu tun haben.

Je mehr wir mangelnde Integration vor allem auf der sprachlichen Ebene anprangern, umso mehr wird sie wahrscheinlich schon aus Trotz ausgelebt, ich merke es ja bei mir selber.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich als Kind mal ganz alleine in Wald gegangen bin, um dort ungehemmt und vor allem ungestört und unverboten stundenlang alle umstehenden Bäume auf das sprachlich gröbste zu beleidigen. "ScheißeScheißeScheiße" - dreimal ganz schnell und ganz laut gebrüllt - tolles Gefühl.
Und neulich habe ich mich dabei ertappt, wie ich dachte, ich könnte doch mal wieder "Neger" sagen, besser noch "NegerNegerNeger" - einfach nur so, weil es verboten ist
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(Abgelegt in anjesagt und bisher 725 x anjeklickt)

... ¿hierzu was sagen?

 
Diesen Eintrag
hatte ich heute Nacht schon gelesen. Bin dann ins Bett gegangen und heute Morgen mit Gedanken daran wieder aufgewacht. Was das Thema Integration und Ausgrenzung betrifft ist er das Beste, was ich bisher dazu gelesen habe. Grösseres Lob kann ich jetzt nicht ausdrücken, um nicht noch ins Schwärmen zu geraten. Danke!

... ¿noch mehr sagen?  

 
Oh,
Dankeschön. Das ist ja ein nettes Kompliment.
Dabei war ich gestern schon so müde, dass ich vieles gar nicht mehr richtig ausformuliert, sondern einfach nur schnell runtergetippt habe, weil ich halt grade vorher diesen Film gesehen hatte und ganz dringend sofort und auf der Stelle etwas darüber sagen wollte.
Das Thema "Integration und Rassismus" spukt mir allerdings schon länger im Kopf rum, eben weil ich es so abstrus finde, wie unterschiedlich damit im Leben und in den sozialen Medien umgegangen wird.

Die sprachliche Komponente dabei triggert mich besonders, aber eben auch die Tatsache, dass ich denke, es ist tatsächlich ein Teil des typisch menschlichen Charakters, sich in homogenen Peergroups zusammenzufinden und sich in dieser Gruppe dann gegen andere abzuschotten. Das hat nichts mit Rassismus zu tun, sondern nur mit "anders sein".

Als ich mir meinen eigenen Eintrag vorhin noch mal durchgelesen habe, hatte ich das Gefühl, ich muss einiges noch viel deutlicher erklären und darstellen - ich habe deshalb noch mal gründlich an dem Eintrag rumgeändert.
Ich hoffe, Sie sind jetzt immer noch damit zufrieden und ich habe nicht durch Zufall jetzt etwas anders deutlich gemacht als Sie vorher darin gelesen haben.

 
Auch dafür danke ich Ihnen.
Habe mir erlaubt, den Eintrag zu verlinken.
https://schreibmanblog.wordpress.com/2018/08/14/was-anje-sagt/

 
Ich glaube, du spiegelst zu viel. Den ganz gravierenden Mangel an Empathie den du hast (und mit dem du durchgekommen bist nicht weil du auf irgendeine Art fundamentale Wahrheit gestoßen bist sondern schlicht, weil du zu wertvoll warst), gekoppelt mit Trotz und leider einer zu starken Argumentationsfähigkeit, reicht aus um sogar dich zu überzeugen.

1. Man muss differenzieren. Natürlich darfst du frei behaupten, Neger sei verboten weil es verboten ist. Und sicherlich, es gibt Menschen die verbieten dieses Wort weil sie es gerne verboten hätten. Das ist aber nicht der Grund, warum man es nicht benutzt. Man benutzt es nicht, weil man damit Leute beleidigt. Kein anderer Grund. Es ist exakt vergleichbar damit, dem Busfahrer beim Aussteigen einen Hurensohn zu nennen. Eine Beleidigung, nichts anderes als eine Beleidigung, red dir nichts ein.
Die Leute, die es gerne verboten hätten weil sie es verbieten als Zielscheibe zu wählen und damit das gesamte Verbot/die Nicht-Benutzung als ungültig zu erklären ist ein klassischer Fall von der Scapegoat Fallacy. (Mach dir ein Ziel was du leicht besiegst und behaupte du hättest gewonnen. Auch wenn die Themen natürlich nicht vernünftig miteinander verbunden sind.)

2. Das geklärt, was hast du denn überhaupt für einen Einblick in die Gesellschaft? Du siehst nur was du siehst, du siehst deine Filterblase, die in deinem Fall wahrscheinlich nicht algorithmisch bedingt ist, sondern wegen deines Trotzes, etwas anderes zu sehen.
Außerdem siehst du natürlich überwiegend die lauten Leute, die Twitterer und Rumschreier, die Demoanmelder und Politiker und was weiß ich. Anders formuliert: Nicht den Maßstab, nicht den Durchschnitt.

Wer "zwingt" denn zur Integration? Und überhaupt, woher nimmst du dir das raus, das zu wissen?

Vielleicht könntest du eine Sekunde deine Abwehrhaltung aufgeben, den verdammten Trotz und deine ganz herrlich distanzierte und privilegierte Position des Betrifft-mich-nicht nutzen und da drüber nachdenken bevor du aus Trotzaffekt handelst, weil du findest, jemand zwingt dir etwas auf (was seit du 18 bist niemand mehr getan hat, denn das kann niemand).

3. Mangelnde Empathie: Die Leute die da metwo hashtaggen, vielleicht (nur vielleicht!) ist denen das sogar wichtig, weil es die auf einer täglichen Ebene berührt. Weil es anstrengend ist, jeden Tag, immer wieder, ständig und dauernd zu hören, oder zu sehen, oder zu erfahren, dass man nicht dazugehört, nur weil man Muhamad heißt.
Weißt du warum man Emder (mit ihrem ganz skurrilen Platt) diskriminieren darf? Weil es niemanden interessiert. Weil der Grad an Freiheit so viel höher ist für die Erna auf Borkum als für den Muhamad in Dresden. Die Erna kann wieder zurück nach Castrop-Rauxel, Muhamad aber nicht nach Syrien. Da kommt der nämlich gar nicht her, der spricht kein Arabisch.

Das Wort was dir fehlt ist Verhältnismäßigkeit. Denk mal drüber nach.

... ¿noch mehr sagen?  

 
Hat irgendjemand einen Satz davon dechiffrieren können? Bitte um Übersetzung.

 
Ich finde die Antwort vor allem deshalb gut, weil ich denke, es ist der Versuch, das Thema aus einer subjektiven Sicht heraus zu diskutieren, deshalb werde ich mich jetzt mal bemühen, es Stück für Stück anzugehen:


Den ganz gravierenden Mangel an Empathie, den du hast (und mit dem du durchgekommen bist, nicht weil du auf irgendeine Art fundamentale Wahrheit gestoßen bist, sondern schlicht, weil du zu wertvoll warst), gekoppelt mit Trotz und leider einer zu starken Argumentationsfähigkeit, reicht aus, um sogar dich zu überzeugen.
In diesem Satz stecken gleich zwei niedliche Vorwürfe, die ich beide sogar durchaus akzeptiere. Wenn man Empathie als ein instinktives Mitgefühl aus dem Bauch heraus definiert, dann habe ich hier sicherlich einen gravierenden Mangel. Ich gebe mir aber regelmäßig große Mühe, das durch den verstärkten Einsatz von teilweise erlernten, teilweise aber auch rational überlegten Reaktionen auszugleichen - und ehrlich gesagt sehe ich meine derart gesteuerten empathischen Reaktionen damit nicht mehr als mangelhaft, sondern die "instinktiven empathischen" Reaktionen anderer Menschen oft als überschießend an. Es ist halt immer eine Frage der Perspektive und vor allem eine Frage, wo man die angestrebte Benchmark zieht. Und weil ich hier nicht empathisch vorbelastet bin, geht mir das lautstarke Mimimi vieler #metwo-Beschwerdeführer nicht nur auf die Nerven, sondern ich halte es eben in vielen Fällen auch für komplett überzogen. Irgendjemand schlug vor, diesen Hashtag in #mimimitwo umzubenennen, was ich sehr passend fand. (Und ja natürlich bin ich nicht nur empathisch unterversorgt, sondern auch noch gemein, aber hey, keiner kann aus seiner Haut.)
Den zweiten Vorwurf finde ich dagegen wirklich süß, er wurde mir übrigens schon öfter gemacht und ich stehe jedesmal da und denke mir: "Geiles Totschlagargument. Damit knockt man jeden aus, der einem überlegen ist". - und zwar meine ich diese "leider zu starke Argumentationsfähigkeit", andere Leuten sagten auch schon "wortgewaltig", die du benennst.
Ja, sorry, mag sein, dass ich rhetorisch ganz gut trainiert bin, aber soll ich mich deswegern jetzt schämen oder habe deshalb pauschal unrecht oder welche Folgen hat das?

1. Man muss differenzieren. Natürlich darfst du frei behaupten, Neger sei verboten, weil es verboten ist. Und sicherlich, es gibt Menschen, die verbieten dieses Wort, weil sie es gerne verboten hätten. Das ist aber nicht der Grund, warum man es nicht benutzt. Man benutzt es nicht, weil man damit Leute beleidigt. Kein anderer Grund. Es ist exakt vergleichbar damit, dem Busfahrer beim Aussteigen einen Hurensohn zu nennen. Eine Beleidigung, nichts anderes als eine Beleidigung, red dir nichts ein.
Naja, mit Hurensohn kann man auch Leute beleidigen und auch dieses Wort benutze ich durchaus, um es im Wald zu brüllen.
Sorry, tut mir leid, aber diesen Einwand finde ich zu schwach. Ich sehe ein, dass ich mich bei einem schwarzen Busfahrer nicht mit "Tschüss Neger" verabschieden solle, aber die flächendeckende Eliminierung dieses Wortes nicht nur aus der heutigen Sprache, sondern auch nachträglich (sic!) aus der (Kinder)literatur, finde ich wirklich mehr als lächerlich. Und ob man einen Schaumkuss jetzt Schaumkuss oder Negerkuss oder Mohrenkopf oder Schokokuss nennt, ist ein vergleichbar albernes Beispiel. Meinst du ernsthaft, dass sich ein schwarzer Busfahrer (oder welcher schwarze Mensch auch immer), gerechtfertigterweise davon beleidigt fühlen sollte? Und warum darf man dann die Wiener Würstchen Wiener nennen? Sind jetzt alle Wiener Würstchen? Darüber hat sich dein Vater immer aufgeregt :-)
Nein, eine Beleidigung wird es erst, wenn man es als Beleidigung verwendet, weil man konkret jemanden beleidigen will.
Alle Wörter haben auch ein konnotatives Umfeld und natürlich kann sich jeder da die Bedeutungen reininterpretieren, die er gerne hätte, aber ich finde, er muss das nicht tun. Man kann ein Wort auch einfach mal ein Wort sein lassen, ohne dass sofort die Sittenpolizei aufmarschiert, die natürlich als einzige die wahre und echte Interpretationshoheit inne hat, und verlangt, dass man dieses Wort mit Stumpf und Stiel ausmerzt.

Die Leute, die es gerne verboten hätten, weil sie es verbieten, als Zielscheibe zu wählen und damit das gesamte Verbot/die Nicht-Benutzung als ungültig zu erklären, ist ein klassischer Fall der Scapegoat Fallacy. (Mach dir ein Ziel, was du leicht besiegst und behaupte, du hättest gewonnen. Auch wenn die Themen natürlich nicht vernünftig miteinander verbunden sind.)
Ähem, wolltest du jetzt nur den Begriff unterbringen (schöner Begriff, btw) oder gehen auch hier unsere Definitionen auseinander?
Ich habe sicherlich eine sehr dezidierte Meinung zu derart vorsätzlichen Eingriffen in die Sprache und neige zu durchaus bösartigen Ausführungen, wenn es zB um genderism geht, aber in diesem Fall war das Wort "Neger" für mich nur ein Beispiel für all die Wörter, die man nicht sagen darf, weil sich dann schon wieder irgendjemand in irgendeiner Art diskriminiert fühlt.

2. Das geklärt, was hast du denn überhaupt für einen Einblick in die Gesellschaft? Du siehst nur, was du siehst, du siehst deine Filterblase, die in deinem Fall wahrscheinlich nicht algorhythmisch bedingt ist, sondern wegen deines Trotzes, etwas anderes zu sehen.
Sorry, aber falsch.
Dass ich unbestritten schon fast automatisch zu spontanen Trotzreaktionen neige, gebe ich sofort zu, aber ich bilde mir ernsthaft ein, dass das nur spontane Reaktionen sind und dass ich spätestens nach ein wenig Drüberschlafen irgendwann auch meinen Kopf einschalte und dann meist versuche, elegant die Kurve zu kriegen, wenn ich bemerke, dass ich mich nur aus Trotz grade sehr peinlich verrannt habe. Und meine Filterblase ist langfristig gewachsen und meiner Meinung nach deshalb nicht von Trotz geprägt, sondern von dem ehrlichen Interesse an anderen Menschen, die maximal gemein haben, dass sie eine vertretbar saubere Orthographie benutzen. (Zugegeben, damit sind enorm viele Menschen schon von vornherein raus, aber das liegt nicht an meinem Trotz, sondern höchstens an meiner intellektuellen Arroganz) Die sonstigen Einflussfaktoren, die meine Filterblase bestimmen, sind aber durchaus breit gestreut und ich wundere mich selber oft, was ich so für Menschen kenne bzw. lese.

Außerdem siehst du natürlich überwiegend die lauten Leute, die Twitterer und Rumschreier, die Demoanmelder und Politiker und was weiß ich. Anders formuliert: Nicht den Maßstab, nicht den Durchschnitt.
Äh, ja, logisch, wen sonst? Aber geht das nicht jedem so?

Wer "zwingt" denn zur Integration? Und überhaupt, woher nimmst du dir das raus, das zu wissen?

Vielleicht könntest du eine Sekunde deine Abwehrhaltung aufgeben, den verdammten Trotz und deine ganz herrlich distanzierte und privilegierte Position des Betrifft-mich-nicht nutzen und da drüber nachdenken bevor du aus Trotzaffekt handelst, weil du findest, jemand zwingt dir etwas auf (was seit du 18 bist niemand mehr getan hat, denn das kann niemand). 

Das ist eine völlig unsinnige Auslassung, ich habe sie deshalb einfach nur gestrichen.


3. Mangelnde Empathie: Die Leute die da metwo hashtaggen, vielleicht (nur vielleicht!) ist denen das sogar wichtig, weil es die auf einer täglichen Ebene berührt. Weil es anstrengend ist, jeden Tag, immer wieder, ständig und dauernd zu hören, oder zu sehen, oder zu erfahren, dass man nicht dazugehört, nur weil man Muhamad heißt.
Weißt du warum man Emder (mit ihrem ganz skurrilen Platt) diskriminieren darf? Weil es niemanden interessiert. Weil der Grad an Freiheit so viel höher ist für die Erna auf Borkum als für den Muhamad in Dresden. Die Erna kann wieder zurück nach Castrop-Rauxel, Muhamad aber nicht nach Syrien. Da kommt der nämlich gar nicht her, der spricht kein Arabisch.

Hier kommst du zu dem Punkt, an dem ich dir sofort recht gebe:
Echter Rassismus ist schon deshalb eine üble Angelegenheit, weil er offenbart, was für ein dummer, überheblicher und deshalb sehr unangenehmer Mensch derjenige ist, der meint, er selber wäre etwas besseres als jemand anderes, der eine andere Hautfarbe/Religion/Herkunft oder was weiß ich hat. Und bewusste, also absichtliche und herabsetzende Ausgrenzung, die rein aus unreflektiertem Schubladendenken resultiert, was dann aber von vielen Menschen als unhinterfragte Lebensselbstverständlichkeit akzeptiert und gelebt wird, ist wirklich übel und da kann man sich gar nicht genug Mühe geben, das zu ändern.
Aber genau das ist nicht das, was mit diesem hashtag aufgedeckt wurde, im Gegenteil, ich glaube, ich habe fast mehr Artikel/Blogbeiträge mit der Überschrift "weshalb ich nichts zu #metwo sage" gelesen, als Tweets, die diesen hashtag verwendeten, und alle diese Artikel haben mich sehr berührt, denn hier wurde von echter Diskriminierung berichtet, über deren Widerlichkeit wir wirklich gar und überhaupt nicht diskutieren müssen. Ich echauffiere mich hauptsächlich über die Leute, die meinen, sie könnten jetzt auch endlich mal jammern, weil sie so gemein und böse ausgegrenzt werden, nur weil jemand in ihrer Gegenwart Negerkuss gesagt hat oder sie gefragt hat, wo sie geboren wurden, weil sie optisch erkennbar keinen mitteleuropäischen Gesichtsschnitt haben. (Und ja, vielleicht habe ich viel zu wenige Tweets gelesen, aber von den 50-100 Stück, die ich gelesen habe, bis ich den hashtag gemutet habe, weil es mir zu blöd wurde, waren gut 80% solche #mimimitwo Tweets.) Aber wenn genau solche Dinge schon als "Rassismus" angeprangert werden, ja, dann muss man sich halt nicht wundern, wenn es immer mehr Menschen gibt, die offen zugeben, rassistisch zu sein, weil man es auch als gefühlt absolut unrassistischer Mensch gar nicht vermeiden kann, in diese Ecke gestellt zu werden. Einmal nicht aufgepasst und zack - wird man von der #metwo-Keule erwischt.