anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Dienstag, 13. Dezember 2022
Über die Bedeutung von Geld
Deutschland ist das viertreichste Land der Welt und kaum einer redet gerne über Geld, schon gar nicht über sein eigenes und auch nicht über sein Verhältnis zu Geld.

Für mich ist Geld elementarer Teil meines Berufes, mit mir reden die Leute über ihr privates Geld, so wie sie mit einem Urologen über Impotenz reden, ich unterliege an dieser Stelle einer vergleichbaren Verschwiegenheitsverpflichtung, vielleicht ist das für manche Leute der wichtigste Teil meines Berufes.

Vielleicht rede ich aber genau deshalb auch gerne ganz allgemein über Geld, so wie Dr. Ruth sich ja auch hauptsächlich allgemein für ihr Thema interessierte.

Bei vielen Themen, die mit einem Tabu belegt sind, beginnt die Prägung der eigenen Haltung oft bereits sehr früh durch Erlebnisse und Erfahrungen in der Kindheit, die das Kind dann selber verarbeiten muss, weil ja niemand drüber redet.

Ich bin in einer Lehrerfamilie aufgewachsen, d.h. es gab ein festes und sehr sicheres Beamtengehalt des Vaters ohne größere Entwicklungsmöglichkeiten, man strebte also auch keine finanzielle Veränderung an.
Meine Eltern waren sehr sparsam, denn große Sprünge konnte man mit einem kleinen Lehrergehalt und einer fünfköpfigen Familie nicht machen, ich kann mich aber nicht daran erinnern, dass sie je ernsthafte Geldsorgen hatten, weil man auch mit wenig Geld auskommen kann, wenn man klug wirtschaftet. Ich habe dadurch sehr früh gelernt, dass der Umgang mit Geld eine intellektuelle Herausforderung ist.

Ich bin in Meerbusch zum Gymnasium gegangen und habe meine Jugend vor allem im Reitstall verbracht. In Meerbusch wohnen sehr viele reiche Leute, die meisten meiner Klassenkameraden kamen aus verhältnismäßig wohlhabenden Elternhäusern, meine beste Freundin hatte ein eigenes Pferd. Meine Eltern konnten mir kein eigenes Pferd bezahlen, es gab aber genug andere reiche Leute, die sich zwar das Pferd leisten konnten, aber dann keine Zeit hatten, es täglich zu bewegen. Deshalb hatte ich ein Pflegepferd, für das ich verantwortlich zuständig war. Ich bekam dafür kein Geld, aber ich konnte (musste) jeden Tag reiten und ich durfte auch an Turnieren teilnehmen. Der einzige Unterschied zu einem eigenen Pferd war, dass ich keine Kosten hatte für das Hobby.

Eine für mich prägende Erkenntnis für meine eigene Einstellung zum Geld, war die Erfahrung, dass Menschen, die offensichtlich sehr viel Geld haben, deshalb noch lange nicht klug sein müssen und dass sich der Wert einer Sache nicht an dem bemisst, was man dafür bezahlt, sondern dass es für fast alles auch einen Alternativmarkt gibt, wo man die gleichen Dinge für viel weniger Geld bekommen kann, wenn man bereit ist, ein paar Eigenschaften von Dingen als für sich selbst nicht notwendig einzustufen. "Fabrikneu" z.B. ist eine Eigenschaft, deren Nutzen sich mir nur selten erschließt.
Ich glaube, ich habe schon früh und ganz intuitiv das System des komparativen Kostenvorteils entdeckt und mich seitdem grundsätzlich daran orientiert.

Der Maßstab, nach dem Lehrer ihre Kinder messen, ist Klugheit und das war damit der Maßstab, mit dem ich aufgewachsen bin, denn er galt nicht nur in der Schule, sondern auch zu Hause.
Geld dagegen war niemals ein Maßstab, im Gegenteil, wer außer Geld sonst nichts im Kopf hatte, der war ein armer Tropf. Und wer sich einbildete, er sei etwas Besseres, nur weil er Geld hatte, der hatte ganz offensichtlich sonst nichts, auf dass er sich was einbilden konnte und war damit automatischer ein armer Tropf.

Ich habe deshalb Leute noch nie um ihr Geld beneidet, ich hatte auch nie den Bedarf, viel Geld haben zu wollen, um mir teure Dinge kaufen zu können. Die teuren Dinge, die ich haben wollte, die habe ich mir seit jeher schon gebraucht gekauft und habe die "armen" Leute bemitleidet, die es sich neu gekauft hatten und deshalb so viel Geld einfach zum Fenster rausgeworfen haben. Und natürlich habe ich die dummen reichen Leute dafür bemitleidet, dass sie sich ihr Leben so unbequem machen mussten, nur um ihren Reichtum als Statussymbol sichtbar zu machen. Ein Porsche zB ist als Auto ungemein unbequem, warum in alles in der Welt bezahlt jemand für diese Unbequemlichkeit so viel Geld?
Außerdem kannte ich die Sicherheitsmaßnahmen, mit denen die Millionärskinder aus meiner Klasse leben mussten. Das ist ungemein abschreckend und ich war schon sehr früh sehr überzeugt, dass ich mir meine persönliche Freiheit für kein Geld der Welt abkaufen lassen würde, denn wofür braucht man so viel Geld? Bessere Schulnoten konnten sie sich dafür nicht kaufen und mehr Spaß im Alltag hatten sie ganz offensichtlich auch nicht.

Für mich war Geld immer nur wichtig für all die kleinen Dinge des Alltags, für die es keinen Alternativmarkt gab (z.B. die einfach süchtig machenden Pommes Frites mit Schaschliksauce aus der Imbissbude gegenüber vom Bäcker, die 1,20 DM kosteten und durch nichts zu ersetzen oder irgendwie günstiger zu kaufen waren, die aber für mich, mit meinen 5 DM Taschengeld in der Woche, nicht täglich finanzierbar waren) und natürlich braucht man auch für einen Einkauf auf dem Flohmarkt ausreichend Kleingeld.

Ich habe mir deshalb sehr früh vorgenommen, dass ich immer so viel Geld haben will, dass ich nie mehr überlegen muss, ob ich mir lieber eine Portion Pommes oder eine Fanta in der Disco leisten möchte und dass ich niemals wieder auf einem Flohmarkt stehe und ein echtes Superschnäppchen (eine echte Wranglerjeans in meiner Größe mit der richtigen, seltenen 34er Beinlänge) für 5 DM nicht kaufen kann, weil ich kein Geld mehr habe.
DAS war ein traumatisches Erlebnis.

Ich wollte also nie superreich sein, sondern immer nur ausreichend reich, um mir all das kaufen zu können, wonach mir der Sinn stand, wobei auch gleichzeitig immer klar war, dass sinnlose Statussymbole mir von ganz alleine nie in den Sinn kommen würden, Statussymbole sind bei mir fest verknüpft mit dem "armer Tropf" Marker.

Durch die Tatsache, dass meine Eltern Lehrer waren, war auch klar, dass ihre Kinder Abitur machen würden, das war so selbstverständlich, dass es niemals überhaupt auch nur in Ansätzen thematisiert wurde.
Und auch wenn ich weiß, dass es für das Ausmaß der eigenen Arroganz keinen Unterschied macht, ob man sich etwas auf seine Klugheit oder auf sein Geld einbildet, so habe ich diesen Teil der Überzeugung selbst nach gründlichem Nachdenken von meinen Eltern übernommen und auf meine Kinder übertragen.
Deshalb hat auch mein jüngstes Kind, was sich die ersten 10 Jahre seiner Schullaufbahn massiv dagegen wehrte, letztlich Abitur gemacht. Es stand für mich nicht zur Diskussion.

Mein Westfalenmann dagegen hat einen komplett anderen familiären Hintergrund als ich.
Seine Eltern waren sogenannte "einfache Leute". Nach der Volksschule stand für sie Arbeit immer im Mittelpunkt ihres Lebens, die Werte des Lebens orientierten sich daran, dass man Geld verdienen musste, die moralischen Vorgaben lieferte die Kirche, für intellektuellen Schabernack oder philosophische Betrachtungen war überhaupt keine Zeit.
Natürlich gab es im Umfeld reiche Leute, aber die bewegten sich in einer dermaßen anderen Welt, dass es sozusagen keine Schnittpunkte gab.
Als der Sohn aufs Gymnasium wollte, haben die Eltern das zwar nicht boykottiert, aber unterstützen konnten sie ihn dort auch nicht, womit auch? Allein die Tatsache, dass der Sohn überhaupt aufs Gymnasium ging, bedeutete, dass er sich dort in einer Welt bewegte, die ihnen komplett fremd war.

Für den Sohn war die Welt dort allerdings genauso fremd und dementsprechend hat er nicht nur grundlegend andere Erinnerungen an seine Schulzeit als ich, sondern er erlebte auch den Reichtum in den Familien einiger Klassenkameraden aus einer völlig anderen Perspektive.
Für ein Lehrerskind ist es nicht schwer, zu den Klassenbesten zu gehören, es hat schließlich Eltern, die jede Frage beantworten können und die sich auch noch vorbeugend gleich auf die richtige Art und Weise darum kümmern, dass ihr Kind in der Schule (bei anderen Lehrern) keine Probleme hat.

Für ein Arbeiterkind sieht die Welt dagegen ganz anders aus, das ist in der Schule komplett auf sich alleine gestellt und muss sich anstrengen, um überhaupt mit den anderen mitzuhalten. Diese Bildungsarroganz, die ich quasi mit der Muttermilch aufgesogen habe, ist meinem Westfalenmann komplett fremd.*
Er unterschied deshalb die Leute nach denselben Kriterien wie seine Eltern: In reiche Leute und einfache Leute und er hatte stets den Drang, aus der Kaste seiner Eltern aufzusteigen. Das führte über Bildung, das war ihm klar, aber für ihn war Bildung nur ein Werkzeug, um Geld zu verdienen. Und er wollte unbedingt viel Geld verdienen, denn er wollte später einmal reich sein, einen Mercedes fahren, in einem großes Haus wohnen und, wenn er ganz abgehoben träumte, dann kam manchmal sogar auch ein Flugzeug darin vor. Für ihn waren das keine Statussymbole, um andere Leute zu beeindrucken, sondern Dinge, die ein völlig anderes Leben ermöglichten und von einer derart hohen Qualität waren, dass man eben viel Geld brauchte, um so etwas bezahlen zu können.

*an dieser Stelle muss ich eine lustige Anekdote erzählen: In der Anfangszeit unseres Kennens führten wir eine Fernbeziehung und schrieben uns deshalb natürlich regelmäßig E-Mails und SMS, was man halt so macht, wenn man sich noch viel zu erzählen hat, sich aber nicht täglich sehen kann. Als wir uns dann aber doch mal wieder persönlich trafen, sagte mir MWM, dass er es ganz toll findet, dass ich so gut wie keine Orthographiefehler in meinen Texten mache - und ich fiel vor Lachen fast um. Keine Rechtschreibfehler zu machen war/ist für mich genauso selbstverständlich wie der aufrechte Gang und in den Kreisen, in denen ich verkehrte, konnten alle Leute aufrecht gehen. Der letzte, der mich für meine fehlerfreie Orthographie gelobt hatte, war mein Vater als ich 10 Jahre alt war, danach war es auch für ihn selbstverständlich.


Ich dagegen hatte nicht nur eine gehobene Bildung als Selbstverständlichkeit eingebaut, für mich war es auch ganz normal, alle Ferien auf Borkum zu verbringen. Die Verwandtschaft auf Borkum hatte genauso wenig (sichtbares) Geld wie meine Eltern. Dass man im Sommer alle Zimmer an Gäste vermietete und dass die Familie dann in der Gartenlaube oder im umgebauten Kuhstall schlief, das war alles völlig normal.
Und deshalb war es auch völlig normal, dass meine Eltern ein (Ferien)haus auf der Insel bauten, das Grundstück war ja schon da und natürlich wurden auch in diesem Haus im Sommer die Zimmer an Gäste vermietet, so ließ sich der Bau des Hauses finanzieren und das war mal wieder ein Beweis, dass kluge Leute gut wirtschaften können und eindeutig ein Gegenbeweis dafür, dass Leute, die ein Haus am Meer besitzen, reich sein müssen.

Meine Einstellung zu Geld ist deshalb eine komplett andere als die von K.
Wenn Geld eine Person wäre, dann wäre es für mich so etwas wie ein Butler oder eine Haushaltshilfe. Geld sorgt für Bequemlichkeit und Komfort und ist eindeutig nice to have, aber niemand, der große Wichtigkeit hat, nach dem man sich richtet oder der gar etwas zu bestimmen hätte. Trotzdem behandelt man seine Hausangestellten natürlich mit Respekt und scheucht sie nicht unnötig durch die Gegend oder verlangt unsinnige Arbeiten von ihnen. Und außerdem sollte man immer in der Lage sein, sein Leben auch ohne Butler einigermaßen akzeptabel zu führen.
Ich denke, das beschreibt mein Verhältnis zu Geld sehr gut.

Interessant finde ich, dass Geld so viele verschiedene Gestalten annehmen kann. Für den einen ist es so etwas wie ein gütiger Opa, der einem immer etwas extra zusteckt und im Ernstfall auch mal die Kohlen aus dem Feuer holt, für den anderen ist es dagegen eher der zänkische Nachbar, der nur Probleme macht und für noch einen anderen ist es so unerreichbar wie der coole Typ aus der 10b, der noch nicht mal wahrnimmt, dass es zwei Klassen unter ihm auch noch Menschen gibt.
Jeder muss das wohl für sich selber beantworten
.

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