anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Donnerstag, 27. September 2018
Selbstbild
So, der Gips ist ab und jetzt muss ich mir ein neues "Nervobjekt" suchen, eines, mit dem ich meine schlechte Laune, meine dauernde Antriebslosigkeit, kurz, meine gesammelte Unzufriedenheit begründen kann, denn solange ich einen Grund nennen kann, muss ich ja nicht weiter drüber nachdenken, oder?

Ich glaube allerdings, meine aktuelle Wackelstimmung resultiert zu einem Großteil aus der erkannten Unstimmigkeit meines eigenen Selbstbildes mit der Realität und das ist leider genau die Sorte Grund, mit der ich mich dann wohl doch beschäftigen muss, jetzt, wo ich sie einmal identifiziert habe, nur leider führt die Beschäftigung damit in der ersten Zeit zu noch mehr Unwohlsein, fürchte ich.

So ein Selbstbild kann man nicht einfach beschließen, deshalb kann man es auch nicht einfach ändern, egal wie klug das wäre. Das Selbstbild entsteht und verändert sich durch den eigenen Kontakt mit der Außenwelt, allerdings ist es abhängig davon, wie die Reaktionen der Außenwelt interpretiert werden - nur genau dafür ist es auch selber zuständig, also, die Reaktionen der Außenwelt zu interpretieren. In einer Excel-Tabelle würde man das wohl einen Zirkelbezug nennen.

Das ist eben das Schwierige an diesem Selbstbild, es schafft sich zu einem großen Teil selber und ist gleichzeitig lebensnotwendig. Egal wie mies es ist, ohne Selbstbild kann niemand existieren. Es ist das eigene Spiegelbild, was einen Menschen von einem Vampir unterscheidet, ohne Spiegelbild ist man ein Untoter und deshalb verteidigt jeder Mensch ganz automatisch und vollkommen intuitiv sein Selbstbild, egal wie hässlich oder mies es ausfällt.

So kann es zum Beispiel dazu führen, dass ein Kind ein ausgesprochen negatives Selbstbild aufbaut, einfach weil es das jüngste Kind in einer Geschwisterkette ist und sich selber immer nur als totalen Loser erlebt hat, während die Geschwister tolle Sachen konnten. Dass es völlig normal ist, dass ein Vierjähriger nicht das gleiche kann wie ein Acht- oder Zehnjähriger ist Erwachsenen klar, Vierjährigen meist nicht. Und wenn dann die Eltern noch versuchen, das Selbstbewusstsein ihrer Kinder allgemein dadurch zu fördern, dass sie ihnen immer wieder sagen "Du schaffst das. Du bist toll, du schaffst alles, was du dir vornimmst.", dann kann es passieren, dass ein Vierjähriger halt dadurch den Anspruch an sich selber entwickelt, all das zu schaffen und zu können, was die Geschwister auch machen und können, was für einen Vierjährigen aber in einer Dauerfrustration endet, wenn die Vergleichsgeschwisterkinder entsprechend älter sind.
Wenn sich bei so einem Kind dann im eigenen Selbstbild festgesetzt hat, dass es ein Loser ist, dann wird es auch alles tun, dieses Selbstbild zu verteidigen, mit den entsprechenden abwärtsspiraligen Folgen. Dieses Kind wird dann auch ein Lob konsequent ablehnen - Loser werden nicht gelobt, ein Lob ist gefährlich, es könnte sein Selbstbild zerstören und das darf halt auf keinen Fall passieren.

Ich kenn da was von, ich hatte mal so ein Kind, und deshalb habe ich auch viel über Selbstbild und Ansätze für die Veränderung gelernt.
Deshalb weiß ich aber auch, wie kompliziert das ist, die Materie insgesamt.

Aber hilft ja nix, wenn man bemerkt, dass man sich immer und immer wieder in bestimmten Dingen nur selber was vormacht, dann ist eine stückchenweise Umgewöhnung wirklich ein heilsamer Ansatz. Auch wenn es dazu führt, dass ich zunächst wohl mal häufiger keine Lust haben werde.
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Was ich außerdem schon gelernt habe: Jeder Mensch braucht individuell viel, mehr, ganz viel oder sogar Ewigkeiten an Zeit, bis eine Umgewöhnung so umgewöhnt ist, dass sie passt. Dass man sie nicht mehr als lästige Therapie empfindet, sondern als normalen Alltag, denn erst dann klappt es dauerhaft und macht zufrieden.
Ich benutze jetzt seit vier Wochen regelmäßig die Linkshändermaus - einen Fortschritt im Sinne von "geht schon viel leichter" oder gar "ich merke keinen Unterschied mehr" kann ich von dieser Front noch nicht vermelden, ich fürchte, ich werde noch mehr als vier Monate brauchen (wenn nicht noch länger), bis sich hier wenigstens ein Fitzel Gewöhnung einstellt, komplette Umgewöhnung wird es wohl nie, bzw. bis dahin halte ich nicht durch.
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An mein Teilzeitfasten habe ich mich dagegen sehr gut gewöhnt, obwohl es auch nach nunmehr gut fünf Monaten noch immer keinerlei Wirkung zeigt (Minus 1 Kilo in fünf Monaten kann man nicht wirklich Wirkung nennen.) Allerdings macht es das Leben in der Summe etwas einfacher und preiswerter, weil ich mich ja nur einmal am Tag mit Essen beschäftige, d.h. bestimmte Dinge brauche ich einfach nicht mehr zu kaufen. (Frühstückskram im weitesten Sinne zB ist vollkommen von der Einkaufsliste verschwunden).
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Was dafür nach mittlerweile exakt acht Jahren sehr gut klappt, ist nicht mehr Rauchen. Auch hier habe ich ja gedacht, die "Pausensinnlosigkeit" würde für immer bleiben, denn das war der Teil im Leben eines Nichtrauchers, den ich am längsten als störend empfunden habe, aber jetzt, wo ich konkret darüber nachdenke, fällt mir auf, dass auch diese "Störstelle" weg ist. Ich weiß noch, dass ich in den ersten Monaten meines Nichtraucherlebens immer wieder versucht habe, eine Antwort auf die Frage "Wie macht man als Nichtraucher Pause?" zu finden, denn das ist mir am deutlichsten aufgefallen: Als Nichtraucher macht man keine Pausen. Zumindest nicht so, wie man sie als Raucher jahrelang gewöhnt war: Aktiv aufstehen, vor die Tür gehen und fünf Minuten nichts tun.
Und wenn mich heute jemand fragt, wie ich Pausen mache, dann wüsste ich auch immer noch keine Antwort - aber es stört mich nicht mehr. Mir fehlen die fehlenden Pausen nicht. Vielleicht brauchen Nichtraucher ja auch nicht so viele Pausen wie Raucher?
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So, und um zum Abschluss wenigstens einen kleinen Baustein in meinem Selbstbild zum Wackeln zu bringen:
Ja, ich gucke Fernsehen und ja, es scheint mir wichtig zu sein, denn wenn ich die Stunden, die ich in der Woche vor dem Fernseher verbringe mit Twitter oder Instagram oder Podcasthören verbringen würde, dann wäre ich nicht nur wahrscheinlich, sondern ganz bestimmt schon lange ein gut vernetzter Socialmediafreak.

Aber eigentlich finde ich Fernsehgucken blöd. Intellektuell ist es auf jeden Fall überhaupt nicht. Echte Intellektuelle haben keinen Fernseher und wenn sie einen haben, dann gucken sie so Serien wie Dschungelcamp oder der/die Bachelorette, denn das ist in seiner gesamten gruseligen Trashigkeit schon wieder Kult.

"Kult" wird übrigens auch nur von Intellektuellen geschaffen, "Mainstream" oder "Massengeschmack" ist dagegen die prollige Unterschicht-/Spießervariante. Nur mal so nebenbei bemerkt, ist mir eben aufgefallen.

Ich stelle aber mit zunehmendem Alter fest, dass mir Kult zu anstrengend ist, oder zu langweilig. Kann durchaus das gleiche sein. Wie auch immer, Kult ist mir einfach nicht mehr wichtig. Mainstream oder Massengeschmack habe ich aber nie geübt, irgendwie bin ich da auch raus.

Ich stelle deshalb leicht entsetzt fest, dass ich den Anschluss an meine Peergroup verloren habe. Dass ich überhaupt den Anschluss an jede Gruppe verloren habe.
Ich weiß gar nicht mehr, wohin ich gehöre - und genau das ist das aktuelle Problem mit meinem Selbstbild.
Ich habe verpasst, es anzupassen, es ist nicht mit mir gealtert, ich finde immer noch die Gruppe der coolen 35-45jährigen toll und meine, ich wäre auch so.
Bin ich aber nicht.
Ich schaue fern statt Netflix, zu allem Überfluss auch noch nur öffentlich rechtliches TV und dort fast alles, bis auf Tatort, der ist mir zu kompliziert geworden. Oder zu wiederholig, passt beides, auf alle Fälle finde ich Tatort enorm unspannend und dabei wäre das DIE Chance, wenigstens hier den Kultanschluss zu halten.
Aber nein, knapp wird Tatort Kult höre ich auf den Kram zu gucken. Wie dumm.

Ich fürchte aber, ich muss zuallererst mal klären, wohin ich überhaupt gehöre
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