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Donnerstag, 6. September 2018
Gereschtichkeit*
anje, 00:46h
Am Freitag war ich als Zeuge geladen in einem Zivilprozess, den meine Firma gegen einen ehemaligen Pächter einer unserer Gastronomie-/Hotelliegenschaften führt. Der Pächter hat über längere Zeit immer weniger bis schließlich gar keine Pacht mehr bezahlt, so dass er außerordentlich gekündigt wurde. Daraufhin hat er gebeten und gebettelt, dass er doch wenigstens noch das Weihnachtsgeschäft mitnehmen dürfe, schließlich sei er fast ausgebucht, was ihm in Absprache mit dem Folgepächter dann tatsächlich gestattet wurde. Selbstverständlich gingen wir davon aus, dass er die zusätzlichen Einnahmen aus dem Weihnachtgeschäft verwenden wird, um wenigstens einen Teil seiner Pachtrückstände zu begleichen - hat er aber nicht, im Gegenteil, er hat noch nicht mal die Nebenkosten bezahlt.
Was er mit der Kohle stattdessen gemacht hat, wissen wir natürlich nicht, es gibt aber naheliegende Vermutungen, denn sein Sohn hat sich auffällig schnell anschließend mit einem kapitalintensiven Startup selbständig gemacht, um ihm hier eine Veruntreuung nachzuweisen, müsste aber erst gründlich ermittelt werden.
Im ersten Schritt haben wir ihn deshalb zunächst mal nur auf Zahlung der ausstehenden, aufgelaufenen Pachtbeträge verklagt. Im ersten Verhandlungstermin, den ein Anwalt für unsere Firma alleine wahrgenommen hat, hat der Expächter dann sehr jammerig dargestellt, dass er quasi komplett pleite ist und sein Geld jetzt als LKW-Fahrer verdiene, um sich überhaupt ernähren zu können und angeboten, er würde über fünf Jahre gestreckt insgesamt 10% der offenen Pacht bezahlen, mehr wäre für ihn aber wirklich nicht drin.
Wir haben diesen Vergleich abgelehnt, weshalb es einen weiteren Verhandlungstermin gab und der war jetzt am Freitag.
In dem Vorbereitungsgespräch mit unserem Anwalt und dem Chef erster Ordnung habe ich mal wieder begriffen, wie viel friedlicher als ich die meisten Menschen veranlagt sind und dass sie einen Spatz in der Hand jederzeit der Taube auf dem Dach vorziehen, weil Rachegelüste nicht nur teuer sein können, sondern auch als "das muss doch nicht sein, das gibt nur noch mehr Ärger" aus reiner Friedlichkeitsgier abgelehnt werden. "Sie sind immer gleich so brutal" bescheinigte mir mein Oberchef und stimmte einem neuen Vergleich zu, bei dem der Expächter nun über acht Jahre insgesamt 15% der offenen Pacht bezahlen muss. Eigentlich wollten wir 20% fordern, aber der Anwalt dieses Expächters hat den Betrag runtergehandelt, indem er vortrug, dass sein Mandant dann ja 10 Jahre lang seine Schulden abbezahlen müsse und dann könne er ja besser Privatinsolvenz anmelden, denn dann wäre er schon nach sechs Jahren wieder schuldenfrei.
Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte der Typ ganz sicher Insolvenz anmelden müssen und im Rahmen der Insolvenz hätte ich noch eine Anzeige wegen Betrug und Unterschlagung gestartet, denn ich bin der festen Überzeugung, dass eine Privatinsolvenz nicht nur ein bequemer Schuldenschnitt ist, sondern auch durchaus eine gesellschaftliche Ächtung mit sich bringt, die diesem Ex Pächter ganz bestimmt sehr unangenehm gewesen wäre, so dass ich ihn hemmungslos mit der Androhung der Privatinsolvenz erpresst hätte.
Aber es waren sich mal wieder alle einig, dass das doch auch nichts bringt und so zahlt er wenigstens ein bisschen und überhaupt ist es doch immer sinnvoll, Streitigkeiten friedlich beizulegen.
Ich finde das üblicherweise nicht sinnvoll, Streitigkeiten friedlich beizulegen, weil ich in meinem Leben immer wieder festgestellt habe, dass grade die größten Ar…löcher am meisten davon profitieren, wenn Streitigkeiten friedlich beigelegt werden, weil sie mit den sagenhaftesten Unverschämtheiten durchkommen, da die netten Menschen viel eher bereit sind nachzugeben.
Ich kann mich über eine friedliche Streitbeilegung deshalb regelmäßig sehr gründlich aufregen.
Was ich aus diesem Grund auch gar nicht leiden kann, sind Sätze wie "nun streitet doch nicht", wenn sich Dritte beschwichtigend einmischen, weil sie es schrecklich finden, wenn sich andere Leute streiten. Solche Sätze finden sich aber mit 100%iger Zuverlässigkeit in jedem Forum/Facebook/Blog/Kommentarthread/ und ich frage mich dann immer, was sich die Menschen davon versprechen. Was ist an Streit so schlimm? Warum muss man das unbedingt vermeiden? Warum darf sich jemand benehmen wie eine offene Hose, ohne dass er deswegen Konsequenzen befürchten muss? Weil Streit noch schlimmer ist als Rücksichtslosigkeit, verblendete Arroganz und unkorrigierte Überheblichkeit?
Für wen gelten denn die Regeln, die sich die Gesellschaft durch Gesetze selber gegeben hat? Nur für die, die sich ohne Streit daran halten?
J sagte mir neulich voraus, dass ich noch zu einer dieser verbitterten alten Meckerrentnerinnen verkommen werde, die mit Gewalt und einem Regenschirm jeden Fahrradfahrer in der Fußgängerzone maßregeln. Ich finde nicht, dass man Unrecht mit Unrecht vergelten sollte, ich finde aber auch nicht, dass ich einem Fahrradfahrer in der Fußgängerzone Platz machen muss, schon gar nicht, wenn er klingelt. Und ja, ich kann mich sehr über Fahrradfahrer in der Fußgängerzone aufregen, weil ich es eben schlicht unverschämt, rücksichtslos und insgesamt einfach nur Kacke finde, wenn sich einzelne Personen derart unbekümmert über die Regeln hinwegsetzen, die sich die Gesellschaft doch nun mal selber und für alle gültig gegeben hat.
Und ja, ich halte mich auch nicht immer an alle Gesetze und klar fahre ich auch schon mal zu schnell oder in letzter Sekunde über eine dunkelgelbe Ampel oder ziehe keinen Parkschein. Ich bin auch schon durch eine Fußgängerzone Fahrrad gefahren. Aber wenn ich bei solchen Regelübertritten erwischt werde, dann backe ich üblicherweise ziemlich kleine Brötchen, entschuldige mich ausführlich und bezahle ohne Widerstand meine Strafe.
Es gibt aber eben auch die Ar…löcher, diejenigen, die überhaupt kein Unrechtsbewusstsein haben und Radarfallen als Abzocke beschimpfen oder ihr falsches Verhalten dadurch rechtfertigen wollen, dass sie erklären, die Vorschriften wären verkehrt. Ich finde ja, diese Leute sollten dann einfach dorthin auswandern, wo es keine Vorschriften gibt, das erscheint mir die mit Abstand einfachste Lösung.
*Gereschtichkeit ist ein Insider-Witz aus meinen Jahren im Rheinland: Auf irgendeiner Kinder-Adventsfeier in der Grundschule sang der Schulchor sehr deutlich von Frieden und Gereschtichkeit und seit dem Tag ist Gereschtichkeit ein geflügeltes Wort in unserer Familie
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Was er mit der Kohle stattdessen gemacht hat, wissen wir natürlich nicht, es gibt aber naheliegende Vermutungen, denn sein Sohn hat sich auffällig schnell anschließend mit einem kapitalintensiven Startup selbständig gemacht, um ihm hier eine Veruntreuung nachzuweisen, müsste aber erst gründlich ermittelt werden.
Im ersten Schritt haben wir ihn deshalb zunächst mal nur auf Zahlung der ausstehenden, aufgelaufenen Pachtbeträge verklagt. Im ersten Verhandlungstermin, den ein Anwalt für unsere Firma alleine wahrgenommen hat, hat der Expächter dann sehr jammerig dargestellt, dass er quasi komplett pleite ist und sein Geld jetzt als LKW-Fahrer verdiene, um sich überhaupt ernähren zu können und angeboten, er würde über fünf Jahre gestreckt insgesamt 10% der offenen Pacht bezahlen, mehr wäre für ihn aber wirklich nicht drin.
Wir haben diesen Vergleich abgelehnt, weshalb es einen weiteren Verhandlungstermin gab und der war jetzt am Freitag.
In dem Vorbereitungsgespräch mit unserem Anwalt und dem Chef erster Ordnung habe ich mal wieder begriffen, wie viel friedlicher als ich die meisten Menschen veranlagt sind und dass sie einen Spatz in der Hand jederzeit der Taube auf dem Dach vorziehen, weil Rachegelüste nicht nur teuer sein können, sondern auch als "das muss doch nicht sein, das gibt nur noch mehr Ärger" aus reiner Friedlichkeitsgier abgelehnt werden. "Sie sind immer gleich so brutal" bescheinigte mir mein Oberchef und stimmte einem neuen Vergleich zu, bei dem der Expächter nun über acht Jahre insgesamt 15% der offenen Pacht bezahlen muss. Eigentlich wollten wir 20% fordern, aber der Anwalt dieses Expächters hat den Betrag runtergehandelt, indem er vortrug, dass sein Mandant dann ja 10 Jahre lang seine Schulden abbezahlen müsse und dann könne er ja besser Privatinsolvenz anmelden, denn dann wäre er schon nach sechs Jahren wieder schuldenfrei.
Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte der Typ ganz sicher Insolvenz anmelden müssen und im Rahmen der Insolvenz hätte ich noch eine Anzeige wegen Betrug und Unterschlagung gestartet, denn ich bin der festen Überzeugung, dass eine Privatinsolvenz nicht nur ein bequemer Schuldenschnitt ist, sondern auch durchaus eine gesellschaftliche Ächtung mit sich bringt, die diesem Ex Pächter ganz bestimmt sehr unangenehm gewesen wäre, so dass ich ihn hemmungslos mit der Androhung der Privatinsolvenz erpresst hätte.
Aber es waren sich mal wieder alle einig, dass das doch auch nichts bringt und so zahlt er wenigstens ein bisschen und überhaupt ist es doch immer sinnvoll, Streitigkeiten friedlich beizulegen.
Ich finde das üblicherweise nicht sinnvoll, Streitigkeiten friedlich beizulegen, weil ich in meinem Leben immer wieder festgestellt habe, dass grade die größten Ar…löcher am meisten davon profitieren, wenn Streitigkeiten friedlich beigelegt werden, weil sie mit den sagenhaftesten Unverschämtheiten durchkommen, da die netten Menschen viel eher bereit sind nachzugeben.
Ich kann mich über eine friedliche Streitbeilegung deshalb regelmäßig sehr gründlich aufregen.
Was ich aus diesem Grund auch gar nicht leiden kann, sind Sätze wie "nun streitet doch nicht", wenn sich Dritte beschwichtigend einmischen, weil sie es schrecklich finden, wenn sich andere Leute streiten. Solche Sätze finden sich aber mit 100%iger Zuverlässigkeit in jedem Forum/Facebook/Blog/Kommentarthread/ und ich frage mich dann immer, was sich die Menschen davon versprechen. Was ist an Streit so schlimm? Warum muss man das unbedingt vermeiden? Warum darf sich jemand benehmen wie eine offene Hose, ohne dass er deswegen Konsequenzen befürchten muss? Weil Streit noch schlimmer ist als Rücksichtslosigkeit, verblendete Arroganz und unkorrigierte Überheblichkeit?
Für wen gelten denn die Regeln, die sich die Gesellschaft durch Gesetze selber gegeben hat? Nur für die, die sich ohne Streit daran halten?
J sagte mir neulich voraus, dass ich noch zu einer dieser verbitterten alten Meckerrentnerinnen verkommen werde, die mit Gewalt und einem Regenschirm jeden Fahrradfahrer in der Fußgängerzone maßregeln. Ich finde nicht, dass man Unrecht mit Unrecht vergelten sollte, ich finde aber auch nicht, dass ich einem Fahrradfahrer in der Fußgängerzone Platz machen muss, schon gar nicht, wenn er klingelt. Und ja, ich kann mich sehr über Fahrradfahrer in der Fußgängerzone aufregen, weil ich es eben schlicht unverschämt, rücksichtslos und insgesamt einfach nur Kacke finde, wenn sich einzelne Personen derart unbekümmert über die Regeln hinwegsetzen, die sich die Gesellschaft doch nun mal selber und für alle gültig gegeben hat.
Und ja, ich halte mich auch nicht immer an alle Gesetze und klar fahre ich auch schon mal zu schnell oder in letzter Sekunde über eine dunkelgelbe Ampel oder ziehe keinen Parkschein. Ich bin auch schon durch eine Fußgängerzone Fahrrad gefahren. Aber wenn ich bei solchen Regelübertritten erwischt werde, dann backe ich üblicherweise ziemlich kleine Brötchen, entschuldige mich ausführlich und bezahle ohne Widerstand meine Strafe.
Es gibt aber eben auch die Ar…löcher, diejenigen, die überhaupt kein Unrechtsbewusstsein haben und Radarfallen als Abzocke beschimpfen oder ihr falsches Verhalten dadurch rechtfertigen wollen, dass sie erklären, die Vorschriften wären verkehrt. Ich finde ja, diese Leute sollten dann einfach dorthin auswandern, wo es keine Vorschriften gibt, das erscheint mir die mit Abstand einfachste Lösung.
*Gereschtichkeit ist ein Insider-Witz aus meinen Jahren im Rheinland: Auf irgendeiner Kinder-Adventsfeier in der Grundschule sang der Schulchor sehr deutlich von Frieden und Gereschtichkeit und seit dem Tag ist Gereschtichkeit ein geflügeltes Wort in unserer Familie
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