anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Samstag, 5. Dezember 2015
Klaasohm
Heute ist Klaasohm und ich werde das erste Mal in meinem Leben mit meinem Vater dabei sein.
"Dabei" ist man als Frau natürlich sowieso nicht, aber mittlerweile sind soviele Touristen und SaufSchaulustige zu Klaasohm auf der Insel, dass es relativ ungefährlich geworden ist, sich abends in den einschlägigen Kneipen aufzuhalten und zuzugucken, wie die Klaasohms dort mit ihrer Entourage reinlaufen und Spektakel machen.

Zu meinem Vater hatte ich Zeit meines Lebens ein schwieriges Verhältnis - aber seit seiner schweren Krankheit vor ein paar Jahren hat er sich enorm verändert und plötzlich hört er nicht nur zu, sondern bemüht sich sogar eine andere Meinung/Haltung/Lebenseinstellung zu akzeptieren.
Für mich ist das immer noch sehr ungewohnt, aber es ist auch schön, endlich einen Vater zu haben, mit dem man über all die Dinge reden kann, zu denen man die letzten 50 Jahre vorher besser geschwiegen hat.
Oder gelogen hat. Aus reinem Selbstschutz und weil es sowieso keinen Sinn machte, mit ihm darüber zu reden.
Wir haben uns heute fast vier Stunden unterhalten - über uns, unsere Familie und über all die Dinge, die in unserer Familie nie ausgesprochen wurden, weil es sich niemand getraut hat.
Ich bin mit 18 ausgezogen, weil ich es immer leichter fand, der Familie aus dem Weg zu gehen als sich mit ihr auseinanderzusetzen.
Ich habe mein eigenes Leben geführt und galt immer als egoistisch und rücksichtslos. Und ich war natürlich alleine für mich verantwortlich.
Das Gefühl, Eltern zu haben, die mich unterstützen, wenn es mir schlecht geht, kannte ich nicht. Meinen Eltern ging es selber schlecht und eher war ich dafür zuständig, ihnen zu helfen als umgekehrt.

Das war der Preis dafür, dass ich leben konnte, wie ich es wollte und mich nicht so sehr verbiegen musste, dass ich dabei zerbrochen wäre.
Ich habe mir einen Mann gesucht, den meine Eltern nicht leiden konnten, weil er ihnen gegenüber nicht geschwiegen hat, sondern sie offen provozierte, so dass ich Zeit seines Lebens dazu gezwungen war, ihn meinen Eltern gegenüber immer zu verteidigen, ganz egal welche Probleme ich selber mit ihm hatte. Wie oft habe ich mir gewünscht, einen Vater oder eine Mutter zu haben, bei dem ich mich mal hätte ausheulen können, aber das war unmöglich, denn das wäre nur noch mehr Wasser auf ihre Mühlen gewesen. Sie taten sich selber ungemein leid, dass sie so schlecht von ihm behandelt wurden - und erwarteten von mir, dass ich für sie Verständnis hatte und intervenierte.
Unterm Strich habe ich mich immer für Rückzug entschieden. Ich hatte die Wahl zwischen so wenig reden wie möglich - oder mich selber verleugnen und das sagen, was sie hören wollen.

Aber heute habe ich das erste Mal mit meinem Vater geredet - und er hat zugehört. Und war enorm betroffen. Und hat verstanden, dass sein Einwand "ich habe es aber doch immer nur gemeint" kein Einwand ist, sondern genau das Problem beschreibt. Gut gemeint ist eben nicht gut gemacht.
Wenn man nie wirklich hingeschaut hat, wenn man nie wirklich zugehört hat, wenn man all die vielen kleinen Signale, die der andere aussendet, nie wahrgenommen hat, weil man so fest davon überzeugt ist, dass es reicht, wenn man es gut meint und dass es deshalb überhaupt keinen Zweifel geben kann, dass man alles richtig macht - dann ist man natürlich unendlich betroffen, wenn man plötzlich feststellt, dass der andere einen sein ganzes Leben lang belogen hat.
Dass er sagt: "Oh ja, das finde ich schön, vielen Dank." und sich gleichzeitig überlegt, wie er den Kram wieder los wird oder wie er sich vor einer Einladung drücken kann. Dass er Dinge tut und mitmacht, die er selber langweilig, überflüssig oder sogar ätzend findet, nur weil er keine Lust hat, sich deshalb in eine Auseinandersetzung zu begeben. Dass er eben einfach eine Scheinwelt errichtet, nur um in seiner eigenen, kleinen abgeschirmten Realität so friedlich wie es geht leben zu können.

Es ist ein seltsames Gefühl, sich mit über 50 noch darauf einzulassen, einen Vater zu haben, der tatsächlich die Vaterrolle übernimmt, die man sich immer gewünscht hat - aber es ist auch unendlich schön.
Und jetzt fahre ich los und hole ihn ab, damit wir gemeinsam die Klaasohmnacht erleben.
Ich freu mich drauf
.

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