anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Mittwoch, 10. Oktober 2018
Der Wunsch jemand anderes zu sein
Ich habe in der letzten Zeit mehrfach Interviews oder Texte gelesen wo der Satz drin vorkam: "Ich habe mir immer gewünscht ein Junge zu sein."
Auch auf dem Barcamp in Dangast gab es eine Session zu dem Thema "Geschlechtswechsel" - und in welchem Zusammenhang ich mich auch mit diesem Thema auseinandersetze, meine Reaktion bleibt immer gleich, nämlich ein hilfloses Schulterzucken.
Denn mir persönlich ist es ehrlich gesagt ganz herzlich egal, welches Geschlecht ich habe, ich bin als Frau nicht unglücklich oder unzufrieden, ich kann mir aber auch nicht vorstellen, dass ich als Mann ein Problem damit hätte, dass ich ein Mann bin, denn dann wäre ich eben ein Mann, auch gut.
Rein emotional, also rein vom Bauchgefühl her, tut sich bei mir da gar nichts.
Ich bin eine Frau, ich war auch schon immer eine Frau - und ganz ehrlich? Ich finde, es hat enorm viele Vorteile eine Frau zu sein.
CW sagte immer, ich wäre eigentlich ein Mann mit Gebärmutter und ich selber muss offen zugeben, dass mir zumindest die klassischen, typisch weiblichen Reaktionsmuster komplett fehlen. Ich habe kein Tüdelüt-Gen und ich habe auch kein Verständnis für Anstellerei.

Nach der Geburt des ersten Kindes, was viele Frauen als den ergreifendsten Moment ihres Lebens beschreiben, habe ich mir nur dieses beschmierte Etwas beguckt, was da aus mir rausgeflutscht war und dachte "Ach du Schreck, der ist ja grauselig hässlich."
Ich hatte sehr viel Mitleid mit dem armen Wurm und mich schon deshalb dafür verantwortlich gefühlt, mich da drum zu kümmern, aber irgendwelche Hormonausschüttung, die zu akuten Liebeswallungen führten, ne, sorry, das ist mir nicht passiert.
Mich hat vielmehr fasziniert, welch gigantisch große Eier so ein neugeborener Junge hat. Wenn man frischgeschlüpfte Säuglinge auf den Bauch legt, dann liegen sie noch nicht komplett platt auf dem Bauch, sondern eher leicht gekrümmt, was auch nicht verwundert, schließlich haben sie sich in ihrem bisherigen Leben ja noch nie komplett ausstrecken können. Und durch diese gebogene Haltung, also mit
leicht angezogenen Beinen auf dem Bauch liegend, stippt der Popo deutlich in die Höhe und unter dem Popo hängen bei Jungs halt die Eier. Und die sind groß, absolut überproportional groß, zumindest bei neugeborenen männlichen Babys. Das liegt an den weiblichen Mutterhormonen, die sie noch in Mengen im Blut haben, das legt sich mit der Zeit, aber ganz am Anfang, also frisch nach der Geburt, da haben sie schon ein gewaltiges Gemächt.
Und das war so ziemlich das erste, was ich bei meinem frisch geborenen, ersten Sohn bemerkte und er tat mir gewaltig leid. Ich kann übrigens bestätigen, dass es sich wirklich im Laufe der Zeit egalisiert, schon nach drei Monaten bewegen sich die primären männlichen Geschlechtsorgane in völlig normalen Verhältnis zum Rest des Körpers, nur halt ganz am Anfang, da ist das zunächst mal anders. Aber beim ersten Kind, da wusste ich das noch nicht, was vor allem daran lag, dass ich die Bedienungsanleitung zur Babyaufzucht ja auch erst zur Geburt des Kindes als Ravensburger Sachbuch vom Vater geschenkt bekommen habe. Das war ein durchaus praktisches Buch und ich habe viele nützliche Informationen dort bekommen, aber wie gesagt, all diese Informationen gab es für mich erst nach der Geburt. (Übrigens sehr praktisch der Teil mit den Kinderkrankheiten, alphabetisch sortiert, und zwischen Mumps und Röteln stand unter P: "Penis in Reißverschluss eingeklemmt" - das war gut, dass ich das wirklich VOR dem Ernstfall gelesen habe, denn selbstverständlich kam diese Kinderkrankheit auch vor, aber da wusste ich immerhin, weshalb der Sohn plötzlich und unvermittelt so ungestüm losbrüllt, oder wenigstens fiel es mir als Möglichkeit ein - und das wirklich nur, weil ich es vorher in dem schlauen Buch gelesen habe, denn mal ganz ehrlich - woher soll man das als Frau sonst als Möglichkeit in Betracht ziehen?)

Aber wo war ich? Ach ja, eigentlich wollte ich nur sagen, dass es mir persönlich immer herzlich egal war, welches Geschlecht ich hatte, ich war für mich gefühlt immer hauptsächlich ich, also Anje - das Geschlecht hatte tatsächlich und ganz ehrlich überhaupt keine besondere Bedeutung.
Ich habe dann gelernt, dass die Menschen Unterschiede machen zwischen Jungs und Mädchen und gleichzeitig habe ich gelernt, dass es Mädchen besser haben als Jungs. Mädchen müssen nicht so viel, aber sie können sich alles nehmen, was sie wollen. Und ein kluges Mädchen nimmt sich selbstverständlich nur die praktischen oder bequemen Dinge, aber all diesen männlichen Unfug, den die Jungs machen müssen, den kann man als Mädchen entspannt ignorieren.
Wenn es zum Beispiel darum geht, dass am Auto ein Reifen gewechselt werden muss, dann bin ich ganz ungemein entspannt komplett unemanzipiert. Wie blöd kann man sein, sich freiwillig anzustrengen und die Hände schmutzig zu machen, wenn es ausreichend Jungs gibt, die sich danach drängeln?
Wenn sich denn partout und auch nach Warten kein Junge findet, der das macht, klar, dann kann ich das auch alleine, aber warum sollte ich mich hier vordrängeln?
Mein Leitsatz in meinem gesamten Leben hieß schon immer: "Ich kann alles alleine. - Aber nur, wenn sich sonst keiner findet."
Wenn man das typische Klischeedenken bemüht, dann gehören zu meinem Alltag wahrscheinlich mehr männliche als weibliche Schwerpunkttätigkeiten, das liegt aber nur daran, dass ich mir gezielt die Dinge rausgepickt habe, die ich für mich besonders bequem oder einfach fand. Insgesamt war es mir bisher mein gesamtes Leben lang schnurzepiepegal ob eine bestimmte Tätigkeit "nur was für Jungs ist" - wenn ich das machen wollte, dann habe ich das gemacht und ich kann mich an keine einzige Situation erinnern, wo ich nur deshalb daran gehindert wurde, weil ich ein Mädchen bin. Ich kann mich aber durchaus an eine Menge Situationen erinnern, wo ich es gezielt ausgenutzt habe, dass ich ein Mädchen bin, und dass nicht nur beim Reifenwechsel. So fand ich es zB in Betriebsprüfungen sehr positiv, wenn der männliche Prüfer vom Finanzamt so intensiv auf meinen kurzen Rock reagiert hat, dass er dabei die falsch erklärte Umsatzsteuer glatt übersehen hat. Und vergleichbare Situationen gab es viele.
In meinem Leben mit CW haben wir ganz bewusst und sehr erfolgreich diese Rollenverteilung eingesetzt und benutzt und ich fand das völlig okay.
Ich kam mir als Frau auch niemals "ausgenutzt" oder "zurückgesetzt" vor, einfach deshalb, weil ich das nie akzeptiert habe. Klar bin ich in meinem Leben unterwegs auch so typischen chauvinistischen Macho-Alphatierchen begegnet - aber letztlich haben diese Männer sich immer nur selber enorm lächerlich gemacht, denn das passiert ganz von alleine, wenn man ihr Verhalten nur einmal ganz entspannt und ohne viel Gezeter in aller Öffentlichkeit spiegelt.
"Gezeter" ist dabei das schlechteste, was man tun kann als Frau, dann hat man verloren, dann ist man es aber auch selber schuld. Meine Meinung.

Rein vom Bauchgefühl her ist es mir also tatsächlich herzlich egal, ob ich Mann oder Frau bin - aber was so die praktische Bequenlichkeit im Leben angeht, da denke ich schon, dass man es als Frau leichter hat.

Und deshalb hatte ich noch nie in meinem Leben das Bedürfnis, dass ich lieber ein Junge gewesen wäre, im Gegenteil, ich kann alles, was ein Junge auch kann - und kann mir zusätzlich die Freiheiten herausnehmen, die sich nur Frauen herausnehmen können
.
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