anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Donnerstag, 15. Juni 2017
Spannendes Bild
Durch Zufall habe ich gestern den "Halbtagsblog" gefunden und dort diesen Beitrag, in dem Herr Klinge erklärt, wie Mathematik funktioniert.

Nach seiner Meinung, kann man Mathematik nur "plötzlich verstehen", dann hat es aber auch dauerhaft "klick" gemacht, weshalb er der Meinung ist, dass die klassische Nachhilfe, in der der Schüler nur immer wieder und wieder "durch die Mathematikaufgaben geführt" wird, zu nichts führt, außer dazu, dass der Schüler dann weiß, was er "sehen" soll, ohne es wirklich selber zu sehen.

Ob das mit der Mathematik und dem Mathematikverständnis wirklich so ist, lasse ich einfach dahingestellt. Für mich funktioniert Mathematik nämlich noch mal anders: Für mich haben Zahlen Farben und wenn ich eine Statistik oder eine lange Zahlenreihe sehe, dann habe ich zur Verzweiflung aller Menschen, die um mich herum arbeiten, eine extrem hohe Trefferquote beim Entdecken von Fehlern. Ich sehe einer Zahl einfach an, dass sie da nicht hinpasst, sie hat eine "falsche Farbe" - besser kann ich nicht begründen, warum ich so auffällig treffsicher und vor allem so schnell aus allen möglichen Zahlenwerken immer genau die Zahlen rauspicke, die verkehrt sind.

Dieser individuelle Umgang mit Zahlen setzt sich bei mir dann natürlich auch beim Rechnen fort, d.h. meine "Rechenwege" passieren zu mindestens 50% im Bauch. Ich weiß nicht, wie ich auf das Ergebnis komme, aber ich weiß, dass nur dieses Ergebnis richtig sein kann.
Das führte in der Schule früher häufig zu Punktabzug, weil die Lehrer darauf bestanden, dass ich meinen Rechenweg dokumentiere, was ich aber grade nicht konnte. Ich wusste nur was rauskommt, woher ich das wusste, konnte ich aber nicht sagen.

Davon abgesehen habe ich in der Schule immer nur dann Probleme mit Mathematik gehabt, wenn es nicht um Zahlen ging, sondern um Zeichnen. Das Wort "Geometrie" löst bei mir bis heute reflexartige Fluchtgedanken aus. In der Geometrie sind meine ansonsten farbigen Zahlen entzaubert, verkümmert und einheitlich grau. Da wirken andere Kräfte, die ich bis heute nicht begreifen kann.
Auch Physik und Chemie sind für mich Wissenschaftsbereiche, die sich meinem Verständnis entziehen, aber vielleicht passt hier dann auch der Vergleich von Herrn Klinge wieder: Ich sehe die Logik dahinter einfach (noch?) nicht.

Was das von Herrn Klinge gezeichnete Bild angeht, habe ich tatsächlich sehr lange da drauf starren müssen, absolut sogar länger als es meine üblicherweise nur sehr gering ausgeprägte Frustrationstoleranz sonst erlaubt, aber weil ich das Bild in meiner Verzweiflung auch mal ausgedruckt hatte, (denn ich habe einfach nichts Sinnvolles darauf erkannt), und es dann meinem Westfalenmann gezeigt habe, der (als echter Westfale) eine bewunderswerte Hartnäckigkeit im auf Dinge starren hat, deshalb habe ich insgesamt auch länger auf dieses Bild gestarrt als ich es sonst ohne Wutanfall und Bildzerstörung ausgehalten hätte - und plötzlich machte es "klick".
Es war wirklich ein extrem plötzchlicher "Ich sehe es" Moment, so etwas habe ich ansonsten noch nie erlebt (wahrscheinlich, weil ich sonst auch nie die Geduld habe, darauf zu warten), aber ich kann bestätigen: Auf dem Bild in dem Beitrag von Herrn Klinge ist tatsächlich etwas Sinnvolles zu erkennen und wenn man es einmal gesehen, dann sieht man es für immer. Und vor allem ist man sich im selben Moment ganz sicher, dass man das richtige sieht, da gibt es keine "Deutungsspielräume". Jeder kennt es im übrigen, es ist nichts Geheimnisvolles, keine Landschaft mit irgendwelchen Schluchten oder Abgründen, nichts Abstraktes, nichts Besonderes, sondern etwas völlig "Alltägliches". Im Grunde ist es ein Foto, in dem die Kontraste extrem überschärft wurden, der Kopf muss einfach nur wissen, was er sehen soll - dann sieht man es für immer und es fällt einem sogar schwer, die seltsamen schwarzweißen Muster, die man vorher gesehen hat, jetzt noch wahrzunehmen.

Ich weiß natürlich, dass es sich wahrscheinlich um ein Bild handelt, was schon einunddrölfzig Mal durchs Internet geschleift wurde, ich kannte es aber bis heute gestern nicht - und es hat mich extrem fasziniert, weshalb ich es hier jetzt unbedingt verlinken musste
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(Abgelegt in anjemerkt und bisher 830 x anjeklickt)

... ¿hierzu was sagen?

 
Auf die Gefahr, dass ich den verlinkten Blog völlig falsch verstehe: Für mich ist ein guter Lehrer jemand, der gut lehren kann. (Am Ergebnis gemessen und bei normalen äußeren Bedingungen.)

Lässt der Autor nicht im Grunde durchblicken: "Manche sind so doof, da ist Nachhilfe genauso Perlen vor die Säue, wie der reguläre Schulunterricht in Naturwissenschaften und Mathematik es bei ihnen ohnehin ist"? Diese simple Einsicht?

Ist nicht Nachhilfe, jegliches Lehren, genau dann "schlecht", wenn es keine Früchte trägt?

Das erwähnte plötzliche Verstehen, das man mit ein bisschen Phantasie als "selbständig" verkaufen könnte, hat Voraussetzungen. Fertigkeiten und gegebenenfalls Vorkenntnisse, die ihrerseits eher nicht vom Himmel gefallen sind, sondern im Moment, in dem es klick macht, die Basis für die Grundlage des Fundaments gebildet haben (haha). Bei manchem ist eben schon früher schon mehr da.

Lehrende ("Lehrer") sind im Durchschnitt durchschnittlich begabt zu lehren. (Mal als gegeben angenommen, dass der Lehrer überhaupt Meister seines Fachs ist und nicht nur stammelt, denn das gibt es auch.)

Weshalb es oft nicht klappt, den elenden Bratzen etwas beizubringen, liegt auch daran, dass die Lehrperson nicht rafft, wo genau es im Verständnis des Schölers eigentlich klemmt; dass sie es nicht hinbekommt zu erkennen, an welcher Voraussetzung es fehlt, Verstehen welches Details es dem Lernenden erst erlauben würde, was weiß ich, im Liniengewirr eines Schnittmusterbogens das ungeborene Chanelkostüm wahrzunehmen.

Einige Talente eines guten Lehrers fußen meiner Ansicht nach darauf, dass er für sich analysiert und nicht vergessen hat, was bei ihm selbst einmal die Voraussetzung zum Durchdringen einer Materie war, wo es hakte, und wo durch eine fehlende Vorinformation die ganze Zeit an einer Laubhütte gedoktert wurde und kein festes Gebäude hochgezogen.

In dem Sinne nehme ich es auf meinem eigenen Fachgebiet wahr, dass ganz kleine Stellschrauben, zeitig reguliert, individuell Jahre und Jahrzehnte an Kurpfuscherei einsparen können, und mitbedingen, ob jemand im Beruf den Weg des Fachmanns, des Stümpers oder den des hoffnungslosen Falls nimmt.

... ¿noch mehr sagen?  

 
Word!
Ich habe Mathelehrer fast durch die Bank als fachdidaktische Vollversager erlebt. Jetzt weiß ich wenigstens genauer, woran es liegt: Vieles in dem Fach entzieht sich schlicht der herkömmlichen Erklärbarkeit. Das hat es übrigens mit der Lehre von der Dreifaltigkeit oder der Transsubstantationslehre gemeinsam: Verstehen im herkömmlichen Sinn kann man da nicht, es muss "Klick" machen, dann glaubt man und ist gerettet.

Die Botschaft hör ich wohl...

 
Wie lustig
Sie greifen sich genau den Aspekt aus dem verlinkten Blogbeitrag raus, den ich absichtlich übersprungen habe, nämlich die pädagogische Tauglichkeit dieses Lehransatzes, bzw. gleich die grundsätzliche Tauglichkeit von Mathelehrern. - Mich hat im Grunde nur das Bild fasziniert, die pädagogische Quintessenz, die da drumherum gebastelt wurde, fand ich zwar einen interessanten Ansatz, hab aber selber gar keine Meinung dazu, weil ich schon sehr früh begriffen habe, dass ich grade in Punkto Mathe so anders ticke als die allermeisten anderen Leute - und damit auch anders als die meisten Mahtelehrer, dass ich gar nicht beurteilen kann, ob man Mathe mit "einem Klick" und "plötzlich, spontan und dann für immer" verstehen kann oder ob es da noch andere Varianten gibt.
Ich selber verstehe Mathe ja im Grunde gar nicht, ich weiß aber in aller Regel die richtige Lösung, die ich dann jedoch niemandem erklären kann. "Ist eben so", ist sicherlich meine häufigste Antwort in diesem Bereich. Ich wäre als Mathelehrer also ein 100% Versager.
Auf mich persönlich trifft das Modell mit "lange draufstarren und warten, bis es klick macht" aber auch nur sehr eingeschränkt zu, ich brauchte immer nur Mathelehrer, die mir möglichst kurz und pragmatisch bestimmte "Grundlagen" oder "Techniken" in der Mathematik erläutern konnten, den Rest habe ich mir dann lieber alleine erklärt, nach meiner persönlichen Erfahrung sind Mathelehrer in alle Regel nur lästig.

Ich habe aber auch festgestellt, dass grade in der Mathematik die individuellen Probleme der Anwender so vielfältig sind, dass ich gar nicht genug Phantasie habe, mir all die Probleme überhaupt nur vorzustellen, die einzelne Menschen so haben können, weshalb ich auch ein gewisses Grundverständnis für Mathelehrer habe, meiner Meinung nach haben die es echt nicht leicht. (Andererseits frage ich mich aber auch immer, warum sie das Fach dann überhaupt gewählt haben in ihrem Studium, es ist schließlich allgemein bekannt, dass es keine guten Mathelehrer gibt, dieselbe Frage stelle ich mir übrigens auch immer bei Orthopäden.)
@fritz: Weshalb es oft nicht klappt, den elenden Bratzen etwas beizubringen, liegt auch daran, dass die Lehrperson nicht rafft, wo genau es im Verständnis des Schölers eigentlich klemmt; dass sie es nicht hinbekommt zu erkennen, an welcher Voraussetzung es fehlt, - ja, da haben Sie absolut recht, ich sehe aber auch keine Chance, dieses Problem zu lösen.

@mark: Das hat es übrigens mit der Lehre von der Dreifaltigkeit oder der Transsubstantationslehre gemeinsam Dieser Bogen gefällt mir :-)

 
Von dir hab ich das also nicht geerbt,
denn du hast das ja noch.

Ich habe oft das Gefühl, dass es bei mir exakt umgekehrt ist. Ich denke, dass ich relativ gut darin bin, "komplexe Sachverhalte ganzheitlich zu durchdringen" (habe neulich Notengespräche gehalten, was für tolle Formulierungen), aber irgendwie nicht in der Lage bin, etwas Neues zu sehen. Im Matheunterricht gebe ich solange auf, bis der Dumme neben mir aus Mitleid/didaktischer Kompetenz vom Lehrer einen Hinweis bekommt und den ich dann umsetze (zum Fragen bin ich zu stolz). Dann geht es aber auch ganz fix und eigentlich in allen möglichen Variationen und ohne Probleme.

Deswegen sehe ich auch keine Zahlen irgendwo. Ferien sind immer recht dramatisch, weil sich mein Mathemotor sozusagen wieder abkühlt, der sich in der letzten Zeit auf maximale Betriebstemperatur und damit Effizienz hochgearbeitet hat. Wenn der erstmal so ist, kann ich keine Dinge mehr erkennen; sobald ich länger mich damit beschäftige versteh ich das Problem was ich mit mir hatte nicht mehr.

Aber das mit Farben...klingt auch lustig. Bei mir ist das eher so Formelartig aufgeschlüsselt, denke ich. Muss mir noch eine tolle Metapher einfallen lassen.

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>>abgekühlter Mathemotor nach den Ferien<< ist ja nun wirklich schon ein sehr schönes Bild, gefällt mir sehr, ich muss ständig wieder aufs Neue darüber grinsen.

Du und Dein Verhältnis zur Mathematik ist aber auch sowieso noch mal etwas ganz besonders. Welchen Zugang Du zur Mathematik hast und ob es Dir leicht oder schwer fällt mit Zahlen umzugehen, habe ich noch nie eindeutig beurteilen können. Vielleicht ist das Bild mit dem Mathemotor deshalb die beste Erklärung überhaupt - wenn der nicht in Schwung gebracht ist, bist Du in Mathe der Totalausfall, aber einmal warmgelaufen, überholst Du alle.
Ich glaube, mit Deinem Umgang mit der Mathematik treibst Du endgültig alle Mathelehrer in die tiefe Verzweiflung.
Wo Du diesen stockernden Lauf herhast, weiß ich nicht, aber da ich ein überzeugter Anhänger der Mendelschen Vererbungslehre bin, habe ich es schon immer für extrem unwahrscheinlich gehalten, dass Du grundsätzlich Probleme mit Mathematik haben könntest, da müssten sich Deine Gene schon sehr besondere Aussetzer gesucht haben.

Was mich aber noch brennend interessiert: Hast Du das Bild angeguckt und hast Du etwas darin gesehen?

 
ist irgendwie witzig,
ich habe in dem Bild ziemlich sofort was erkannt. Allerdings falle ich bei der kleinsten Matheaufgabe (eigentlich überhaupt bei allem, was mit Zahlen zu tun hat) augenblicklich in Schockstarre, die sich auch durch beruhigendes Zureden nicht löst.
Aber Geometrie kann (konnte?) ich richtig gut!

 
Eine Korrelation wird auch nicht vermutet
Dass einige sofort etwas in dem Bild erkennen und andere erst tagelang draufstarren müssen, um zu sehen, um was es eigentlich geht, hat Herr Klinge ja auch nur als Beispiel für einen ähnlichen Sachverhalt benutzt, nämlich dass Menschen unterschiedlich begabt sind, weshalb der eine sofort sieht, was auf dem Bild abgebildet ist und andere deutlich länger brauchen, dass es aber immer erst diesen "Klick" braucht, der einem offenbart, um was es tatsächlich geht. Dass aber ein schneller Matheversteher auch ein schneller Bilderkenner ist oder umgekehrt, das ist nicht Teil der Logik.
Im Gegenteil, vielleicht bedingt das Können bei dem einen das Versagen beim anderen? Ich zumindest habe sehr, sehr lange auf das Gekritzel starren müssen, bis ich das Bild erkannt habe. Aber genau deshalb hat es mich ja auch so fasziniert.