anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Montag, 22. Oktober 2018
22.10.2018
Eintausendsechshundert Tage sind es jetzt her, dass du es vorgezogen hast, dich endgültig aus der Welt der Bürokraten mit ihrer nie endenden Büroarbeit, ihrem Verwaltungswahn und ihren Vertragsvorschriften zu entlassen.
Eintausendsechshundert Tage sind umgerechnet rund 8.000 Bürostunden, die ich seitdem weiter in dieser Welt verbracht habe und ja, mein Verständnis für deinen Widerwillen, deine Interesselosigkeit und deine Verzweiflung ob dieser maßlosen Entropie des Schwachsinns, wie du es nanntest, ist seitdem um mindestens 8.000 Stunden gereift.

Aufgrund des Durcheinanders, das du hinterlassen hast, waren allerdings bisher mindestens noch 1.000 zusätzliche Bürostunden notwendig, um wenigstens die gröbsten Dinge zu regeln und gradezuziehen, aber so langsam lichtet sich das Gestrüpp und rein über Verjährung fallen im Laufe des nächsten Jahres (mit Glück) noch ein paar Baustellen weg. Drück mal die Daumen.

Sehr fasziniert war ich von dem Verhalten einiger deiner "Freunde" nach deinem Abgang, denn wie auch immer du diese Beziehungen gesehen hast, knapp warst du weg, sahen diese Freunde nur noch ihren eigenen Vorteil und versuchten mit sehr viel Energie und Hinterlist so viel wie möglich von dem scheinbaren Kuchen, den du hinterlassen hast, an sich zu raffen. Obwohl, im Grunde sind sie nur ihrem Charakter treu geblieben, sie hatten schon immer etwas blutsaugerhaftes, aber wahrscheinlich hat dich genau das an diesen Freundschaften gereizt, CW der Vampirbändiger, ich glaube, du hast dir in dieser Rolle sehr gefallen.

Dein Lieblingsfreund Peter M. zB hat gleich eine ganze Armada an Anwälten aufgefahren, weil er der festen Überzeugung war, du hättest ihm ein regenbogenpupsendes Einhorn als Erbteil versprochen, was er dann bei mir einklagen wollte.
Das war einerseits zwar sehr niedlich, andererseits aber auch sehr zeitintensiv und nervtötend, weil er immer neue Anwälte und neue Klageideen fand, mit denen ich mich jedesmal beschäftigen musste und auch, wenn er bisher mit jedem Versuch gescheitert ist, so weiß doch niemand, was ihm noch alles einfällt, und naja, preiswert ist so ein Unsinn auch nicht, du kannst es dir denken.

Dein Spezi Arnold B. hat dagegen nichts mehr von sich hören lassen. Gleich nach deinem Tod, noch vor der Beerdigung hat er versucht, sich den Schlüssel zu deiner Wohnung zu besorgen, weil er "seine" Sachen dort abholen wollte, das habe ich zum Glück rechtzeitig genug mitbekommen, so dass dieser Versuch ins Leere ging, aber geärgert hat es mich durchaus.

Das, was von deinem Nachlass hauptsächlich übrig geblieben ist, ist Ärger - und Müll.
Ich habe ja immer gesagt, dass ich dein Geld nicht will, aber nach dem ich einen groben Überblick über das von dir nicht verbrauchte oder verschenkte Vermögen hatte, bin ich mittlerweile zufrieden, dass es wenigstens für die Müllentsorgung reichte. Das Haus in Mönchengladbach ist jetzt leer, hat knapp 30 K gekostet, professionelle Entrümpeler sind teuer.
Es ist schrecklich, dass es so enden musste, aber was hätte ich sonst mit all dem Zeug anfangen sollen? Du hast immer gemeint, der Kram wäre wertvoll und man könnte zig Tausende bekommen, wenn man es verkauft. Mag sein, aber dann hätte man jemanden finden müssen, der es kauft und das ist mir vier Jahre lang nicht gelungen. Deshalb habe ich jetzt umgekehrt Geld dafür bezahlt, dass jemand einfach alles entsorgt.

Weißt du wie viel Arbeit das ist, Dinge zu verkaufen? Und weißt du, wie ätzend ich es finde, Dinge zu verkaufen?
Ich habe viele, viele Stunden damit verbracht, dein verlassenes Firmendurcheinander aufzuräumen, die meisten Firmen habe ich in die Insolvenz geschickt (auch das ist nicht mal eben so und ohne Aufwand möglich), zwei habe ich gerettet und hoffe, dass ich dort eine geordnete Liquidation abwickeln kann, aber auch das bedeutet ja wieder, dass Dinge verkauft werden müssen. Und nein, keine deiner Firmen hat nennenswertes Vermögen abgeworfen.
Ich finde es schrecklich, mit Leuten darum zu feilschen, was wie viel wert ist und wer wie viel wofür bezahlt. Verkäufer ist wirklich der letzte, der allerallerletzte Job für mich.

Ich habe für mich gelernt, dass ich beginnen muss, eine Übersicht, oder besser noch, ein Handbuch für die Kinder zu erstellen, in dem alles erklärt und vorgeschlagen wird, was zu tun ist, wenn ich nicht mehr da bin.
Und ich sollte jetzt schon mal mit Wegwerfen und Aussortieren beginnen. Denn ich habe festgestellt, dass auch die Kinder Verkaufen ätzend finden.

Bei der Vorbereitung des Nachlasses geht es gar nicht darum, irgendwelche Werte zu sichern oder irgendeinen Streit um den Nachlass zu vermeiden, es geht um die Entscheidung des Wegwerfens, denn für diejenigen, die zurückbleiben, ist das Wegwerfen der zurückgelassenen Dinge viel belastender als für denjenigen, der die Dinge selber für sich gekauft und zusammengetragen hat.

Ich bin im Sommer ein letztes Mal durch die Hallen in Mönchengladbach gelaufen und es war schrecklich. Es war einfach schrecklich anzusehen, in welchem Zustand sich die Dinge befanden, die du so gemocht und so eifrig gesammelt hast. In das Gebäude ist mehrfach eingebrochen worden, weil die Leute wahrscheinlich dachten, es gäbe was Tolles zu klauen - gab es aber nicht, denn es waren ja nur die Dinge da, die du hinterlassen hast und die auch nach deinem Tod niemand haben wollte. Weil sich die Einbrecher dann darüber geärgert haben, dass sie dort nur alte Bücher, ein paar Möbel, Klamotten, Geschirr und ohne Ende Flohmarktkrimskrams fanden, haben sie dort alles verwüstet, Schränke samt Inhalt kurz und klein geschlagen, alles auf dem Boden verteilt, die Wände aufgehackt und die Kupferrohre geklaut. Mit den Büchern haben sie dann immer wieder ein Feuerchen gemacht, wahrscheinlich weil sie es lustig fanden.
Irgendjemand hat das Klavier angezündet, das wird wenigstens richtig gut gebrannt haben, das Holz war immerhin gut 80 Jahre alt. Aber die Feuerwehr fand das verständlicherweise nicht lustig, jedes Mal mussten die Einsätze bezahlt werden, deshalb habe ich das Gebäude nun rigoros leerräumen lassen, jetzt gibt es nichts mehr zum Anzünden.

Als ich so durch die Räume wanderte, entdeckte ich überall noch einzelne Gegenstände, die in all dem Schutt, der den Boden bedeckte, noch zu erkennen waren und jedes Teil erzählte eine Geschichte. Eine Geschichte von dir, oft auch eine Geschichte von uns, die aber stets in verlassener Einsamkeit endete. Zurück blieben verlassene Gegenstände, die niemand mehr wollte.
Das alte Holz-Kinderbett war noch da, ich habe es vor über 26 Jahren bei meinen Großeltern auf dem Dachboden gefunden, die haben es nach dem Krieg wohl als Gästekinderbett benutzt und auch damals wird es nicht neu angeschafft worden sein. So viele Jahrzehnte hatte es überlebt, jetzt gab es endgültig niemanden, der es noch haben wollte.
Auch viele alte Bilder standen noch rum, die meisten mit zerbrochenen Glasscheiben, aber jedes hat eine eigene Geschichte und du wurdest nie müde, sie auch zu jedem Bild regelmäßig, meist mit eigenen, phantasievollen Ausschmückungen erweitert, mit Begeisterung zu erzählen.
Und ein Martiniglas habe ich gefunden. Ich weiß noch, wie wir uns darum gestritten haben, wer das Set mit den alten Martinigläsern auf dem Flohmarkt als erster gesehen hat und wer es deshalb kaufen durfte bzw. wem es gehört.
Als ich auszog habe ich dir die Martinigläser da gelassen, ich hatte ja schon genug schlechtes Gewissen, dass ich überhaupt auszog, da konnte ich nicht auch noch die Martinigläser mitnehmen. Jetzt sind sie alle kaputt, nur ein einzelnes lag noch unbeschädigt im Schutt, ich habe es nun nach Borkum gebracht.

1600 Tage, fast viereinhalb Jahre und doch gibt es Tage, da bist du so präsent, dass ich fast damit rechne, dass gleich die Tür aufgeht und du schimpfend den Raum betrittst, weil dich niemand vom Bahnhof abgeholt hat.
Und natürlich gibt es immer noch Tage, an denen ich dein Fehlen schmerzlich bemerke.
Du warst der beste Streitpartner, den ich je hatte und auch wenn das Leben mit K. leichter und deutlich weniger chaotisch ist, streiten kann ich mich mit ihm nicht vernünftig, und ja, ich nehme dir wirklich übel, dass du dich einfach so verdrückt hast und ich dir nicht mehr beweisen kann, mit wie vielen Vorhersagen ich absolut recht behalten habe.

Und es ist schade, dass du nicht mehr siehst, was aus deinen Kindern geworden ist. Verdammt, was wärst du stolz auf sie, alle drei, und ja, auch J, das Dramakind hat sich gemacht. Ausgerechnet J hat das beste Abitur von allen hingelegt, ich bin so neugierig, mit welchen Worten du diese Leistung als nichtige Kleinigkeit abgetan hättest, um innerlich vor Stolz zu platzen und überall mit ihm anzugeben.

Und dann habe ich noch diesen Satz gefunden, diesen einen Satz, der dich so perfekt beschreibt, obwohl ihn jemand anderes über jemand anderen geschrieben hat. Aber vielleicht meinte er ja doch dich, wer weiß? Er schrieb:
Mir erschien er wie ein trotzköpfiger Chaot, der sein Chaos schlitzohrig als Kunst tarnt.
Quelle


Du und deine Kunst, tatsächlich und in echt nur Chaos, es hat aber Spaß gemacht. Auf uns und auf die nächsten 1600 Tage.
Und danke für den Fisch
.
(Abgelegt in CWS und bisher 887 x anjeklickt)

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So einen
Nachruf liest man nicht oft. Ich mag diese ehrliche und authentische Art von Dir. Einiges konnte ich gut nachvollziehen, anderes hat mich einfach nur berührt und bewegt. Liebe Grüsse.

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Grade vor drei Tagen habe ich mir einen Artikel gebookmarkt, vielleicht weil ich den Grundgedanken sympathisch fand, nachdem ich in den letzten Monaten dem Nachlass meines Vaters hinterhergeräumt habe im Range eines Zweitjobs.

Mein Lesezeichen heißt "Aufräumen vor dem eigenen Tod als Service für die Hinterbliebenen, als einen Akt des Respekts." Es geht in dem Spiegel-Artikel vom 15.10.2018 um die schwedische Tradition des Döstädning. Selbst Revue machen in den eigenen Angelegenheiten zu einer Zeit, wo man es noch kann.
"Ein Mensch, der Sie liebt, möchte schöne Dinge von Ihnen erben, nicht Ihren ganzen Krempel."

Eine schwedische Dame hat ein Buch geschrieben "über das Leben, nicht über den Tod", das Buch stellt der Artikel vor.
Man betreibt Clickbait und nennt ihn "Nachlass ordnen! Behalten Sie Ihren Lieblingsdildo, aber werfen Sie die anderen 15 weg." Spiegel-Abonnenten mögen offenbar solche Titel.

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Mich fasziniert es auch immer wieder, mit welch regelmäßiger Zufälligkeit ein Thema, von dem man bis dato noch nie etwas gehört hat, nach dem ersten Kontakt plötzlich wie Pilze aus dem Boden an den verschiedensten Stellen aufploppt.
Dass es für das Nachlassmanagement jetzt sogar schon ein Hygge-Adäquat auf skandinavisch gibt, zeigt an, dass das Thema mittlerweile auch schon in der Alltagsbevölkerung angekommen ist. Erstaunlich, aber sinnvoll.