anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Samstag, 24. Juni 2017
Nein, meine Sachen geb ich nicht
Auf dem Thema "Verleihen" kaue ich gedanklich immer noch rum, denn ich habe das Gefühl, dass meine ausgeprägte Sozialunverträglichkeit in vielen Fälle auch darin begründet ist, dass ich einfach keine Lust habe, meine Dinge von anderen Leuten benutzen zu lassen.

Ganz grundsätzlich würde ich von mir behaupten, ich hänge nicht an Gegenständen und ich bin auch nur eingeschränkt pingelig, was Kratzer oder Macken angeht, da ich die meisten Dinge sehr pragmatisch als Gebrauchsgegenstand ansehe und die müssen nicht zwingend immer makellos sein.
Meinen Westfalenmann, der von Hause aus ein sehr sorgsamer Mensch ist, bringe ich damit häufiger mal zur Verzweiflung. Als an meinem funkelnagelneuen Auto schon nach 14 Tagen ein dicker Kratzer hinten an der Stoßstange war, weil ich erst lernen musste, wie lang das neue Auto wirklich ist und deshalb gleich als erstes leider mal die Garagenwand gestreift habe, fand er das ganz schrecklich und suchte sofort nach einer Lackiererei, um den Kratzer wieder weglackieren zu lassen - ich dagegen fand das völlig übertrieben, habe nur entspannt die Schultern gezuckt und gesagt, dass ich doch noch gar nicht fertig sei mit Kratzermachen, besser und vor allem preiswerter sei es, wir geben den Wagen erst kurz bevor wir ihn wieder verkaufen wollen in die Lackiererei. Vorher lohnt einfach nicht.

Soweit meine Haltung, wenn es um Dinge geht, die ich selber kaputt gemacht habe.
Worüber ich mich aber maßlos ärgern würde, wäre, wenn jemand anderes mit meinem Auto fährt, dabei aus Versehen die Garagenwand touchiert und ich dann mit den Kratzern leben müsste.
Das Ergebnis ist rational betrachtet dasselbe - und trotzdem ist meine Reaktion eine andere. Da ich immerhin soweit reflektiert bin, dass ich sehe, wie irrational ich da reagiere, musste ich mir Wege schaffen, damit umzugehen.
Eine der einfachsten Lösungen wäre, einfach "Nein" zu sagen, aber genau damit habe ich dann auch wieder ein Problem, weil sich so ein schnödes, spießiges "Nein" nicht mit meinem Selbstbild vereinen lässt. Dann schäme ich mich wieder für mein eigenes "Nein", beiße also die Zähne zusammen und sage lächelnd "Ja", um mich anschließend wie blöde aufzuregen, wenn ich das verliehene Teil nicht in genau dem Zustand zurückbekomme, wie ich es hergegeben habe.

Es ist also kompliziert und im Ergebnis habe ich zu vielen Leuten, die nicht die ausreichende Sensibilität hatten, ein verklausuliertes "Nein" rechtzeitig zu erkennen oder besser noch, gleich gar nicht erst zu fragen, ob sie sich dies oder jenes borgen dürfen, einfach den Kontakt abgebrochen. Bevor ich mich ständig darüber ärgere, dass ich mal wieder etwas verliehen habe, was ich nicht verleihen wollte, gehe ich diesen hartnäckigen Borgern einfach von vornherein aus dem Weg.

Früher, zu Zeiten unserer Großfamilie, hatten wir immer mindestens drei Autos und eines davon war immer ein sehr großer Multivan. Man kann sich leicht vorstellen, dass es genug Leute gab, die immer mal wieder Transportbedarf hatten und sich dann unseren Van borgten, schließlich hatten wir mit drei Autos ja sowieso eines "immer über".
Und ich hatte regelmäßig mein übliches Problem mit dem Neinsagen, schließlich sind es alle "nahe Menschen", die einen da um einen Gefallen bitten, Verwandtschaft oder gute Freunde - und wie steht man da, wenn man hartherzig "Nein" sagt, wo es doch objektiv überhaupt keinen Grund dafür gibt. Man braucht das Auto doch grade nicht und sie tanken es auch wieder voll und mit Glück bekommt man es sogar frisch gewaschen zurück und selbstverständlich geben sie gut acht und behandeln das Auto so sorgsam als wäre es ihr eigenes. - Aber genau da ist dann schon das erste Problem; "wie das eigene" - ich sag nur: Garagenwand...
Wenn es dann also doch passiert , tut es jedem ganz schrecklich leid, hat er ganz bestimmt nicht gewollt usw. usw - aber den Kratzer jetzt teuer reparieren zu lassen, wäre ja Quatsch, weil der Wagen ja vorher schon verkratzt war und mir Kratzer an Autos ja ganz offensichtlich nichts ausmachen.
Dazu kommt, dass Autos auch einfach nur durch bloßes Benutzen verschleißen. Ich verleihe den Wagen und wenn ich ihn zurückbekomme, funktionieren die Scheibenwischer nicht mehr. Meist weist mich der Mensch, der sich das Auto geliehen hat, auch extra daraufhin, im Zweifel ruft er mich sogar noch von unterwegs an, um mir mitzuteilen, dass an meinem Auto plötzlich die Scheibenwischer ausgefallen sind und was er jezt tun solle. Natürlich ist der Ausleiher nicht daran schuld, er hat wirklich nichts gemacht, das weiß ich auch - aber es gehört zu den absolut verlässlichen Standarderfahrungen, die ich immer und immer wieder gemacht habe, wenn jemand anderes meine Dinge benutzt - irgendwas ist anschließend immer kaputt und ich muss mich dann darum kümmern, dass es wieder repariert wird. Schuld ist in aller Regel keiner - und es wäre mir im Zweifel auch ganz bestimmt selber passiert - nur dann wäre es für mich gefühlt einfach etwas anderes.

Heute habe ich nur noch ein kleines Auto, da hat sich das Auto-Thema von alleine erledigt, aber ich habe schon seit vielen Jahren ein zweites Haus. Und das auch noch auf Borkum. Was liegt da näher, als wie selbstverständlich davon auszugehen, dass es doch für mich wohl kein Problem sein kann, wenn ich grade sowieso nicht auf Borkum bin, dass dann jemand anderes das Haus benutzt. Genau dafür sind Ferienhäuser doch gemacht - dass man da Urlaub macht.
Anfangs fand ich die Vorstellung auch ganz toll - und wir haben schon beim Einrichten des Hauses darauf geachtet, dass im Wohnzimmer und im Büro ausziehbare Schlafcouchen stehen, in allen Kinderzimmern gab es zwei Betten, so dass man ohne Problem jederzeit für 12 Leute ein Bett hatte. Das ganze Haus war auf Besuch und viele Leute ausgelegt.
In den ersten zwei Jahren war auch ständig Besuch da - und es haben auch immer wieder Leute in dem Haus gewohnt, wenn ich nicht da war, es hätte also alles ganz toll sein können.
Wenn ich mich nicht ständig und pausenlos geärgert hätte, denn irgendwas war immer.
Ich bin relativ technikaffin, d.h. ich habe jede Menge Hightech in dem Haus und in der Küche habe ich für fast alles irgendeine Maschine. Das ist für mich kein Problem und auch nicht für die Kinder oder den Mann - aber für alle anderen Menschen durchaus, denn die wenigsten können mit all dieser Technik umgehen. Und wenn dann andere Leute da waren, musste ich mir anschließend immer mein eigenes Haus wieder "einrichten".
Grade die Küche war für mich ein Dauerärgernis. Die Küche auf Borkum ist besser eingerichtet als die Küche im Festlandhaus, weil ich auf Borkum viel mehr Zeit zum Kochen habe und dann möchte ich das eben auch mit "gutem Werkzeug" machen. Dazu gehören zB scharfe Küchenmesser, die eine ganz spezielle Behandlung verlangen. Man steckt sie nicht in die Spülmaschine und man benutzt sie auch nicht zum Schnitzen.
Das Licht im Haus wird elektronisch gesteuert, genauso wie die Heizung. Im Kühlschrank ist eine Eismaschine, bei der es wichtig ist, dass man immer sicherstellt, dass das Wasser bei der Waschmaschine aufgedreht ist, sonst geht der Motor im Kühlschrank kaputt. In den Fernsehern habe ich meine persönliche Lieblingssenderreihenfolge programmiert und die CDs und die Bücher sind alphabetisch sortiert. Wenn man wieder abreist, muss man alles pingelig saubermachen, sonst hat man ruckzuck Ungeziefer im Haus. Ich kann glaubhaft versichern, dass es kein großer Spaß ist, wenn man abends groggy auf der Insel ankommt und eine breite Ameisenstraße quer durch die Küche vorfindet, weil irgendjemand ein leeres (aber nicht ausgewaschenes) Honigglas auf der Arbeitsplatte stehengelassen hat. Es ist ein ziemlich altes Haus - mit genug Ritzen und Öffnungen für jede Sorte Kleingetier, das sich in einem Haus, das schon mal einige Wochen leersteht, sehr wohl fühlt und schnell vermehrt. - Es ist, kurz gesagt, kein Haus, was leicht zu bedienen ist, und es ist kein Ferienhaus, sondern es ist mein Zuhause. Das Haus ist randvoll gestopft mit meinem persönlichen Kram, von Unterhose bis Steuererklärung - in den Schränken ist überhaupt kein Platz, für Sachen von Leuten, die dort Urlaub machen wollen.

Im Ergebnis habe ich sehr schnell gelernt, dass es keine gute Idee ist, wenn andere Leute alleine in dem Haus wohnen, was sich die anderen Leute selber aber meist nicht vorstellen können, denn es rechnet ja keiner mit so einem komplizierten Haus. Und es rechnet keiner mit meiner extremen Pingeligkeit, was "Aufräumen" angeht. Mein kleines Schälmesser hat, verdammt noch mal, immer an derselben Stelle im Messerblock zu stecken - und nicht irgendwo, wo grade Platz ist.
Der Pürierstab liegt neben den Raclettepfännchen in der zweiten Schublade von unten - und wenn den jemand woanders hinräumt, dann finde ich ihn nicht mehr und rege mich auf. In die Teekanne darf nur original Ostfriesentee und dann wird sie von innen nur kurz ausgespült, nicht (NIEMALS!) mit Spüli sauber machen und ebenfalls NIEMALS Pfefferminz- oder gar Ingwertee darin ziehen lassen.
Die Vorratsregale sind voll mit Vorräten, die benutzt werden können, WENN MAN ETWAS GLEICHARTIGES WIEDER ERGÄNZT.
Wenn ich beginne Nudelsalat zu machen (und das kann bei mir auch gerne mal um Mitternacht sein), dann kontrolliere ich nicht vorher, ob ich noch genug Erbsen habe, denn ich habe immer genug Erbsen im Haus - außer jemand hat sie verbraucht und nicht wieder aufgefüllt. - Und so könnte ich jetzt noch 27 Seiten weiter aufzählen, welche Fehler man alle in diesem Haus machen kann, es lässt sich im Grunde gar nicht vermeiden, dass jemand Fehler macht, wenn er dort wohnt, so dass es sich auch nicht vermeiden lässt, dass ich mich aufrege. Und das wiederum bekommt dann Freundschaften nicht gut, es ist ein sehr kompliziertes Thema.
Zusätzlich kompliziert bin ich dann noch mit meinem Anspruch auf Privatsphäre. Denn natürlich gibt es in dem Haus auch rote Schippchen, also Bereiche, die ich einfach gar nicht für andere Leute öffnen möchte. Mein Schlafzimmer gehört dazu. Und mein Bad. Das ist für mich Intimsphäre, bei der ich so verkrampft hysterisch bin, dass ich noch nicht mal locker drüber reden kann. Ich möchte weder, dass jemand kontrollieren kann, ob dort irgendwo Sextoys rumliegen, noch dass er feststellt, dass dort kein Schweinkram zu finden ist. Ich möchte nicht, dass jemand meine "Miederhöschen" sieht und auch nicht, dass jemand bemerkt, dass die Packung Kondome nur bis zum Jahr 2014 haltbar war. Was sich sonst noch so in meinem Bad versteckt, geht auch niemanden etwas an - und ich will einfach nicht andererleuts Haare aus meinem Abfluss sammeln.

Mittlerweile habe ich deshalb rigoros verkündet, dass niemand mehr ohne Anwesenheit eines Familienmitgliedes in diesem Haus wohnen darf, denn die Familie ist natürlich mit der Technik des Hauses groß geworden und kann damit umgehen, sie wissen, wie hysterisch ich werde, wenn es um Ungeziefer geht und wenn das Haus wirklich ganz voll wird, dann schläft halt ein Kind in meinem Bett, das kann ich grade eben noch akzeptieren.
Damit geht es mir inzwischen also relativ gut und wenn mich jemand fragt, ob ich nicht mal eine Ausnahme machen würde, biete ich demjenigen regelmäßig an, ich würde ihm gerne die Kosten für die Miete einer Ferienwohnung irgendwo anders auf der Insel zahlen, wenn er sich das nicht selber leisten kann, aber mein Haus steht leider nicht zur Verfügung. Üblicherweise ist das dann meist das Ende unserer Bekanntschaft und ich habe einmal mehr meine Sozialunverträglichkeit demonstriert

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