anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Montag, 27. November 2023
Opium fürs Volk
Ich lese den Text von Herrn Buddenbohm, der an dem evangelischen Totensonntagsgottesdienst, in dem sein verstorbener Schwiegervater abgekündigt wurde, teilnahm und sich über das Wort "Einzelkelch" amüsierte. Seit Corona sei man zu Einzelkelchen übergegangen, erklärte dort der Pfarrer, ein Wort, das ich genauso witzig finde wie Herr Buddenbohm, und deshalb las ich diesen Textabschnitt auch meinem Westfalenmann vor, der mich allerdings nur fragend anschaute, weil er katholisch aufgewachsen ist und den gesamten Zusammenhang nicht verstand.

Die Katholen feiern ein anderes Abendmahl als die Evangelen, in der katholischen Version trinkt der Pfarrer alleine vom Wein Blut Jesu, das einfache Gemeindeschäfchen wird mit einer Oblate abgefüttert und fertig, die brauchen deshalb keine ansteckungsvorbeugenden Einzelkelche. Bei den Evangelen bekommt dagegen jeder auch vom Blut Christi zu trinken, früher alle aus demselben Kelch, heute also aus Einzelkelchen.
Ich erklärte K die Unterschiede beim Abendmahl, er konnte allerdings auch mit dem Begriff des "Abkündigen im Gottesdienst" nichts anfangen, weshalb ich ihm auch die erweiterte Textpassage mit der Erklärung von Herrn Buddenbohm vorlas und plötzlich war es da, dieses Gefühl der dunkelsten Kindheitserinnerungen als Furcht vor etwas ganz Gräßlichem.

Ich kenne das natürlich alles, die Unterschiede beim Abendmahl, die Rituale des Totensonntags und noch viel, viel mehr, was für gläubige (evangelische) Christen wichtig ist. Ich bin in einem sehr christlichen Haushalt aufgewachsen, meine Eltern waren nicht nur gläubige Evangelen, sondern auch Lehrer, wenn also jemand die Theorie hinter all diesem Glaubenskram gründlich gelernt hat, dann ich.

Und trotzdem hat nichts davon bei mir so verfangen, dass ich je das Gefühl gehabt hätte, ich bräuchte auch so einen Glauben.
Es sind dabei gar nicht die kirchlichen Vorschriften und Rituale, die ich ablehne, genausowenig wie ich leugne, dass es eventuell einen Gott geben könnte, es gibt ja genug Menschen, die zwar die Kirche blöd finden, aber trotzdem an einen Gott glauben. Das alles ist es nicht, ich habe nichts gegen die Kirche und auch nicht gegen die Vorstellung, dass es einen Gott gibt, ich habe für all das nur ein ungemein breites Schulterzucken übrig, weil ich für mich keinerlei Nutzen darin sehe, an so etwas zu glauben. Konkret bedeutet das, ich brauche keinen Glauben.
Und zwar in keine Richtung, d.h. ich bin weder Atheist noch Agnostiker, ich bin einfach nur extrem desinteressiert.
Mir ist es völlig egal, ob es einen Gott gibt. Mag sein, mag auch nicht sein, not my cup of tea.

Und mit dieser Einstellung habe ich auf einen Schlag alle Religionen der Welt abgehandelt, die sich im grundsätzlichen ja vor allem durch ihre Vorschriften und Rituale unterscheiden, aber alle nur deshalb existieren, weil es so unendlich vielen Menschen wohl ein dringendes inneres Bedürfnis ist, an irgendeinen Gott zu glauben und sich selber und ihre eigene Existenz nur mit diesem Glauben beruhigen und rechtfertigen können.

Das ist mir mindestens so fremd wie ein Interesse für Fußball oder Sport allgemein. Von mir aus können sich die Leute, denen Fußball oder Religion wichtig ist, gerne damit zum Affen machen, dass sie seltsamen Ritualen huldigen und komische Kleidung anziehen, dass sie mit Begeisterung Unbequemlichkeiten ertragen und seltsame Lieder singen, ist mir grundsätzlich alles total schnuppe, lästig finde ich es nur, wenn sie versuchen, mich auch für ihren jeweiligen Fanclub zu begeistern oder ihre seltsame Musik in meiner Nähe abspielen.

Meine Eltern haben natürlich intensiv darauf hingearbeitet, dass ich ihren Glauben als Selbstverständlichkeit übernehme, weil meine Eltern ja auch fest davon überzeugt waren, dass so ein Glauben etwas Tolles ist, da sie ihn für sich selbst stets als Bereicherung empfunden haben.

Hat aber irgendwie nicht geklappt, der Funke ist nicht übergesprungen, statt dessen habe ich mich immer mehr in den Glauben an mich selber verrannt. Ich kann alles alleine, und wenn ich was nicht hinkriege, nun, dann muss ich lernen, ohne dies oder jenes auszukommen. Manchmal gehen auch Dinge schief, shit happens, aber alles kein Grund, deshalb plötzlich irgendeinen Gott zu Hilfe rufen zu wollen, sondern nur ein extra Ansporn, mich mehr zu kümmern. Mich darum zu kümmern, alles, was ich gerne haben möchte, auch selber hinzukriegen. Irgendwie.

Und natürlich brauche ich dafür die Unterstützung von anderen Menschen, alles alleine zu können, ist immer ergebnisorientiert ausgerichtet. Wenn ich einen Felsbrocken von A nach B bringen möchte, heißt das nicht, dass ich den persönlich tragen muss, sondern es bedeutet, dass ich den Transport irgendwie organisieren muss.

Die einzige Unterstützung, die ich in meinem ganzen Leben noch nie in Anspruch genommen habe und die mir auch noch nie gefehlt hat, das war ein Glaube an etwas, was größer ist als wir alle und das immer dann eingreift, wenn menschliches Können versagt. Wie gesagt, mag sein, dass es das gibt, aber dann gibt es das eben und vor allem gibt es das auch dann, wenn ich nicht dran glaube, dafür muss ich während meiner Lebenszeit keinen extra Zirkus darum machen.

Als ich K heute die evangelischen Rituale des Abendmahls und der Abkündigungen am Totensonntag erklärte, da blubberte etwas in mir hoch, was sich anfühlte wie so ein untoter Zombie. Dieser gesamte Religionsschnickschnack ist schon eine wirklich schreckliche Geißel der Menschheit. Im Namen der Religion bringen sich Menschen seit Jahrhunderten in Heerscharen um und trotzdem wird in unserer Gesellschaft immer noch erwartet, dass man alle Religionen und vor allem die Religion der jeweils Anderen respektiert und akzeptiert. Ich verstehe das nicht und ich verstehe nicht, weshalb man Religion in irgendeiner Form respektieren sollte?

Karl Marx fand Religion sei "Opium fürs Volk" und ich denke, da ist viel Wahres dran. Nur, wenn man doch längst die schädlichen Folgen von Opium kennt, weshalb behandelt man Religion, egal welche, nicht auch wie Opium? Wenn Menschen privat Drogen konsumieren, kann man es vielleicht nicht verhindern, aber man sollte es als Staat doch nicht auch noch unterstützen.

Alles in allem bin ich für mich nur sehr froh, dass ich von meinen Eltern weder die Fußballleidenschaft (des Vaters) noch eine irgendwie geartete Gläubigkeit übernehmen musste, weil ich schlicht nie das notwendige Mangelgefühl hatte, was die Voraussetzung für eine Infektion mit dem Religions- und/oder Fußballfieber ist
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