anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Montag, 21. September 2015
Braucht ein Kind Winterreifen?
Zwischendurch gibt es immer wieder Dinge, die mich erst völlig sprachlos machen und dann meinen Kopf mit verwickelten Grübeleien lange blockieren.
Ich bin ja ein Anhänger der Theorie, dass sich auch für die krudesten Verhaltensweisen immer noch irgendeine Begründung finden muss, denn warum sollte sich sonst jemand so verhalten?
Aber manchmal kann ich auch mit viel Nach- und Um-die-ecke-denken einfach keine Begründung finden - und das macht mich dann ganz zappelig.

Dabei akzeptiere ich sehr viele Arten von Begründung. Rational logisch sind dabei die wenigstens, da sich ja auch die wenigstens Menschen durchgängig rational logisch verhalten. Die meisten Begründungen sind einfach lebensnah realistisch.
"Weil ich stärker bin." ist zB eine von mir fast immer akzeptierte Begründung, da man dem so wenig anderes entgegenhalten kann. Das sagt natürlich so keiner, aber oft ist das der eigentliche Grund, warum sich jemand "auffällig" verhält. Wenn jemand stärker ist (und hier ist stärker=mächtiger oder auch =reicher) kann er es sich leisten, sich unangepasst zu verhalten. Wenn ich Chef bin, bin ich Bestimmer und Herrscher über das schlagkräftigste Argument mit vier Buchstaben: "Isso!" Einfach weil ich das so will. Punkt.

Das heißt dann nicht, dass ich das akzeptiere, denn ganz oft machen Menschen einen Fehler in der Beurteilung ihrer eigenen Position und dann meinen sie nur, sie wären "Chef".
Aber als Begründung auf die Frage, warum sie sich so seltsam verhalten, ist das oft die richtige Antwort. Es lohnt sich dann nicht, mit ihnen über ihr seltsames Verhalten zu diskutieren, sondern viel sinnvoller ist es, sie daraufhinzuweisen, dass sie da grade einer mittleren bis großen Selbstüberschätzung unterliegen.

Manchmal ist die Antwort auch "Weil es Spaß macht." - das finde ich sogar eine enorm logische Antwort.

Und manchmal hilft mir ein simples "Warum nicht?" auf die Sprünge, denn dann haben sich meist nicht die anderen seltsam verhalten, sondern ich habe es nur als seltsam empfunden - das kommt übrigens öfter vor als mir lieb ist, aber das ist ein anderes Thema.

Wenn sich für ein aus meiner Sicht seltsames Verhalten aber so gar keine lebensnahe Begründung finden lässt, versuche ich immer, eine irgendwie logisch verknüpfte Begründung zu finden - und wenn ich die auch nicht finden kann, dann bleibe ich sprachlos zurück.

So ging mir das neulich mit den Winterreifen.
Die Freundin meiner Tochter hat Eltern, die so ziemlich das genaue Gegenteil von mir sind. Sehr vorsorglich, behütend und mit viel Gedöns und Gekümmer um die Kinder. Mittlerweile ist ihre Tochter über 20, zu Hause ausgezogen, studiert, wohnt mit meiner Tochter in einer WG und stöhnt oft, weil sie sich von ihren Eltern genervt fühlt, was aber für echte Helikoptereltern kein Grund ist, sich zu ändern. (Tatsächlich scheint wohl nur die Mutter die Helikoptereigenschaften zu haben, der Vater ist eher der autoritäre Bestimmer, aber wenn es um das "körperliche Wohl" der Kinder geht, scheinen sie aus meiner Sicht beide sehr besorgt zu sein.)

So weit so gut - für das Verhalten der Helikoptermutter habe ich durchaus eine Erklärung: Die ist schlicht zu feige, die Verantwortung zu übernehmen, dass mal etwas daneben gehen könnte und verbietet lieber alle Gefahren oder räumt sie selber aus dem Weg, bevor ihr Kind davon betroffen sein könnte. Aus meiner Sicht kann man da gar nichts gegen machen. Als Kind kann man nur den Kopf einziehen und warten, dass man alt genug wird, um auszuziehen - und dann nicht mehr ans Telefon gehen, dann hat man das Meiste im Griff.

So läuft das ja auch in diesem Fall und ich beobachte bei vielen Familien mit oberbesorgten Eltern, wie sich das Eltern-Kind-Verhältnis rapide verschlechtert, wenn das Kind größer wird und sich aus dem Würgegriff der Fürsorge durch massives Abkapseln entwindet. (Nebenbei bemerkt natürlich mit großer Schadenfreude, schließlich wurde ich von diesen "Übermüttern" jahrelang als egoistische Schlampe verachtet, die ihre Kinder in Verwahranstalten abschiebt und von fremden Leuten betreuen lässt, weil sie sich mit Beruf und Hobby lieber selber verwirklichen wollte.)

Was ich aber jetzt gar nicht hintereinander bringe, ist diese unterschiedliche Besorgnis um die Sicherheit des Kindes. Beim Fahrradfahren muss es einen Helm tragen, Inliner sind nur mit voller Sicherheitsmontur erlaubt und einmal am Tag was Warmes essen, alles andere ist ungesund.

Und wenn es studiert, bekommt es ein Auto, weil ihm sowieso selten ein Wunsch abgeschlagen wird. (Höchstens mal etwas länger warten lasse und außerdem regelmäßig damit drohen, dass sofort alle Zahlungen eingestellt werden, wenn nicht dies und jenes befolgt wird, da im Laufe der Zeit alle anderen Drohungen wirkungslos verpufft oder ausgegangen sind.)

So, aber jetzt kommt's: Irgendjemand eine Erklärung, warum dieses Auto (wird persönlich vom Vater gewartet) mit Allwetterreifen ausgestattet wird, statt mit zwei Satz Reifen, einmal Sommer, einmal Winter?

Ich meine, das steht doch in krassem Widerspruch zu allen bisherigen Besorgnis- und Befürchtungsvorsorgehandlungen.
Dass Winterreifen im Winter undiskutierbar sicherer sind als Allwetterreifen müsste doch inzwischen auch bei dem dumpfesten Bürohengst angekommen sein.
Und die Kombination Fahranfänger und schlechte Reifen ist eine Mischung, die macht ja sogar mir Angst.

Ich meine, ich kann es noch verstehen, wenn jemand auf sein eigenes Auto unter genauer Abwägung wie viel und wo er im Winter wahrscheinlich damit fahren wird, nur Allwetterreifen zieht - dann ist es ja auch sein ganz eigenes Risiko. Aber mein Kind damit losschicken, das die Sachlage sowieso nicht beurteilen kann, und voll darauf vertraut, dass Papi sich schon kümmert - hallo???
Was geht bei diesen Eltern im Kopf vor? Wahrscheinlich fehlt das Kapitel "Sicherheit im Straßenverkehr für Volljährige" in ihrem Handbuch zur Kinderaufzucht, bzw. sie fühlen sich einfach nicht mehr zuständig, haben sie doch ihre Schuldigkeit dadurch erfüllt, dass sie ihr Kind jahrelang morgens im Auto zur Schule gebracht haben, damit es nicht über die gefährliche Straßen gehen muss.

Ich persönlich befolge Sicherheitsvorschriften nur nach genauer Abwägung von vier Komponenten:
~ Wie viel Spaßverlust bedeutet es?
~ Wie viel Komfortverlust bedeutet es?
~ Was kostet es extra?
~ Was ist der maximale Schaden?

Deshalb trage ich keinen Helm beim Fahrradfahren, esse hemmungslos Ungesundes, laufe nachts und alleine durch gefährliche Gegenden - und habe zwei Satz Reifen, einen für Winter und einen für Sommer.

Dem zusätzlichen Sicherheits- und Komfortgewinn (nämlich deutlich entspannteres Bremsen bei schlechtem Wetter im Winter und leiseres Fahren im Sommer), den ich durch zwei Satz Reifen habe, stehen Mehrkosten von maximal 100€ pro Jahr für das zweifache Wechseln und Einlagern der Reifen gegenüber.

Wenn ich mir angucke, was diese Eltern ansonsten so in ihr Kind reinstecken, dann versagt es mir an dieser Stelle die Logik und mir bleibt nur ein kopfschüttelndes
?
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Hm, ich selber fahre ja seit Ewigkeiten Ganzjahrsreifen, aber dem Auto für den Nachwuchs würde ich auf alle Fälle Winterreifen spendieren.

Kann der Logik dahinter genauso wenig folgen wie Sie (falls Sie das beruhigt).

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Kann der Logik auch nicht folgen, allerdings auch nicht Ihrer Logik, warum Sie beim Radfahren grundsätzlich keinen Helm tragen. Der maximale Schaden besteht - jenseits von Unfalltod - in erheblichen und dauerhaft bleibenden Hirnverletzungen, da würde ich nochmal drüber nachdenken. Der Spaß- und Komfortverlust hält sich eigentlich in Grenzen. (Ich trage auch nicht immer einen Helm, aber gerade auf den Routinestrecken, wo man schnell unaufmerksam ist, ist er mir doch lieber.) (Ich habe mich beruflich allerdings auch schon ausreichend mit Leuten beschäftigen müssen, die bei schweren unverschuldeten Radunfällen keinen Helm getragen haben.)

... ¿noch mehr sagen?  

 
Ich trage beim Radfahren keinen Helm, weil ich nur sehr selten Rad fahre und wenn, dann nur um des Radfahrenswillen. Wenn ich die Wahl habe zwischen Radfahren mit Helm und Nichtradfahren/ zu Fuß gehen, würde ich immer zu Fuß gehen wählen.
Ich mache aber ansonsten auch einige Dinge, die andere Leute als noch viel gefährlicher ansehen und alles auch nur aus reiner Spaß an der Freude.
Motorradfahren mache ich zB nur im Ausland, wo die verpackte Sicherheitskluft nicht gesetzlich vorgeschrieben ist. Und Fliegen gehört auch nicht zu den ganz risikofreien Beschäftigungen.
Wenn Sicherheit nach meinen ganz eigenen Beurteilungsmaßstäben zum Spaßkiller wird, dann verzichte ich eben auf den Spaß, denn der wäre ja eh gekillt.
Da ich immer die Wahl habe zwischen zu Fuß gehen und Fahrradfahren, wähle ich Fahrradfahren nur, wenn es mehr Spaß macht als zu Fuß gehen und dafür ist für mich halt ohne Helm von großer Bedeutung.

Bei Winterreifen sehe ich keinen Spaßverlust, deshalb nehme ich hier gerne die Sicherheit in Anspruch.