anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Dienstag, 22. November 2016
Statt bei den Kommentaren weiterzuschreiben
Und auch sehr süß, dass du dich über die Technik aufregen darfst, aber wenn ich das mache, dann ist das lächerlich. Nur weil ich halt noch nicht offiziell alt bin. Unfair


Naja, erstens regst du dich über Technik auf, deren Bedienung schon immer kompliziert war und da kann ein neues Update nur Vorteile bringen, weil es definitiv die Chance auf Fortschritt beinhaltet. Man mag zB das letzte iOS-Update jetzt blöd finden, aber um ein Smartphone zu bedienen, musste man schon immer ein Mindestmaß an Softwareumgang akzeptieren. Und dasselbe gilt für Windows 10. Bei Computerbetriebssystemen habe ich zumindest ein gewisses Grundverständnis, dass es kompliziert ist, denn es war ja noch nie einfach. Einen Fernseher zu bedienen war aber früher einfach und ist erst heute kompliziert geworden, weil er jede Menge Extras bekommen hat, die ich alle gar nicht nutzen will.

Und zweitens finde ich so ein gnatteriges Krückstockgefuchtel von Leuten U30 einfach albern.
Du kannst doch nicht jetzt schon aufgeben und sagen "lohnt sich für mich nicht mehr". Du hast noch unglaublich viele Chancen vor Dir, du kannst noch alles angehen, alles ausprobieren und das Beste: du hast noch ausreichend Zeit, um ganz viele Fehler zu machen, die du anschließend wieder alle korrigieren kannst. Denn du kennst doch dein Ziel noch gar nicht.
Du musst doch auch all die Fehler noch machen, um durch try and error herauszufinden, was dir nachher wirklich gut gefällt. Das ist ja auch der Spaß dahinter - und die Absicht. Jede bewältigte Katastrophe macht dich ein klein wenig stärker - und bietet wunderbare Möglichkeiten zum späteren Geschichtenerzählen.
Da kannst du dich nicht jetzt schon drücken und einen auf "das brauche ich alles nicht mehr" machen. Pfui, wie langweilig ist das denn. Denn wenn du eines noch im Überfluss hast, dann ist es Zeit.

Als ich 18 war, hatte ich definitiv mehr Zeit als Pläne. Heute ist das umgekehrt, denn je länger man durch sein Leben surft, umso mehr interessante Links entdeckt man, die man auch gerne mal ausprobieren möchte und wenn man sie anklickt, stecken dahinter noch mehr neue, spannende Dinge. Wenn ich allerdings ganz früh im Leben schon sage "Nö, das will ich gar nicht erst ausprobieren, das ist mir alles zu unbequem." - dann verschenkt man damit unglaublich viele Möglichkeiten. Man nimmt sich die Chance, Dinge zu entdecken, die man nicht kennt, Dinge zu lernen, von denen man gar nicht gewusst hat, dass es sie gibt und Erfahrungen zu machen, die einem wieder neue Möglichkeiten eröffnen.

Natürlich kann man ein Leben auch mit nur einer Erfahrungen und einem Minimum an Fremdeinflüssen führen. Aber willst du das wirklich? Jede Chance auf einen möglichen Spaß schon im Vorfeld vergeben? Klar macht man Fehler, klar gehen Dinge daneben, klar wird man Katastrophen durchstehen müssen, die man sich alle hätte sparen können, wenn man einfach nur immer dasselbe gemacht hätte. But, so what? Wo ist das Problem? Was hast du zu verlieren? Dein Einsatz ist einfach nur Zeit - und das sollte es Dir wirklich wert sein, finde ich.

Wenn man älter wird, ist es aber genau das, was einem am meisten fehlt, Zeit.
Zeit, die man braucht, um Fehler wieder glattzuziehen, Zeit, die es braucht, um Wunden heilen zu lassen, und Zeit, die man endlich nutzen möchte, um das Leben zu leben, auf das man sich all die Jahre vorher so ausführlich vorbereitet hat.

Deshalb werden ältere Leute mit ihrer Zeit immer knauseriger, denn alles was knapp wird, wird auch wertvoll. Je älter ich werde, umso mehr wäge ich ab: Lohnt sich das - noch oder überhaupt?
Die Zeit, die ich noch habe, kann ich mittlerweile überschauen. Sie reicht weniger weit nach vorne als ich rückwärts zurückblicken kann, deshalb weiß ich, dass es nicht mehr so viel ist.
Und deshalb weiß ich auch, dass ich für manche Dinge tatsächlich nicht mehr genug Zeit haben werde, schon gar nicht für alle Dinge, die ich mir wenigstens theoretisch noch als spannend vorstellen könnte. Dafür habe ich jedoch die Liste "100 things to do before you die" schon ganz gut abgearbeitet, das beruhigt mich dann gleichzeitig auch wieder.
Aber ich setze meine Zeit inzwischen bewusster ein und vermeide an einigen Stellen "Investitionen", eben weil ich mittlerweile sicher bin, dass ich die Früchte dieser Investitionen gar nicht mehr ernten werde. Das aber kann ich nur deshalb beurteilen, weil ich heute gezwungen bin, meine Zeit und meine Pläne und Vorhaben zu "bewirtschaften". Auf der einen Seite macht das natürlich gleichzeitig auch wieder unfrei, ich fühle mich oft von mir selber und meinem Zwang, meine Zeit "sinnvoll" zu nutzen, verfolgt und vergeude dann wieder dadurch Zeit, dass ich gegen meine eigene Vernunft rebelliere, aber das ist mein ganz persönliches Problem, muss ja nicht jeder so bekloppt sein wie ich.
Was ich sagen will, ist, dass ich mittlerweile ganz gut überschauen kann, wann es sich lohnt, Dinge noch mal neu zu lernen und sich gedanklich aufwändig damit auseinanderzusetzen - und welche ich Dinge ich mittlerweile lassen kann. Vorbeiziehen lassen, unberührt lassen, dabei wissen, dass damit zwar auch immer Chancen und Möglichkeiten vergeben werden, dass ich davon aber noch reichlich auf Vorrat habe und ich eben wirklich in der mir verbliebenen Zeit nicht mehr alles werde mitnehmen können.
Deshalb verzichte ich auf die Chance, die mir ein Fernseher mit 27tausend Extrafeatures bietet, weil ich für mich längst gelernt habe, dass bewegte Bilder, gleich welcher Art, noch nie besonders wichtig für mich waren. Ich lerne dann lieber die neue Smarthomesteuerung und versuche zu ergründen, was ich tun muss, wenn ich die Warmwasserzirkulation schon vorm Duschen, vom Bett aus, in Gang setzen möchte, um mir zwei Minuten Kaltwasserduschen, bevor es warm wird, zu ersparen. (Ich dusche ja nur DANACH kalt. Erst warm finde ich schon schön.)

Und deshalb denke ich, ist es etwas anderes, ob ein alter Mensch über die sich ständig und ständig fortentwickelnde Technik schimpft - oder ein junger.

Mag jetzt sein, dass du dich als Wertewahrer fühlst, dass du Stabilitätsanker suchst, die dir in dieser sich immer schneller drehenden Zeit etwas Sicherheit geben. Und sicher hast du es heute schwerer als ich es damals hatte, damals drehte sich die Welt noch nicht ganz so schnell wie heute und doch prangte auf meiner Schulkladde ganz groß der Spruch: Stop the world I want to get off - ich glaube allerdings vor allem deshalb, weil ich ihn so cool fand.
Und im Unterschied zu dir hatte ich auch ein äußerst wertstabiles Elternhaus. Meine Eltern waren nicht so durchgeknallt wie deine, die hielten noch auf Zucht und Ordnung, Sitte, Anstand und Moral. Von mir wurde diese unendliche Neugier, dieses nicht zu bremsende Verlangen, meine Fehler selber machen zu wollen und zwar am besten mehr als alle, das wurde alles nicht erwartet. Ich hätte es deutlich leichter haben können als du, denn ich hätte einfach nur tun müssen, was alle taten und keiner hätte geschimpft.
Ich gebe es deshalb sofort zu, dass dein Leben schwerer ist als meines. Die Erwartungen deiner Eltern zu erfüllen ist eine ungleich größere Herausforderung als ich sie meistern musste. Ich hätte nur einen längst vorgezeichneten, ausgetretenen Weg gehen müssen und alle hätten sich für mich gefreut. Du dagegen sollst einen Weg gehen, der gar keiner ist, den keiner kennt, den es noch nicht gibt, den du dir komplett selber trampeln musst. Einen Zickzackkurs quer durchs Leben. Und das auch noch ganz alleine. Meine Qualitäten als "Fürsorgemutter" sind bekanntermaßen eher schlecht.
Von dir wird erwartet, dass du Fehler nicht nur machst, sondern sie auch noch bravourös reparierst. Von dir wird erwartet, dass du dir deine Wegpunkte selber suchst und am besten sollen sie noch möglichst schillernd und abwechslungsreich sein. Du darfst alles sein, nur nicht langweilig. Dabei stehst du in ständigem Wettbewerb nicht nur mit deinen Geschwistern, sondern auch mit deinen Eltern. Ob du den Erwartungen deines Vaters je entsprechen wirst, wird dir immer eine Frage bleiben, (ich kann dir allerdings versichern, er wäre mittlerweile grottenstolz auf dich und könnte es dir aber immer noch nur dadurch zeigen, dass er noch mehr ranzen würde.) Das ist alles kein Zuckerschlecken, das kann ich gut verstehen, und trotzdem.
Und trotzdem ist es keine Entschuldigung sich aus dem Leben zurückzuziehen. Das Leben den anderen zu überlassen. Denen, die neugierig genug sind, sich der Herausforderung zu stellen. Denen, die mutig genug sind, Fehler zu machen. Denen, die übermütig genug sind, Blödsinn zu machen. Denen, die stark genug sind, die darauf folgenden blöden Sprüche der anderen auszuhalten. Und denen, die den Widrigkeiten des Lebens, und dazu gehören Softwareupdates und neue Technik, mit einem Lächeln begegnen und fest daran glauben, das schon alles seinen Sinn haben wird.
Punkt
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