anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Donnerstag, 29. Dezember 2022
Du bist ja auch anders
"Du bist ja auch anders" ist ein Satz, der mich seit meiner Kindheit begleitet und mir immer dann gesagt wird, wenn ich Lösungsvorschläge für sozialinduzierte Probleme anderer Menschen mache.

Wenn ich mich mit Verwandten oder Freunden (also Menschen, die mich gut oder zumindest schon lange kennen) über Dinge unterhalte, die für andere Leute ein Problem darstellen, fällt dieser Satz fast immer irgendwann, denn die Art der Lösung, die ich in der Regel vorschlage, scheint für Menschen, die andere soziale Bedürfnisse haben als ich, nicht umsetzbar zu sein.
Meine Lösung lautet nämlich meistens: "Reg dich doch einfach nicht auf." kombiniert mit "Ja, dann mach's doch nicht." bzw. "Ja, dann mach's doch einfach selber."

"Du bist ja auch anders!" ist für die meisten Menschen die kurze Zusammenfassung der Tatsache, dass sie selber zwar keine rationale Erklärung für ihr Handeln oder ihre Empörung über andere haben, ihren eigenen Standpunkt oder ihr eigenes Handeln aber als "ganz normal" betrachten, weil das ja "alle" machen.

Seitdem die Medizin nicht nur offensichtlich kommunikationsgestörte Personen wie Rainman als Autisten definiert, sondern unter dem Bogen eines irre weit gespannten Autismusspektrums problemlos jeden einsortiert, der sich außerhalb der Massen bewegt, fällt es mir leicht, das eigene Anderssein zu erklären.
Ich habe ganz sicher Merkmale einer autistischen Störung, ich finde es allerdings zunehmend lustig, dass diese Diagnose traditionell pathologisch konnotiert ist, d.h. dass es als Krankheit (Störung) und damit als etwas Unerwünschtes definiert ist.

Meiner Meinung nach kann das massenübliche, also das sogenannte neurotypische Sozialverhalten dagegen viel eher ein durchaus behindernder Part der persönlichen Disposition sein, mir fällt dazu immer der folgende Satz ein:
"Eine Millionen Fliegen können nicht irren, Leute fresst Scheiße."
Nur weil die große Mehrheit der Menschen Dinge auf eine bestimmte Art und Weise tut, heißt das doch nicht, dass das der beste Weg ist.

Ich habe deshalb eine Theorie entwickelt und die geht so:
Der Mensch ist von seiner Veranlagung her ein Rudeltier.
Das wiederum bedeutet, dass das Bedürfnis nach sozialen Kontakten ein elementares Grundbedürfnis ist mit einer angeborenen Antriebsgrundlage, die Nähe anderer Menschen aktiv zu suchen.

Weil die Mehrzahl der Menschen allein nicht überlebensfähig wäre, war es von der Natur sehr klug, dieses Sozialbedürfnis im Instinkt zu verankern, denn dann verhalten sich die Menschen ohne Nachzudenken gleich so, wie es aus Sicht der Natur für die Spezies allgemein am praktischsten ist.

Ich glaube zwar, dass die Natur da eher an das Zusammenrotten von Gruppen zwecks gemeinsamer Jagd und besserem Gruppenschutz gegenüber Angreifern gedacht hat und weniger an die Förderung kultureller Großereignisse wie Sportevents oder Musikfestivals, aber Gruppe ist Gruppe und Instinkt ist Instinkt, weshalb der moderne Mensch seine sozialen Grundbedürfnisse gerne mal in solchen Großveranstaltungen befriedigt und das Rumsitzen in Cafes oder Kneipen kombiniert mit der Aufnahme gesundheitsschädlicher Nahrung (Zucker, Alkohol) als notwendige soziale Teilhabe beschreibt.

In der massenüblichen Ausführung dieses angeborenen Bedürfnisses führt das dazu, dass Menschen die körperliche Nähe von anderen Menschen nicht nur als angenehm, beruhigend und insgesamt positiv empfinden, sondern dass sie auch ein Mangelgefühl verspüren, wenn sie über einen gewissen Zeitraum keine oder deutlich weniger Kontakte zu anderen Menschen hatten.

In der Coronazeit ist bei vielen Menschen so ein Mangel entstanden, so dass viele gradezu "ausgehungert" waren nach realen Treffen und Zusammensein mit anderen Menschen.
Der Begriff "ausgehungert" beschreibt dabei dieses Mangelgefühl sehr gut, weil das Fehlen von ausreichenden Kontakten tatsächlich so etwas ähnliches wie ein Hungerfühl erzeugt.

Jetzt kann es aber in Einzelfällen passieren, dass der Natur da was daneben geht, dass einzelne Instinkte also nur sehr schwach oder vielleicht sogar gar nicht ausgeprägt sind. Wir kennen das vom Hunger, es gibt Menschen, die haben ständig Hunger und es gibt welche, die kommen mit einem Apfel und einem Butterbrot gut durch den Tag, ohne dass sie sich schlecht fühlen dabei.

Auf Sozialkontakte übertragen bedeutet das, dass es Menschen gibt, die empfinden fehlende Sozialkontakte nicht als Mangel, im Gegenteil, zu viele Kontakte führen schnell zu einer Form des "Überfressens" und für Menschen mit diesem fehlenden Sozialbedürfnis sind dann größere Menschenmengen wie eine sinnlose Völlerei, von der ihnen schon übel wird, wenn sie nur daran denken.

Ein anderer, angeborener "Instinkt" ist das Schmerzempfinden.

Es ist bekannt, dass es Menschen gibt, die keine Schmerzen spüren, bei denen ist irgendein Nervenempfänger oder -sender kaputt, so dass ihnen einfach niemals irgendetwas weh tut.
Wenn die sich einen Finger abschneiden, fühlt sich das für diese Menschen so an wie für andere das Fingernägelschneiden.

Diese Menschen müssen lernen, auf ihren Körper auf eine rein vom Kopf gesteuerte, angelernte Weise aufzupassen, weil Schmerz ja etwas ist, was von der Natur als eingebautes Warnsignal gedacht ist. Wenn ich eine heiße Herdplatte anfasse, tut es weh und ich ziehe meine Hand zurück. Wenn es nicht weh tut, würde ich meine Hand verbrennen lassen, was böse Folgen haben kann. (Deshalb ist übrigens auch Radioaktivität so gefährlich, die tut nicht weh.)

So wie Menschen normalerweise Schmerz oder Hunger verspüren, haben sie also auch ein instinktives Bedürfnis nach sozialen Kontakten bzw. spüren das Fehlen dieser Kontakt als unangenehmes Mangelgefühl (Hungerschmerz).

Und meine Theorie sagt jetzt, dass bei mir dieses instinktive Grundbedürfnis nach sozialen Kontakten nicht oder nur sehr schwach vorhanden ist.

Grundsätzlich wäre es sicherlich auch sehr angenehm, wenn meine Schmerzrezeptoren kaputt wären, hier begreife ich aber immerhin, dass es viele Alltagsabläufe deutlich umständlicher machen würde, eben weil man immer, immer mit eingeschaltetem Kopf auf seinen Körper aufpassen muss.

Das fehlende, instinktgetriebene Sozialbedürfnis hat aus meiner Sicht dagegen gar keine Nachteile, ganz im Gegenteil.
Unsere moderne, technikgestützte Welt ist für Einzelgänger längst nicht mehr so lebensfeindlich wie für den Steinzeitmenschen.
Mit meinem Dauermantra "ich kann alles alleine" bin ich bisher sehr gut durchs Leben gekommen und wenn ich versuche, mit ein bisschen Abstand auf mein Leben zu gucken, dann denke ich, grade weil ich mich an keiner Stelle von instinktgetriebenen Sozialbedürfnissen zu irgendwelchen schlechten Kompromissen habe treiben lassen, konnte ich sehr viele Entscheidungen sehr rational und gleichzeitig sehr entspannt treffen.

Ich kann für mich behaupten, dass mir dieses fehlende, im Instinkt verankerte Sozialbedürfnis noch nie gefehlt hat, im Gegenteil, ich bin sehr, sehr zufrieden, dass ich es nicht habe und bilde mir ein, dass es mir dadurch entschieden leichter fällt, ein zufriedenes und sorgenfreies Leben zu führen. Ich kann halt alles alleine und Dinge, die mir nicht gelingen, nun, die sind eben so, denn - und das ist in meinen Augen der extrem wichtige Teil eines Einzellebens - ich habe keine Erwartungen an andere.

Mein fehlendes Sozialbedürfnis führt natürlich auch dazu, dass ich keine intuitive soziale Empathie besitze. So kann ich ganz, ganz viele Situationen, in denen andere Menschen Kummer haben, überhaupt nicht nachempfinden, z.B. immer dann, wenn der Kummer nicht durch ihr direktes Umfeld ausgelöst wurde, sondern eher global ist.
Weshalb also Menschen Kummer empfinden, wenn jemand stirbt, den sie gar nicht gekannt haben, ist für mich nicht nachvollziehbar bzw. nicht nachspürbar. So wie jemand, der keine Schmerzen empfindet, sich eben auch nicht vorstellen kann, wie sich Schmerzen anfühlen.
Die Millionen von heulenden Menschen beim Tod von Lady Di habe ich bis heute als besonders beeindruckendes Beispiel meines völligen Unverständnisses für so einen Kummer in Erinnerung.

Ich kann mir allerdings sehr gut vorstellen, dass es jemanden betrübt, wenn er künftig gezwungen ist, sein eigenes Leben zu ändern, nur weil sich sein Umfeld verändert. Wenn also ein naher Verwandter stirbt, ist das für den, der nachher sein Leben anders einrichten muss, sicher sehr unschön.
Kummer über den Verlust einer Beziehung, deren Fehlen direkte Folgen auf das eigene Leben hat, den kann ich nachempfinden, aber welche Veränderungen und Probleme kommen auf mich zu, nur weil Lady Di stirbt?

Weil meine emotionale Empathie kaum vorhanden ist, ist meine soziale Intelligenz dagegen überdurchschnittlich hoch, denn das, was die Psychologie als soziale Intelligenz bezeichnet, das kann man lernen.
Wenn man keine angeborenen sozialen Bedürfnisse hat, MUSS man soziale Intelligenz sogar sehr gründlich lernen, denn sonst wäre man im Umgang mit den meisten anderen Menschen komplett verloren.
So wie Menschen, die keinen Schmerz empfinden, lernen, auf ihren Körper aufzupassen, so habe ich gelernt, wie man am besten mit anderen Menschen umgeht bzw. sich im Umfeld von anderen Menschen verhält.

Ich besitze also keine emotionale, sondern eine kognitive Empathie, die im Unterschied zur emotionalen Empathie den großen Vorteil hat, dass man sie bewusst ein- und ausschalten kann.

Das ist wie Schwimmen können im Unterschied zu schwimmen müssen. Ein Fisch fühlt sich an Land extrem unwohl, ein Fischotter dagegen kann einfach beides.

Und genau deswegen bin ich so ungemein zufrieden damit, dass ich keine angeborenen sozialen Bedürfnisse habe und damit allem, was davon gesteuert wird, nicht hilflos ausgeliefert bin, sondern selber steuern kann.
Deshalb war ich auch nie gezwungen, mich in irgendeine klassische Rollenerwartung unserer Gesellschaft einzuordnen, sondern konnte immer sehr zufrieden meine ganz persönliche Rosinenpickerei betreiben.
Heiraten zum Beispiel, wieso sollte ich das tun, es bringt doch keine Vorteile.

Ohne jede emotional romantische oder soziokulturelle Verklärung, ist eine Ehe nichts anderes als ein Vertrag mit einem anderen, den man nach andererleuts (staatlichen) Regeln abschließt.
Ich dagegen ziehe es vor, die Regeln meiner Beziehung mit meinem Partner selber zu definieren, ich brauche dafür keine fremden Leute.
Weil aber die Mehrheit der Menschen diese Regeln braucht, eben weil sie so ein enormes Verlangen danach haben, Teil einer Menge zu sein, die sich wiederum genau über diese Regeln definiert, gibt es einerseits den verfassungsrechtlich garantierten Schutz von Ehe und Familie und andererseits jede Menge staatliche Unterstützung für all die armen Geschöpfe, die unverschuldet nicht Teil dieser großen Gruppe sind.

Ich kenne die Statistiken über die prekäre Situation von alleinerziehenden Frauen, da gibt es nichts schön zu reden, die wenigstens haben sich dieses Schicksal bewusst ausgesucht.
Ich persönlich habe aber ganz unbestreitbar sehr lange davon profitiert, dass ich als alleinerziehende Mutter mit drei Kindern staatliche Unterstützungen bekommen habe, die verheiratete Frauen nicht bekommen hätten.
Ich habe nichts Illegales getan, ich habe einfach nur gerechnet.

Mich fasziniert es regelmäßig, dass viele der Probleme, über die sich Menschen gerne ausführlich beschweren und die sie lautstark beklagen und bejammern, aus dem Umgang mit anderen Menschen entstehen.
Schlechtes Benehmen der Kinder steht da regelmäßig ganz weit oben.
Direkt gefolgt von schlechtem Benehmen des jeweiligen Partners.
Aber auch alle anderen Menschen um einen herum verhalten sich oft nicht erwartungsgemäß und dann regt man sich auf, weil man meint, das konkrete Problem nicht lösen zu können, schließlich ist es der andere, der sich schlecht verhält.
Rücksichtslosigkeit wirft man anderen Menschen gerne vor, und Interesselosigkeit, also fehlende empathische Zuwendung.
Der Mann/das Kind/Mensch X interessiert sich gar nicht dafür, was ich möchte. Wenn ich nicht ständig hinterherrenne/-fege/-wische/-räume, bräche alles zusammen.

Mein Rat: Ja und?, dann lass es doch zusammenbrechen.
Wenn Mann/Kind/Mensch X sich nicht dafür interessieren, was du möchtest, warum solltest du dich dann dafür interessieren, was die möchten? Mach's doch einfach nicht.
Ein einfacher Rat, wenn man das Leben instinktiv als Einzelperson angeht, ein nicht umsetzbarer Rat, wenn Menschen mit einem instinktgetriebenen Sozialbedürfnis totverzweifelt versuchen, die Gruppe zusammenzuhalten.

Meiner Meinung und meiner Erfahrung nach funktioniert das Leben ganz wunderbar, wenn sich jeder zunächst mal für sich selber verantwortlich fühlt und sich deshalb auch mit dem nötigen Verantwortungsbewusstsein um sich selber kümmert, was gleichzeitig auf keinen Fall heißt, dass man sich nicht auch um andere kümmert.
Natürlich kümmert man sich auch um andere, weil man sich ja ganz bewusst in ein soziales Gefüge integriert hat, das einem Spaß macht und angenehm ist und natürlich ist das gesamte Leben ein Nehmen und ein Geben.

Wenn man aber von diesem sozialen Gefüge abhängig ist, weil es einem nicht gelingt, sich von diesem zwingenden, drängelnden instinktiven Grundbedürfnis zu befreien, das Menschen gerne mal dazu bringt, an den absurdesten Gruppenkonstellationen festzuhalten, dann kann dieses soziale Grundbedürfnis schnell böse Folgen haben.

Wenn ich mich dagegen mit kognitiver Empathie um andere kümmere, dann kann ich meinen Kümmereinsatz steuern und gerate weder in die Fänge der sozialen Erpressung, noch in eine Schieflage wegen enttäuschter Erwartungen.

Nehmen wir zur Veranschaulichung mal folgende Konstellation:
Ich wohne mit meiner Familie in einem Haus mit Garten und keiner hat Lust, sich um die Gartenarbeit zu kümmern.
Jetzt könnte ich mich zum Beispiel immer wieder aufs Neue darüber aufregen, dass sich niemand um den Garten kümmert, weil doch alle in der Familie wissen, dass ich das nicht selber machen kann, weil ich einen kaputten Rücken/Hüfte/Knie, habe und dazu körperlich nicht in der Lage bin, weil es aber keiner macht, mache ich es trotzdem und habe anschließend regelmäßig sehr schlechte Laune.
Ich könnte aber auch einen Gärtner beauftragen, wenn sich sonst keiner kümmert.
Können wir uns nicht leisten? Na, dann gibt es eben weniger zu essen bzw. nur noch Nudeln mit Ketchup, bis irgendjemand aus der Familie feststellt, dass er nun selber ein Problem hat mit dem bescheidenen Essen und dadurch gezwungen ist, sich um sein Problem zu kümmern. Er kann jetzt entweder (mehr) Geld verdienen, um das Lebensmittelbudget wieder aufzustocken, oder er könnte Rasen mähen, dann ist auch sofort wieder mehr Geld für Essen im Haushaltstopf.

Ich will damit sagen, dass es aus meiner Sicht völlig legitim ist, ein Problem, was man selber hat, so zu lösen, dass dadurch ein anderer auch ein Problem bekommt und plötzlich aus eigenem Antrieb bereit ist, mich bei der Lösung meines Problems zu unterstützen, weil er damit ja sein eigenes Problem auch in den Griff bekommt.
Wenn sich jeder nur um seine Probleme kümmert, heißt das nicht, dass man die Probleme der anderen völlig ignoriert und gar nicht wahrnimmt. Ganz im Gegenteil, denn natürlich ist Teil der individuellen Problemlösung auch die Vorsorge. Dadurch, dass ich weiß, dass ich mittelbar sehr wohl ein Problem bekomme, wenn ich den Rasen nicht mähe, mähe ich den Rasen spätestens dann, wenn ich Hunger habe oder wenn ich das irre Glitzern in den Augen der Mutter sehe und weiß, gleich greift sie zum Hörer und bestellt den Gärtner und dann ist wieder Schmalhans Küchenmeister.
Das ist ja grade der Trick, dadurch, dass jeder ein durchaus gesteigertes Interesse daran hat, seine eigenen Probleme zu lösen, löst er auch gerne Probleme von anderen, wenn ihm damit gleichzeitig auch geholfen ist.

Und obwohl mir diese Struktur der Problemlösungen im zwischenmenschlichen Bereich genau so pragmatisch wie logisch erscheint, wird sie von den meisten Menschen doch nur sehr selten verwendet. Zu groß ist die Angst vor Zurückweisung, vor Streit und Disharmonie in der Gruppe.

Wenn mir jetzt noch mal jemand erklären könnte, weshalb es positiv sein sollte, ein angeborenes Verlangen nach menschlicher Nähe und Gruppenzugehörigkeit zu haben? Nur weil ich damit zur Masse der Millionen von Fliegen gehöre
?

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Dienstag, 13. Dezember 2022
Über die Bedeutung von Geld
Deutschland ist das viertreichste Land der Welt und kaum einer redet gerne über Geld, schon gar nicht über sein eigenes und auch nicht über sein Verhältnis zu Geld.

Für mich ist Geld elementarer Teil meines Berufes, mit mir reden die Leute über ihr privates Geld, so wie sie mit einem Urologen über Impotenz reden, ich unterliege an dieser Stelle einer vergleichbaren Verschwiegenheitsverpflichtung, vielleicht ist das für manche Leute der wichtigste Teil meines Berufes.

Vielleicht rede ich aber genau deshalb auch gerne ganz allgemein über Geld, so wie Dr. Ruth sich ja auch hauptsächlich allgemein für ihr Thema interessierte.

Bei vielen Themen, die mit einem Tabu belegt sind, beginnt die Prägung der eigenen Haltung oft bereits sehr früh durch Erlebnisse und Erfahrungen in der Kindheit, die das Kind dann selber verarbeiten muss, weil ja niemand drüber redet.

Ich bin in einer Lehrerfamilie aufgewachsen, d.h. es gab ein festes und sehr sicheres Beamtengehalt des Vaters ohne größere Entwicklungsmöglichkeiten, man strebte also auch keine finanzielle Veränderung an.
Meine Eltern waren sehr sparsam, denn große Sprünge konnte man mit einem kleinen Lehrergehalt und einer fünfköpfigen Familie nicht machen, ich kann mich aber nicht daran erinnern, dass sie je ernsthafte Geldsorgen hatten, weil man auch mit wenig Geld auskommen kann, wenn man klug wirtschaftet. Ich habe dadurch sehr früh gelernt, dass der Umgang mit Geld eine intellektuelle Herausforderung ist.

Ich bin in Meerbusch zum Gymnasium gegangen und habe meine Jugend vor allem im Reitstall verbracht. In Meerbusch wohnen sehr viele reiche Leute, die meisten meiner Klassenkameraden kamen aus verhältnismäßig wohlhabenden Elternhäusern, meine beste Freundin hatte ein eigenes Pferd. Meine Eltern konnten mir kein eigenes Pferd bezahlen, es gab aber genug andere reiche Leute, die sich zwar das Pferd leisten konnten, aber dann keine Zeit hatten, es täglich zu bewegen. Deshalb hatte ich ein Pflegepferd, für das ich verantwortlich zuständig war. Ich bekam dafür kein Geld, aber ich konnte (musste) jeden Tag reiten und ich durfte auch an Turnieren teilnehmen. Der einzige Unterschied zu einem eigenen Pferd war, dass ich keine Kosten hatte für das Hobby.

Eine für mich prägende Erkenntnis für meine eigene Einstellung zum Geld, war die Erfahrung, dass Menschen, die offensichtlich sehr viel Geld haben, deshalb noch lange nicht klug sein müssen und dass sich der Wert einer Sache nicht an dem bemisst, was man dafür bezahlt, sondern dass es für fast alles auch einen Alternativmarkt gibt, wo man die gleichen Dinge für viel weniger Geld bekommen kann, wenn man bereit ist, ein paar Eigenschaften von Dingen als für sich selbst nicht notwendig einzustufen. "Fabrikneu" z.B. ist eine Eigenschaft, deren Nutzen sich mir nur selten erschließt.
Ich glaube, ich habe schon früh und ganz intuitiv das System des komparativen Kostenvorteils entdeckt und mich seitdem grundsätzlich daran orientiert.

Der Maßstab, nach dem Lehrer ihre Kinder messen, ist Klugheit und das war damit der Maßstab, mit dem ich aufgewachsen bin, denn er galt nicht nur in der Schule, sondern auch zu Hause.
Geld dagegen war niemals ein Maßstab, im Gegenteil, wer außer Geld sonst nichts im Kopf hatte, der war ein armer Tropf. Und wer sich einbildete, er sei etwas Besseres, nur weil er Geld hatte, der hatte ganz offensichtlich sonst nichts, auf dass er sich was einbilden konnte und war damit automatischer ein armer Tropf.

Ich habe deshalb Leute noch nie um ihr Geld beneidet, ich hatte auch nie den Bedarf, viel Geld haben zu wollen, um mir teure Dinge kaufen zu können. Die teuren Dinge, die ich haben wollte, die habe ich mir seit jeher schon gebraucht gekauft und habe die "armen" Leute bemitleidet, die es sich neu gekauft hatten und deshalb so viel Geld einfach zum Fenster rausgeworfen haben. Und natürlich habe ich die dummen reichen Leute dafür bemitleidet, dass sie sich ihr Leben so unbequem machen mussten, nur um ihren Reichtum als Statussymbol sichtbar zu machen. Ein Porsche zB ist als Auto ungemein unbequem, warum in alles in der Welt bezahlt jemand für diese Unbequemlichkeit so viel Geld?
Außerdem kannte ich die Sicherheitsmaßnahmen, mit denen die Millionärskinder aus meiner Klasse leben mussten. Das ist ungemein abschreckend und ich war schon sehr früh sehr überzeugt, dass ich mir meine persönliche Freiheit für kein Geld der Welt abkaufen lassen würde, denn wofür braucht man so viel Geld? Bessere Schulnoten konnten sie sich dafür nicht kaufen und mehr Spaß im Alltag hatten sie ganz offensichtlich auch nicht.

Für mich war Geld immer nur wichtig für all die kleinen Dinge des Alltags, für die es keinen Alternativmarkt gab (z.B. die einfach süchtig machenden Pommes Frites mit Schaschliksauce aus der Imbissbude gegenüber vom Bäcker, die 1,20 DM kosteten und durch nichts zu ersetzen oder irgendwie günstiger zu kaufen waren, die aber für mich, mit meinen 5 DM Taschengeld in der Woche, nicht täglich finanzierbar waren) und natürlich braucht man auch für einen Einkauf auf dem Flohmarkt ausreichend Kleingeld.

Ich habe mir deshalb sehr früh vorgenommen, dass ich immer so viel Geld haben will, dass ich nie mehr überlegen muss, ob ich mir lieber eine Portion Pommes oder eine Fanta in der Disco leisten möchte und dass ich niemals wieder auf einem Flohmarkt stehe und ein echtes Superschnäppchen (eine echte Wranglerjeans in meiner Größe mit der richtigen, seltenen 34er Beinlänge) für 5 DM nicht kaufen kann, weil ich kein Geld mehr habe.
DAS war ein traumatisches Erlebnis.

Ich wollte also nie superreich sein, sondern immer nur ausreichend reich, um mir all das kaufen zu können, wonach mir der Sinn stand, wobei auch gleichzeitig immer klar war, dass sinnlose Statussymbole mir von ganz alleine nie in den Sinn kommen würden, Statussymbole sind bei mir fest verknüpft mit dem "armer Tropf" Marker.

Durch die Tatsache, dass meine Eltern Lehrer waren, war auch klar, dass ihre Kinder Abitur machen würden, das war so selbstverständlich, dass es niemals überhaupt auch nur in Ansätzen thematisiert wurde.
Und auch wenn ich weiß, dass es für das Ausmaß der eigenen Arroganz keinen Unterschied macht, ob man sich etwas auf seine Klugheit oder auf sein Geld einbildet, so habe ich diesen Teil der Überzeugung selbst nach gründlichem Nachdenken von meinen Eltern übernommen und auf meine Kinder übertragen.
Deshalb hat auch mein jüngstes Kind, was sich die ersten 10 Jahre seiner Schullaufbahn massiv dagegen wehrte, letztlich Abitur gemacht. Es stand für mich nicht zur Diskussion.

Mein Westfalenmann dagegen hat einen komplett anderen familiären Hintergrund als ich.
Seine Eltern waren sogenannte "einfache Leute". Nach der Volksschule stand für sie Arbeit immer im Mittelpunkt ihres Lebens, die Werte des Lebens orientierten sich daran, dass man Geld verdienen musste, die moralischen Vorgaben lieferte die Kirche, für intellektuellen Schabernack oder philosophische Betrachtungen war überhaupt keine Zeit.
Natürlich gab es im Umfeld reiche Leute, aber die bewegten sich in einer dermaßen anderen Welt, dass es sozusagen keine Schnittpunkte gab.
Als der Sohn aufs Gymnasium wollte, haben die Eltern das zwar nicht boykottiert, aber unterstützen konnten sie ihn dort auch nicht, womit auch? Allein die Tatsache, dass der Sohn überhaupt aufs Gymnasium ging, bedeutete, dass er sich dort in einer Welt bewegte, die ihnen komplett fremd war.

Für den Sohn war die Welt dort allerdings genauso fremd und dementsprechend hat er nicht nur grundlegend andere Erinnerungen an seine Schulzeit als ich, sondern er erlebte auch den Reichtum in den Familien einiger Klassenkameraden aus einer völlig anderen Perspektive.
Für ein Lehrerskind ist es nicht schwer, zu den Klassenbesten zu gehören, es hat schließlich Eltern, die jede Frage beantworten können und die sich auch noch vorbeugend gleich auf die richtige Art und Weise darum kümmern, dass ihr Kind in der Schule (bei anderen Lehrern) keine Probleme hat.

Für ein Arbeiterkind sieht die Welt dagegen ganz anders aus, das ist in der Schule komplett auf sich alleine gestellt und muss sich anstrengen, um überhaupt mit den anderen mitzuhalten. Diese Bildungsarroganz, die ich quasi mit der Muttermilch aufgesogen habe, ist meinem Westfalenmann komplett fremd.*
Er unterschied deshalb die Leute nach denselben Kriterien wie seine Eltern: In reiche Leute und einfache Leute und er hatte stets den Drang, aus der Kaste seiner Eltern aufzusteigen. Das führte über Bildung, das war ihm klar, aber für ihn war Bildung nur ein Werkzeug, um Geld zu verdienen. Und er wollte unbedingt viel Geld verdienen, denn er wollte später einmal reich sein, einen Mercedes fahren, in einem großes Haus wohnen und, wenn er ganz abgehoben träumte, dann kam manchmal sogar auch ein Flugzeug darin vor. Für ihn waren das keine Statussymbole, um andere Leute zu beeindrucken, sondern Dinge, die ein völlig anderes Leben ermöglichten und von einer derart hohen Qualität waren, dass man eben viel Geld brauchte, um so etwas bezahlen zu können.

*an dieser Stelle muss ich eine lustige Anekdote erzählen: In der Anfangszeit unseres Kennens führten wir eine Fernbeziehung und schrieben uns deshalb natürlich regelmäßig E-Mails und SMS, was man halt so macht, wenn man sich noch viel zu erzählen hat, sich aber nicht täglich sehen kann. Als wir uns dann aber doch mal wieder persönlich trafen, sagte mir MWM, dass er es ganz toll findet, dass ich so gut wie keine Orthographiefehler in meinen Texten mache - und ich fiel vor Lachen fast um. Keine Rechtschreibfehler zu machen war/ist für mich genauso selbstverständlich wie der aufrechte Gang und in den Kreisen, in denen ich verkehrte, konnten alle Leute aufrecht gehen. Der letzte, der mich für meine fehlerfreie Orthographie gelobt hatte, war mein Vater als ich 10 Jahre alt war, danach war es auch für ihn selbstverständlich.


Ich dagegen hatte nicht nur eine gehobene Bildung als Selbstverständlichkeit eingebaut, für mich war es auch ganz normal, alle Ferien auf Borkum zu verbringen. Die Verwandtschaft auf Borkum hatte genauso wenig (sichtbares) Geld wie meine Eltern. Dass man im Sommer alle Zimmer an Gäste vermietete und dass die Familie dann in der Gartenlaube oder im umgebauten Kuhstall schlief, das war alles völlig normal.
Und deshalb war es auch völlig normal, dass meine Eltern ein (Ferien)haus auf der Insel bauten, das Grundstück war ja schon da und natürlich wurden auch in diesem Haus im Sommer die Zimmer an Gäste vermietet, so ließ sich der Bau des Hauses finanzieren und das war mal wieder ein Beweis, dass kluge Leute gut wirtschaften können und eindeutig ein Gegenbeweis dafür, dass Leute, die ein Haus am Meer besitzen, reich sein müssen.

Meine Einstellung zu Geld ist deshalb eine komplett andere als die von K.
Wenn Geld eine Person wäre, dann wäre es für mich so etwas wie ein Butler oder eine Haushaltshilfe. Geld sorgt für Bequemlichkeit und Komfort und ist eindeutig nice to have, aber niemand, der große Wichtigkeit hat, nach dem man sich richtet oder der gar etwas zu bestimmen hätte. Trotzdem behandelt man seine Hausangestellten natürlich mit Respekt und scheucht sie nicht unnötig durch die Gegend oder verlangt unsinnige Arbeiten von ihnen. Und außerdem sollte man immer in der Lage sein, sein Leben auch ohne Butler einigermaßen akzeptabel zu führen.
Ich denke, das beschreibt mein Verhältnis zu Geld sehr gut.

Interessant finde ich, dass Geld so viele verschiedene Gestalten annehmen kann. Für den einen ist es so etwas wie ein gütiger Opa, der einem immer etwas extra zusteckt und im Ernstfall auch mal die Kohlen aus dem Feuer holt, für den anderen ist es dagegen eher der zänkische Nachbar, der nur Probleme macht und für noch einen anderen ist es so unerreichbar wie der coole Typ aus der 10b, der noch nicht mal wahrnimmt, dass es zwei Klassen unter ihm auch noch Menschen gibt.
Jeder muss das wohl für sich selber beantworten
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Mittwoch, 7. Dezember 2022
Sehr viel Luft
Im Fernsehen wurde mehrfach darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, dass unbeheizte Räume wenigstens regelmäßig gelüftet werden. Empfohlen wird ein Stoßlüften, Fenster sperrangelweit auf, 5 Minuten.

Ich sehe sofort ein, dass es sehr sinnvoll ist, das Schlafzimmer morgens zu lüften, denn über Nacht hat sich sicherlich eine Menge Feuchtigkeit in der Luft angesammelt. Solange ich aber noch nicht fertig angezogen bin, ist es mir bei den aktuellen Außentemperaturen wesentlich lieber, das Fenster noch nicht aufzureißen. Das führt regelmäßig dazu, dass keine Zeit mehr bleibt, 5 Minuten zu lüften, denn wenn ich angezogen bin, verlasse ich das Zimmer, gehe runter, packe meine Sachen und verlasse schließlich das Haus, um ins Büro zu fahren.

Heute Morgen hatte ich allerdings das Gefühl, es wird jetzt wirklich langsam mal Zeit, das Schlafzimmer gründlich zu lüften, das Gefühl hatte ich aber erst, als ich fertig angezogen war.
Ich habe deshalb das große Schlafzimmerfenster weit geöffnet, bin runter ins Erdgeschoss gegangen, wo ich mir noch ein Butterbrot zum Mitnehmen geschmiert habe und hatte mir fest vorgenommen, danach, also nach dem Butterbrotschmieren, noch mal nach oben zu gehen und das Fenster wieder zu zu machen.

Nun, das wäre auch gelungen, wenn K heute nicht vor mir nach Hause gekommen wäre. Ich meine, ich wäre dann nach dem Butterbrotschmieren nochmal nach oben gegangen, um das Fenster zu schließen, allerdings hätten dann auch zwischen Butterbrotschmieren und Fensterschließen noch 9 Stunden Büro gelegen, denn natürlich habe ich heute Morgen nicht mehr an das blöde Fenster gedacht.

Ich weiß auch nicht, welcher Idiotenteufel mich geritten hat, dass ich mir ernsthaft eingebildet habe, ich würde daran denken, dass ich nur zum Fensterschließen noch mal nach oben gehe.
Ich leide ja nicht nur an fortschreitender Altersvergesslichkeit, sondern auch seit Geburt an akuter Morgendemenz.
Am frühen Morgen bin ich eindeutig nicht klar bei Sinnen, um diese Uhrzeit also von mir selber zu erwarten, ich würde so eine konzentrationstechnische Meisterleistung bringen und mich an ein zu schließendes Fenster erinnern, bevor ich das Haus verlassen, ist eine komplette Selbstüberschätzung und weitab jeder Realität.
Sorgen mache ich mir nicht, dass ich vergessen habe, das Fenster wieder zuzumachen, Sorgen mache ich mir, weil ich mir eingebildet habe, ich wäre dazu in der Lage.
Das finde ich wahrlich bedenklich.

Aber wie auch immer, Fakt ist, dass ich heute morgen bevor ich ins Büro gefahren bin, das große Schlafzimmerfenster zum Stoßlüften weit aufgemacht habe, dann hatte der Raum 9 Stunden Zeit, Stoß zu lüften und die Raumtemperatur auf kuschelige 12°C abzusenken, bevor K das Fenster am Abend wieder schloss.

Da wir aber nach wie vor noch keine Heizung angestellt haben, haben wir nur das Kälteloch für die Nachbarn erhöht, der Gedanke hat K schnell damit versöhnt, dass es zur Zeit wirklich nicht gemütlich ist bei uns im Schlafzimmer. Im Gegenteil, jetzt ist er fester than ever entschlossen, dieses Jahr in diesem Haus nicht mehr zu heizen, das habe ich jetzt davon
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Mittwoch, 23. November 2022
Energie sparen
Mein Westfalenmann hat ja schon vor längerer Zeit alle Lampen in unseren Haushalten auf LED umgestellt.
Längere Zeit meint dabei mindestens drei-vier Jahre, also deutlich lange vor der heutigen Zeit, wo auch die Strompreise derart explodiert sind, dass es nicht mehr lange dauert, bis es rentabel ist, sich privat einen Dieselgenerator zur Stromerzeugung zuzulegen, die Dieselpreise gehen ja grade alle wieder in gemäßigte Zonen runter, während Strom täglich teurer wird.

Ich habe grade Post von meinem Stromanbieter erhalten, der will ab Januar den Strompreis auf 60 Cent für die Kilowattstunde erhöhen, was zwar aus Klimarettungsgründen und auch aus allen sonstigen Gründen sicherlich eine sinnvolle Maßnahme ist, was aber auch bedeutet, dass aus Öl gewonnene Energie plötzlich ein attraktives Substitutionsgut geworden ist und irgendwie habe ich das Gefühl, da läuft gerade gewaltig was aus dem Ruder.

Aber egal, wo war ich?, ach ja, mein Westfalenmann hat schon vor langem alle Lampen im Haus auf LED umgerüstet, was als Einmalinvest definitiv keine preiswerte Maßnahme war, was sich aber je schneller amortisiert, je mehr Energie man verbraucht, also ich meine, je länger die Lampen brennen, umso schneller haben sie ihre Anschaffung reingespart.

Das hat mein Westfalenmann als Hauptaussage verinnerlicht, weshalb er eine große Abneigung gegen Licht ausschalten entwickelt hat, denn wenn man die Lampen ausschaltet, dann sparen sie ja keine Energie, also zumindest nicht im Vergleich zu den vorherigen Nicht-Led-Lampen.

Es kommt nicht oft vor, dass ich morgens als erster das Haus verlasse, aber immer wenn es vorkommt und wenn ich dann auch noch abends als erster wieder das Haus betrete, dann kann ich live erleben, wie ernst mein Westfalenmann die Idee mit dem Energiesparen nimmt, denn er lässt fast mit 99%iger Sicherheit das Licht brennen, wenn er als letzter das Haus verlässt.

Recht hat er natürlich, so amortisiert sich die teure Umstellung auf LED viel schneller und ich habe mich auch ein bisschen geschämt, als ich heute als erstes mal überall das Licht ausgemacht habe, als ich nach Hause kam
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Sonntag, 18. September 2022
Wahl-o-mat
Mit CW hatte ich immer die Aufteilung, dass er sich um die großen und wichtigen Dinge kümmert und ich mich um den sonstigen Kleinkram im Alltag.
Er machte sich also Gedanken darum, ob die EZB den Leitsatz verändert, wer alles in die NATO ein- oder aus der EU austritt und ob die DM nicht besser für uns wäre als der Euro.
Ich regelte derweil den alltäglichen Klein- und Kinderkram, verwaltete unsere privaten Finanzen, entschied, wo und wie wir wohnten und auf welche Schule die Kinder gingen, wohin wir in Urlaub fuhren, welche Autos wir kauften und welche Tiere mit uns lebten.

Das war schon deshalb eine kluge Aufteilung, weil ich zu den großen und wichtigen Themen viel zu wenig Meinung habe und noch weniger Interesse, mich überhaupt darum zu kümmern. Dinge, die ich nicht selber direkt beeinflussen kann, nehme ich so hin, wie sie eben kommen. Das gilt für das Wetter genauso wie für eine Pandemie, die Nato-Osterweiterung oder eine Energiekrise mit fehlendem Gas im Winter und drohenden Blackouts.

Rein beruflich bin ich sicherlich in der Lage, viele dieser großen und wichtigen Themen rein fachlich halbwegs sicher analysieren und beurteilen zu können und wenn es beruflich von Bedeutung ist, dass ich zu bestimmten Sachverhalten eine Meinung habe, dann beschäftige ich mich auch damit und denke darüber nach. So ist es im Rahmen der Vermögensverwaltung zB grundsätzlich wichtig, eine Zinsmeinung zu haben, sonst weiß man ja nicht, in welche Richtung man sich überhaupt orientieren soll bei der Geldanlage. Ich habe also eine berufliche Zinsmeinung, die ich fachlich fundiert begründen kann*, aber über die berufliche Notwendigkeit hinaus interessiert es mich nicht.
*eine Zinsmeinung ist immer abhängig von der grundsätzlichen Beurteilung der volkswirtschaftlichen Gesamtentwicklung, die wiederum recht komplex ist.

Weil mich die großen und wichtigen Themen aber in aller Regel sonst gar nicht interessieren, habe ich auch kein Interesse an Politik und entsprechend wenig Meinung zu den Wahlprogrammen der politischen Parteien.
Ich nehme zur Kenntnis, dass sich Menschen politisch engagieren und habe beruflich sehr viel mit Kommunalpolitikern zu tun, was aber nur zur Verfestigung meiner Meinung führte, nämlich dass Politiker auch nichts anderes sind als Groupies oder Fußballfans, das Verfolgen von Gruppeninteressen wird deutlich über den Einsatz von eigenem, reflektiertem Nachdenken gesetzt. Wenn die CDU für etwas ist, muss die SPD dagegen sein und umgekehrt, es geht um das Prinzip und nicht um die Sache an sich. (Die genannten Parteinamen sind beispielhaft zu verstehen.)

Grade durch den beruflichen Kontakt zu (vielen verschiedenen) Politikern, ist meine Meinung zu bzw. über Politiker auf dem tiefstmöglichen Tiefstand. Mag sein, dass man das Demokratie nennt, dass also jeder mitreden kann und ausführlich seine (oft sehr schlecht recherchierte und in den seltensten Fällen reflektierte) Meinung darlegen darf, aber ich habe als Kind in der Schule schon eine tiefe Abneigung gegen Gruppenarbeit entwickelt und bis heute nicht gelernt, in einem heterogenen Team engagiert mitzuarbeiten bzw. mitarbeiten zu wollen.

Für mich ist das (gute) Ergebnis einer Sache immer wichtiger als der Weg dorthin und ich bin nicht bereit, mich mit einer zweit- oder drittklassigen Lösung abzufinden, nur weil ich auch den letzten Idioten unterwegs noch hätscheln und tätscheln und mitnehmen muss.
Gruppenarbeit in der Schule habe ich meist so gelöst, dass ich mich dem Team mit den schwächsten Mitschülern angeschlossen habe, denen habe ich dann angeboten, dass ich die gesetzte Aufgabe fix alleine erledige und dann hätten alle eine gute Note und alle wären zufrieden. Das war sicherlich nicht im Sinne der Gruppenarbeit, hat aber meist gut geklappt und meine Desozialisierung natürlich weiter verstärkt.

Im Ergebnis führte das aber auch dazu, dass ich ein sehr unpolitischer Mensch bin. Wenn man sich politisch engagiert, muss man sich in Gruppen bewegen und das ist nun mal nicht mein Ding. If I can't win, I'm not gonna play.
Wenn ich nichts verändern kann, dann muss ich mich auch nicht dafür interessieren. Ich nehme die gegebenen Rahmenbedingungen wie sie grade sind, hilft ja nix.

Das war jetzt eine lange Vorrede für das, was ich eigentlich erzählen wollte, nämlich, ich habe den Wahl-o-mat gemacht, weil ich mich immerhin soweit für Politik interessiere, dass ich hinschaue, was grade passiert und auch ordnungsgemäß an jeder Wahl teilnehme*, weil ich finde, dass ich sonst anschließend nicht darüber lästern darf.
*dass ich dabei fast immer "Die Partei" wähle, weil ich die immerhin lustig finde, macht meine Wahlteilnahme ja nicht ungültig

Der aktuelle Wahl-o-mat zur niedersächsischen Landtagswahl in drei Wochen hat mir jetzt einmal mehr gezeigt, wie viele kleinteilige Themen es in den Wahlprogrammen gibt, zu denen ich entweder keine Meinung habe, weil mir die Fragestellung zu komplex ist oder weil es mir schlicht völlig wurscht ist.

Der gesamte Integrations-Asyl-Migranten-Rassismus-Religion-Gender-Gleichberechtigungs-Kram ist außerhalb meiner Aufmerksamkeitsblase. Ich habe da nichts gegen, aber auch nichts dafür, it's just not my cup of tea.

Durchaus betroffen bin ich dagegen von allen Themen rund um Energie und Krieg.
Dabei steht der Bereich zur Frage der Energieerzeugung meiner Meinung nach in direktem Zusammenhang zur Notwendigkeit des Energieverbrauchs und genau hier steige ich aus der Diskussion der Meinungsinhaber aus, weil es ja nicht nur um den direkten, persönlichen Energieverbrauch geht, sondern auch um den mittelbaren und, aus meiner Sicht am allerwichtigsten, auch um den mittel-mittel-mittelbaren, also um den Energieverbrauch um x-Ecken, weil an diesem Thema im Grunde unsere gesamte Volkswirtschaft hängt und damit unser Selbstbild in Punkto Menschenwürde und Anspruch.

Hier hängt wirklich alles mit allem zusammen und es ist deshalb absolut unmöglich, so ein Thema im Rahmen von Stammtischdiskussionen zu erörtern. Also, ich meine, für mich ist das unmöglich, für viele andere Menschen nicht, aber das führt nur wieder zu der Beurteilung von Menschen und Gruppen, die ich oben schon erläutert habe.

Und für mich ist es damit aber auch gleichzeitig unmöglich, in diesem Themenkomplex eine eigene Meinung zu haben, denn jede Meinung hat ihre Nachteile und fordert entsprechende Opfer. Ich bin nicht in der Lage, alle Nachteile und alle Folgen einer entsprechenden Meinung zu überschauen, um sie gegeneinander abzuwägen und mich dann zu entscheiden. Ich habe bei diesen Themen grundsätzlich das Gefühl, da muss immer noch mehr und noch mehr bedacht und berücksichtigt werden, es gibt dadurch ständig noch nicht bedachte und letztlich so unendlich viele Entscheidungsstränge mit so unendlich vielen Folgen, dass ich die großen Fragen, die oben drüber stehen, einfach nicht beantworten kann.
Mein Hirn reicht nicht aus, all die Millionen kleinen Entscheidungsstränge gleichzeitig im Blick zu behalten und abschließend wieder zusammenzuführen.

Wenn man aber keine Meinung hat, kann man den Wahl-o-mat auch nicht vernünftig beantworten, denn immer nur "neutral" anzuklicken ist nur sehr begrenzt zielführend.

Also habe ich versucht, mich so gut es ging, für irgendwas zu entscheiden und habe nur bei den Fragen auf neutral geklickt, die mir wirklich völlig schnuppe sind, also zB die Frage, ob die sexuelle Vielfalt in der Schule thematisiert werden sollte.
Von mir aus können die in der Schule thematisieren was sie wollen. Meine eigentliche Meinung zu Schule ist derart radikal, dass ich einsehe, dass es besser ist, dass ich mich bei diesem Thema nicht mit einer Meinung beteilige, es wäre alles viel zu zynisch.
Und sexuelle Vielfalt finde ich als Thema auch nicht mehr oder weniger wichtig als den Unterschied zwischen Daktylus und Trochäus, wenn das eine thematisiert wird kann auch das andere thematisiert werden, I don't care.
Bei der Frage, ob das Gymnasium als Schulform behalten werden soll, habe ich dann aber doch zugestimmt, weil ich zwar nichts gegen alternative Schulansätze habe, sie aber nicht als das alleinige Beschulungsinstrument für alle sehe.

Bei der Frage, ob Niedersachsen den Bau von LNG-Terminals fördern soll, habe ich auch neutral als Meinung gewählt, einfach deshalb, weil ich es nicht beurteilen kann und will, siehe oben.

Das Ergebnis des Wahl-o-mats hat mich dann vor allem deshalb amüsiert, weil ich die größte Übereinstimmung mit einer Partei habe, von der ich gar nicht wusste, dass es sie gibt, nämlich die Partei für Gesundheitsforschung.
Lustig, was es alles so gibt.
Beruhigt hat mich aber auch, dass die AfD ganz weit unten steht in meiner Übereinstimmungsliste, gleich neben der FDP, was ich mindestens so beruhigend finde.

Gegen die AfD habe ich etwas aus ideologischen Gründen und gegen die FDP etwas aus intellektuellen Gründen. Ich kenne keine Partei, in der so viele Möchtegernwichtigtuer rumlaufen wie in der FDP, und damit meine ich nicht nur die bekannten Parteigrößen der Spitze, sondern auch und insbesondere die 2. bis 5. Riege der Partei, die mittlerweile zu einem Netzwerkverein geworden ist, bei dem jeder Rotaryclub nur erblassen kann vor Neid.
Andererseits ist das natürlich auch ein Musterbeispiel für Inklusion: Wer es als Akademiker und/oder Unternehmer auf dem freien Markt nicht schafft, der wird Politiker in der FDP und schon geht es aufwärts
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Montag, 30. Mai 2022
Kind oder kinderlos?
Zurück auf dem Festland, das Mitfliegerkind wieder bei den Eltern abgeliefert und uff.

K grinste mich anschließend an und meinte, ob ich mich schon darauf freue, Oma zu werden und ich zuckte leicht zusammen.

Genausowenig wie ich je bewusst und mit Absicht eigene Kinder wollte, wünsche ich mir jetzt bewusst Enkelkinder.

Bei Enkelkindern hat man es ja noch weniger in der Hand, ob man welche bekommt oder nicht, bei den eigenen Kindern hatte ich immerhin eine Entscheidungsfreiheit, aber so wie ich die eigenen Kinder als "naja, dann ist das jetzt so, machen wir das Beste draus" akzeptiert habe, so werde oder würde ich es auch bei Enkelkindern halten.

Falls sich meine Kindern also tatsächlich mal fortpflanzen sollten, dann habe ich halt Enkelkinder, so what. Wir werden uns schon aneinander gewöhnen.

Der Unterschied zwischen eigenen und fremden Kindern ist vor allem, dass ich für fremde Kinder nicht zuständig bin und deshalb sehr wenig Ehrgeiz habe, eine Ebene zu schaffen, auf der wir gut miteinander umgehen können. Ich gehe fremden Kindern lieber aus dem Weg, das ist schlicht bequemer. Für mich und für die fremden Kinder und natürlich auch für die anderen Eltern.

Falls ich je Enkelkinder bekommen sollte, bleibt auch hier immer die Option, dass ich ihnen im schlimmsten Fall ja auch aus dem Weg gehen kann, weil ich für Enkelkinder nur eine mittelbare Zuständigkeit empfinde, ich würde mir aber wahrscheinlich mehr Mühe geben, hier eine Umgangsebene zu finden, mit der alle Beteiligten klar kommen.

Stand heute sagen aber alle drei meiner Kinder, dass sie keine Kinder haben wollen, ich scheine meine mangelnde Kinderbegeisterung also vererbt - oder zumindest antrainiert weitergegeben zu haben. Andererseits weiß ich natürlich aus eigener Erfahrung, dass so ein Vorsatz nicht zwingend zur Kinderlosigkeit führt.
Nun, wir werden sehen.

Ich habe neulich noch darüber nachgedacht, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich nicht unerwartet schwanger geworden wäre.
Auch wenn mein erstes Kind kein Wunschkind im klassischen Sinne war, sondern ein echter TroPi, so habe ich ihn letztlich doch sehr bewusst bekommen, ich hatte schließlich die Wahl.
Als ich damals erfuhr, dass ich schwanger bin, habe ich zunächst alle notwendigen Unterlagen für eine Schwangerschaftsunterbrechung besorgt - um dann einen Tag vor dem endgültigen Termin doch wieder alles abzusagen.
Ich hatte nachgedacht und mich dann entschieden, diese Herausforderung, die mir das Leben da grade vor die Füße geworfen hatte, anzunehmen.
"Challenge accepted" kann man das wohl nennen.

Ich wusste schnell, dass ich als "normale" Mutter nicht tauge, das lernte ich schon im Schwangerschaftsvorbereitungskurs, zu dem ich beim ersten Kind ja noch ordnungsgemäß hingegangen bin.

Weil ich schwanger war und nicht der Vater, ging ich auch davon aus, dass der Kurs für mich und nicht für ihn ist. Als ich dort allerdings zum ersten Mal erschien, war ich die einzige "Alleingebärende" und wurde mitleidig belächelt. Dass ich meinen "ich-kann-alles-alleine-Status" mit den Worten entschuldigte, dass ich gar nicht gewusst habe, dass man das Gebären auch delegieren könne, machte mich nicht beliebter.
Überhaupt passte ich in die ganze Truppe nicht rein, weil die außer Kinderkriegen nichts anderes zu tun hatten und ich das wiederum alles ungemein übertrieben fand.

Ich habe meine Jugend im wesentlichen im Reitstall verbracht und war der festen Überzeugung (und bin es übrigens bis heute, Schande auf mein Haupt, auch die Erfahrung am eigenen Leib hat mich da nicht eines Besseren belehrt), dass es keinen großen Unterschied macht, ob eine Frau ein Kind bekommt oder eine Stute fohlt oder eine Katze Junge kriegt - in jedem Fall ist es ein ganz normaler, natürlicher Vorgang und nach meiner Erfahrung waren auch frisch geborene Fohlen oder Katzen schon ziemlich robust. Ich ging deshalb immer davon aus, dass Neugeborene gar nicht so schnell kaputt gehen, wie viele immer meinen.

Klar ist es sinnvoll, dass ein (Tier)Arzt die Geburt begleitet, es kann immer mal was schief gehen und es gibt überhaupt keinen Grund, da unnötige Risiken einzugehen, aber dieses Riesentamtam, was da viele gerne drum machen, das fand ich schon immer ziemlich übertrieben.

Als das Kind dann da war, habe ich mich sehr schnell mit den Säuglingsschwestern gestritten, weil ich auch hier das Gehampel um so ein Baby viel zu übertrieben fand. So fand ich es zB völlig überflüssig, das Kind ständig zu baden - außer unten rum machen sich so kleine Babys doch noch nirgends schmutzig, was soll ich denn da permanent das ganze Kind nass machen, wenn immer nur eine Stelle abwischen auch reicht. Und die Art und Weise, wie ich mein eigenes Kind anfassen und hochziehen sollte, die fand ich auch bescheuert, ich habe meine Babys nie an den Armen hochgezogen, sondern immer auf den Bauch gedreht und dann am Hemd gepackt und hochgezogen - ist doch viel mehr Fläche und renkt auch sicher nichts aus.

Es gab viele Punkte, wo ich den Ratschlägen der anderen, erfahrenen Frauen nicht gefolgt bin, sondern mich lieber an den Tieren im Reitstall orientiert habe - so wurde ich schnell zu einer bekennenden Rabenmutter, wenn schon, denn schon.

Immerhin kann ich heute nachweisen, dass alle drei überlebt haben und - soweit sich das bisher beurteilen lässt - auch keine schweren Traumata bewältigen müssen.

Wenn ich es in einem Satz zusammenfassen soll, dann würde ich sagen, dass Kinderhaben zu allererst eine Frage der Organisation und der Prioritätensetzung ist.

Das mit den Prioritäten finde ich wichtig, weil es meiner Meinung nach sehr hilft, wenn man sich mal ganz rational bewusst macht, was genau man von seinem Kind erwartet (Rangfolge von 1-10), was man von sich als Mutter erwartet (auch eine Rangfolge von 1-10) und was man von sich als Mensch und seinem Leben erwartet (Rangfolge 1-10) und wie man dann meint, diese Erwartungen mit der besten Punktzahl als Summe erfüllen zu können.
Kleiner Tipp: Man sollte nicht nur für die ersten 18 Jahre Erwartungen haben, das Leben dauert länger.

Und nunja, statt keinem Kind hatte ich dann drei (wobei das zweite wirklich gezielt mit Rechnen und Zeitpunkt ermitteln usw. "gemacht" wurde, weil, wieder Reitstallerfahrung: Zwei machen weniger Arbeit als eines. Das dritte fiel dann übrigens in die Kategorie "billigend in Kauf genommen", kommste übern Hund, kommste auch übern Schwanz), und heute sind alle drei erwachsen und ich bin sehr, sehr froh, dass sie da sind und dass ich Teil dieser Kernfamilie bin.

Hätte ich keine Kinder, wäre mein Leben sicher auch okay, ich hätte dann andere Prioritäten gesetzt, ganz klar, aber rückwärts betrachtet bin ich schon froh, dass ich damals, als es um die Yea or Nay Entscheidung ging, den Mut hatte, die Herausforderung anzunehmen, denn tatsächlich war es längst nicht so schlimm wie ich es mir vorher vorgestellt hatte.

Ein Leben mit kleinen Kindern ist sicherlich ein anderes Leben als ein Leben als erwachsenes Pärchen, aber es ist organisierbar und es bedeutet nicht, dass man sein Leben als erwachsenes Pärchen nicht irgendwann wieder bekommt. Und als Extra hat man halt noch seine ganz eigene Kernfamilie dazu, mit Kindern, die von klein auf an die eigenen Schrullen gewöhnt sind und sich entsprechend benehmen.

Mir wurde das heute wieder bewusst, als ich während des Fluges überlegte, ob es nicht eine straffreie Möglichkeit gibt, dieses Mitfliegerkind unauffällig unterwegs aussteigen zu lassen. Meine Güte, ging mir der auf die Nerven, weil er in einer Tour geplappert und gefragt hat. Unter anderem mindestens 10mal: "Wann sind wir da?"

Diese Frage hat mein ältester Sohn exakt einmal gestellt, daraufhin habe ich ihm erklärt, dass das sehr unklug ist, diese Frage zu stellen, denn davon lebt das Zeitfresserchen. Jedesmal, wenn ein Kind fragt: "Wann sind wir da?" oder "Wie lange dauert es noch?" - oder irgendeine Frage dieser Art, dann ist das Nahrung für das Zeitfresserchen, das genau von solchen Fragen angelockt wird, weil es davon groß und stark wird und dann die Zeit, die es wirklich braucht, bis man da ist, immer mehr in die Länge zieht, weil es ja hofft, dass immer mehr solche Fragen kommen.
Wenn aber niemand solche Fragen stellt, dann ist man als Reisegruppe für das Zeitfresserchen uninteressant und es kümmert sich nicht weiter darum, wie lange man wirklich unterwegs ist.

Das Praktische bei mehr als einem Kind ist ja, dass man die Basics der Erziehung nur einmal verbreiten muss, der Erste kümmert sich zuverlässig darum, dass die Nachgeborenen solche wichtigen Informationen auch erhalten.

Falls ich jemals Enkel haben sollte - ich glaube nicht, dass die mehr als einmal fragen, wie lange die Reise noch dauert
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Dienstag, 24. Mai 2022
Mehr als alles
Ich habe keine Ahnung, was ich den Tag über gemacht habe.

Ich bin aufgestanden, habe mich angezogen, bin ins Büro gefahren, bin wieder nach Hause gefahren und jetzt ist der Tag um.

Eigentlich kann das doch noch nicht alles gewesen sein.

Aber wenn, dann muss es unbedingt mehr als alles geben
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Sonntag, 1. Mai 2022
Blogdesign
Heute folgt weiter unten ein Text, den ich schon vor zwei Wochen begonnen, aber nicht zu Ende geschrieben habe.
Weil ich aber heute Vormittag mal wieder durchs Internet gezogen bin, fiel mir genau das gleiche wieder auf und deshalb brauchte ich diesmal nur noch den Schluss zu tippen und voilà, ein fertiger Blogbeitrag, der nur am Anfang ein ganz klein wenig (knapp zwei Wochen) veraltet ist:


Wer viel renoviert hat auch viel Zeit im Internet rumzulesen, es muss ja ständig was trocknen und außerdem muss man sich regelmäßig ausruhen. Das Haus für Ausflüge zu verlassen, das ist nicht vereinbar mit einer ernsthaften Renovierungsabsicht, deshalb bleibt nur auf dem Sofa sitzen und Internetlesen.

Weil ich in offiziellen Nachrichten- und Zeitungsseiten schon lange die Übersicht verloren habe, lese ich fast nur noch in privaten Blogs, wo sich meist wirklich gut kuratierte Empfehlungen für einzelne Texte oder Berichte in den offiziellen Medien finden.

Die wesentlichen Nachrichten über den offiziellen Teil des Lebens beziehe ich aus den Eilmeldungen auf der ersten Seite meines Handys (die, wo sich die Eil- und Pushmeldungen all der 1001 Nachrichtenmedien sammeln, die ich abonniert habe), zusammengefasst steht da: Es ist immer noch Krieg in der Ukraine, es wurde Fußball gespielt, die Ukrainer teilen meine Abneigung gegen den salpeternden salbadernden Herrn Steinmeyer und Frau Spiegel hat ein Einsehen und sucht sich einen neuen Job, wo sie (hoffentlich) nicht so sehr im Rampenlicht steht. Pandemie kommt dagegen kaum noch vor, zumindest nicht in den Eilmitteilungen, nur in meinen beruflichen E-Mails, da erhalte ich immer noch neue Krankmeldungen über neue Positivtestungen, aber irgendwann ist auch da hoffentlich eine gründliche Durchseuchung gegeben und den Leuten fallen neue Krankheiten ein.

Ich weiß ja nicht, ob das nur mir so geht, aber die Berichte in den Zeitungen, die offiziell von Menschen geschrieben werden, die außer Texte für Zeitungen zu schreiben, keinen anderen Job haben, gehen mir zunehmend auf die Nerven, weil sie zunehmend einfallslos, langweilig und vor allem redundant sind.

Ich habe allerdings die starke Vermutung, dass die meisten Artikel in käuflichen oder per Rundfunkgebühr bezahlten Medien gar nicht mehr von Menschen, sondern von Bots geschrieben werden, was ja grundsätzlich auch völlig ausreichend ist, um tagesaktuelle Meldungen zu verteilen und vor allem um die Artikelspalten zu füllen, damit die Leute, die tatsächlich noch Geld dafür bezahlen, das Gefühl haben, sie bekommen immerhin ausreichend Volumen für ihr Geld.

Wahrscheinlich hat sich inhaltlich dort gar nichts verändert, nur ich bin im Laufe der Zeit immer mäkeliger und anspruchsvoller geworden, aber ist ja auch egal, woran es liegt, Fakt ist, dass ich finde, es gibt sehr viele Leute, die verlangen Geld dafür, dass sie Texte schreiben, die mittlerweile jeder halbwegs anständig programmierte Bot besser formulieren kann und dass es gleichzeitig enorm viele Menschen gibt, die schreiben Texte einfach nur so aus Spaß, ohne dafür Geld zu bekommen und viele dieser Texte sind pures Gold, mich erinnert das ganze sehr an Sockenstricken*.

*Ich meine diese hässlichen, schlecht sitzenden, selbstgestrickten Socken, die hauptberufliche Sockenstricker auf Kunsthandwerkermärkten für 35? das Paar verkaufen und sich gleichzeitig darüber beschweren, dass sie bei dem Preis nur einen Stundenlohn von unter Ausbeuterarbeit haben. Meine Mutter dagegen strickt Socken, um ihre Finger gelenkig zu halten und weil es ihr Spaß macht, nicht weil sie sich damit den Lebensunterhalt verdienen will. Ihre Socken sind nicht nur hübscher, sondern sitzen auch deutlich besser.

Ich habe Zugang zu diversen Zeitungs- und Zeitschriftenabos, einige Zugänge bezahlt die Firma, das sind neben Fachliteratur unter anderem so Zeitungen wie Handelsblatt und Frankfurter Allgemeine etc., für andere haben wir ein (Familien)Abo abgeschlossen, d.h. wir teilen uns den Zugang zu den Artikeln hinter der Paywall, manche bieten sogar gleich einen Familienzugang an, bei readly zB dürfen ganz offiziell fünf verschiedene Leute mitlesen. Ich will damit eigentlich nur sagen, dass ich rein theoretisch sehr viele Möglichkeiten habe, auch jenseits der Bezahlschranke vieles online lesen zu können - und es doch immer weniger in Anspruch nehme.

Einerseits habe ich immer weniger Bedarf an aktuellen Nachrichten, ich kann es ja doch nicht ändern und irgendwann ist man schlicht mürbe. Sollense doch alle machen, was sie wollen, ich zieh den Kopf ein und wurschtel so unauffällig wie möglich in meiner kleinen Ecke vor mich hin, ich habe nicht nur keine Kapazitäten für die große oder kleine Weltpolitik, ich habe auch keine Meinung mehr dazu.

Ich lese lieber private Blogs, da vorzugsweise die, die das ähnlich halten wie ich, d.h. Blogs mit viel Meinung sind nicht so meins.

Und weil ich grade so viel im Internet rumgeturnt bin und dabei so viele Blogs angeschaut habe, ist mir aufgefallen, dass es beim Blogdesign grob gesprochen zwei Typen gibt:

Einmal die, die ihr Layout so wie hier aufgebaut haben, d.h. man klickt das Blog auf der Startseite an und landet auf der Frontseite, wo die letzten Beiträge untereinander zum runterscrollen zu lesen sind, unten auf der Seite, also nach 4-5 Beiträgen gibt es dann den Button "ältere Beiträge" und man kommt weiter zurück in die Vergangenheit, wo die nächsten, älteren Beiträge untereinander zu lesen sind, wenn man das möchte.

Und dann gibt es die Blogs, die immer nur die Überschriften und eventuell die ersten paar Sätze der einzelnen Beiträge zeigen (anteasern) und man den ganzen Beitrag nur lesen kann, wenn man den jeweiligen Beitrag separat anklickt.

Ich habe für mich festgestellt, dass ich mich über diese Blogs jedesmal ärgere, weil es für mich zum einen lästig ist, wenn ich ständig Hin und Her klicken muss, wenn ich mehr als nur einen Beitrag lesen möchte - und - und das ist der für mich viel wichtigere Grund für meine Ablehnung - weil es sich so unangenehm nach Klicks generieren anfühlt.

Mir ist schon klar, dass auch viele private Blogbetreiber mit ihren Blogs noch nebenbei Kohle machen und dass Klickzahlen deshalb wichtig sind, auch oder vielleicht sogar hauptsächlich fürs Ego, aber bei mir sträubt sich einiges dagegen, dieses billige Klickzahlenfishing zu unterstützen, so dass ich grundsätzlich immer erst die "richtigen" Blogs lese, also die, die das nicht nötig haben, sich künstlich Extraklicks zu besorgen und die, so wie sich das für mich traditionell gehört, ihre Beiträge auf der Startseite hintereinanderweg vollständig anzeigen.

Erst wenn mir wirklich sehr langweilig wird und ich trotzdem noch keine Lust habe, paid content zu lesen, also Artikel in echten Zeitungen, weil ich dort wieder die Vorbehalte habe, dass es einfach viel zu viel Müll gibt und ich es anstrengend finde, die guten Artikel einzeln rauszufiltern, erst dann lese ich auch in den Blogs mit der Extraklickerei.
Wie ich heute mit Interesse aber bei mir selber bemerkte, ist meine Abneigung gegen diese Blogs noch mal gestiegen, seitdem ich das Thema für mich in Worte gefasst habe.

Bis auf ganz wenige Blogs, die ich per E-Mail abonniert habe, lese ich Blogs üblicherweise auf dem Tablet über dauergeöffnete Tabs im Browser (ich habe extra ein eigenes Browserfenster nur für Blogs), die ich ja nur aktualisieren muss, um die neuesten Beiträge angezeigt zu bekommen.
Aus genau diesem Grund finde ich es auch lästig, wenn sich Links in einem Blogbeitrag in demselben Tab öffnen, denn dann muss ich mich anschließend wieder mühsam zurückklicken, um wieder den Blog selber in meinem Tab zu haben.

Komfortabel finde ich es, wenn sich Links automatisch in einem neuen Tab öffnen. Dann kann ich dem Link folgen, dort weiterklicken, wenn es mich interessiert oder den Tab wieder schließen - aber der eigentliche Tab für den Blog selber, der bleibt davon unberührt.

Wahrscheinlich hat jeder seine eigene Methode Blogs zu lesen, das mit den offenen Browsertabs ist halt meine Methode und weil es auf alle Fälle mehr Blogs gibt als ich Zeit habe, darin zu lesen, habe ich auch meine eigene Auswahlmethode, welche ich zuerst und grundsätzlich und immer lese - und welche nur dann, wenn alles andere schon weggelesen ist
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Montag, 25. April 2022
Erster Tag und Frühjahrsputz im Kopf
Der erste Bürotag verlief außerordentlich ruhig.
Das mag zum einen daran gelegen haben, dass über die Ostertage generell nicht so viel los war und dass außerdem sehr viele Kollegen ebenfalls in Urlaub oder krankheitsbedingt abwesend waren, so dass sie mein Postfach auch nicht mit Rückfragen fluten konnten, ich denke aber auch, mein rigoroses Arbeitsabschiebungsprogramm beginnt zu wirken.

Ich habe ja schon vor einigen Monaten damit begonnen, Arbeiten, die ich bisher noch selber gemacht habe, immer mehr an andere Mitarbeiter zu delegieren und so ganz langsam spüre ich ein wenig Entlastung.
Das gefällt mir.

Was ich auch gespürt habe: Ich brauche eine formale Arbeitsumgebung, um überhaupt genug Disziplin aufzubringen, mich um irgendwelche "Arbeitsdinge" zu kümmern. In den letzten zwei Wochen hatte ich Urlaub und das bedeutete, ich habe mich nicht an den Schreibtisch gesetzt und dass wiederum bedeutete, dass auch meine privaten Büroarbeiten vollständig von mir ignoriert wurden.
Es gab zwischendurch Tage, da habe ich den PC nur am Abend angemacht, weil ich zu bequem war, um auf dem Handy zu bloggen.

Da ich aber nur einen PC besitze, auf dem nicht nur meine beruflichen E-Mails eingehen, sondern auch alle privaten und auf dem auch alle privaten Daten gespeichert sind, führt ein nicht eingeschalteter PC automatisch auch zu einem Liegenlassen aller privat zu erledigenden Dinge, die sich in vielen Fällen von den beruflichen ja sowieso nicht unterscheiden, sondern nur für andere Leute erledigt werden müssen.

Da ich der einzige Mensch bin, dem ich für das Erledigen der privaten Verwaltungsaufgaben Rechenschaft schulde, gibt es hier noch nicht mal eine externe Disziplinierungsinstanz und ich habe ja leider einen unseligen Hang zum Verlottern.
Ich fürchte mich also plötzlich ein wenig davor, was passieren wird, wenn ich nicht mehr regelmäßig ins Büro gehen muss.

Gleichzeitig ist es natürlich so, dass meine Ansprüche an die Verwaltung meiner privaten Themen nicht weniger Professionalität erwarten als meine berufliche Tätigkeit, beruflich sind nur die Zahlen größer.
Aber eine Buchhaltung ist eine Buchhaltung und die sollte aus meiner Sicht immer professionellen Ansprüchen genügen, egal, ob ich 10.000 € verwalte oder 10.000.000.000 €.

Blöd ist aber auch, dass mich niemand mehr kontrolliert, d.h. ich kann meine Buchhaltung nicht einfach irgendwie zusammenstellen und dann dem Steuerberater geben in der Hoffnung, dass es dort gerichtet wird, diese entlastende, letzte Kontrollstufe habe ich nicht, ich muss mich selber kontrollieren - und mich auch selber dafür zurechtweisen, wenn ich geschludert habe oder Sachverhalte vermurkst sind.

Immerhin bin ich sehr gut darin, mich selber anzumeckern, was aber nur bedingt hilft.
Ich merke, wie mich mit zunehmender Murksmenge, die sehr schnell durch Liegenlassen entsteht, mein eigenes Gemecker immer mehr schreckt und frustriert und ich auf mein professionelles Steuerberatergemecker reagiere wie andere Mandanten auch: Kopf in Sand und nicht mehr hinschauen. Es ist wirklich faszinierend, denn obwohl ich genau weiß, was da grade passiert, sitze ich bewegungslos wie das berühmte Kaninchen vor der Schlange vor dem sich stapelnden Posteingang und denke bockig: Ich habe doch Urlaub.

Dabei hat man nie Urlaub vor sich selber.
Das allgemeine Standardleben muss man täglich absolvieren und ob es einem passt oder nicht, aber zum allgemeinen Standardleben gehört halt mehr als nur Einatmen und Ausatmen, mehr als nur das Hier und Jetzt. Das allgemeine Standardleben wird unter der Prämisse des Going-Concern-Prinzips geführt, d.h. man ist auch im Hier und Jetzt und auch im Urlaub für das Morgen und das Danach verantwortlich.

Ich hatte nur eine Zeitlang vergessen, daran zu denken, aber jetzt geht es wieder, ich muss die Gedanken in meinem Kopf wohl auch mal frühjahrsputzen, da scheinen noch eine Menge vergammelte und ungültige Reste aus der Vergangenheit in den Ecken festzuhängen, die den Schwung, also den Flow, behindern
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Sonntag, 3. April 2022
Saubermachtag und Typ unauffällig
Ich habe heute mal die Dinge im Haus geputzt, die nur alle paar Jahre geputzt werden, also sowas wie im Bad hinter, unter und in den Schränken. Auf dem Fenstersims im Bad stehen meine Ohrringständer und auf der Heizung im Schlafzimmer steht eine Kiste (offen) mit Broschen und Kettenanhängern, alles war unendlich verstaubt und das Silber tiefschwarz angelaufen, benutzbar ist der Schmuck in dem Zustand eh nicht, ich ekelte mich schon länger davor.

Jetzt ist alles wieder sauber und vor allem durchsortiert, eine große Menge Schmuck ist in einer Flohmarktkiste gelandet, der hässliche unechte sofort im Mülleimer und es fühlt sich gut an.

Früher habe ich jeden Tag andere Ohrringe getragen. Abends habe ich sie rausgepult abgenommen und morgens irgendein anderes Paar wieder angelegt.
Genauso habe ich das mit Ringen gemacht. Und mit Ketten sowieso.

Ich besitze sehr viel Schmuck und ich habe auch immer viel Schmuck getragen.
Durch meine jahrzehntelange Flohmarktgeherei besitze ich viele wertvolle Stücke, mit CW war ich früher auch häufiger mal auf Schmuckauktionen und dann hatten wir ja auch noch gute Kontakte nach Südafrika.

Vor einigen Jahren gab es hier im Ort eine größere Einbruchserie, das schreckte mich auf und ich packte die wirklich wertvollen Stücke zusammen und legte sie in einen Safe.
Seitdem sie nicht mehr in der Kiste in meinem Schlafzimmer sind, trage ich sie auch nicht mehr, ist ja viel zu umständlich.

Vor über zwei Jahren (also kurz vor Corona) war ich beim Augenarzt, weil meine Augen ständig tränten und juckten und ich morgens mit dicken Krusten am Lidrand aufwachte. Die Ärztin diagnostizierte eine Lidrandentzündung, verordnete Antibiotika und strenges Schminkverbot.

10 Tage später waren die Verkrustungen am Morgen weg, aber das Tränen und Brennen blieb - die Ärztin diagnostizierte eine chronische Lidrandentzündung, empfahl mir Cremes und Augentropfen und gab mir den Rat, die Augen so wenig wie möglich zu schminken.

Seitdem habe ich meine Augen nicht mehr geschminkt, gar nicht, nada, und ich fühle mich unglaublich gut damit.
Über 40 Jahre habe ich meine Augen jeden Morgen geschminkt. Das war genauso selbstverständlich wie Zähneputzen.
Von einem Tag auf den anderen habe ich das aufgehört und freue mich seitdem jeden Morgen, dass ich auch wirklich keinerlei Bedürfnis mehr nach Lidstrich, Wimperntusche und Co. habe.

Zeitgleich habe ich aufgehört meine Ohrringe zu wechseln und Ringe zu tragen.
Das mit den Ringen ergab sich durch die neuen Hygienevorgaben und der sprunghaft gestiegenen Händewaschhäufigkeit.
Händewaschen und -desinfizieren, anschließend eincremen - alles Tätigkeiten für die man am besten keine Ringe trägt, schon gar nicht solche, wie ich sie für gewöhnlich trage, nämlich ziemlich große, ausladende Ringe, ich ließ sie deshalb einfach weg.

Und wenn ich keine Ringe mehr trage, brauche ich auch keine passenden Ohrringe mehr auszuwählen. Seit über zwei Jahren habe ich kleine Diamantstecker in den Ohren, die mich beim Schlafen überhaupt nicht stören - und keinen Bedarf, sie gegen andere Ohrringe zu tauschen.

Das einzige, was ich noch täglich auswählte und wechselte war meine Armbanduhr. Genauso wie ich sehr viel Schmuck besitze, habe ich auch sehr viele Armbanduhren. Wenn ich keine Uhr trage, fehlt mir was, zum Schlafen lege ich sie aber ab. Ich habe eine extra Uhrenschublade, wo alle Uhren drin liegen. Jeden Morgen wählte ich früher einen (oder zwei) Ringe, ein Paar Ohrringe, eine Kette und eine passende Uhr, manchmal auch noch ein Armband, das aber nicht täglich.
Bis letzten Sommer war die Uhr das einzige, was ich noch jeden Morgen passend aussuchte, alle anderen Accessoires verstaubten vor sich hin, aber Uhr (und Brille) brauche ich zum Vollständigkeitsgefühl.
Dann kaufte ich mir eine Smartwatch und habe seitdem keine andere Uhr mehr getragen.

Smartwatch, ja ich weiß, wie ich da lange verächtlich drüber gelästert habe, weil es tatsächlich eigentlich keinen vernünftigen Grund gibt, weshalb man so ein Ding braucht. Aber dann las ich, dass man mit der Smartwatch auch mit Maske an sein Handy entsperren kann und dass man damit mit Maske an bezahlen kann und das waren zwei Argumente, die mich nachdenklich machten, und dann gab es ein unglaublich günstiges Angebot, da konnte ich dann nicht widerstehen (fast 50% Rabatt, damit kriegt man mich immer) - und finde das Ding seitdem tatsächlich sehr praktisch. Und ja, ich trage seitdem keine andere Uhr mehr, was enorm schade ist, weil ich wirklich sehr viele, sehr schöne und auch hochwertige Uhren besitze, aber die edlen Uhren liegen jetzt mit im Safe und die anderen verstauben gemeinsam mit dem restlichen Schmuck einfach vor sich hin und im Grunde ist das jetzt auch egal.

Was ich eigentlich sagen wollte: ich habe kein Interesse mehr daran, mich mit Schminke, Accessoires und aufwändigem Styling (extra) herauszuputzen.
Es begann mit dem "nicht mehr Schminken", durch das ich bemerkte, dass mich die Menschen kein Stück anders behandelten, ob mit oder ohne MakeUp und so lernte ich, dass ich da vorher wohl meine eigene optische Wirkung gewaltig über (oder unter?)schätzt hatte. Wie auch immer, ich kam zu der Überzeugung, dass sich ab einem bestimmten Alter (ich denke, spätestens, wenn man aus der Gebärfähigkeit raus ist), die Schwerpunkte in der sozialen Kommunikation verschieben und dass es klug ist, wenn man das selber bemerkt und darauf reagiert.

Meine Reaktion bestand darin, dass ich leichte Panik bekam, als ich bemerkte, dass ich zwar meinen Typ neu definieren sollte, also streiche "sexy" und ersetze es durch "?" - tja, durch was?, ich wusste zunächst nämlich nicht, was ich als Alternative anstreben sollte.
Ich wusste nur, was ich alles nicht will.
"Scharfe Alte" ist kein Kompliment, was ich herausfordern möchte.
Und auch "Was, soo alt bist du schon? Das hätte ich nicht gedacht. Du siehst mindestens 10 Jahre jünger aus." ist kein Dialog, den ich erstrebenswert finde.
Auch Bemerkungen wie "hast dich gut gehalten" oder "natürlich kannst du noch einen Minirock tragen" finde ich überflüssig.
Bodyshaming sozial zu übertünchen ist grade schick und für mich heißt das: Es wird gelogen, was das Zeug hält und jede positive Bemerkung über die Optik einer nicht mehr gebärfähigen Frau garantiert dem Sprecher extra Karmapunkte.

Schließlich ist mir aber aufgefallen, dass ich mich vorzugsweise gar nicht über meine Optik definieren möchte. Am allerliebsten möchte ich optisch so unauffällig sein, dass niemand zweimal hinschaut.
Noch besser wäre es, wenn ich gar nicht erst wahrgenommen werde. Optisch.
Ich bin nämlich durchaus in der Lage mich auf anderen Wegen in eine Kommunikation einzuschalten (dafür bin ich wirklich alt genug inzwischen) und eine Situation, in der ich nicht wahrgenommen werde, weil ich optisch eben so unauffällig bin, dass ich quasi unsichtbar bin, finde ich in keinster Weise negativ, im Gegenteil, ich sehe hier sogar viele Vorteile.
Ich steuere aktiv, wann ich wahrgenommen werden möchte, und dass mir das immer auch ohne optische Unterstützung gelingt, davon bin ich sehr fest überzeugt.

Ich habe für mich also beschlossen "sexy" durch "unauffällig" zu ersetzen und anschließend bemerkt, dass das gar nicht so einfach ist.
Unauffällig ist nämlich nicht unscheinbar. Graue Mäuse sind durchaus auffällig, sie werden in der Regel aber als negativ, weil langweilig wahrgenommen.
Der Typ "Gemeindepfarramt" ist ein Typ, der ist mir noch unangenehmer ist als der Typ "schrille Alte", nur knapp gefolgt vom Typ "Vorsitzende der Landeselternschaft".

Unauffällig ist auch nicht ungepflegt, ganz im Gegenteil. Ökotussi ist ebenfalls ganz gewiss nicht unauffällig.

Jedes Styling mit viel blingbling scheidet aus, überhaupt scheidet jedes Styling aus, dem man ansieht, dass es ein Styling ist. Ich glaube, "unauffällig" ist der schwierigste Style von allen. Aber ich arbeite dran.

Meine Highheels habe ich aussortiert, sie haben ihren Sinn verloren.
Meinen Schmuck habe ich heute geputzt und anschließend weggeräumt, das meiste brauche ich wohl auch nicht mehr, so führte das eine zum anderen.

Meine Angewohnheiten und Vorlieben haben sich in den letzten zwei Jahren also stark geändert, von einem Mensch, der sich IMMER geschminkt und auffällig gestylt hatte, bin ich zu jemandem geworden war, der sich innerlich über Menschen amüsiert, die offensichtlich viel Zeit und Mühe in ihr Styling und ihr Outfit stecken und dabei nicht nur Kosten, sondern auch Unbequemlichkeiten bis hin zu Schmerzen (ich sach nur Highheels der wirklich unangenehmen Sorte) bereit sind zu ertragen, nur um nach außen eine Schale präsentieren zu können, ohne die sie sonst augenscheinlich meinen, ihrem Selbstbild nicht gerecht zu werden.

Jeder Mensch folgt den Vorgaben seines Selbstbildes, ich bin für mich aber sehr froh, dass ich nur noch "unauffällig" realisieren muss, hätte schlimmer kommen können
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