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Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Samstag, 22. Juli 2023
Die fabelhafte Welt der Amnesie
Vor zwei Wochen erklärte Vanessa Giese in ihrem Blog die These von Aladin El-Mafaalani, weshalb wir hier in Deutschland so gefühlt viele Probleme mit der Integration von Menschen aus anderen Kulturkreisen und individuellen Lebenshintergründen haben.
Und seit zwei Wochen formuliere ich im Kopf daran herum, weshalb ich nicht nur die Erklärung von Herrn El-Mafaalani so ungemein logisch und nachvollziehbar richtig finde, sondern weshalb ich auch plötzlich eine Erklärung für meine eigene Zurückhaltung gegenüber aktiv betriebener Integration habe.


Laut Herrn El-Mafaalani liegt unser aktuelles Integrationsproblem nämlich daran, dass die Integration grade hier in Deutschland im Grunde besonders gut gelungen ist, deshalb nennt Herr El-Mafaalani seine These auch das Integrations-Paradox.

Er erklärt das anhand einer großen Kaffeetafel. Die erste Generation der Gastarbeiter saß noch abseits am Katzentisch, die zweite Generation saß schon mit am Erwachsenentisch und durfte vom gleichen Kuchen essen, die jetzige Generation will aber nun nicht mehr nur den ewig gleichen Kuchen essen, sondern mitbestimmen, welcher Kuchen gebacken wird und welche Regeln bei Tisch gelten.
Das gilt im übrigen nicht nur für Gastarbeiter, sondern für jede Gruppe ehemals abseits stehender (am Katzentisch sitzender) Menschen.

Ich finde das Bild deshalb so besonders anschaulich, weil ich genau solche Kaffeetafeln aus meinem eigenen Leben kenne und weil ich automatisch darauf reagiere. Allerdings nicht mit Abwehr oder Ablehnung den Neuhinzugekommenen gegenüber, sondern mit Abwehr und Ablehnung der gesamten Kaffeetafel gegenüber. Die Vorstellung, die Kaffeetafeln, die ich in meiner Vergangenheit zur Genüge kennengelernt habe, werden künftig noch lauter und noch schriller, finde ich so erschreckend, dass ich ganz spontan nur mit einem ablehnenden "ohne mich" reagiere.

Vielleicht liegt es daran, dass ich noch nie besonders gerne Kuchen gegessen habe, ganz bestimmt liegt es auch daran, dass ich insgesamt überhaupt kein geselliger Mensch bin und deshalb sehr gerne jede Möglichkeit nutze, um mich aus größeren Menschenansammlungen zu verdrücken, aber meine automatische Reaktion ist nicht nur, dass ich sage, ich möchte an diesem bunten Tisch jetzt bitte gar nicht mehr dabei sein, sondern dass ich innen drin auch eine große Portion Schadenfreude denjenigen gegenüber verspüre, die sich solange als die Bestimmer der Kaffeetafel fühlten und meinten, sie täten allen anderen einen Gefallen damit, dass sie solche Veranstaltungen ausrichteten.
Das habt ihr jetzt davon, künftig nix mehr Käsesahnetorte und Schwarzwälderkirsch, sondern Baklava und Basbousa, hihihi. Das ist der Teil der Integration, der mich mit großer Befriedigung und Zustimmung erfüllt- solange ich das Zeug nicht essen muss.

Da ich weder das eine noch das andere mag, habe ich kulinarisch also nix zu verlieren und die gestelzten Gespräche der wohlerzogenen guten Gesellschaft finde ich genauso langweilig wie geselliges Geklatsche zu Bauchtanzmusik oder welche gesellschaftlichen Regeln auch immer da künftig verhandelt werden.
Ich finde es für mich persönlich allerdings sehr angenehm, einen formalen Grund vorschieben zu können, mich aus dieser Gesellschaft noch weiter als eh schon zurückzuziehen.

Mit dieser Erklärung habe ich damit endlich eine Begründung, weshalb ich kein Freund von Integration, Inklusion oder welchem interdisziplinären Gehampel auch immer bin - denn wenn ich es gut fände, müsste ich ja mitmachen.
Ich will aber nicht mitmachen, ich will viel lieber meine ganz eigene Kaffeetafel abhalten, an der meine ganz eigenen Regeln gelten und die will ich nicht diskutieren, denn die sind weder mit den alten Regeln unserer nichtinklusiven Gesellschaft kompatibel noch mit irgendwelchen neu verhandelten Normen.
Meine absolute Lieblingskaffeetafel ist ein Zweiertisch, jede weitere Person macht es schon kompliziert.

Da ich andere Menschen per se anstrengend finde, ist es mir auch völlig wurscht, welche Haut- oder Haarfarbe sie haben, welchem Geschlecht und welcher sexuellen Neigung sie sich zugehörig fühlen, mit welchen geistigen oder körperlichen Einschränkungen sie leben und an welche Art von Gott oder Spaghettimonster sie glauben.

Weil mir das aber schon immer egal war, habe ich es noch nie wichtig gefunden, das Thema Integration von irgendwem zu befördern. Vielleicht auch deshalb, weil ich noch nie verstanden habe, weshalb es Menschen wichtig sein könnte, überhaupt "dazugehören" zu wollen. Denn, wozu eigentlich wollen sie gehören? Zu dieser langweiligen spießigen Kaffeetafel mit Käsesahnetorte und den Geschichten von Opa Egon, wie er einst auf dem Motorrad die Alpen überquert hat?
Das erscheint mir so wenig erstrebenswert wie Peterchens Wunsch, den Mond zu erkunden. Ich finde, so etwas muss man nicht unterstützen.

Okay, ich gehöre rein theoretisch seit Geburt ganz automatisch dazu, ich bin in diesem Land geboren, habe die herrschende Haut- und Haarfarbe (sogar jetzt, denn Grau scheint ja immer moderner zu werden ;-) ), spreche die offizielle Amtssprache und habe alle Ausweispapiere, die mir eine Existenz in diesem Land erleichtern, rein theoretisch hatte ich also immer die freie Wahl, ob ich dazugehören wollte oder nicht.
Und ich gebe zu, es ist leichter etwas abzulehnen, was man kennt und was einem zusteht, als etwas nicht zu bekommen, von dem man nicht weiß, wie es sich anfühlt, wenn man es hätte.

Es ist nur so, dass mir das nie als besonders attraktiv erschien, denn als akzeptierter Teil dieser Gesellschaft muss ich mir nicht nur Opa Egons Geschichten anhören, sondern muss mich eben auch all den anderen Vorschriften, die in dieser Gesellschaft gelten (oder galten), beugen und genau darin habe ich keinen Nutzen erkannt und auch keine Vorteile darin gesehen, mich in irgendeiner Form anzustrengen, diese Gesellschaft ändern zu wollen.

Ich fand es stets viel einfacher, mich aus der offiziellen Gesellschaft so weit wie möglich zurückzuziehen und mir meine eigene Gesellschaft zu suchen. Das sind dann zwar deutlich weniger Menschen, dafür sind sie aber auch deutlich weniger anstrengend im Umgang. Das sind nämlich nur Menschen, denen all das schnurzepiepegal ist, was mir auch egal ist.

Viele Menschen haben ein zentrales Thema, das ihr Leben bestimmt. Für manche ist es die Religion, für andere ihr Geschlecht, samt allem, was damit verbunden ist und wieder andere haben die drohende Klimakatastrophe als ihren persönlichen Lebensmittelpunkt gewählt.

All das sind Themen, zu denen ich bestensfalls keine Meinung habe, weil ich es entweder nicht persönlich ändern kann oder weil ich der Meinung bin, es geht mich schlicht nichts an.
Denn mal ganz im Ernst: Warum sollte ich mich für die sexuelle Orientierung von Menschen interessieren, mit denen ich nicht grade höchstpersönlich in die Kiste steigen will? Okay, ich erinnere mich an meine Frustration, dass grade die besonders gutaussehenden Jungs oft nicht auf Mädchen standen, aber nun ja, das ist dann mal so, und außerdem passten Jungs, die auf SM-Spielchen standen, genauso wenig zu mir wie der One-Night-Stand, der mich allen Ernstes fragte, ob ich ihn bitte anpinkeln könnte, das gefiele ihm besonders gut.

Sehr wichtig ist mir auch Religion als aktives Nichtthema. Denn wenn jemand den Kram ernst nimmt, und zwar egal ob Gott, Allah oder wen auch immer, dann halte ich lieber Abstand, da sind mir zu viele Fettnäpfchen, die diese Menschen um sich herum wie Schneckenfallen aufgebaut haben. Aus genau dem Grund gehe ich allen Frauen mit Kopftuch weiträumig aus dem Weg, denn da kann ich ja schon von außen erkennen, dass für sie das Thema Religion eine wichtige Bedeutung hat.

Mein persönliches Lebensmotto ist Bequemlichkeit. Um mich nicht bewegen zu müssen, laufe ich kilometerweit, um das passende Werkzeug zu organisieren, das mir nach einer einmaligen Anstrengung anschließend dauerhaft die Arbeit abnimmt.
Neben meiner bekannten Unlust an körperlicher Bewegung, habe ich auch eine große Abneigung gegen geistige Arbeit. Hier gilt es abzuwägen und es gibt viele Situationen, wo es mir bequemer erscheint, lieber meinen Körper zu bewegen als mein Gehirn. Nachdenken ist eindeutig Arbeit und zwar keine, die ich erstrebenswert finde.
Das ist natürlich immer situationsabhängig, aber eine wichtige Alternative zu einem geistigen oder körperlichen Arbeitseinsatz ist auch grundsätzlich der Bedürfnisverzicht. Für alles, was ich gar nicht haben möchte, muss ich mich auch nicht anstrengen.

Aus genau diesem Grund habe ich zB ein sehr geringes Ausgabeverhalten, was aus einem ziemlich gut austarierten Gleichgewicht aus körperlicher und geistiger Arbeit kombiniert mit dem passenden Bedürfnisverzicht entstanden ist und mir persönlich damit einen sehr großen Bequemlichkeitsgrad ermöglicht.

Ein maximaler Bedürfnisverzicht würde einerseits zwar eine maximale Bequemlichkeit mit sich bringen, gleichzeitig aber auch bedeuten, dass man dann auf das Leben insgesamt verzichtet und das erscheint mir dann doch etwas zu weit gegriffen, auch hier gilt es also, einen einigermaßen akzeptablen Kompromiss zwischen Aufwand erfordernder Bedürfniserfüllung und energiefressendem Arbeitseinsatz zu finden. - Man könnte sagen, genau das ist mein Lebensthema.

Ich habe für mich persönlich zB festgestellt, dass das gesamte Thema "Ehe" ein rein gesellschaftspolitisches ist und im Zweifel mehr Risikoenergie-Einsatz erfordert, wenn man es wieder loswerden will als es Nutzen bringt, so lange man es hat.
Man kann nämlich ganz wunderbar darauf verzichten, hat dann grundsätzlich ganz viele Probleme nicht, die man sich durch eine Ehe erst schafft (alter Aphorismus von ich weiß nicht wem, aber sehr wahr) und muss sich nur einmal alternativ um eine sinnvolle Alternativregelung bemühen. Da ich bis heute nicht verstehen kann, warum irgendjemand an einer Ehe interessiert sein könnte, halte ich so Themen wie "Ehe für alle" schlicht für den falschen Ansatz. Statt Ehe für alle fände ich eine Abschaffung der Ehe und den Ersatz durch individuelle, zivilrechtliche Verpflichtungen deutlich sinnvoller, aber soweit ist unsere Gesellschaft offensichtlich noch nicht, ist mir dann aber auch wieder egal, ich habe keinerlei Reformeifer, ich selber komme gut klar.

Dieser mangelnde Reformeifer ist es auch, der mich das Fortschreiten von immer weitergehenden Integrationsbemühungen verneinen lässt. Je mehr Leute an dieser Kaffeetafel über Regeln und Prinzipien diskutieren, um so unübersichtlicher wird es und umso komplizierter, sich von allem fernzuhalten.

Ich möchte mich da einfach nur aus allem raushalten, Annett Louisan nennt es die fabelhafte Welt der Amnesie - ich fürchte, sie meint damit genau Menschen wie mich, ich fürchte aber auch, ich will es nicht ändern
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