anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Mittwoch, 8. Januar 2025
Filmtipps und Genderidentifikation
Heute habe ich vor allem zwei Filmempfehlungen, die ich jetzt sofort verlinke, bevor ich es wieder vergesse:

Vor ein paar Tagen zeigte das ZDF eine Dokumentation über Borkum im Winter, hier in der Mediathek zu finden.
Nicht unbedingt filmpreiswürdig, aber es gibt ein paar nette Bilder von Borkum.

Außerdem habe ich vor einiger Zeit schon den Film "Ungeschminkt" in der ARD-Mediathek angeschaut, den ich wirklich sehr empfehlen kann.
Adele Neuhauser spielt auf erfrischend geerdete und lebensnahe Art eine Transfrau, das Thema Transgender wird ohne (für mich) komplizierte Psychoverwicklungen und billige Klischees angenehm selbstverständlich umgesetzt, mir hat der Film sehr gefallen.

Das Thema Genderidentifikation fasziniert mich schon seit langem, weil es mir so vollständig egal ist. Ich meine, mir ist es wurscht, ob ich eine Frau oder ein Mann bin bzw. wofür mich andere Menschen halten oder wie sie mich lesen (kicher).

In meinem Ausweis steht "weiblich", weil das mein biologisches Geschlecht ist. Wenn da ab morgen "männlich" stände, wäre das auch okay, das ändert für mich nichts an dem, was ich bin. Ich bin Anje, fertig.

CW sagte immer, ich wäre ein Mann mit Gebärmutter und machte sich regelmäßig darüber lustig, dass weder mein Verhalten, noch meine Einstellungen und Empfindungen typisch weiblich sind und dass mich gleichzeitig diese als typisch weiblich beschriebenen Verhaltensmuster von anderen Frauen meist ratlos zurückließen. Warum sind die so umständlich und so nachgiebig?

Ich glaube, wenn ich ein Mann wäre, wäre ich schwul, weil ich mich üblicherweise mit Männern viel besser verstehe. Andererseits bin ich aber auch sehr zufrieden damit, dass ich offiziell eine Frau bin, ich habe dadurch deutlich mehr Vorteile in meinem Leben gehabt als wenn in meinem Pass "männlich" gestanden hätte.

Bei den Krautreportern gibt es einen Artikel von Emily Kossak, die meint "Männer können Frauen nicht lieben" und sie wundert sich, dass es überhaupt noch heterosexuelle Paare gibt und hat für sich die Folgerung getroffen, dass Frauen besser mit Frauen klarkommen.
Mich hat der Text sehr ratlos zurückgelassen, weil es mich einerseits fasziniert, warum so viele Frauen sich so viele Sachen einfach gefallen lassen und andererseits, weshalb man das als erstrebenswerte Eigenschaft betrachten sollte:

Zitat aus dem Artikel:
Warum aber macht die Heterosexualität so viele Frauen unglücklich? Naja, ihnen steht eine lästige Tradition namens Patriarchat im Weg. Patriarchat heißt, dass Männer auf allen Ebenen der Gesellschaft – Arbeit, Familie, Politik und auch Beziehungen – mehr Macht als Frauen haben. Und dafür sorgen, dass das auch so bleibt. Deswegen übernehmen Frauen mehr Hausarbeit als Männer, haben weniger Spaß am Sex und sind meistens dafür verantwortlich, dass dabei nicht aus Versehen ein Kind entsteht.


Äh ja, mag ja sein, dass das vor 50 Jahren noch so war, aber inzwischen haben die Männer weder eine gesetzliche noch eine gesellschaftlich akzeptierte Handhabe mehr, dieses seltsame Patriarchat durchzusetzen. Weshalb sollte man sich dem also heute unterwerfen?
Ich gebe allerdings sofort zu, dass ich nur sehr ungern eine Frau gewesen wäre, wenn ich fünfzig Jahre älter wäre.

Aber heutzutage ist es (aus meiner Sicht) doch ganz einfach, diese zurückgebliebenen Dummbatzen, die sich vor allem über ihre dicken Eier definieren, genau so zu behandeln, wie trotzige Dreijährige, die sich bei Aldi heulend auf den Boden werfen und schreiend nach ihrer Kack-Mama treten, weil sie ihnen das gewünschte Eis verweigert.
Ich meine, die nimmt man doch sinnvollerweise einfach nur nicht ernst. Die haben ein Problem mit ihrer Realitätsvorstellung, aber damit müssen sie wohl selber klarkommen.

Wenn meine Kinder solche Anfälle in der Öffentlichkeit austoben mussten, bin ich meist einen Schritt zur Seite gegangen und habe recht laut gesagt: "Meine Güte, du bist aber schlecht erzogen. Bestell deiner Mama mal einen schönen Gruß von mir, die muss dringend zur Erziehungsberatung, dann musst du dich anschließend auch nicht mehr in Läden auf dem Boden rumwälzen."

Und Männer, die ihre Eier für einen Mercedes-Stern halten und sich einbilden, das garantiere ihnen eine eingebaute Vorfahrt, nun ja, denen geht man einfach aus dem Weg, das mache ich ja auch bei bissigen Hunden oder neurotischen Katzen.

Es gibt glücklicherweise ausreichend nicht gestörte Exemplare der jeweiligen Gattung, denn nur weil es Hunde oder Katzen gibt, die beißen oder kratzen, heißt das doch nicht, dass ich nicht mit einem Haustier gut zusammen leben kann - und nur weil es bekloppte Männer gibt, muss ich mich doch nicht sofort von allen Männern pauschal fern halten.

Ich habe noch nie verstanden, warum sich so viele Frauen so viel von Männern gefallen lassen - aber vielleicht bin ich ja auch gar keine richtige Frau, weil mir das Demutsgen fehlt. Und das Opfergen. Ich kann halt einfach immer alles alleine.

Andererseits bin ich aber auch kein richtiger Mann, weil ich es lächerlich finde, schwächere Menschen beherrschen zu wollen.

Mit mir stimmt also ganz offensichtlich etwas nicht, weil ich sowohl die typisch weibliche als auch die typische männliche Seite ziemlich dämlich finde. Meine Folgerung daraus: Mir ist es egal, wie andere mich sehen, ich bin eben Anje, eine nach außen gerichtete geschlechtliche Identifizierung, die für andere wichtig sein mag, hat für mich keine Bedeutung.

Und genau deshalb kann ich es nicht verstehen, warum Leute so große Unannehmlichkeiten auf sich nehmen, nur um einen nach außen gerichteten Geschlechtseintrag zu ändern.
Meine Suche, nach einer für mich nachvollziehbaren Erklärung treibt mich immer wieder dazu, mich mit dem Thema Genderidentifikation zu beschäftigen.

Meine Tochter, mit der ich mich auch darüber unterhalten habe, sagte, ich wäre "nonbinär", ich habe das bei Wikipedia nachgelesen und bin der Meinung, diese Bezeichnung trifft es auch nicht. Nonbinär ist alles mögliche, aber die Beschreibung, dass es jemandem schlicht egal ist, welcher Gendertypus er sein könnte, das kommt unter nonbinär auch nicht vor.

Am besten ist es, ich führe "Anje" als viertes Geschlecht ein, das wäre doch mal ein Vorhaben
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Freitag, 27. Dezember 2024
Konsumlimits
Ich habe meine Mitgliedschaft bei den Krautreportern vor allem wegen Gabriel Yoran und seiner Serie: "Die Verkrempelung der Welt." Selten fand ich Texte so wahr und richtig und so treffend und gut beschrieben.

Jetzt hat er den 10. und letzten Teil seiner Serie veröffentlicht und weil ich zahlendes Krautreportermitglied bin, darf ich den Link zu dem Artikel teilen.

Wie du dein wahres Selbst findest (koste es, was es wolle)

Yoran erklärt hier sehr schlüssig die Hintergründe unserer Konsumsucht und unserer Konsumgesellschaft.
Seitdem die Menschen überwiegend aufgehört haben, ein gottesfürchtiges Leben zu leben, brauchten sie ein neues Leitbild. Das Drama begann mit der sogenannten Aufklärung, also gegen Ende des 18. Jahrhunderts.

" Erst in der Folge der Aufklärung, die den Menschen sich selbst überließ, mussten moralische Ideale, da sie ja nun nicht mehr von einem Gott herabgereicht wurden, irgendwo anders herkommen: aus dem Menschen selbst. Diese Vorstellung entstand tatsächlich erst Ende des 18. Jahrhunderts. Bis dahin war ein gutes Leben ein moralisches Leben, und das meinte ein Gott wohlgefälliges."

Weil es jetzt also nicht mehr reichte, einfach ein bescheidenes, gottesfürchtiges Leben zu führen, was vor der Aufklärung den Sinn des Lebens und überhaupt alles erklärte, 42 sozusagen, brauchte es neue Werte und vor allem einen neuen Sinn.

Diese Werteverschiebung führte gradewegs an die Spitze der Maslow'schen Bedürfnispyramiden - wer heutzutage ein wahrhaft sinnerfülltes Leben führen will, muss sich selber verwirklichen. Nix mehr Gott, selbst ist der Mensch und um diese Einmaligkeit zu definieren, muss er natürlich auch Werte schaffen, die unmittelbar ihm persönlich zugeordnet werden, z.B. also seinen persönlichen Geschmack, seine Vorlieben und seine Abneigungen. Und wie zeigt man das treffender als durch individuellen Konsum? Eben.

Ich habe während ich den Artikel las, ständig zustimmend und teilweise auch verblüfft ob dieser simplen Erkenntnis vor mich hingenickt. Ja, die zwanghafte Suche nach und Zurschaustellung der eigenen Persönlichkeit beschreibt die Menschen unserer heutigen Geselllschaft sehr treffend - und sehr gruselig.

Die Menschen sind heute nicht mehr davon abhängig, einem unsichtbaren, allmächtigen Gott zu gefallen, sondern sie müssen heute ihrem sozialen Umfeld gefallen.
Wie schrecklich ist das denn, bitte schön?

Und weil das ungleich komplizierter ist als einfach nur ein einfaches, gottesfürchtiges Leben, bei dem man die Regeln genau kennt und wenn man die befolgt ist alles gut, nein, heutzutage weiß man ja gar nicht so genau, wie und auf welche Art man leben und seine eigene Authentizität entwickeln soll. Und weil das alles so viel komplizierter und belastender geworden ist, steigt logischerweise auch die Zahl der Menschen, die ob dieser Belastung verzweifeln - und depressiv werden. Sie fühlen nicht genug. Sie fühlen sich nicht genug, was auch immer, es geht ihnen schlecht.

Das wird übrigens in dem Artikel nicht weiter ausgeführt, aber ich halte das für eine völlig natürliche Erklärung.

Herr Yoran hat allerdings ein konkretes Ziel im Blick:

"Da uns exzessiver, durch Konsum definierter Individualismus überhaupt erst an den Punkt gebracht hat, an dem der ganze Planet existenziell gefährdet ist, muss die Diskussion über das gute Leben geführt werden."

Er stellt verschiedene Diskussionsmodelle vor und ich kann gedanklich jedem nur zustimmen. Wie wir das allerdings hinbekommen sollen, dass unsere (westliche) Gesellschaft sich solchen Forderungen beugt, da fehlt mir noch die passende Phantasie - auch wenn es alles absolut vernünftig wäre
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Donnerstag, 26. Dezember 2024
Wie es war und wie es wird
Ich habe mir schon Gedanken für den Rückblick auf das Jahr gemacht und bin dabei automatisch in einen Lebensrückblick gerutscht, weil dieses Jahr ja mal wieder einer meiner 15-jährigen Lebensabschnitte zu Ende geht (okay, der letzte Abschnitt dauerte rund 16,5 Jahre, aber grob gerundet sind das auch 15 Jahre).
Nächstes Jahr beginnen endgültig die nächsten 15 Jahre, wenn wir alle beide nicht mehr ins Büro gehen müssen und uns nur noch um uns selber und das, was uns Spaß macht, kümmern müssen und auf diesen Abschnitt bin ich schon enorm neugierig.
Wieder wird alles anders, wieder weiß ich nicht, was mich genau erwartet, ich weiß nicht, wie es mir gefallen wird, wie ich mich verändern werde und vor allem weiß ich nicht, ob meine jetzige Vorstellung, wie es werden könnte und wie ich mich dazu und dabei verhalten werde, ob ich diese Vorstellung auch in der Zukunft belastbar umsetzen kann.
Sich nur noch um das zu kümmern, was einem Spaß macht - das klingt so traumhaft, so unwirklich, so jenseits der aktuellen Wirklichkeit unserer Gesellschaft, die vor allem Realitäten bereithält, die einem alle überhaupt gar keinen Spaß machen, dass ich durchaus Bedenken habe, ob meine Vorstellungen diesmal nicht zu sehr nur Traumtänzereien sind, zu viel "Wünsch dir was" und zu wenig "So isses".

In der Vergangenheit passte meine Vorstellung von dem, wie ich mich zu dem, was passieren wird, verhalten werde, dagegen meist ziemlich gut, ich drücke mir also selber die Daumen, dass es mir auch diesmal, mit meinem letzten aktiven Lebensabschnitt gelingen wird, meine jetzigen Vorstellungen irgendwie in den Alltag zu übertragen, ich glaube, das Wichtigste wird sein, sich über all das, was eben nicht mehr funktioniert, auch nicht aufzuregen.

Ich erinnere mich noch gut, wie sehr ich mit Anfang und Mitte 20 belächelt wurde, als ich meine Theorien zum Thema Kinderhaltung zum Besten gab. Für mich ging es nämlich nie um Kindererziehung, weil ich von Erziehung im klassischen Sinne nichts halte, meiner Meinung nach wird der positive Einfluss, den Eltern auf ihre Kinder haben, komplett überbewertet. Mit negativem Einfluss können sie es ihren Kindern dagegen sehr schwer im Leben machen, ich habe meine Aufgabe als Mutter deshalb eher in einer Form von Kinderhaltung gesehen. Ich war dafür zuständig, dass sich die Kinder so frei und selbstständig entwickeln konnten, wie es im Rahmen der sonstigen Umstände nur möglich war und dass ich als Mutter sie maximal wenig dabei störte.

Ich bin der festen Überzeugung, dass Kinder nicht dümmer sind als Erwachsene und als überzeugter Anhänger der Mendel'schen Vererbungslehre war ich auch immer der festen Überzeugung, dass meine Kinder nicht dümmer sind als ich.
Der eingebaute Rechner, der die Leistung und Kapazität ihres Könnens steuert, ist ab Geburt vorhanden, nur die Software ist noch nicht vollständig installiert und es müssen natürlich noch Unmengen an Daten geladen werden. Das aber passiert sowieso ganz von alleine, wenn der eingebaute Rechner funktioniert und schnell genug getaktet ist, um damit eine brauchbare Leistung abrufen zu können.

Ich habe nie das Gefühl gehabt, dass es für die Kinder ein Vorteil ist, wenn sie bevormundet werden, weshalb ich ihnen so weit wie möglich stets eine maximale Freiheit gewährt habe. Rückblickend sind die Kinder heute enorm stolz auf ihre harte Kindheit, denn grade weil ihnen nie etwas verboten war, konnten sie sich nie mit Unwissen oder Trotzreaktionen rechtfertigen. Allen Unsinn, den sie veranstaltet haben, mussten sie auch selber verantworten.
Ich habe zwar auf sie aufgepasst, aber immer mit so viel Abstand, dass sie es so wenig wie möglich merkten und fühlte mich vor allem dafür zuständig, das Schlimmste zu verhindern und ihnen den Arsch zu retten, wenn sie sich selber mit Schwung in die Kacke geritten hatten und feststeckten. Natürlich nicht ohne ausreichend Spott und Bemerkungen wie "und ich sag noch….".

Es war bei uns deshalb nie etwas konkret verboten, aber ich habe ihnen natürlich Ratschläge gegeben à la "hmm, was du da vorhast, das halte ich nicht für eine gute Idee. Ich sehe da dieses oder jenes Problem oder Risiko." Wenn sie es dann trotzdem taten und es passierte das, was ich vorhergesagt hatte, dann durften sie ihr Scheitern gründlich auskosten, bevor ich ihnen half, sich aus dem Schlamassel zu befreien. Per Saldo führte das dazu, dass sie mit zunehmendem Alter zunehmend auf meine Ratschläge hörten, sie hatten ihre Erfahrungen mit Widerstand eben früh genug schon gemacht. Ich hatte deshalb wenig Probleme mit Teenagern und Pubertät, da waren sie längst alt und erfahren genug, um meine Ratschläge freiwillig ernst zu nehmen.

Und ungefähr diese Grundhaltung für den Umgang mit Kindern habe ich schon früh propagiert, weil ich es schon immer für alle Beteiligten das Erfolgreichste und das Sinnvollste fand, wenn man sich gegenseitig respektiert, mit der Betonung auf gegenseitig. So lange ich keine eigenen Kinder hatte, bekam ich von den weisen älteren Menschen darauf dann immer nur zu hören: "Warte, bis du selber Kinder hast. Das ist nämlich alles nicht so einfach, wie du dir das vorstellst." - Nun, als ich dann selber Kinder hatte, war es exakt so einfach, wie ich es mir vorgestellt hatte, ich durfte mich nur weder an die althergebrachten noch an die allgemein geltenden Regeln halten, sondern musste meine eigenen leben. Was heute, rückblickend betrachtet, sehr gut funktionierte, was aber damals viele nicht glauben wollten und ich wurde viele Jahre sehr kritisch und abwertend von anderen Müttern angesehen.

Was den kommenden Lebensabschnitt angeht, habe ich wieder ziemlich andere Vorstellungen von meinem Alltag als das, was man gemeinhin so von Rentnern erwartet. Weder habe ich vor, eine Weltreise zu machen, noch freue ich mich auf Enkelkinder und kleiner setze ich mich im Alter auch nicht. Im Gegenteil, ich baue ein neues Haus mit allem Pipapo und ziehe dafür auch noch mal um in eine für mich völlig unbekannte Gegend.
Ich freue mich darauf, neue Menschen kennenzulernen, mir einen neuen Lebensrhythmus zu suchen und Dinge auszuprobieren, die ich noch nie getan habe. Ich bin sehr zuversichtlich, dass einiges davon gewaltig schief gehen wird, aber das ist nicht schlimm, es wird insgesamt hauptsächlich lustig, davon bin ich fest überzeugt
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Samstag, 30. November 2024
Klaasohm
Hier auf der Insel ist grade richtig was los, so in der internen Community, denn erst der NDR und davon inspiriert natürlich auch diverse Social Media Kanäle haben Klaasohm an den Pranger gestellt, was leicht ist, weil es wirklich ein etwas aus der Zeit gefallener Brauch ist, der sich in den letzten Jahren auch nicht unbedingt positiv fortentwickelt hat.
Ich wundere mich seit 20 Jahren, dass das nicht schon längst passiert ist, aber nun gut, jetzt ist es ja endlich soweit. Wer sich für die passenden Links interessiert: Croco hat da was zusammengestellt.

In fünf Tagen, am 5.12. ist wieder Klaasohm, der NDR hat seine Reportage natürlich passend kurz vorher gesendet und jetzt geht es hier grade hoch her.
Ich stehe mit einer großen Portion Popcorn an der Seitenauslinie, gucke zu, wie sich die Gemüter erregen und finde es höchst amüsant. Ich gehe davon aus, dass es das jetzt war, mit der alten Tradition, spätestens ab nächstem Jahr gibt es nur noch Klaasohm light.

Für echte Borkumer ist Klaasohm der höchste Feiertag des Jahres, an dem einem recht alten Brauchtum gehuldigt wird, das noch aus der der Walfängerzeit der Insel stammt.
Früher wurden alle Informationen zu diesem Brauch wie in einer Freimaurerloge vollständig unter Verschluss gehalten, nur echte Borkumer durften überhaupt teilnehmen und es gehörte zu den Ehrenpflichten eines jeden echten Borkumers, dass man nicht darüber redete.

Das mit dem echten Borkumer wurde im Laufe der Jahre etwas verwässert. Früher war die Definition einfach: Nur wer als Geburtsort Borkum in seinem Ausweis stehen hatte, war ein echter Borkumer. Alle andere waren Zugezogene. Intern unterschied man deshalb zwischen Insulanern (das sind die Menschen, die dauerhaft auf der Insel leben) und Borkumern.
Borkumer bleibt man übrigens auch, wenn man nicht mehr auf der Insel lebt, dann ist man Butenbörkumer, und auch die zieht es am 5.12. magisch zurück in die alte Heimat.

Als dann aber irgendwann in den 70ern oder 80ern, ich weiß gar nicht genau wann, das örtliche Krankenhaus keine Geburten mehr durchführte, mussten alle Insulanerfrauen zur Entbindung aufs Festland. Plötzlich wurden also keine echten Borkumer mehr geboren, die kamen fortan alle in Emden auf die Welt. Blöd, was den Nachwuchs anging für den traditionellsten Traditionsverein der Insel, den Verein Borkumer Jungens, der auch die gesamte Klaasohmfeierei organisiert.
Der Verein musste seine Statuten ändern, denn ursprünglich war Aufnahmekriterium für eine Mitgliedschaft in diesem Verein, dass man eben Borkum als Geburtsort in seinem Ausweis stehen hatte.
Heute muss man so und soviele Jahre auf Borkum gelebt und hier zur Schule gegangen sein, ich bin über die Änderung in den Vorschriften nicht so genau informiert, weil ich meine Informanten, den Vater und den Onkel, beide "echte Borkumer" mit Borkum als Geburtsort im Ausweis, nicht mehr präzise danach gefragt habe, was sich an den Aufnahmeregeln im Jungsverein inzwischen geändert hat.
Geblieben ist auf alle Fälle die Regel, dass nur unverheiratete Männer aktives Mitglied im Jungsverein sein dürfen, da bin ich sehr sicher, dass das noch gilt.

Klaasohm gab es in meinem Leben schon immer und in meiner Jugend war Klaasohm einfach ein Männerfest. Die Jungs wollten unter sich sein, gewaltig saufen und sich prügeln, Frulüd hatten da nichts zu suchen und ich hatte auch wirklich niemals den Drang, da mitzumachen. Um die Frauen auf Abstand zu halten, wurden sie kurzerhand von den durchs Dorf ziehenden Klaasohms verhauen, wenn sie eine sahen, das wussten die Frauen und deshalb blieb man, wenn man gescheit war, auch sinnvollerweise diesen einen Abend im Jahr einfach sicher zu Hause.

Natürlich gab es immer ein paar unbelehrbare, widerspenstige oder sonstwie auf Krawall gebürstete Frauen, die dann grade deshalb, weil es mit Ärger verbunden war, am Klaasohmabend auf die Straße gehen mussten.
Ich persönlich reagiere mit Trotz und Widerstand und einem aktiven "jetzt erst recht-Verhalten" auf jedes Verbot, Klaasohm hat mich allerdings nie getriggert, denn es war ja nicht verboten als Frau unterwegs zu sein, es war nur dämlich, weil man extrem schlechte Chancen hatte, da unverhauen durchzukommen.
Ich persönlich hatte also nie ein Problem mit diesem Brauch und mich mit einer Meute sturzbesoffener, aufgepeitschter Jungs auseinanderzusetzen war auch nie etwas, was mich aktiv gereizt hat, ich bin dem Ganzen einfach immer weiträumig aus dem Weg gegangen.

Mitbekommen habe ich es natürlich trotzdem, der Onkel war lange Jahre Vorsitzender des Jungsvereins und selber auch zweimal aktiv als Klaasohm unterwegs, der Vater selbsternannter Heimatforscher, es blieb nicht aus, dass ich schon früh weit mehr über dieses Fest wusste als ich hätte wissen dürfen. Aber vielleicht fand ich es auch grade deshalb stets sehr langweilig, Jungs machen sowieso oft langweilige Dinge, es gibt überhaupt keinen Grund, dass man da bei allem dabei sein muss und Massenbesäufnisse waren ja nun auch noch nie mein Fall.

Für die Jungs schien es aber immer schon ein irgendwie identitätsstiftendes Initiationsritual zu sein, bei Klaasohm mitzulaufen. Wer an Klaasohm nicht besoffen ist, ist kein Borkumer, lautet deshalb auch ein Spruch, der sicherlich mehr als nur ein bisschen gesellschaftspolitischen Druck auf eine ansonsten von vielen Nachteilen betroffene Gruppe von Menschen ausübt. Auf der Insel hält man zusammen - oder ist verloren.

Klaasohm ist also traditionell ein reines Männerfest zur Stärkung der Gemeinschaft und der internen Hackordnung, die Jungs verkleiden sich als wilde Kerle, saufen sich bis obenhin zu und prügeln sich dabei. Fremde möchten sie nicht dabei haben, die machen alles nur noch komplizierter, die wollen eventuell Dinge diskutieren, die man nicht diskutieren möchte, weil es schon immer so war, und überhaupt ist man auf der Insel ja sowieso permanent und dauernd von Fremden umgeben, weil man vom Tourismus lebt, weshalb der Drang, wenigstens einmal im Jahr etwas nur für sich und ohne Rücksicht auf irgendwelche fremden Leute zu machen, groß ist.

Den Rest des Jahres ist Rücksichtnahme auf die Gäste alleroberste Priorität. Ich bin aufgewachsen mit dem Spruch meiner Oma: Erst kommen die Gäste, dann kommen noch mal die Gäste, dann kommt ganz lange Zeit gar nichts, und dann schauen wir mal, was noch übrig bleibt.

Ich persönlich habe also absolut volles Verständnis für Männer, die sich, mit der Absicherung der Tradition im Hintergrund, an diesem einen Tag einmal zusammen mit öffentlich vorgesehener Prügelei ungehemmt die Kante geben können und dabei ihren Aggressionen freien Lauf lassen. Enjoy.

Die Beiträge, die da grade im Netz kursieren, sind übrigens in ihrer Gewichtung alle ziemlich verschoben. Eigentlich und rein traditionell geht es nicht darum, Frauen zu verhauen, sondern die Klaasohms prügeln sich untereinander. Es gibt ja sechs einzelne Klaasohms, die mit ihrem Gefolge quer durchs Dorf ziehen und an verschiedenen Häusern anhalten, um etwas zu trinken. Wenn sich dabei unterwegs zwei Klaasohms begegnen, müssen die sich prügeln, um klarzustellen, wer der Stärkere ist. Dass sich das in den letzten Jahren immer mehr auf die Jagd nach Frauen verlagert hat, liegt daran, dass immer mehr Frauen mitmachen und es witzig finden, sich jagen zu lassen. Wie gesagt, früher war das anders, aber wen interessiert das schon.

Und genau deshalb ist es mir persönlich auch ziemlich schnurz, wie das nun ausgeht, mit der Tradition und dem Brauchtum versus political correctness und öffentliche Meinung. Die werden sich da jetzt schon irgendwas zurechtfaseln und dann werden die Regeln geändert, was aber wurscht ist, weil sich die Regeln in den letzten Jahren schon ganz von alleine in eine Richtung geändert haben, die nicht lange gut gehen konnte - wie gesagt, ich wunderte mich schon seit Jahren, dass sich da bisher noch niemand aufgeregt hat, aber nun ist es ja passiert und dann warten wir mal ab, wie es weitergeht
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Mittwoch, 6. November 2024
Politikgeschehnisse, die selbst ich nicht ignorieren kann
Mein Interesse an Politik war noch nie sehr hoch.
Seitdem ich in den letzten Jahren beruflich sehr viel mit vielen verschiedenen Politikern zusammenarbeiten musste, ist meine Achtung vor dieser Spezies immer weiter gesunken.
Diese Blicke hinter die Kulissen waren eindeutig nicht dazu geeignet, mein Vertrauen in die Kompetenzen und Handlungen der zuständigen Menschen zu stärken, so dass ich mich schon zum Schutz meines eigenen Seelenheils lieber nicht mit Politik egal welcher Ausrichtung beschäftige.

Und eine eigene Meinung habe ich auch nicht, denn das einzige, von dem ich zutiefst überzeugt bin, ist, dass es kompliziert ist und dass jede Richtung nicht nur schlechte oder nur gute Seiten hat, sondern dass es in jeder Situation auch immer viele gegensätzliche und trotzdem gleichzeitig nachvollziehbare Gründe, Haltungen, Entscheidungen, Aussagen gibt - und ganz viele individuelle, persönliche und menschliche Macken der handelnden Personen, die zu teilweise völlig irrationalen - oder eben rationalen, wenn man die individuelle Persönlichkeit berücksichtigt - Ergebnissen führen.
Aus all diesen Gründen möchte ich nichts mit Politik und noch viel weniger mit Politikern zu tun haben.

Deshalb habe ich mich wenig für die Wahlen in den USA und genauso wenig für das Gezanke in der Ampel interessiert, dass aber auf beiden Schauplätzen heute so fulminante und unerwartete Ergebnisse mit einem Paukenschlag sozusagen gleichzeitig die Nachrichtenkanäle überschwemmten, die daraufhin komplett ins Schleudern gerieten und gar nicht mehr wussten, wie und was sie jetzt berichten sollen, das fand ich immerhin dann doch witzig.

Dass sich die Amis mehrheitlich für Herrn Trump entschieden haben, kann ich aus Sicht der Mehrheit der Amis durchaus verstehen, ob Herr Trump in seiner zweiten Regentschaft allerdings ihre Erwartungen erfüllen wird, wage ich massiv zu bezweifeln, aber was weiß ich schon, ich interessiere mich ja nicht.
Die Wertpapiermärkte sind auf alle Fälle sehr zufrieden mit der US Wahl und da ich ja den Verkaufserlös aus der Fabrik komplett in (überwiegend) US-Aktien investiert habe, hat mein Depot heute dann mal bemerkenswert fünfstellig zugelegt, es ist alles eine verkehrte Welt.

Dass Herr Lindner dann ausgerechnet heute die Ampel gesprengt hat, passt zu meiner abgründig schlechten Meinung über diesen Herrn und seine Partei - auch wenn ich persönlich genau zu der Klientel gehöre, die die FDP ständig versucht zu fördern. Gleichzeitig fehlt mir aber auch jedes Verständnis, warum grade die vermögenden Leute weiter unterstützt werden müssen, denn wenn jemand auch ohne Unterstützung vom Staat klarkommen kann, dann doch wohl diejenigen, die mehr haben als die anderen, oder? Ich finde sowohl die FDP als auch ihre Klientel insgesamt nur peinlich.
Aber wie auch immer - jetzt hat es sich ja ausgeeffdepeht, ich persönlich finde das völlig okay, habe aber Sorge, dass es nach den Neuwahlen noch viel schlimmer wird. Wahrscheinlich nicht für mich - aber für viele Deutsche, die sich im Laufe der Zeit daran gewöhnen werden müssen, dass es hier nach und nach vorbei ist mit der guten alten Zeit.
Doch auch hier gilt, ich interessiere mich nicht genug, als dass ich eine belastbare Meinung haben sollte, insofern warten wir doch einfach mal ab, wie das alles nun weitergeht
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Sonntag, 15. September 2024
Geschlechterrollen
Herr Buddenbohm schreibt über Helmtraut und Helmbert und es dauert ein wenig, bis ich begreife, dass das Karikaturnamen sind. Wie üblich habe ich mal wieder nicht mitbekommen, dass es längst einen passenden Trend gibt, der sich über das lustig macht, was sich auf Borkum auch zuhauf rumtreibt, was ich aber schon längst nicht mehr als Besonderheit, sondern als betrübliche Normalität wahrnehme.
Diese älteren Paare im Partnerlook gab es schon immer, seit neuestem tragen sie aber auch beide Helm und je mehr behelmte Rentner vor meiner Haustür langfahren, um so fester ist meine Überzeugung, dass ich mich niemals freiwillig so lächerlich mache.

Ja, ja, ich weiß, man kann stürzen und sich verletzen und es ist doch nur vernünftig, blablabla. Aber wieso ist diese Sorte Vernunft erst jetzt so verbreitet? Ich meine, vom Fahrrad fallen und sich dabei zu verletzten - das war auch schon vor 50 Jahren möglich und vor 50 Jahren gab es auch schon Helme. Vielleicht nicht solche wie heute, aber es gab Helme. Reitkappen zum Beispiel. Wieso wurden früher nur Stürze vom Pferd als so gefährlich eingestuft, dass man sich mit einer Reitkappe schützte und nicht die potentiellen Stürze vom Fahrrad? Und jetzt komm mir keiner mit zunehmendem Autoverkehr und dadurch gestiegener Gefahr für Radfahrer. Mag für Städte gelten, aber nicht für Borkum. Im Gegenteil, da ist der Autoverkehr immer weiter eingeschränkt worden und überall ist Zone 30, je weniger Autos hier auf den Straßen rumfahren, um so mehr Radfahrer gibt es, die dafür zunehmend mit Helm. Es ist so so lächerlich.

Und jetzt sag mir keiner, dass die Leute mit den E-Bikes ja viel schneller unterwegs seien als auf einem Bio-Fahrrad. Mag für U40 Typen auf einem E-Mountain-Bike gelten, aber nicht für Rentner auf einem normalen E-Bike. Da fahren nur sehr wenige schneller als 15km/h, ich weiß das, weil ich mich ständig darüber aufrege. Wieso hat man ein E-Bike, um damit dann immer noch so langsam zu fahren, dass ich dahinter Sorge habe, dass ich gleich umfalle, wenn es noch langsamer wird und mich aufrege, wenn ich die Rentnertruppe nicht überholen kann, weil sie natürlich auch am allerliebsten nebeneinander fahren? Vielleicht ist das ja der Grund, weshalb sie alle Helme tragen - sie fallen öfter mal um, weil sie zu langsam unterwegs sind und keine Übung darin haben, ein Fahrrad im Stehen aufrecht zu halten. Ist ja auch nicht so einfach, selbst Profiradfahrer müssen Stehversuche aktiv trainieren.

Gleichzeitig gibt es natürlich auch einzelne Raser-Rentner, die ich genauso hasse, weil sie der festen Überzeugung sind, dass die Straßenverkehrsordnung nicht für Fahrradfahrer gilt. Weder gilt für sie das Rechtsfahrgebot noch so was Lächerliches wie rechts vor links, das gilt auf der Insel zwar überall und an jeder Ecke für alle Autofahrer, Fahrradfahrer im Urlaub sind davon aber nicht betroffen. Diese Raser-Rentner brettern dann sehr gerne mit 25 km/h auf ihrer Straße auch an Kreuzungen hemmungslos gradeaus weiter und scheren sich einen feuchten Kehrricht darum, dass von rechts jemand kommen könnte, der eventuell auch noch Vorfahrt haben könnte. Raser-Rentner tragen übrigens sehr häufig keinen Helm, die sind ja noch jung und dynamisch, da braucht man so ein Teil nicht. Ich habe mir schon mehrfach überlegt, ob ich mir nicht so einen Stuntman-Rugby-Anzug (mit Helm) besorge und mir dann rigoros mein rechts vor links Recht erzwinge, in dem ich einfach genauso stur weiterfahre.

Ich habe über diese Helmsache schon länger nachgedacht und ich besitze als Kompromiss einen Hövding, der wenigstens optisch nicht so peinlich ist, dass ich mich vor allem vor mir selber schämen müsste, aber für Fahrradtouren auf Borkum halte ich auch den in den meisten Fällen für entbehrlich. Wenn ich da vom Fahrrad falle, dann aus eigener Dämlichkeit und fast immer beim Auf- oder Absteigen. Ist wie beim Fliegen, Start und Landung sind das Gefährlichste, dass man unterwegs runterfällt, weil man von einem anderen Verkehrsteilnehmer gerammt wird, ist extrem selten. Und beim Auf- oder Absteigen auf den Kopf zu fallen, nun, dazu gehört dann wirklich so viel Dämlichkeit, dass ich denke, wenn mir das passiert, dann ist es auch gut so, das ist ein klares Signal. Wie es mit mir weitergeht, wenn mein Körper nicht mehr vernünftig funktioniert, weil ich auf den Kopf gefallen bin, habe ich schon lange geregelt, stören würden mich die Folgen dann auch nicht, habe ich hier ja schon ausführlich erläutert.

Dass es im Stadtverkehr sinnvoll sein kann, einen Helm zu tragen, will ich übrigens nicht in Frage stellen - aber auf Borkum gibt es keinen Stadtverkehr, dafür eine irre Menge an Helmtrauts und Helmberts.

Was Herr Buddenbohm ansonsten bei diesen Rentnerpaaren beobachtet, ist mir mangels Aufmerksamkeit selber noch nicht aufgefallen, vielleicht auch, weil ich zwar altersmäßig in die Rentner-Boomer-Kohorte gehöre, aber gleichzeitig auch Zeit meines Lebens noch nie in das typische Mann-Frau-Muster passte, so dass ich mich da auch im Rentneralter nicht mehr einfügen kann.
Herr Buddenbohm stellt also fest, dass bei diesen behelmten Rentnerpärchen immer der Mann voraus fährt und die Frau hinterher. Er sagt immer - und ich staune.
K und ich fahren ja nun auch sehr häufig gemeinsam Rad und in den allermeisten Fällen fahre ich voraus.
K hat eine, nun ja, wie sage ich es freundlich, eine sehr eigenwillige Orientierung. Ich nenne sie natürlich typisch männlich, habe aber nicht genug Vergleichsmaterial, um da eine statistisch relevante Aussage treffen zu können, auf alle Fälle findet er nicht intuitiv und zuverlässig den kürzesten Weg von A nach B.
Ich habe also sehr früh gelernt, dass es klüger ist, wenn ich nicht einfach immer stumpf hinter ihm herlaufe (oder fahre), sondern mir selber Gedanken mache, wie man von A nach B kommt und wenn K voraus geht, bin ich fast immer vor ihm da.
K selber ist dabei grundsätzlich der festen Überzeugung, dass sein Weg der bessere, sinnvollere und normalerweise ganz sicher auch der schnellste sei, weil der kürzeste Weg ja fast nie der schnellste ist, man kennt das. Ampeln, Baustellen, Behinderungen, nein, K findet es fast nie sinnvoll, den kürzesten Weg zu nehmen, weil der länger dauert. Meint er.
Ich diskutiere das nicht mit ihm, soll er seinen schnelleren Weg gehen oder fahren, ich nehme meinen und bin dann eben vor ihm da, ist ja nicht so schlimm.

Wenn man gemeinsam Fahrrad fahren will, ist das allerdings etwas lästig, weil das für die Gemeinsamkeit nicht förderlich ist, wenn K voraus fährt, sich dann für eine seiner seltsamen Abkürzungen entscheidet, von der ich weiß, dass sie locker 2km Umweg bedeuten wird und deshalb hinter ihm auf den kürzeren Weg abbiege.
Wenn wir zusammen Rad fahren wollen, funktioniert das nur, wenn K hinter mir her fährt, sonst bin ich irgendwann weg.
Ich habe dafür einen Rückspiegel an meinem Rad und achte darauf, dass K hinter mir auch noch da ist, K findet Rückspiegel überflüssig, weshalb er gar nicht bemerkt, wenn ich hinter ihm verschwunden bin, auch das nicht praktikabel für eine gemeinsame Radtour.

Weil in meinem Anjeversum also selbstverständlich derjenige vorne fährt, der die bessere Orientierung hat, habe ich noch nie darauf geachtet, ob es da ansonsten eine Männlein-Weiblein-Unterscheidung gibt, die ich total dämlich fände, denn wieso sollte die Orientierungsfähigkeit an das Geschlecht gekoppelt sein?
Ich werde das unbedingt nachholen. Also das Beobachten, wer vorne und wer hinten fährt.

Eine weitere Buddenbohmsche Beobachtung, nämlich die Rollenverteilung bei der Hotelvorfahrt - sie regelt die Details an der Rezeption und er montiert fluchend die mitgebrachten E-Bikes vom Fahrradträge - das träfe auf uns auch nicht zu. Hier bleibt mir nur der Konjunktiv, weil wir genau diese Situation mangels Verreisen und Hotels noch nie in echt durchgespielt haben, aber wenn ich es mir theoretisch vorstelle, dann weiß ich, dass ich K die Räder nicht alleine vom Gepäckträger wuchten lassen würde. Also, auf mein Rad würde ich auf alle Fälle selber aufpassen :-), aber ich glaube, ich wäre fair genug, ihm auch bei seinem Rad zu helfen, denn die Dinger sind sauschwer und zu zweit geht das eindeutig besser.
Dass ich die Dinge an der Rezeption alleine regeln kann, steht außer Frage, aber die Räder baut man doch sinnvollerweise gemeinsam ab, zumindest in unserem Rentneralter. Vor dreißig Jahren, mit einem dreißig Jahre jüngeren Mann, hätte ich den das auch entspannt alleine machen lassen, aber heute doch nicht mehr. Auch Männer werden älter und sind mit 65 nicht mehr so stark wie mit 35. Dafür sind die Fahrräder für ältere Menschen deutlich schwerer als für jüngere. (E-Bike vs. Bio-Bike)
Wenn Herr Buddenbohm das genau so und ausnahmslos beobachtet hat, dann fühle ich durchaus Fremdscham für die verzärtelten Ehefräuchen
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Donnerstag, 22. August 2024
Sterben
Die Kaltmamsell verlinkt einen Artikel über das Sterben aus der SZ, der hinter der Paywall steht. Sie sagt, es ist einer der wenigen Artikel, den sie in Papier behalten hat.

Mich macht das neugierig, denn Sterben interessiert mich. Ich habe mir den Artikel deshalb in einer freien Form hinter der Paywall besorgt. Und ja, es ist ein wirklich sehr guter, beeindruckender Artikel, kann ich ebenfalls nur empfehlen.

Mit jedem Tag, den man älter wird, rückt nicht nur das Büroende näher, sondern auch der eigene Tod.
Wie schnell das mit dem Büroende geht, habe ich grade live erlebt und ich habe mich auf meinen letzten Arbeitstag ja nun wirklich gefreut. Wenn man sich auf etwas freut, dauert die Wartezeit oft länger und trotzdem ging es zum Schluss dann sehr schnell.

Ich freue mich auch schon auf meinen Tod, ich stelle mir das wie das potenzierte Büroende vor: Endgültig ALLE Verantwortung abgeben, auch die für den eigenen Körper und die eigenen Atemzüge und sich um nichts, einfach gar nichts mehr kümmern müssen. Niemand mehr der nörgelt, der sich beschwert, dass man irgendetwas noch nicht erledigt hat, niemand mehr, der schlechte Witze macht und erwartet, dass man einen Humor teilt, den man im besten Falle albern, aber sicher nicht witzig findet, niemand mehr, der seltsame Meinungen und Ansichten hat und sie als gottgegebene Selbstverständlichkeit betrachtet, denen zu widersprechen sinnlos ist, niemand mehr, der erwartet, dass man Dinge tut, zu denen man keine Lust hat.
Keine Aufgaben mehr, keine To-Dos, unendliche Ruhe, für immer.

Okay, es bedeutet natürlich auch gleichzeitig, dass es kein Glück mehr gibt, dass man niemals mehr dieses unbeschreibliche Gefühl des "ach, ist das schön so" empfinden wird. Kein Lachen mehr, auch keine wirklich witzigen Witze mehr (gibt es selbstverständlich auch, ich habe schließlich einen Westfalenmann), all das verschwindet natürlich genauso wie die lästigen Seiten des Lebens. Deshalb gebe ich mir sehr viel Mühe, die schönen Dinge des Lebens jetzt noch so intensiv wie möglich zu genießen. Ich wüsste sehr gerne, wann mein letzter Tag ist, dann kann ich das besser organisieren, das mit dem Genießen, dann kann ich sicher sein, dass ich bis dahin auch wirklich alles erledigt und mitgenommen habe, um wenigstens für die letzten Jahres des Lebens eine maximal unbalanzierte Work-Life-Balance, nämlich viel mehr Life als Work, anzustreben, alles andere wäre doch sonst nur traurig verschwendet.

Aber noch bin ich so fit und gesund, dass es keinen Anlass gibt, den letzten Tag schon jetzt künstlich zu planen. Aktuell müsste es ein Unfall oder ein großer Zufall sein, der mich spontan und ohne Vorwarnung aus dem Leben reißt, dann soll es mir auch recht sein, ich finde, ich hatte auch nur bis hierhin schon ein sehr schönes Leben. Aber natürlich geht da noch was, noch gibt es viele Pläne und eine hohe Erwartung an noch sehr viele "ach, ist das schön so-Momente", aktuell fühle ich mich wie arbeitstechnisch mit Anfang 50, als mir klar wurde, dass es bis zur Rente zwar noch eine längere Zeit hin ist, dass ich sie aber schon am Horizont erahnen kann. Selbstverständlich habe ich ab 50 nicht konsequent auf die Rente hingearbeitet - aber ich habe mich schon damals auf diesen Zeitpunkt gefreut, weil ich dachte, wenn es denn irgendwann soweit ist, dann ist es auch gut. Dann habe ich beruflich alles erlebt und erreicht, was es zu erleben und zu erreichen gab, dann kann man sich anderen Dingen zuwenden.

Ungefähr so geht es mir jetzt auch mit dem Tod, ich freue mich darauf, dass es irgendwann gut ist, dass man irgendwann alles erlebt und erledigt hat, was das Leben zu bieten hatte. Weshalb man sich vor dem Tod fürchten sollte, habe ich noch nie verstanden und den letzten Tag genau so präzise zu kennen, wie den letzten Arbeitstag, das halte ich einfach für praktisch.

Furcht habe ich vor einem langen Siechtum, wenn man zu nichts mehr nutze ist, vor allem nicht für sich selber, wenn man sich und anderen nur noch eine Last ist, das finde ich eine grässliche Vorstellung. Ich kann alles alleine - wenn das nicht mehr funktioniert, dann will ich auch nicht mehr weiter. Ich habe deshalb mit meinen Kindern vereinbart, dass sie sich darum kümmern werden, dass mir so ein Ende erspart bleibt. Mein Vater ist seit über sechs Jahren in diesem Heim, mittlerweile kann er kaum noch etwas selber, mich gruselt es immer, wenn ich ihn besuche. Ich grusele mich aber nicht für ihn, denn er ist offensichtlich und nach eigener Aussage total zufrieden, für ihn gibt es also überhaupt keinen Grund an seiner Situation irgendetwas zu ändern. Ich grusele mich nur vor der Vorstellung, dass es mir auch mal so gehen könnte, und das will ich so ausdrücklich ganz bestimmt nicht!!!!, dass ich gar nicht genug Ausrufzeichen hinter diese Aussage setzen kann. Ich habe einen Arzt und einen Pharmazeuten als Sohn, die werden hoffentlich einen Weg finden, mir so etwas zu ersparen, allerdings bin ich durch meine Forderung nach einem vorzeitigen Ende auch sehr erpressbar, wie mir N neulich klipp und klar deutlich machte: "Tja, Mama, dann musst du ab jetzt immer sehr nett zu uns sein, sonst lassen wir dich einfach leben."

Diesen oben verlinkten Text über das Sterben fand ich vor allem deshalb wichtig, weil er für mich den Sterbevorgang als solches deutlich fassbarer, geerdeter und besser vorstellbar machte. Sterben selber ist nicht schlimm, nur endlos langes Dahinsiechen, das sollte man vermeiden.

Je länger ich darüber nachdenke, umso besser finde ich übrigens auch den Vergleich des eigenen Verscheidens mit dem Ausscheiden aus dem Berufsleben, denn beides ist halt ein harter Cut, beides macht man nur einmal im Leben und in beiden Fällen weiß man nicht, ob es sich nachher auch so anfühlt, wie man es sich vorher vorgestellt hat.
Der Unterschied ist zwar, dass es nach dem Sterben kein Nachher mehr gibt, aber ich denke, der Weg dorthin ist das Entscheidende. Sowohl zum Ver- als auch zum Ausscheiden. (Sorry, diese Wortwitze lagen so anbiedernd rum, da konnte ich nicht dran vorbei.) Und Witze machen sollte man in jedem Scheidungsfall, egal ob Ent-, Ver- oder Ausscheidung. (Ist ja schon gut, ich höre jetzt auf.)

Meinen Countdownzähler auf dem Handy habe ich übrigens schon gelöscht, die restlichen Tage kann ich mir jetzt auswendig merken, das ist alles nicht mehr so wichtig. Interessant fand ich aber die letzten sechs Wochen, weil ich in dieser Zeit schon mal üben konnte, wie das ist, ohne das Büroverpflichtungsfühl im Hinterkopf. Nicht mehr arbeiten zu müssen, keine Aufgabe mehr zu haben, seine Position im sozialen Gefüge des Kollegiums zu verlieren, dafür seinen neuen Privatalltag selber und komplett anders strukturieren zu müssen, neue Beziehungen zu Menschen aufzubauen, für die man bisher keine Zeit oder keine Energie hatte, sich einen komplett neuen Platz im Leben und in der Gesellschaft suchen. Ich finde durchaus, dass das Ausscheiden aus dem Berufsleben genau so etwas maximal Veränderndes hat, wie das Ausscheiden aus dem Leben selber. Danach geht es komplett anders weiter - und wer weiß schon, was nach dem Tod kommt
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Mittwoch, 21. August 2024
Wofür lebt man eigentlich?
Ich habe mich neulich mit K über Frugalisten unterhalten und habe ihm erklärt, dass die ursprünglich Idee dahinter im Rahmen der Finanzkrise, also ca. 2008 aus der sogenannten FIRE-Bewegung stammt. FIRE steht für Financial Independence, Retire Early, also finanzielle Unabhängigkeit und möglichst frühzeitiger Ruhestand.

Frugalismus ist eine Lebensphilosophie, die auf einem sehr bewussten und sparsamen Umgang mit Geld basiert.
Der typische Frugalist gehört zu den Besserverdienern, die einen Großteil ihres Einkommens sparen, ihr Kapital bewusst anlegen und verwalten und immer genau wissen, wie viel und wofür sie ihr Geld jeden Monat ausgeben.

Wenn man alle seine monatlichen Einnahmen und Ausgaben in einer detaillierten Buchhaltung erfasst, bekommt man schnell ein gutes Gefühl dafür, wie viel Geld man so durchschnittlich im Monat benötigt und wird auch gleichzeitig auf die typischen kleinen Geldfresser aufmerksam, die nur Geld kosten ohne einen zusätzlichen Nutzen zu bringen.

Im Ergebnis gibt man sein Geld also sehr viel bewusster aus, in dem man zB gezielt auf Sonderangebote achtet, Spontankäufe vermeidet und sich bei teuren Investment aktiv nach Alternativen oder Substitutionsprodukten umschaut, man optimiert also sein Ausgabeverhalten.

Frugalismus hat nichts mit Minimalismus zu tun, Minimalisten möchten so wenig Dinge besitzen wie möglich, weil sie sich von Dingen belastet fühlen. Solche Gefühle haben Frugalisten nicht, im Gegenteil, sie sind oft echte Jäger und Sammler.
Das Ziel eines Frugalisten ist die finanzielle Unabhängigkeit, die, wenn man sie vollständig erreicht hat, bedeutet, dass man nur noch macht, was einem Spaß macht.

Ich finde diese Lebensphilosophie durchaus sympathisch und glaube, dass ich mein Leben und meinen Umgang mit Geld intuitiv schon immer so gestaltet habe. Ein früher Ruhestand ist nicht das Hauptziel des Frugalismus, es ist aber sozusagen ein Abfallprodukt, denn wenn sich durch das regelmäßige Sparen irgendwann so viel Vermögen angesammelt hat, dass man sich ausrechnen kann, dass man damit bis an sein Lebensende auskommt, ohne durch aktive Erwerbsarbeit gezwungen zu sein, noch immer weiteres Einkommen dazu zu verdienen, dann geht man immer dann in den Ruhestand, wenn man seine Arbeit bisher eben hauptsächlich aus Erwerbsgründen erledigt hat. Wenn man finanziell unabhängig ist, muss man halt nicht mehr arbeiten.

Ich habe auch mein Leben lang ein hohes Verlangen nach finanzieller Unabhängigkeit gehabt und die erreicht man nicht nur dadurch, dass man irre viel Vermögen anhäuft, sondern genauso gut auch dadurch, dass man gar nicht so viel braucht - und genau das war meine Grundausrichtung. Ich kaufe die allermeisten Dinge nur gebraucht auf dem Flohmarkt oder bei ebay, achte sehr stark auf Sonderangebote und meine Hobbys sind schlafen und lesen - ich gerate also nur sehr selten in Versuchung, viel Geld auszugeben und komme deshalb mit einem relativ kleinen Monatsbudget wunderbar aus.

Ich habe nie bewusst auf irgendetwas verzichtet, ich hatte von ganz alleine gar kein Bedürfnis nach vielen Dingen, für die andere Mensch sehr viel Geld ausgeben und so passierte es von ganz alleine, dass ich fast immer deutlich mehr verdient habe als ausgegeben und irgendwann wurde mir klar, dass ich das, was sich da im Laufe der letzten 40 Jahren so angesammelt hat, gar nicht mehr ausgegeben bekomme, wenn ich so weiter lebe.
Aus dem Grund höre ich mit der für mich inzwischen nur noch lästigen Erwerbsarbeit ja auch fünf Jahre eher auf als das per Altersrentenbeginn vorgesehen wäre. Ich muss kein Geld mehr verdienen, ich kann das, was da ist, einfach nur noch ausgeben, das langt mehr als dicke.

Im Grunde bin ich also ein echter Frugalist, auch wenn ich nicht mit 40 aufhöre zu arbeiten, sondern erst mit 62, aber immerhin.

Was mich an Ks Antwort dann allerdings sehr faszinierte, war seine gesellschaftspolitische Kritik an dieser Lebensphilosophie, er sagte nämlich: "Wenn das alle so machten, dann wäre die Gesellschaft sehr schnell am Ende. Wenn alle nur noch faul rumliegen wollen und keiner mehr bereit ist zu arbeiten, das kann doch nicht funktionieren."

Darüber habe ich jetzt ausführlich nachgedacht und bin am Ende bei der großen Frage nach dem Sinn des Lebens gelandet. Leben wir wirklich vor allem deshalb, um im Leben "etwas zu erreichen", um "voranzukommen", "Leistung zu bringen" und dafür zu sorgen, dass es uns "immer besser geht"?

Ich glaube, genau hier liegt der Fehler im System, denn ich bin fest davon überzeugt, dass das nicht der Sinn des Lebens ist. Dass wir uns quälen und schuften und immer weiter machen, auch ohne dass wir daran Spaß haben.
Ich glaube, der Sinn des Lebens ist einfach nur die Existenz. Dass wir einfach nur da sind - mehr Sinn gibt es nicht. Alles andere haben uns Leute eingeredet, die selber davon profitieren, wenn sich andere abrackern. Allerdings ist das System, in dem wir leben, inzwischen so fest darauf ausgerichtet, dass es für den einzelnen gar nicht mehr so leicht ist, einfach nur zu existieren, es bedarf viel Überlegung, Planung, Vorsorge und genaues Taktieren. Wenn man aber alles richtig macht (und Glück gehört natürlich auch dazu), dann darf man meiner Meinung nach auch sehr gerne sehr früh in den Ruhestand gehen, wenn man das möchte
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Montag, 19. August 2024
Schlechtschmeckergedanken
Dieser Tag ging heute ausgesprochen schnell um und dabei habe ich mich gar nicht im ausführlichen Nichtstun geübt, sondern allerlei Dinge erledigt, viel telefoniert, eine Zeitlang am Computer gesessen und den E-Mail-Eingang aufgeräumt, K zum Flugplatz gebracht, auf dem Rückweg eingekauft und Pfandflaschen weggebracht, das dauerte alles seine Zeit.
Als ich wieder zu Hause war und nachsah, wo K inzwischen ist, war er schon gelandet. Er hat heute mit 88 Minuten für Haustür-Haustür einen neuen Rekord aufgestellt, davon 44 Minuten Flugzeit, die anderen 44 Minuten sind die Fahrten zum und vom Flugplatz sowie die Flugvor- bzw. nachbereitungen. So ein Flieger verlangt etwas mehr Aufmerksamkeit als ein Auto, da kann man nicht einsteigen und losfliegen, sondern muss immer erst diverse Dinge prüfen und die Abstellsicherungen entfernen bzw. wieder anbringen.

Am Nachmittag habe ich mich dann damit beschäftigt, das Haus aufzuräumen und sauber zu machen und weil am Abend alles so schön ordentlich war und ich mich wie ein erwachsener Mensch mit Disziplin und Ernsthaftigkeit fühlte, habe ich dann noch angefangen, mir selber ein richtiges Essen zuzubereiten. Wenn ich ganz alleine bin, mache ich so etwas normalerweise nie, sondern ergebe mich sofort der fortgeschrittenen Verlotterung und lebe von Butterbroten und Chipsen.

Heute war hier aber auf allen Ebenen Ordnung angesagt und so habe ich nicht nur einen Liter Erdbeerlimonadensirup hergestellt, sondern auch eine Schüssel Obstsalat zusammengeschnibbelt (die Melone musste weg) und einen großen gemischten Salat mit gerösteten Pinienkernen und selbstgemachten Croutons, Melone, Feta und Tomaten hergestellt und dazu frische Ravioli mit Käsefüllung produziert. Von allem ist jetzt noch reichlich da, deshalb finde ich Kochen für eine Person immer blöde, aber heute war mir danach.

Während ich so versonnen in der Küche vor mich hinschnibbelte, habe ich mir überlegt, dass ich ganz klar kein Feinschmecker bin. Alles, was in so schicken Feinschmeckerlokalen auf der Karte steht, ist üblicherweise nicht so meins, einer der Gründe, warum ich so ungern auswärts essen gehe - ich mag das allermeiste nicht.

Und wenn ich es doch mag, dann ist es mir meist zu teuer. Als wir das letzte Mal beim Griechen essen waren, hat es 80 € für zwei Personen gekostet - und wenn ich mir überlege, was ich für 80 € sonst so alles kaufen kann, dann finde ich Essen gehen eben einfach nur ungemein teuer und im Vergleich zu dem, was ich als Essen selber mache, finde ich das Essen im Restaurant halt auch nicht mehr als zehnmal so toll.

Außerdem ist auswärts essen unbequemer als zuhause, da sind fremde Leute, die einem ins Essen quatschen und Krach machen, oft riecht es nach irgendwas, die Stühle sind unbequemer als die eigenen und man kann/will nicht in den bequemen Schlumperklamotten ausgehen, sondern muss sich erst umständlich fertig machen. Dann muss man Wege zurücklegen, auf die Bedienung warten und wenn man Wein oder Bier zum Essen trinkt, ist das mit der Rückreise meist hart an der Grenze des Erlaubten. Aus all diesen Gründen gehe ich nicht gerne auswärts essen, der Hauptgrund ist allerdings wirklich, dass ich so ungemein viele Dinge nicht mag.

Ich habe ganz klar keine Feinschmeckerzunge, so Süppchen mit geraspeltem Trüffel oder ähnlichem Chichi sind einfach nur verschwendet an mich, dafür habe ich aber eine ausgesprochen gut funktionierende Schlechtschmeckerzunge - ich kann sofort sagen, was mir alles nicht schmeckt
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Sonntag, 4. August 2024
Verantwortung
Ich habe ja neulich schon festgestellt, dass das Beste an meiner neuen bürolosen Freiheit die Abwesenheit der Verantwortung ist.
Verantwortung bedeutet für mich, dass ich dafür zuständig bin, dass es anderen gutgeht und/oder dass ein gemeinsames Projekt so erfolgreich verläuft wie möglich. Diese Aufgabe erfordert strategisches Denken und eine vorausschauende Planung, um bestmöglich abzuschätzen, welche Handlung welche Folgen haben wird unter gleichzeitig Beachtung von Effizienz und Ressourcenschonung.

Verantwortung zeichnet sich auch dadurch aus, dass man für das Treffen von Entscheidungen zuständig ist.
Um einigermaßen sinnvolle Entscheidungen treffen zu können, braucht man Informationen.
Und genau an dieser Stelle sitzt für mich der lästige Punkt von Verantwortung, denn die Informationen, die man braucht, die fliegen einem ja nicht einfach so zu, sondern die muss man sich besorgen.

Ich muss mich also kümmern, d.h. ich muss ständig aufpassen, ob mir alle notwendigen Informationen berichtet werden und da das fast nie vollständig der Fall ist, muss ich regelmäßig hinter irgendwelchen Informationen hinterrennen. Gefühlt habe ich meine Antennen 24/7 auf Empfang und lasse gleichzeitig nebenbei ein Prüfprogramm laufen, das den eingehenden Informationsfluss scannt, um zu bemerken, was noch fehlt, was inkonsistent ist, was unlogisch ist oder welche Informationen offensichtlich fehlerhaft sind.

Verantwortung zu haben ist eine höchst anstrengende Tätigkeit, denn man muss sich ja permanent für alles interessieren und sich aktiv bemühen, immer noch mehr Informationen zu bekommen, die dann alle mühsam verarbeitet werden müssen.

CW nannte das mal die Hütehundgene, die einen Menschen dazu bringen, freiwillig Verantwortung zu übernehmen, um dann permanent wachsam die Herde zu umkreisen und aufzupassen, dass alles in Ordnung ist.

Eigentlich habe ich aber gar keine Hütehundgene und eigentlich habe ich auch überhaupt keinen Spaß daran, mich um andere Menschen und ihr Wohlergehen zu kümmern, trotzdem bin ich immer wieder in solche Verantwortungspositionen reingerutscht.
Grundsätzlich arbeite ich am allerliebsten in Ruhe und alleine vor mich hin, ich kann es dabei aber auf den Tod nicht leiden, Anweisungen von jemandem zu bekommen, der offensichtlich zu blöd ist, das Gesamtproblem in einer übergeordneten Komplexität zu erfassen und deshalb Vorgaben macht, die einfach dumm und kontraproduktiv sind. Solchen Unsinnsanweisungen folge ich grundsätzlich nicht, was mich zu einer komplizierten Mitarbeiterin für Vorgesetzte macht.
Derart renitente Mitarbeiter werden in einer Organisation entweder gefeuert oder befördert und tragen dann selber Verantwortung. Ich hatte also nie eine Wahl, außer einem Job mit Verantwortung gab es für mich keine Position in keinem Unternehmen.

Aber genau deshalb bin ich jetzt auch so froh, den Job mit allem drum und dran nun loszuwerden - wenn man nämlich keine Hütehundgene hat, dann macht man das Ganze ja nicht aus innerem Antrieb, sondern nur, weil es halt nichts anderes gibt, was man sonst tun könnte.
Außer Nichtstun - und exakt das werde ich jetzt perfektionieren
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