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Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Donnerstag, 24. April 2025
Frisurenschubladen
Die Fähigkeit, Menschen nicht an ihrem Gesicht erkennen zu können, heißt Prosopagnosie und ist eine meiner besonderen Eigenschaften.
Da ich das Wort an einem Tag entdeckte, wo ich aus einem anderen Grund grade damit beschäftigt war, Wörter oder Begriffe durch Betonungsverschiebung zu entstellen*, habe ich mir sofort meine eigene Aussprache für dieses Wort zugelegt, Proso-pack-noosie ist also nur echt mit der Betonung auf dem "no" und kurzem "a".

*Eine ehemalige Kollegin hatte die Angewohnheit, die Hessische Landesbank, die sich selber Helaba nennt, als "heLAAba" zu bezeichnen, also mit der Betonung auf der zweiten Silbe, was nachvollziehbar ist, wenn man die Betonung auf "Landes" legt, was aber nicht der in Bänkerkreisen üblichen Aussprache entspricht. Auch die Mitarbeiter der Helaba selber nennen ihre Bank 'heːlaba, also mit der Betonung auf der ersten Silbe und einem breiten e wie in "gehen". Diese schiefe Aussprache der Kollegin machte mich regelmäßig ganz kribbelig, bis ich damit konterte, dass ich das ebenfalls machte und mir dafür maximal bekannte Begriffe suchte, wo sich eine Betonungsverschiebung besonders schräg anhört. Versuchen Sie mal bei ADAC die Betonung auf das zweite A zu legen und lauschen Sie dann Ihrer eigenen Aussprache nach ;-)

Aber ich war ja bei meiner Prosopacknoosie, die bei mir dazu führt, dass ich Merkmale von Menschen in Schubladen klastere, um so wenigstens eine grobe Wiedererkennungschance zu haben. Ein wichtiges Merkmal zur Wiedererkennung sind Frisuren, weshalb ich für sehr viele typische Frisuren einzelne Schubladen mit passenden Namen in meinem Kopf eingerichtet habe. Da ich nicht nur gesichtsblind, sondern gleichzeitig auch komplett zeichenblind* bin, brauchen die Schubladen sprechende Namen, damit ich mit dem Namen sofort ein passendes Bild verbinde.

*Diese Zeichenblindheit ist vor allem in den letzten Jahren verstärkt lästig geworden, weil mit dem Smartphone diese Emoticons oder Smileys oder was weiß ich, wie diese Minibilder heißen, aufgekommen sind und alle Welt sie benutzt - nur ich bin regelmäßig zu blöd, zu verstehen, was mir der andere damit sagen will bzw. was sie grundsätzlich bedeuten könnten. Hatte ich früher schon immer meine liebe Last mit Pictogrammen, so bin ich heute endgültig raus aus dem Spiel, wenn es um eine angemessene Teilnahme in irgendwelchen Whatsappgruppen geht. Seitdem ich diesen kleinen Kackhaufen mit Augen mal für ein niedliches Hutzeltierchen gehalten habe und allen Leuten als Aufmunterung und gute Laune-Symbol schickte, habe ich gelernt, von diesen Dingern vorsichtshalber die Finger zu lassen.

In meinen Kopfschubladen für Frisuren gibt es natürlich Beschriftungen wie "Glatze" oder "Strubbelkopf" (das sind die Frisuren, wo man immer das Gefühl hat, der Mensch hätte grade in eine Steckdose gepackt), aber auch mir bekannte Promis (zumindest die paar, die ich tatsächlich kenne) sind eine von mir gern genutzte Schublade, weil derartige Frisuren meist häufiger vorkommen. So gibt es in meinem Kopf z.B. "Katja Ebstein" (=lange glatte Haare mit Pony, blond und rot) oder Winnetou (lange glatte Haare, dunkel, kein Pony) usw.
Dabei gibt es natürlich auch Bezeichnungen, die sind inzwischen nicht mehr politisch korrekt, weil ich diese Methode des Merkmaleklasterns/Schubladenbeschriftens schon seit fast 50 Jahren mache und deshalb viele dieser Begriffe noch aus meiner Jugend stammen, als ganz andere Wörter politisch inkorrekt waren als heute.
Da ich diese Begriffe aber nur für mich in meinem Kopf verwende, finde ich es müßig, meine Kopfschubladen umzubenennen, weil es ja außer mir niemand mitbekommt, was ich da für einen Schweinkram* denke.

*"Politisch inkorrekt" ist auch eine Bezeichnung der heutigen Zeit, früher hießen alle Wörter, die man als wohlerzogener Mensch nicht sagte, schlicht "Schweinkram", weil es hauptsächlich Begriffe waren, die sich in irgendeiner Art und Weise um S*x drehten, den man natürlich auch nicht ausschrieb.

Da Frisuren einem gewissen Modetrend unterliegen, werden auch immer mal wieder neue Frisuren modern, für die ich dann neue Schubladentitel brauche. Wenn ich Glück habe, erfinden andere Leute für mich einen Begriff, den ich gerne aufgreife und für mich verwende, wenn er nur sprechend genug ist. Vokuhila war so ein Begriff, der es sogar zu einem eigenen Wikipedia-Eintrag gebracht hat.

Irgendwann hatte ich auch verstanden, was allgemein unter einem Bob verstanden wird und spätestens seit Sascha Lobo war mir auch der Begriff "Irokese" als Frisur geläufig.

Die aktuellen Frisurentrends der jüngeren Leute bekomme ich oft gar nicht mehr mit, weil ich kaum jüngere Menschen kenne und mir deshalb wenig Mühe mache, hier Klaster zu bilden, manchmal entdecke ich so einen Trend aber durch Zufall, weil ich einen Schubladennamen finde, der sich bei mir sofort mit einem Bild verbindet - und dann plötzlich überall junge Menschen mit so einem Haarschnitt sehe.

Einen sehr schönen Schubladennamen habe ich im Dezember bei Carsten K. gefunden, der sich über die invasive Verbreitung der Alpaka Frisur amüsierte und mir sofort einfiel, dass ich auch mindestens einen jungen Mann mit so einem lockigen Pony kenne, der sich extra zum Zwecke der Modischheit eine Dauerwelle hatte machen lassen. (In den 80ern nannte man das noch Minipli, da war das schon mal modern, allerdings anders geschnitten.)

Und ganz neu habe ich bei Christian Hanne die Torsten-Frings-Gedächtnis-Frisur entdeckt, mit der ich zwar spontan nichts anfangen konnte, weil der Name "Torsten Frings" im Unterschied zu Alpaka bei mir keine optische Vorstellung auslöst, aber weil der Name mich neugierig machte, habe ich nach Torsten Frings gegoogelt und seitdem grinse ich vor mich hin, weil ich auch jemanden mit einer Torsten-Frings-Gedächtnis-Frisur kenne, der vor allem höchst empört darüber wäre, wenn er erführe, dass ich extra für ihn eine neue Frisurenschublade eingerichtet habe, die ab sofort eben Torsten-Frings-Gedächtnis-Frisur heißt. Ich bin ja durchaus ein Fan von diesen passiv-aggressiven Nickeligkeiten, auf die ich immer dann zurückgreife, wenn der andere ein grundsätzlich sehr lieber Mensch ist, nach dem man nicht treten darf, aber nur lieb, ach, ach, dazu tauge ich nicht wirklich
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Nachtrag:
K meint, clustern schreibt man nicht klastern.
Ich gebe zu, dass meine Methode, Englizismen (das A vorne ist Absicht) orthographisch kurzerhand einzudeutschen, gewöhnungsbedürftig ist, aber wie sonst sollen neue Wörter entstehen, die man nicht sofort als geklaut erkennt?

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