anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Sonntag, 5. Januar 2025
Hier keine Handysucht
Das Wetter war heute noch weniger zum Rausgehen gedacht als die Tage zuvor, es regnete, stürmte, hagelte, schneite, taute, fror, alles durcheinander und in wilder Folge, als ich gegen 8h wach wurde und Pipi musste, reichte mir ein Blick aus dem Dachfenster, um sofort wieder im Bett zu verschwinden, nein wirklich, besseres Verschlafwetter kann man sich kaum denken.
Ich schlief dann noch mal bis 11h, als ich zum zweiten Mal wach wurde, war K nicht mehr da und neben meinem Bett stand eine längst kalt gewordene Tasse Kaffee.

Ich wartete ein paar Minuten, aber K blieb verschwunden, also rief ich ihn an.
Ich liebe diese modernen Smartphones. All die sonstigen Smarttechniken finde ich gar nicht so wichtig, das wichtigste finde ich die Tatsache, dass sich jeder so sehr an sein Smartphone gewöhnt hat, dass er es wie eine Unterhose den ganzen Tag mit sich herumträgt und man ihn so auch jederzeit überall problemlos und ohne zusätzliche Kosten erreichen kann.

Auf meiner Anrufliste steht K mit großem Abstand ganz weit oben, es gibt niemandem, mit dem ich öfter telefoniere, im Schnitt jeden Tag locker 3-4mal. In den allermeisten Fällen ist er bei diesen Telefonaten nicht mehr als 10-15m von mir entfernt, grade so weit, dass ich ihn nicht sehen kann und nicht weiß, wo genau er grade ist und was er tut, ich ihm aber irgendetwas dringend sagen, fragen oder zu etwas auffordern muss. Bevor ich durchs Haus brülle "Essen ist fertig", ist es doch viel bequemer, ihn eben anzurufen und zu Tisch zu bitten. Heute rief ich ihn an, um ihm mitzuteilen, dass ich jetzt wach, mein Kaffee aber leider schon kalt sei. Gestern rief ich ihn an als wir beide bei Lidl waren und ich mit Einkaufen fertig, deshalb teilte ihm mit, dass ich an Kasse zwei auf ihn warte, so brauchte er nicht weiter irgendwo mitten im Laden rumzustehen und ich musste ihn dort nicht abholen.

Umfragen zufolge, ist für die meisten Menschen ihr Smartphone das wichtigste Technikteil in ihrem Leben, eher würden sie alles andere abgeben, bevor sie auf ihr Smartphone verzichteten und in den letzten Tagen haben mich mehrere Angebote von verschiedenen Anbietern erreicht, die mich dabei unterstützen wollten, nicht so viel Zeit am Smartphone zu verbringen. Die Angebote kamen von den Krautreportern, der Techniker Krankenkasse, Zeit Online und FAZ usw., also alle durchaus seriös und um mein Wohl besorgt, gleichzeitig aber auch dicht dran an den aktuellen Problemen der Menschen.
Handysucht, die neue Droge?

Ich schaue mir die Angebote an und hebe fragend die Augenbrauen. Was machen die Leute die ganze Zeit an/mit ihrem Telefon?
Ich finde mein Smartphone auch sehr praktisch, benutze es aber ganz offensichtlich für komplett andere Dinge als die meisten anderen Menschen, denn ich habe überhaupt nicht das Gefühl, ich sei davon abhängig oder wäre zu viel damit online.

Zugegeben, die Vorstellung, mein Smartphone sei weg, macht mich sofort sehr nervös, aber vor allem deshalb, weil ich es für siebenunddrölfzig Zwei-Faktor-Authentifizierungen benötige, ohne die ein Online-Leben am PC ja inzwischen nicht mehr möglich ist. Und dass über das Handy mittlerweile so eine Art Walkie-Talkie-Verbindung zu den Menschen möglich ist, mit denen man immer mal wieder kurzen Kommunikationsbedarf hat, finde ich enorm praktisch, aber sonst?

Das Gerät, dessen Nutzung ich gerne reduzieren möchte, ist der PC, aber hey, ich habe fast vierzig Jahren mehr oder minder ständig beruflich vor der Kiste sitzen müssen, da finde ich es nachvollziehbar, dass ich da jetzt erst mal einen gewissen Überdruss abbauen muss. (Ich habe schon an einem PC gearbeitet, lange bevor es das Internet für alle gab. Ich habe 1986 meine Diplomarbeit auf einem PC geschrieben und sehr früh Schreib- und Kalkulationsprogramme benutzt.)

Aber das Handy als Ersatz für den PC? Ne, ganz sicher nicht. Wie unbequem ist das denn.
Und mit allgemeinen SocialMediaKanälen bin ich schon seit vielen Jahren komplett durch. Ich hätte aber auch nie in einer Kneipe etwas schreiben oder lernen oder anderes arbeiten können. Ist mir alles viel zu wuselig da, zu laut, zu viele Leute, die ich anstrengend finde, ich finde es da insgesamt weder gemütlich noch kann ich mich vernünftig auf eine konkrete Tätigkeit konzentrieren.
Ich habe lange in einer Kneipe (und in einer Disco) als Bedienung gearbeitet, das war für mich okay, da hatte ich ja auch etwas zu tun, aber weshalb da so viele Leute Abend für Abend in meinen Augen komplett sinnlos rumstanden/-saßen, ihr Bier tranken und die Zeit totschlugen, das habe ich schon im Reallife nicht verstanden, umso weniger verstehe ich es, weshalb man so etwas digital tun sollte.

Mir fehlt tatsächlich jedes rationale Verständnis für so etwas wie Twitter oder wie die Nachfolger heißen mögen, emotional bin ich da noch viel weiter weg. Und ich habe es wirklich probiert.
Es gibt Leute, denen fallen erstaunlich viele, kurze Witze ein und ich lese die best-of-Kurznachrichtendienste, die von verschiedenen Leute gesammelt und monatlich veröffentlich werden, gerne, dafür lohnt es sich, diese Dienste zu unterhalten.
Aber darüber hinaus? Ich bin kein Mensch der 140 Zeichen, ich kann also nicht aktiv mitmachen und mitlesen ist mir zu umständlich. Irgendwie wurde mir immer alles durcheinander angezeigt und wenn ich Dinge noch mal lesen wollte, weil ich mich beim ersten Mal nicht richtig konzentriert hatte oder es einfach gut fand und mir merken wollte, dann war die Meldung schon wieder weg und ich konnte sie auch mit viel Suchen nicht wiederfinden. Durch solche Komplikationen habe ich schnell das Interesse daran verloren.

Ich mag es, Dinge per E-Mail zu bekommen. Da kann ich mich entscheiden, wann es mir am besten passt, sie zu lesen oder gar darauf zu reagieren, ich kann das archivieren, was ich gerne wiederfinden und vielleicht noch mal lesen will, ich kann Wichtiges von Unsinn trennen und ich kann alles löschen, was irrelevant ist. Meine E-Mail-Ordner sind ganz wunderbar strukturiert und aufgeräumt und aus meiner Sicht ist die Kommunikation per E-Mail eine der besten Erfindungen des letzten Jahrtausends.

Und ich mag Blogs - zumindest die, die nicht randvoll mit Werbung sind und deren Verfasser weder den Schreibstil von Uwe Johnson noch den von Rosamunde Pilcher nachahmen wollen.

E-Mails bekomme ich nur von Leuten oder von Kanälen, die ich kenne und/oder aktiv abonniert habe.
Für mich ist es deshalb ganz elementar wichtig, dass ich keine Werbung zwischen meinen E-Mails habe. Ich bekomme natürlich Spam-Mails, jeder bekommt Spam-Mails, aber der größte Teil wird schon bevor ich ihn überhaupt zu sehen bekomme, direkt in den Spam-Mail-Ordner umgeleitet und alles andere kann ich durch einen Klick löschen und verschwinden lassen und es ploppt nicht ständig und überall ungefragt wieder neu auf.
Werbung, die sich wiederholt, brauche ich nur mit einem Klick als Spam zu markieren und schon ist Ruhe.
Durch meinen E-Mail-Feed kann ich also ohne ungewünschte und unbestellte Unterbrechung durch Werbung immer wieder in der gleichen Reihenfolge durchscrollen.

In keinem Social-Media-Kanal ist das möglich, schon deshalb habe ich kein besonderes Verlangen, mich damit zu beschäftigen, weil es alles so zugemüllt ist mit Werbung. Ich schaue ja auch keine Kanäle aus dem Privatfernsehen, ich ertrage die Dauerwerbung dort nicht. Meine Werbungsallergie ist im Laufe immer schlimmer geworden und mittlerweile reagiere ich aktiv aggressiv auf jede Art von Werbung. Für mich die allgegenwärtige Werbung schlimmer als Krätze und Krebs gleichzeitig.

Aus all diesen Gründen habe ich schon vor sehr langer Zeit bei allen Apps aus dem Social-Media-Bereich die Mitteilungen ausgestellt, ich kriege also gar nicht mit, ob dort jemand etwas Neues gepostet hat.
Apps wie Facebook oder Twitter öffne ich nur, wenn ich gezielt nach konkreten Informationen suche, bei Instagram oder TikTok schaue ich mir vor allem an, wie sich Frauen einen Haarknoten zwirbeln oder irgendwelche Köche das schnellste Menu aller Zeiten zaubern. Wo der genaue Unterschied zwischen den beiden ist, habe ich noch nicht herausgefunden, ist aber wahrscheinlich auch egal, wenn man eh nicht mitmachen will, denn längst habe ich es aufgegeben, mich dort selber betätigen zu wollen, weil, warum und für wen?

Und trotzdem finde ich die Erfindung des Smartphones genial, dieses Gerät vereint so viele Dinge und Möglichkeiten gleichzeitig in einem Gerät, dass es natürlich schon ganz enorm komfortabel ist, quasi alle denkbaren Anforderungen mit so einem kleinen Teil wenigstens irgendwie erledigen zu können, dass ich es natürlich nur sehr ungern wieder abgeben wollen würde, es würde meinen Alltag deutlich unkomfortabler machen.

So ein Smartphone ist
- Fotoapparat und Fotoalbum in einem,
- es ist Diktiergerät und Schreibkraft in einem,
- es kommt dem Babelfisch sehr nahe,
- es ist Buch, Radio und Bibliothek in einem
- es ist Musikabspiel- und -sammelgerät in einem,
- es ist Haus- und Postbriefkasten in einem,
- es ersetzt Stift, Papier und Briefmarken,
- es übernimmt viele Aufgaben eines Wachhundes und eines Hausmeisters und
- es weiß auch sonst auf fast alle Fragen eine Antwort

Außerdem hat es noch zig und zig andere Möglichkeiten und Fähigkeiten, viele sind natürlich dem direkten Zugang zum Internet geschuldet, d.h. all diese Dinge kann ein PC auch, dort dann nur auf einem großen Bildschirm mit einer bequemeren Tastatur.

Und es ist natürlich jederzeit bereit, mit dir zu spielen, was auch immer du gerne spielst. Okay, Fangen ist schwierig und in Gummitwist ist es auch nicht so gut, aber ansonsten ist das Spieleangebot gigantisch und es ist für jeden was dabei.
Wer auf digitale Spiele steht, wird sein Smartphone sicherlich schon deshalb lieben, aber auch hier gilt: Ist das am PC nicht alles noch viel komfortabler?

Ich bin deshalb weit entfernt davon, auch nur Ansätze von Handysucht zu spüren, ich finde es allerdings sehr bequem, dass es diese Dinger gibt und deshalb fast jederzeit problemlos darüber zu erreichen ist. Ich übrigens nur schlecht über WhatsApp, das habe ich stumm gestellt, WhatsApp ist mir zu sehr Meta, aber eine E-Mail erreicht mich immer
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