anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Samstag, 20. Oktober 2018
Frankfurt
Zweiter Tag in Frankfurt und ich grübel verstärkt darüber nach, was Menschen dazu bringt, sich in so gigantischer Ameisenzahl in Städten zusammenzurotten, sich in Stein, Zement und Beton einzumauern und das vorzugsweise in einer Höhe, die jedes natürliche Entkommen verhindert.
Mein Unverständnis hängt an der Frage, weshalb die Menschen klaglos all die Unbequemlichkeiten auf sich nehmen, die ein Leben in der Stadt aus meiner Sicht fraglos mit sich bringt, ohne sich ernsthaft um Alternativen zu bemühen, im Gegenteil, sich auch noch glücklich schätzen, wenn sie eine der raren Innenstadtwohnungen ergattern konnten.

Ich bin ja nun kein Architekt und vielleicht bin ich deshalb nicht in der Lage, die Schönheit in dieser Steinwüste zu sehen, aber immerhin hat sie mich so fasziniert, dass ich sie ausführlich fotografiert habe.



Die rechten beiden Fotos zeigen den gleichen Ausschnitt, für einen freien Rundumblick musste ich allerdings erst rauskriegen, wie ich die Jalousie dazu bringe sich zurückzuziehen, was schließlich gelang, was aber auch einen gewissen "thrill" mit sich brachte, denn die Fenster, die diesen Ausblick bieten, befinden sich auf dem Männerklo und ich rechnete jeden Moment damit, dort entdeckt und rausgeworfen zu werden, aber der einzige Mann, der während meiner Fotosession "seine" Toilette betrat, ging sofort wieder rückwärts und entschuldigte sich für die Störung. Ein bisschen niedlich fand ich das dann schon ;-)

Deshalb musste ich die Gelegenheit natürlich maximal nutzen und machte Fotos aus verschiedenen Perspektiven.
Früher konnte man an dieser Stelle ungehindert auf das Gebäude der Deutschen Bank runtergucken (und es geht die Legende, dass das Männerklo extra an diese Stelle mit dieser Aussicht geplant war, damit der Vorstand der Commerzbank das Gefühl hatte, er könnte der Deutschen Bank aufs Dach pieseln) und außerdem konnte man direkt zum Main Tower rübergucken. Das ist jetzt alles vorbei, ein neues Hochhaus wird grade zwischen dem Männerklo der Commerzbank und der Deutschen Bank gebaut, lustigerweise fand ich niemanden, der mir sagen konnte, wer oder für wen da grade gebaut wird.
Insgesamt ist die Baustelle aber schon ziemlich weit nach oben gediehen.



Wenn man nur den oberen Teil fotografiert, sieht das gar nicht so spektakulär aus, wenn man aber die daneben stehenden Türme im Vergleich sieht, kann man sich besser vorstellen, dass es wirklich schon ziemlich hoch ist. Das Baustellenhochhaus ist hier ganz rechts zu sehen, weiter oben wird noch gebaut.


Und hier noch einmal die Baustelle von oben und einmal von unten



Was mir ansonsten hier in Frankfurt besonders aufgefallen ist, ist das krasse Aufeinandertreffen von arm und reich, von total abgerockten, runtergekommenen Gebäuden neben glänzenden Hochhausfassaden, von Obdachlosen mitten zwischen Anzugsträgern. Auf total engem Raum existieren hier zwei komplett entgegengesetzte Welten, das hat mich schon sehr fasziniert.

Aus Münster bin ich es ja gewohnt, dass es ganz viele Menschen gibt, die das Leben in der Stadt so super fantastisch finden, dass sie bereit sind, dafür Mieten zu bezahlen, die mich nur mit den Ohren schlackern lassen und eben auch alle sonstigen Unbequemlichkeiten in Kauf zu nehmen, die ich freiwillig niemals akzeptieren würde, aber Münster ist auch eine der liebens- und lebenswertesten Städte Deutschlands. Ich habe keine Ahnung, auf welchem Platz in diesem Ranking Frankfurt steht, aber mein Bauchgefühl sagt mir, es wird wohl eher nicht so weit oben stehen.
Und trotzdem leben die Menschen hier, fast eine Millionen Menschen auf engstem Raum, zahlen noch höhere Mieten als in Münster und akzeptieren auch noch viel größere Unbequemlichkeiten als die Menschen in Münster, denn weder kann man Frankfurt als perfekte Fahrradstadt bezeichnen, noch ist es sinnvoll, hier Auto zu fahren, weil man es nirgends parken kann und wirklich hübsch ist der Anblick der Architektur in dieser Betonwüste auch nicht, aber alles egal, die Menschen leben hier.

Und ich frage mich: Warum?
Was kann so faszinierend daran sein, in einer Stadt zu leben? Man kann nicht mit offenem Fenster schlafen, muss sich ständig mit übel riechenden, überfüllten und verspäteten S- und U-Bahnen rumschlagen, überhaupt ist alles voller Menschen, alle wuseln umeinander herum und mein Ausflug in die große Stadt fand jetzt noch bei perfektem Wetter statt. Ich möchte mir meine Laune gar nicht vorstellen, wenn es regnet und stürmt.

Aber zum Glück muss ich das gar nicht weiter untersuchen, denn ich durfte heute wieder abfahren, was mich sehr erleichtert.
Wir sind mit der S-Bahn bis nach Egelsbach gefahren, haben dann gelernt, dass der Bus, der mit Nummer und Fahrplan an der Bushaltestelle gegenüber vom Bahnhof ausgeschildert ist, kein echter Bus ist, sondern "AST", was wohl "Anforderung Sammel Taxi" bedeutet und man muss eine halbe Stunde vorher anrufen, dann kommt er zu den Zeiten, die ausgeschildert sind, das haben wir aber erst begriffen, nachdem wir die halbe Stunde schon gewartet hatten, aber natürlich hatten wir nicht vorher und damit rechtzeitig genug angerufen, weshalb sich genau gar nichts tat an der Bushaltestelle. Noch eine Stunde warten hätte sich für die 1,5km lange Strecke irgendwie nur sehr wenig lohnt, weshalb wir gelaufen sind, was für meine Gesamtlaune auch nicht richtig förderlich war.

Aber egal, irgendwann waren wir am Flugplatz und sind direkt nach Münster geflogen, von dort nach Hause, Tasche umpacken und dann mit dem Auto wieder los, jetzt sind wir in Hamburg, hier wäre Fliegen eine Nachtveranstaltung geworden, darauf haben wir verzichtet und morgen gibt es dann Teil zwei unserer aktuellen Finanz- und Kapitalmarktkonferenzreise.

Hamburg ist genauso Großstadt wie Frankfurt, im einzelnen zwar komplett anders, im generellen aber genauso groß und laut und voll. Es tut mir ja sehr leid, aber ich mag auch Hamburg nicht.
Es ist mir hier einfach alles zu laut. Und zu eng. Ich glaube, das sind für mich diei beiden größten Minuspunkte einer Stadt
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Ihre Verwunderung teile ich, wieso jemand in eine Großstadt will (wegen die Arbeit oder die Gewohnheit könnte ich mir noch vorstellen und um sich in der Masse aufzulösen). Eigentlich unser Glück: denn für mich liegt es auf der Hand, dass es notwendig ist, dass sich so viele Menschen in Großstädten anreichern, um dass es woanders besser auszuhalten ist.

Im Nachbarblog schrob ich einmal den Aufgalopp zu einer Lieblingstheorie hin, "Die DNA des Menschen ... stammt aus Zeiten, in denen er in seinem ganzen Leben weniger andere Menschen gesehen hat als in einer Großstadt in einer Minute. Es muss einen nicht wundern, dass sich Hirngewalkte in Großstädten akkumulieren, weil sie nicht anders können."
Gute Nacht, John-Boy. Gute Nacht, Elizabeth.

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In Frankfurt zu arbeiten und aus dem Umland zu pendeln ist nun auch nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig. Mein jüngerer Bruder ist deswegen aus einer netten kleinen Taunusgemeinde irgendwann dann doch in die Stadt (angesagtes Viertel nahe der Uni) gezogen.

An Frankfurt stört mich nicht so sehr die Größe, ich finde es nur immer wieder krass, auf wie kleinen Raum man das totale menschliche Kontrastprogramm von Bankern und Junkies geboten bekommt. In Düsseldorf, was etwa genauso groß ist, von der Einwohnerzahl her, sind die Bereiche räumlich deutlicher getrennt.

Aber generell muss ich sagen, für zentrale Innenstadt-Lage wäre mein Nervenkostüm inzwischen auch zu dünn. So gesehen sind wir in Mb.-Büderich ideal untergebracht, einerseits noch städtisch genug, um kurze Wege zu haben und schon weit genug draußen, um in wenigen Minuten aus dem bebauten Gebiet rauszusein.

P.S. In irgendwelchen internationalen Städte-Rankings von Wirtschaftszeitschriften schneidet Düsseldorf in Sachen Lebensqualität immer wieder sensationell ab, wobei ich das ehrlich gesagt nicht so recht nachvollziehen kann, wie das Ergebnis zustandekommt. Vielleicht müssten wir paar Tausender pro Monat mehr verdienen, um die Stadt so richtig schätzen zu lernen. ;-)

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Genau dieses Kontrastprogramm hat mich an Frankfurt sehr fasziniert.
Ich war ja heute in Hamburg, gleich neben der neuen Flora, aber da war im Grunde alles eine Stilrichtung und auch das Betahaus, als Coworking Space durchaus was für Hipster, steht voll im Spirit der Ökobewegung und alles ist ganz weit weg von Anzugträgern und klassischen Bänkern. Auch die Bankveranstaltung der Comdirect hat sich komplett in diese Umgebung eingefügt. Ein krasser Gegensatz zu der Mutterveranstaltung der Commerzbank einen Tag vorher in Frankfurt.

 
Berlin
Du hast ja gesagt, Berlin findest du als Stadt tendenziell im Vergleich noch Ok, weil das ja eigentlich nicht eine Stadt ist sondern viele Städte direkt aneinander.
Das stimmt auch insofern, als dass Berlin zB über keine Innenstadt verfügt. Überall fahren Autos und es fahren auch immer überall Autos. Auf der Insel möchte man sich ja noch reflexartig über die Taxis aufregen bis einem einfällt dass die da dürfen, auf dem Festland ist abends wenigstens nichts, sogar in Oldenburg konnte man ohne weitere Lärmbelästigung um 2:00 Uhr morgens neben der Stadtautobahn laufen, aber in Berlin fahren immer Autos. Und ich habe die Vermutung, dass ich eigentlich in einer Nebenstraße wohne.

Ich finde es schon faszinierend, dass man eigentlich 5 Stunden laufen kann und es ist immer noch Stadt, die selbe Stadt sogar, aber auch irgendwie etwas anstrengend. Und dabei ist Berlin (laut Berlin) sogar die grünste Metropole Deutschlands, und es gibt ja auch viele Alleen und Parks und eigentlich liegt die unberührte brandenburgische Wildnis auch direkt draußen.

Aber es ist auch so laut, die ganze Zeit so laut.

Und es gibt keine Sterne. Aber dafür stinkt es nicht schlimmer als in Esens.

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Fairerweise:
Berlin ist wirklich exzellent für Menschen-gucken. So viele Freaks hier, da kann man ganz fröhlich starren, selbst wenn jemand sich gestört fühlt, anonymer geht nicht.

Und man wird ständig angesprochen. Es ist eine ziemlich gute Übung in Sozialfertigkeiten, man lernt viel und kann auch viel ausprobieren. So lernt es sich sogar mit gutem Ruf ganz ungeniert.

 
Ich denke, man sollte in seinem Leben beides kennenlernen, das Leben in der Stadt genau wie das Leben auf dem Land, sonst weiß man ja gar nicht, was einem besser gefällt. Und für manche Dinge lässt sich ein Leben in der Stadt eh nicht vermeiden, es gibt halt noch keine Landuniversitäten.
Und wenn man klug ist, macht man aus dem Leben, was man grade nicht ändern kann, eine positive Sicht, das gelingt dir doch schon gut, mit der Entdeckung des Menschen-gucken.
Denn das stimmt, Menschen-gucken in Ostfrisland auf dem Land ist wahrlich ein trübes Hobby, da kannst du jetzt in Berlin komplett aus dem vollen schöpfen.
Und ab und zu kommst du zum Sterne gucken einfach nach Hause.

 
Das im Bau befindliche Hochhaus ist, wenn mich das Foto nicht sehr täuscht (und ich vermute nicht, denn ich arbeite direkt daneben) der Omni-Turm, wird erbaut von Tishman Speyer Properties und wird ein Hybrid-Hochhaus. Architekt ist ein Däne, Ingels glaub ich? Es soll Anfang 2019 fertig werden.

Zur zweiten Frage, wieso man gerne in der Stadt wohnt: ich glaube, das ist einfach eine Geschmacksfrage. Mich stört der Lärm z.B. nicht, ich schlafe durchaus bei offenem Fenster und ich arbeite auch (neben dieser Baustelle) bei offenem Fenster. Ich freue mich, dass ich jederzeit in Bus und Bahn fallen kann denn ich verabscheue das Autofahren. Und ich stehe nicht besonders auf Natur um mich herum, okay im Urlaub gerne mal, aber lieber fahre ich da auch in andere Städte und schaue sie mir an. Ist vielleicht sowas wie dass manche Koriander mögen und manche wiederum nicht.

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Oh, vielen Dank für die Info zu dem Hochhausneubau, rein aus Immobilieninvestorensicht (ich mache regelmäßig Wirtschaftlichkeitsberechnungen für Immobilien) finde ich das sehr spannend, was ich zu dem Omniturm grade alles bei Wikipedia gefunden habe. Ein Hybridturm - wie die Elphi. Da kann man jetzt wunderbar darüber spekulieren, was es über den Wohnungsmarkt einer Stadt aussagt, wenn Wohnungen in Gewerbeimmobilien plötzlich wirtschaftlich werden und sich Hybridhochhäuser lohnen. (Rein aus baurechtlicher Sicht sind Hybridhäuser zB komplizierter als eine Mononutzung).

Und zu der Frage, was Menschen am Leben in der Stadt mögen, haben Sie natürlich recht, dass es alles eine Geschmacksfrage ist und sehr davon abhängig, was einen stört und was nicht bzw. was einem mehr oder weniger wichtig ist.

Mich zB stört der Lärm sehr. Ich finde ihn einfach körperlich anstrengend. Genau wie die große Menge an Menschen, die in einer Stadt eben ständig um einen herum ist. Wobei mich die Menschenmassen wahrscheinlich noch deutlich mehr stören als der Lärm, andererseits entsteht der meiste Lärm ja nur durch die vielen Menschen, es ist also egal, was mich mehr oder weniger stört, geräuschlose Menschenmassen wären wahrscheinlich noch unheimlicher.
Aber grade weil mich das so sehr stört, dass ich es körperlich spüre, kann ich mir nur sehr schwer vorstellen, dass es Menschen gibt, denen das völlig egal ist, ja, die das sogar ganz angenehm finden, weil sie sich in dieser Umgebung angenehm beschützt und geborgen fühlen. Vielleicht ist das ein wenig wie der Gegensatz von Klaustrophobie vs. Platzangst.

Ich bin ja nun auch ganz klar kein "Draußenmensch", am liebsten bliebe ich den ganzen Tag im Haus, das ist für mich völlig okay, aber wenn ich vor die Tür gehe, weil es sich ja nun mal nicht komplett vermeiden lässt, dann wünsche ich mir den Draußen-Aufenthalt so komfortabel wie möglich. Menschenmassen sind für mich im höchsten Maße unkomfortabel, das gleich gilt für Laufen. Beides ist immer mit Draußensein verbunden und deshalb kriege ich sehr schnell schlechte Laune, wenn sich meine Grundsatzabneigungen potenzieren.
Autofahren dagegen stört mich nicht. Bzw. es ist das deutlich kleinere Übel zu Menschenmengen in Öffis.
Aber wie Fritz so treffend bemerkte: Ist doch prima, wenn es Leute gibt, die Stadt mögen, bleibt für mich mehr Platz auf dem Land.