anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Freitag, 13. Oktober 2017
beschränkte Rechenkünste
In der letzten Zeit habe ich häufiger Berichte gelesen oder gehört, wo sich irgendjemand über irgendeinen Missstand beschwert und dann beklagt, welchen großen finanziellen Schaden er davon hat, oder wie wenig Geld für dieses oder jenes zur Verfügung steht und dass das natürlich viel zu wenig ist, um davon leben zu können oder eben irgendetwas zu bezahlen, was nach Meinung des Klagenden unbedingt bezahlt werden müsste.

In all den Fällen geht es um Geld - und in all den Fällen frage ich mich, wie die Leute mit Geld umgehen oder wie sie rechnen.
So war neulich ein Schäfer im Fernsehen, der sich darüber beklagte, dass es jetzt wieder wild lebende Wölfe gibt und die würden seine Schafe reißen und er könnte gar nichts dagegen tun. Und nur weil es jetzt diese Wölfe gibt, wäre er gezwungen, die Lämmer im Stall zu lassen und sie könnten nicht mehr wie früher einfach frei draußen rumlaufen und sich selber versorgen. Er müsste sie deshalb jetzt im Stall versorgen und das wäre nicht nur eine Heidenarbeit, sondern kostet auch entsetzlich viel Geld. 30.000 Euro kostet das, mindestens, hieß es in dem Beitrag, und die müsse alle der arme Schäfer ganz alleine tragen, nur weil jetzt draußen Wölfe unter Naturschutz stehen und er deswegen seine Lämmer im Stall lassen muss.
Ich habe dann mal grob überschlagen, wie viele Lämmer er einfach dem Wolf opfern könnte, bevor der Verlust durch den Wolf größer ist als die Kosten durch die Stallhaltung. Jetzt weiß ich nicht, was ein Lamm kostet, aber rechnen wir mal ganz großzügig mit 300 Euro (kann man so schön teilen), dann müsste der Wolf mehr als 100 Lämmer reißen, bevor es sich für den armen Schäfer lohnt, die Lämmer doch lieber drinnen zu lassen.
Wenn der Wolf aber wirklich mehr als 100 Lämmer in einer Saison von einem Schäfer reißen würde - dann würde es garantiert eine andere Lösung als nur simplen Naturschutz für den Wolf geben. Ich glaube, dann würde der Wolf sehr schnell auch wieder durch Gitter geschützt......

Das ist nur ein Beispiel von vielen, dass Journalisten in Berichten mit Zahlen um sich werfen, die einfach nicht stimmen können.

In einem anderen Bericht ging es um die Renten. Dass es eine Schande ist, dass Leute 40 Jahre hart gearbeitet haben und dann von ihrer Rente nicht leben können.
Ich frage mich dann, was die Leute erwarten, wer ihre Rente bezahlt. Das mit dem Generationenvertrag, dass die Renten der alten von den Rentenbeiträgen der jungen, die grade einzahlen, finanziert werden, das müsste langsam auch dem letzten klar sein, dass es da demnächst ein gewaltiges Ungleichgewicht geben wird, das klappt also sicher nicht. Es werden immer mehr Rentner und immer weniger Leute, die arbeiten,
Also kann eigentlich jeder nur das als Rente ausgezahlt bekommen, was er selber mal eingezahlt hat. Und wenn man das mal ausrechnet, wie viel ein Arbeitnehmer in 40 Jahren Berufsleben eingezahlt hat, dann bekommt man schnell eine Ahnung, dass das nicht reichen kann für eine Rente ab 63 und dann noch 18 Jahre durchschnittliche weitere Lebensdauer. Selbst wenn jeder nur noch 15 Jahre Rente bezieht und erst mit 65 anfängt, wird es eng, wenn er nicht mindestens 45 Jahre eingezahlt hat und auch nur 60% seines letzten Bruttogehaltes raushaben will.
Das ist eine ganz einfache Rechnung:
Wenn man sagt, dass der Rentenbeitrag 20% des Arbeitslohnes ist (ist er nicht, er ist viel niedriger, aber wir wollen ja glatte Zahlen nehmen, das rechnet sich leichter), dann zahlt ein Arbeitnehmer in 45 Arbeitsjahren genau 900% seines Arbeitslohnes ein. (20%x45). Wenn diese 900% dann auf 15 Jahre verteilt wieder als Rente ausgezahlt werden, dann bekommt er jedes Jahr genau 60% seines bisherigen Arbeitslohns als Rente. (900% : 15).
Für jedes Jahr, was einer dann länger lebt als 80, muss ein anderer eher sterben. Und wehe, das Durchschnittsalter steigt insgesamt - bloß nicht dran denken.

Klar gibt es so was Zinsen und Zinseszinseffekte. Aber erstens haben die Leute früher auch weniger verdient, so dass sie dementsprechend ihre "20%" auch von einem niedrigeren Gehalt bezahlt haben, aber natürlich nachher die Rente gerne auf dem Einkommensniveau von heute beziehen möchten.
Und zweitens nähern sich die Zinsen schon seit Jahren immer mehr der Nulllinie.

Und ja, natürlich kann ich auch die korrekte Rentenformel rechnen, das ist Teil meines Berufes. Aber warum soll man so komplizierte Zahlenberge bewegen, wenn man anhand einer ganz einfachen Überschlagsrechnung schon erkennen kann, dass hier was ganz gewaltig daneben geht? Ist übrigens nicht neu, das konnte man schon vor 30 Jahren so ausrechnen, mich fasziniert nur immer wieder, wie viele Leute noch immer blauäugig ohne weitere, eigene Altersvorsorge durch ihr Leben traben und sich dann wundern, dass sie im Alter nicht von ihrer Rente leben können.
Oder nur so wenig Rente bekommen, dass sie als Rentner noch einen Zweit- oder Drittjob annehmen müssen, nur um sich mal ein ganz kleines bisschen was leisten zu können, denn von 980 Euro Rente kann man ja nicht leben und nicht sterben. Heißt es in den Berichten der Journalisten. Und ich mache mir dann immer sofort Sorgen um meine völlig minderbemittelten Studentenkinder. Der BaFöG-Höchstsatz ist nur 649 Euro und liegt damit deutlich unter der Durchschnittsrente, selbst die Durchschnittsrente für Frauen ist noch deutlich höher, und da frage ich mich, weshalb alte Leute so viel mehr Geld brauchen als junge? Und wieso sollte jemand "der 40 Jahre hart gearbeitet hat" (O-Ton Journalistendeutsch) mehr Recht auf ein Leben "in Würde" haben als jemand, der noch nie gearbeitet hat, weil er immer noch in der Ausbildung steckt?
Und warum sollte jemand, der 40 Jahre gearbeitet hat und nie Geld für Extras hatte, plötzlich in der Rente Geld für Extras haben? Warum sollte er also in der Rente mehr Geld haben als vorher? Und wenn er vorher Geld für Extras hatte, warum hat er es dann komplett für Extras verplempert und nicht mal ein klein wenig davon in seine private Altersvorsorge?
Weil ihm das keiner gesagt hat? Ach geh mir weg, das predigt der Staat doch schon seit 30 Jahren, dass man sich auch zusätzlich privat kümmern soll. Und außerdem werden wenigstens die Grundrechenarten doch schon in der Grundschule gelehrt, d.h. dass man einfach seinen eigenen Rentenbeitrag mit den Jahren, die man arbeitet, multipliziert, um das Ergebnis durch die Jahre, die man Rente bekommen will, wieder zu dividieren - ist das so kompliziert, dass man es von einem einfachen Arbeiter nicht erwarten kann?
Tja nu, dann weiß ich auch nicht, aber ich schätze, dann muss man die Leute einfach weiter jammern lassen
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... ¿hierzu was sagen?

 
So ähnliche – nicht ganz so raffinierte – Gedanken beschleichen mich gelegentlich auch.
Vor zwei Jahren ist mein Bürokollege in Rente gegangen. Haargenau zum richtigen Zeitpunkt, um die neuerfundene Rente ab 63 abzufassen. Er hatte seine 45 Versicherungsjahre, ne Rente mit okayer Höhe zu erwarten und plötzlich kriegt er die volle Rente unerwartet und ohne es nötig zu haben zwei volle Jahre früher mit 63 und kommt vor Lachen nicht in den Schlaf. Bei dieser einen Person aus der Rentenkasse an Auszahlungen+fehlenden Einzahlungen in den zwei Jahren von 63 bis 65 locker ne 8 mit vier Nullen versenkt. Generationengerechtigkeit oder wie das auf Latein heißt.

... ¿noch mehr sagen?  

 
Hmmmm,
Um die Rentenkasse in zwei Jahren um 80.000 Euro zu belasten, muss man aber schon seeehr weit die Höchtbeträge abschöpfen.
Der aktuelle Höchstbetrag für die monatlichen Einzahlungen in die gesetzliche Rentenversicherung liegt bei rund 1.200 Euro, selbst wenn man zu den Besserverdienern gehört und mehr als die Beitragsbemessungsgrenze verdient, ist der Beitrag zur Rentenversicherung hier bei 1200 € im Monat gedeckelt. In zwei Jahren sind das also maximal 29.000 €.
Um also insgesamt auf 80.000 € zu kommen, müsste er dann in zwei Jahren 51.000 Euro Rente bekommen, umgerechnet also mehr als 2.125€ pro Monat.
Das ist schon sehr, sehr viel. Google sagt mir, dass die theoretische Höchstrente 2.742€ beträgt, dass es aber wahrscheinlich kaum jemanden gibt, der das bekommt, weil man dafür 45 Jahre oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze hätte verdienen müssen. Und wer tut das schon, zumindest als Berufsanfänger steigt man üblicherweise niedriger ein.

Ich finde meine Gedanken zu allen Themen, die mit Zahlen zusammenhängen, ja weder raffiniert noch kompliziert, mich wundert nur immer, dass es sonst kaum jemanden gibt, der überhaupt darüber nachdenkt und in aller Regel werden Zahlen, die jemand in Raum wirft, einfach so geglaubt.

Aber vielleicht ist es auch nur eine schräge Marotte von mir, dass ich jede Zahl, die man mir vorlegt, grundsätzlich auf Plausibilität überprüfe. Passiert bei mir aber von alleine, kann ich gar nichts dran ändern.

 
Neinnein, ich empfinde es keineswegs als Marotte, sondern naheliegend, Zahlen auf Plausibilität zu überprüfen.

Wenn ich Ihre Fachkenntnisse würdige, was ich natürlich tue, liege ich mit meinem Überschlag wahrscheinlich 15 oder 20 Prozent zu hoch. Eine Summe, bei der für meinen Geschmack das Absurde am Ausgangsfall exakt genauso gut rüber kommt. Ich mache im privaten wie unprivaten Umfeld die Leute regelmäßig verrückt damit, dass ich (ungefähre) Zahlen wissen will, nach der Größenordnung der Zahlen frage, weil ich mich wohler fühle, wenn jemand über etwas schwadroniert und ich weiß, ob ich es mit einer einstelligen, hoch dreistelligen oder fünfstelligen Zahl zu tun habe.

Gestern ging's beim Tischgespräch darum, wie schwer der Mond ist, und der Redner war unschlüssig ob er sich mit Kilogramm, Tonne und Fantastilliarden nicht verhaspelt hat. Eine super Gelegenheit, sich mit Zahlen bekannt zu machen, von denen man den Namen schon mal gehört, aber keine praktische Vorstellung hat, konkret Trilliarde (10^21) und Quadrillion (10^24).

 
ohje, bei sowas steige ich dann auch immer aus. Wenn es um Nullen geht, bin ich grottenschlecht. Ich schmeiße fröhlich Millionen und Milliarden durcheinander, denn wenn die Zahlen größer werden, runde ich immer auf die nächste, handliche Einheit, so dass ich dann zwar sagen kann, dass das Ergebnis 42 ist, aber ob es 42 Tausend oder 42 Milliarden sind, das kann ich dann nicht mehr sagen.
Hat durchaus was von "peanuts"....