anjesagt

Anjesagtes, Appjefahr'nes und manchmal auch Ausjedachtes
Mittwoch, 12. Juli 2017
Technologietempo
Und er schickt noch eine Warnung hinterher: So langsam wie heute werde sich Technologie wohl nie wieder entwickeln.

sagt Tony Fadell, einer der Miterfinder des iPhones, das vor kurzem seinen 10. Geburtstag feierte.

Diesen Satz habe ich nun innerhalb kürzester Zeit zum zweitenmal von Menschen gehört, die die technische Entwicklung durchaus beurteilen können, und langsam beginne ich mir deshalb ernsthaft Sorgen zu machen.

Für meinen Geschmack schreitet die technische Entwicklung schon im Moment viel zu schnell voran, alle naselang gibt es wieder etwas Neues, mit dem man sich beschäftigen muss, und das nicht nur in der Form, dass man lernen muss es zu bedienen, sondern vor allem, dass man lernen muss es "zu denken". Es entstehen ständig neue Wörter, die neu geschaffen werden, um Dinge zu bezeichnen, die es vorher einfach noch nicht gab. Alleine schon die Flut neuer Wörter führt dazu, dass ich manchmal das Gefühl habe, ich beginne, meine eigene Sprache zu verlernen. Denn es gibt keine Übersetzung für die Wörter - man kann sie maximal versuchen zu erklären oder zu umschreiben, wobei dann oft das Problem besteht, dass es viele Wörter gibt, die etwas ähnliches meinen, aber eben nicht das gleiche. Und dann wird es erst recht problematisch, wenn man versucht, die Unterschiede zu erfassen.
Denn was wäre die Übersetzung für ein "Smartphone"? Was ist eine "App"?
Was ist eine IP-Adresse, wie unterscheidet sie sich von einer MAC-Adresse und was ist dann eine E-Mail-Adresse?
Es gibt W-LAN vs. mobiles Netz vs. DECT - das muss man erst mal begreifen - und was ist das mit dem Roaming?
Oder PIN vs. TAN vs. Entsperrcode
QR-Code oder EAN-Code oder Snapcode?
WhatsApp vs. SMS vs. Facebook-Messenger vs. E-Mail vs. Skype vs. iMessage vs.Twitter vs. irgendeinen anderen Kommunikationskanal, hier explodiert die Begrifflichkeit ja förmlich.

Ich habe häufiger mit älteren Menschen zu tun, die sich schon schwertun, zu verstehen, dass E-Mail und Internet nicht das gleiche ist und dass eine website eben keine E-Mail-Adresse hat.
Das liegt nicht daran, dass die Menschen mit zunehmendem Alter verblöden, sondern dass es enorm schwer ist, sich etwas vorzustellen und dann auch noch zu verstehen und anzuwenden, was es nicht gibt, bzw. eben bisher nicht gab.
Mein Lieblingsbild dazu ist Catweazle, für den eben alles Magie war und der sich den An-/Ausschalter eines Radios heimlich eingesteckt hat, weil er der festen Überzeugung war, dass man genau damit die "Geräusche herstellen" kann. Für ihn waren schon Wörter wie Sender, Programm und Radiosprecher fremd und nicht begreifbar, Radiowellen, UKW oder Mittelwelle hätten ihn endgültig überfordert.

Wenn ich jetzt ganz subjektiv nur meine eigene Reaktion auf die technischen Entwicklungen der letzten zwei-drei Jahre betrachte, dann stelle ich fest, dass es mich immer mehr ermüdet, immer aktuell informiert und auch "trainiert" zu sein.
Und ich bin definitiv technikaffin.

Aber vielleicht werde ich auch einfach nur alt. Dieses Ermüden, diese nachlassende Neugier auf immer wieder neue Erfindungen, diese Resignation verbunden mit dem Seufzer "ach, muss das denn wirklich sein", wenn ich feststelle, dass es schon wieder ein neues Office-Programm gibt und dass ich mich schon wieder an neue Arbeits- und Denkmethoden gewöhnen soll, das ist sicherlich ein Zeichen des Alters. Aber vielleicht ist es ja auch ein wenig der immer schneller werdenden Entwicklung der Technologie geschuldet, die einfach dazu führt, dass ich ausgepowert bin, atemlos, erschöpft und gelangweilt. Denn wenn es ständig, alle fünf Minuten, etwas Neues gibt, dann sind neue Dinge nicht mehr spannend, sondern Alltag. Sie verlieren einfach den Reiz des Neuen, sie sind nichts Besonderes mehr, keine Herausforderung, sondern nur lästige Anstrengung.
Und genau unter dieser Überlegung, gibt mir der Satz: "So langsam wie heute wird sich die Technologie nie mehr verändern." eine Menge zu denken.
Wie wird das denn in der Zukunft? Wird das Beherrschen der Technologie künftig die sozialen und gesellschaftlichen Unterschiede definieren? Was muss man dann können, um nicht auf der Strecke zu bleiben? Alte Werte scheinen dann nicht mehr zu zählen, also "Wissen" im klassischen Sinne ist ja schon lange obsolet geworden, aber auch angewandtes Wissen, wie Sprachkenntnisse scheinen dann an Bedeutung zu verlieren.
Was wird wichtig sein? Was muss ich meinen Kindern heute beibringen und mitgeben, damit sie morgen in den Wirbelschleppen des Technologiefortschritts nicht abstürzen?
Wie werden sich die ethischen Grundwerte verändern?
Was, von dem, was heute unser Leben ausmacht, wird überhaupt bleiben?

Ich hätte ja früher gesagt: "Schinkenwurst" - Schinkenwurst wird bleiben, denn es wird immer Kinder geben, die beim Fleischer nach ihrer Scheibe Wurst verlangen. - Wie komplett verkehrt ich mit dieser Überzeugung lag, sehe ich ja schon heute. Heute gibt es vegane Schinkenwurst - und kaum noch Fleischer.
Aber wenn es noch nicht mal die Schinkenwurst schafft, die Zeitläufte zu überstehen, dann ist das ja wohl durchaus ein ernsthafter Grund, sich Sorgen zu machen.
Finde ich
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Im Grunde ist diese Prognose ja nur die abgespeckte und leichterverdauliche Variante von Überlegungen, die sich mit dem Thema Singularität beschäftigen, und wer Singularität sagt (und damit den Punkt meint, ab dem künstliche Intelligenz die menschliche uneinholbar überflügelt hat), der wird nicht drum herum kommen, sich mit dem Thema Transhumanimus zu beschäftigen und festzustellen, dass bereits Überlegungen angestellt werden, wie Mensch und Maschine zu fusionieren sind.

Davon abgesehen ist die Frage, wie viele dieser künftigen Neuerungen, die von der Technologie praktisch selbst erzeugt werden, tatsächlich im Alltag so für uns präsent sind, dass wir uns aktiv damit auseinandersetzen müssen wie mit einem neuen Office-Paket. Ich könnte mir vorstellen, dass viele künftige KI-Anwendungen eher niederschwellig daherkommen und versuchen werden, Prozesse für den Nutzer zu vereinfachen.

Auf der ganz persönlichen Ebene geht es mir aber wie Ihnen, es fällt mir immer schwerer, mich für irgendwas zu begeistern, was mir als Innovation angedient wird. Beipiel Smartphone, ich habe eins und benutze es auch, wäre aber auch ohne weiterhin gut durchs Leben gekommen. Ich habe mich praktisch seit dem Kabelpilotprojekt in den 80ern mit diversen Innovationen wie BTX, ISDN und Breitband auch fachjournalistisch und wirtschaftlich auseinandergesetzt, und ich würde es so resümieren, dass immer mehr versprochen wurde als letztlich geliefert wird.

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"Ich habe häufiger mit älteren Menschen zu tun, die sich schon schwertun, zu verstehen, dass E-Mail und Internet nicht das gleiche ist und dass eine website eben keine E-Mail-Adresse hat."

Das kann man doch super damit erklären, dass dann auch ein Brief und eine Bibliothek, oder ein Buch und ein Brief das gleiche wären.

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Und die Verwirrung nimmt nicht ab, wenn man nachdenkt, ob bei philosophischen Ansätzen aus dem Englischen zu technology in jedem Moment am besten mit Technik zu übersetzen wäre, mit Wissenschaft oder gar mit "Technologie", oder ob man sich ein noch anderes, noch leicht wolkiges Blähwort ausmalen muss.

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Das in dem Artikel ist schon schick: Von der quasi-sakrosankten Technikreliquie ist es zu einem schnöden Gebrauchsgegenstand geraten. Branchenkenner sprechen auch von der "phone fatigue".

Ich versuche mir einzureden, ich eigne mir den ganzen Scheißdreck so an und benutze ihn sinngemäß in dem Umfang und in der Art, wie ich Messer und Gabel benutze. Wenn's halt passt. Wenn nicht, Arschlecken.

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